Der Ripper von Rostow (eBook)
176 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7509-1 (ISBN)
Gerhard Simon
Referat bei der Tagung „Holodomor 1932-33.
Politik der Vernichtung“.
Mannheim 24. November 2007
In den Jahren 1932/33 ereignete sich in der
Sowjetunion eine der größten humanitären
Katastrophen des 20.Jahrhunderts. Sechs bis
sieben Millionen Menschen wurden Opfer
einer Hungersnot, über die damals so gut wie
nichts an die Öffentlichkeit drang. In der
Sowjetunion wurde die Große Hungersnot mit
einem Tabu belegt. Erst 50 Jahre später
begann eine größere Öffentlichkeit – zunächst
in Nordamerika und dann auch in der
auseinander brechenden Sowjetunion –
Details zu erfahren und Anteil zu nehmen.
Inzwischen ist der Holodomor zu einem
zentralen Aspekt der Erinnerungskultur in der
Ukraine, nicht jedoch in Russland oder
Kasachstan geworden. Die Erinnerung an die
Millionen Verhungerten steht in der Ukraine
im Zeichen der Distanzierung von der
kommunistischen Vergangenheit, und sie dient
zugleich der Konsolidierung der Nation im
neuen demokratischen Staatswesen. Auch in
Russland ist die Hungersnot kein Tabu mehr,
aber zu einem breiten Gedächtnis an die Opfer
ist es bis heute nicht gekommen. Die
Hungersnot forderte besonders viele Opfer in
der Ukraine: nach den Ergebnissen der
neueren Forschung 3,5 Millionen Menschen,
bei einer Einwohnerzahl von 29 Millionen
(1926) waren das mehr als 10% der
Bevölkerung. Die Opfer verteilen sich ganz
ungleichmäßig über das Land. Am stärksten
betroffen waren die damaligen Gebiete Kiew
und Charkiv sowie die damalige Autonome
Republik Moldova im Bestand der UkrSSR,
weniger Hungertote waren im Donbas zu
beklagen. Dabei weichen die heutigen
administrativen Grenzen erheblich von den
damaligen ab. Allerdings weist die Statistik in
allen Gebieten der Ukraine für das Jahr 1933
deutlich höhere Sterbeziffern aus als in den
Jahren davor und danach. Opfer des Hungers
gab es also im ganzen Land; die Menschen
verhungerten fast ausschließlich in den
Dörfern. In den Städten herrschte zwar auch
äußerster Mangel an Nahrungsmitteln, aber
der Schwerpunkt des Hungers waren gerade
die Getreide produzierenden Regionen. Ganze
Dörfer starben aus. Ungefähr 80% der
Verhungerten in der Ukraine waren ethnische
Ukrainer, denn die ländliche Bevölkerung
bestand ganz überwiegend aus ethnischen
Ukrainern. Die restlichen 20% der Opfer in
der Ukraine verteilten sich auf polnische,
moldauische, russische und deutsche
Landbewohner. In der westlichen Ukraine, die
damals zu Polen, bzw. Rumänien und der
Tschechoslowakei gehörte, gab es keine
Hungersnot.
Auch außerhalb der Ukraine wütete der
Hunger in der Sowjetunion. Am stärksten
betroffen waren der Nordkaukasus und hier
besonders der Kuban’, wo die
Bevölkerungsmehrheit aus Ukrainern und
ukrainischen Kosaken bestand, sowie die
Regionen Mittlere und Untere Wolga,
einschließlich der Autonomen Republik der
Wolgadeutschen. Die höchste Zahl der Opfer –
gemessen an der Bevölkerungszahl – war in
den Steppenregionen Kasachstans zu
beklagen. Hier starben die kasachischen
Nomaden infolge der zwangsweisen
Sesshaftmachung.
Insgesamt starben – wie gesagt - nach
Berechnungen von Fachleuten sechs bis sieben
Millionen Menschen, davon 3,5 Millionen in
der Ukraine, 2 Millionen in Kasachstan,
weitere Hunderttausende im Nordkaukasus, an
der Wolga und in Westsibirien. Die genaue
Zahl der Opfer wird sich niemals ermitteln
lassen, weil standesamtliche Einträge nur
unvollständig geführt wurden und die
Behörden von Anfang an angewiesen wurden,
die Hungeropfer nicht zu dokumentieren.
