Eine Reise zu Pferd über die Alpen (eBook)
176 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7359-2 (ISBN)
Marcellus Peuckert erkundet seit vielen Jahren Wege abseits der großen, bekannten Routen, im Sommer vor allem zu Pferd, im Winter auf Tourenski. Nach zahlreichen Wanderritten in den deutschen Mittelgebirgen gilt sein Interesse seit einigen Jahren insbesondere dem Reiten in den Schweizer Alpen. Dabei interessiert ihn immer auch die Geschichte und Kultur der Landschaft, in der er unterwegs ist.
DER HISTORISCHE BOTENDIENST
Am Anfang einer jeden Routenplanung steht die Überlegung, ob sich ein Wanderritt denn „lohnen“ wird. Klar, Alpenrhein, Chur, Viamala, Splügenpass, das klingt alles schon recht verlockend. Aber wie stimmig kann diese Route hinsichtlich meiner ursprünglichen Motivation, einem bedeutenden historischen Weg zu folgen, letztlich werden? Vor allem, lässt sich ein so alter Reiterpfad heutzutage neben Landstraßen und Autobahnen überhaupt noch wiederfinden oder ist er längst von ihnen verdrängt worden oder gar unter dem Asphalt verschwunden?
Also machen wir zunächst einmal einen kleinen Exkurs zu den alten Römern! Deren Spuren finden sich an zahlreichen Stellen in den Alpen. Nach den Gallischen Kriegen, ab etwa Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. wurden zahlreiche Alpenpässe zu befestigten Straßen ausgebaut. Auf diesen Wegen erfolgte nämlich vorrangig die Versorgung der transalpinen Kolonien. Ganz im Westen führte die Via Julia Augusta über die Seealpen nach Arles. Durch die heutige Schweiz führten Routen über den Großen St. Bernhard, den Septimerpass und den Julierpass. Weiter östlich verband die Via Claudia Augusta über Fernpass und Reschenpass, und ein paar hundert Jahre später die Via Raetia über den Brennerpass Rom mit Augsburg (Augusta Vindelicum), der Hauptstadt der römischen Provinz Raetia. So konnten die Römer neben zahlreichen anderen Waren auch Wein auf Ochsengespannen bis zu ihren Niederlassungen im Land der keltischen Vindeliker bringen.
Der Splügenpass, obwohl schon seit der Bronzezeit als Übergang benutzt und ebenfalls von den Römern befestigt, spielte zunächst im Vergleich zu Septimer- und Julierpass wohl nur eine untergeordnete Rolle. Dabei war die Strecke, die vom Hinterrhein zum Comer See führt, zwar die kürzeste, damals allerdings auch eine sehr gefährliche Alpentransversale, die Nord- und Südeuropa miteinander verband.
Es scheint, als ob erst in spätrömischer Zeit der Weg über den Splügen an Bedeutung gewinnen sollte. In dem großen römischen Routenplaner von ca. 375 n. Chr., in der sogenannten Tabula Peutingeriana sind die wichtigsten Fernstraßen zwischen Spanien und Asien, von Afrika bis Nordeuropa schematisch dargestellt. Und tatsächlich findet man hier jetzt die Route über den Splügenpass eingezeichnet, mit zahlreichen Ortsnamen entlang der Strecke. Weiter rechts, also östlich, fehlt in der Karte interessanterweise die Via Claudia Augusta; stattdessen schließt sich unmittelbar parallel der Weg über den Brennerpass an.
Ganz offensichtlich und eigentlich nicht überraschend hatten sich seit der Zeit von Kaiser Augustus der Zustand des Wegenetzes geändert und Prioritäten verschoben. Wer würde denn heute noch mit einer 100 Jahre alten Straßenkarte in Urlaub fahren, wo wir doch spätestens nach 3 Jahren ein Update zum Navi erwarten? Schauen wir also, was sich nach der Zeit der Römer im Alpenraum verkehrstechnisch weiter so tat!
Um 1274/75 verlieh der Habsburger König Rudolf I. der Stadt Lindau die Privilegien einer reichsunmittelbaren Stadt. Ausgestattet mit Zoll-und Münzrecht entwickelte sich Lindau rasch zu einem wichtigen Stapel- und Umschlagplatz und ihre Kaufleute konnten den Handel in Richtung Lombardei, insbesondere nach Mailand und weiter bis nach Genua mit seinem wichtigen Seehafen stetig ausbauen. Nun gewannen ein sehr schneller Informationsaustausch sowie ein sicherer Transport von Geld und wertvollen Waren große Bedeutung. Hierfür war die Route über Viamala und Splügenpass eindeutig der geografisch kürzeste Weg.
Bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert gibt es erste Berichte von reitenden Boten zwischen Lindau und Mailand. Im Jahr 1436 erhielt dann die Mailänder Handelskammer ganz offiziell ein herzogliches Privileg zur Führung eines Botenkurses zur freien Reichsstadt Lindau.
Weintransport mit Ochsenfuhrwerk, ca. 200-230 n. Chr., Teil eines Grabmals, Augsburg
Darstellung des römischen Straßennetzes in der Tabula Peutingeriana (12. Jhd.) nach einem Original von ca. 375 n. Chr.: Ausschnitt der Strecke Brigantio (Bregenz) mit Bodensee (oben links) – Clunia (Feldkirch) – Magia (Maienfeld) – Curia (Chur) – Lapidaria (Andeer) – Cunus Aureus (Splügenpass) – Tarvessedo (Campodolcino) – Clavenna (Chiavenna) – Como mit Comer See – Mediolanum (Mailand) (unten rechts)
Der alte parallel verlaufende Römerweg über den Septimerpass begann allmählich zu verfallen. Nur, die Alternative, der Pfad durch die Viamala-Schlucht war alles andere als sicher und bequem. Also bauten die Bürger der Talschaften des Hinterrheins, namentlich von Thusis und Cazis, zwischen 1470 und 1473 im Auftrag des Grafen von Werdenberg-Sargans und des Bischofs von Chur die „Straße“ – wohlgemerkt keine Straße nach heutigen Vorstellungen, sondern weiterhin ein abenteuerlicher, aber immerhin gesicherter Pfad! – durch die Viamala aus. Es blieb jedoch auf dem Weg entlang dem Alpenrhein weiterhin das Problem kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen der Alten Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Tiroler Habsburgern.
Daher kann man das Jahr 1474, das Jahr des Friedensabkommens von Feldkirch zwischen Eidgenossenschaft und Habsburg, auch bekannt als „Ewige Richtung“, als den eigentlichen Startpunkt für einen einigermaßen regelmäßigen Botendienst, praktisch mit festem Fahrplan annehmen.
Wir sehen also, spätestens seit der Renaissance hat sich unsere Route über den Splügen zu einer der bedeutendsten Alpentransversalen überhaupt entwickelt. Auch ein Blick auf die um ca. 1500 in Nordeuropa weitverbreitete Romwegkarte von Erhard Etzlaub macht dies recht deutlich. In dieser Karte (so wie damals üblich ist hier Norden unten und Süden oben) sind alle wichtigen Pilgerwege von Skandinavien bis Rom eingezeichnet. Die Alpen, als dunkle Felsbrocken stilisiert dargestellt, versperren den Weg. Ein schmaler Pfad führt von Rosenheim über den Brenner nach Trient. Aber rechts daneben öffnet sich der schier unüberwindbare Felsriegel und ein einladendes, gerades, weites Tal führt direkt von Bregenz nach Como. Man könnte fast meinen, Etzlaub hätte, als er die Karte zeichnete, sich von der Flucht von Moses und den Israeliten aus Ägypten durch das zur Seite weichende Rote Meer inspirieren lassen. Nun, ganz so einfach eben war dieser Weg durch die Alpen in Wirklichkeit natürlich nicht. Aber wir finden immerhin recht zuverlässig die Ortsnamen von Feldkirch, Chur und Chiavenna (Cleff ) eingezeichnet. Und sogar die Entfernungsangaben „von meylen zu meylen mit punkten verzeychnet “ passen überraschend gut; der Abstand zwischen zwei Punkten entspricht dabei einer Deutschen Meile (= 7,4 km).
Romwegkarte von Erhard Etzlaub, 1500 (Norden ist unten, Süden oben)
Mit der Geschichte der Römer und ihrer Eroberung von Raetien und Germanien oder der Romreise von Martin Luther haben sich renommierte Historiker lange und intensiv beschäftigt. Aber wen interessiert schon ein einsamer Reiter im Gebirge? So gibt es nur wenige Quellen zur Geschichte der Mailänder bzw. Lindauer Boten. Der Eintrag bei Wikipedia ist knapp und hilft nicht wirklich weiter. Immerhin erfährt man – was ich ja schon wusste –, dass der Mailänder Bote in Italien Corriere di Lindò, also Lindauer Bote genannt wurde.
Wen sonst hätte ich noch fragen können? Das Thema müsste doch zumindest für Kulturamt und Marketing der Stadt Lindau von Interesse sein?! Also lautete mein Motto „Ruf doch mal an!“ Der Stadtarchivleiter, Herr Heiner Stauder, konnte mir spontan weiterhelfen. Er schickte mir eines der letzten noch vorhandenen Exemplare einer Broschüre, die das Kulturamt anlässlich einer Ausstellung zum Lindauer Boten 1989 herausgegeben hatte.
Der zweite wichtige Tipp von Heiner Stauder war, doch mal Kontakt zur Firma Gebrüder Weiss aufzunehmen. Der Hintergrund ist ganz simpel: die von der ab 1528 protestantischen Reichsstadt Lindau beauftragten Boten stammten ab dem 17. Jahrhundert ausschließlich aus dem zu Habsburg gehörenden und damit katholischen Ort Fussach; daher spricht man auch von den Fussacher Boten. Insbesondere die immer wieder verschwägerten Fussacher Familien der Schneider, Spehler und Wisse (auch Vis oder Viz, seit dem 18. Jahrhundert Weiss geschrieben) stellten während der gesamten Zeit, also mindestens von 1474 bis 1826 die lebenslänglich beauftragten reitenden Boten. Fussach war damals eine wichtige Hafenstadt am Südufer des Obersees, dem östlichen Ende des Bodensees. Fussacher Bürger durften auf Habsburger Territorium ihren Botendienst betreiben und hatten als Katholiken zu Zeiten der Gegenreformation in Mailand ungehinderten Zugang.
Direkten Nachkommen der Schneider, Spehler und Weiss gehört heute das international tätige Logistikunternehmen Gebrüder Weiss GmbH mit Sitz in Lauterach, Vorarlberg. Man pflegt die jahrhundertealte Familientradition. Ein hervorragend recherchiertes und von der Familie Senger-Weiss herausgegebenes „WeissBuch3“ wurde so zu meiner zweiten...
Erscheint lt. Verlag | 14.6.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport |
ISBN-10 | 3-7578-7359-9 / 3757873599 |
ISBN-13 | 978-3-7578-7359-2 / 9783757873592 |
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Größe: 12,3 MB
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