Sogar die Ergebnisse der Volkszählung von
1937 wurden zum Staatsgeheimnis erklärt, und
die leitenden Mitarbeiter der Volkszählung
verschwanden als Saboteure und Volksfeinde
im Gulag. Erst nach dem Ende des
Sowjetsystems wurden die Ergebnisse der
Volkszählung von 1937 zugänglich; der
Vergleich der Ergebnisse der Volkszählung von
1926 und 1937 stellt eine wichtige Quelle für
die Berechnung der Opferzahlen dar. In vielen
ländlichen Regionen der Ukraine kam es
schon in der ersten Jahreshälfte 1932 zu einer
ersten Hungerkatastrophe. Die Zahl der
Hungeropfer in diesem ersten Hungerjahr, das
auf eine schlechte Getreideernte 1931 folgte,
wird auf 144.000 geschätzt. Schlimmeres stand
bevor. Nach einer zweiten
unterdurchschnittlichen Getreideernte in der
Ukraine 1932 verhungerten die Bauern seit
dem Spätherbst 1932; die Katastrophe des
Holodomor erreichte im Juni 1933 ihren
Höhepunkt, im September 1933 mit der neuen
Ernte war das Hungersterben vorbei. Wie
konnte es ausgerechnet in der Ukraine - der
Kornkammer Europas – zu einer Hungersnot
in den Dörfern kommen? Die erst vor kurzem
in die Kolchosen gezwungenen Bauern und die
noch verbliebenen Einzelbauern wurden mit
einem unerfüllbar hohen Ablieferungssoll
belastet. Wenn die Kolchosen und
Einzelbauern das ihnen auferlegte
Ablieferungssoll nicht aufbrachten, erschienen
bewaffnete Requirierungskommandos und
nahmen den Bauern die Getreideernte weg. So
starben viele Landbewohner im Spätwinter
und im Frühjahr, wenn alle anderen
Nahrungsmittel aufgebraucht und auch das
zuvor geschlachtete Vieh verzehrt war. Die
zwangsweise Kollektivierung hatte überall zum
Rückgang der Arbeitsproduktivität auf dem
Land geführt. Die Bauern arbeiteten lustlos
und schlecht auf den Kolchosfeldern. Auch das
war eine Grund für schlechte Ernteergebnisse.
Nach der bolschewistischen revolutionären
Logik waren die Bauern grundsätzlich
Menschen zweiter Klasse. Im Zuge der
Industrialisierung war ihnen die Rolle
zugewiesen worden, die Städte und die
entstehenden Industriereviere zu ernähren.
Wenn sie das nicht freiwillig taten - so die
bolschewistische Parteilinie - mussten sie dazu
durch Requirierung der Ernte gezwungen
werden. Die Stalin-Führung nahm billigend in
Kauf, dass ein Teil der Bauern verhungerte.
Ja, mehr noch, die Parteiführer bestätigten
sich in ihrer Korrespondenz, wie nützlich der
Hunger war, um die Bauern zur ehrlichen
Arbeit in den Kolchosen zu zwingen. Die
Hungersnot wurde von der bolschewistischen
Führung als ein probates Mittel der Erziehung
und Disziplinierung der Landbevölkerung
betrachtet. Der ukrainische Parteichef
Stanislav Kosior schrieb am 15. März 1933 an
Stalin, dass der Hunger „eine gewisse Wende
bei der Masse der Kolchosbauern“ bewirkt
habe. „Allerdings verstehen das bei weitem
noch nicht alle Kolchosbauern. Sehr viele
Kolchosbauern sind aus dem Hunger noch
nicht schlau geworden, dies zeigt sich bei der
mangelhaften Vorbereitung der Aussaat gerade
in den Rayons, die besonders schlecht dran
sind.“ (OE 12, 2004, S. 66) Die offizielle
Propagandaversion lautete, die Bauern
arbeiteten schlecht auf den Feldern der
Kolchosen, sie würden das geerntete Getreide
stehlen und verstecken, um es dann zu höheren
Preisen illegal zu verkaufen. Deshalb wurden
Requirierungskommandos in die...
Erscheint lt. Verlag | 7.7.2023 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Recht / Steuern ► Strafrecht | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Andrei Tschikatilo • Andrei Tschikatilo-Jack the Ripper • Kannibalismus • pädophile Serienkiller • sadistische Psychopathen • Serienmörder • Serienmörder-Biografien |
ISBN-10 | 3-7578-7509-5 / 3757875095 |
ISBN-13 | 978-3-7578-7509-1 / 9783757875091 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 248 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich