Schuld und Sahne (eBook)

EINLEITUNG

Wo kein Wille ist,
ist auch ein Weg

Ernährungsberater, WeightWatchers, Diätdrinks, Abnehmtropfen, magnetische Einlegesohlen: Übergewichtige und Adipositas-Patienten greifen nach jedem Strohhalm, probieren jede neue Diät – und scheitern in 95 von 100 Fällen. Weil auch Strohhalme immer wieder einknicken. Jeder kennt den einzig wahren Weg zum Wunschgewicht, viele sind ihn sogar schon öfter als einmal gegangen, doch nur die wenigsten haben den ganz langen Atem. Die meisten fallen irgendwann zurück auf Los, in den Würgegriff des Jo-Jos. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Schalter im Kopf ist durch genussvolle Gewohnheiten dermaßen eingerostet, dass kaum jemand in der Lage ist, ihn aus eigener Kraft zu betätigen. So geht es auch dir: Du kennst dich ganz hervorragend mit Essen aus, weißt aber nicht annähernd so viel übers Abnehmen. Du hast viel Übergewicht, aber wenig Willenskraft. Aber zumindest besitzt du die Vorstellungskraft, dass du mit Normalgewicht ein gutes Pfund gesünder, zufriedener und vor allem glücklicher wärst, denn sonst hättest du vermutlich statt zu diesem Buch zu einem mit 111 Schlemmerrezepten gegriffen.

Aber ist es wirklich geballte Willenskraft, die dich beim Abnehmen durchhalten lässt? Ist deine Körperfülle im Umkehrschluss der Beweis für einen Mangel an Willenskraft? Sieh den Stellenwert und die Bedeutung von „Willenskraft“ einmal aus diesem Blickwinkel: Wenn du eines Tages infolge deines Lebensstils den Herzinfarkt kassierst und dein Leben fortan am seidenen Faden hängt, dann schluckst du nach der Operation jeden Morgen eine Handvoll Tabletten. Auf nüchternen Magen, für den Rest deines Lebens. Du bist auf ewig ein disziplinierter Tablettenschlucker. Doch diese Disziplin beruht nach meiner Einschätzung nicht auf Willenskraft, sondern ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass du am Leben und seinen seidenen Fäden hängst. Du triffst schlicht und einfach eine Entscheidung, und zu dieser Entscheidung gehört nun wirklich nicht viel Willenskraft, sondern nur eine gute Portion Selbsterhaltungstrieb. Also, raus damit: Was genau hält dich davon ab, diese Entscheidung heute zu treffen, an einem Tag, an dem du den Worst Case vermeiden und in Bezug auf Selbsterhalt noch alles zum Guten wenden kannst? Lass es uns gemeinsam rausfinden.

Deine Ziele widersprechen sich: Du willst essen wie du und aussehen wie ich. Aber beides geht nicht, zumindest nicht gleichzeitig. Das hat mit einem Mangel an Willenskraft allerdings nicht viel zu tun. Der Begriff Willenskraft impliziert, dass es deine freie Entscheidung ist, ob du dick oder schlank bist. Aber gibt es ihn wirklich, den freien Willen? Oder sind wir bei unseren Entscheidungen nicht vielmehr von so vielen äußeren Faktoren beeinflusst, dass von „frei“ eigentlich gar keine Rede mehr sein kann? Auch dieser Frage werden wir auf den Grund gehen.

Wenn dir irgendjemand erzählt, dass es einen Weg zum Wunschgewicht gibt, der nicht steinig ist, dann möchte er dir etwas verkaufen. Wenn dieser Jemand dick ist, fragst du dich: Moment mal, warum konsumiert er sein bahnbrechendes Produkt eigentlich nicht selbst? Wenn er schlank ist, fragst du dich: Herrje, was weiß denn ein Dünner schon von den Problemen und inneren Kämpfen eines Dicken? Skepsis ist immer angebracht, aber irgendeinem musst du ja glauben, wenn dein eigener Glaube allein nicht reicht, um es endlich zu schaffen. Ich denke, ich habe mir dieses Vertrauen verdient, denn ich wollte dir von Anfang an nur dieses kleine Buch verkaufen. Kostenpflichtige Semi- und Webinare, eine Online-Video-Akademie und eine eigene Produktlinie mit überteuerten Tütensuppen suchst du auf meiner Webseite vergebens. Du hast bis hierher lediglich ein paar Euro investiert, ich ein Jahr meines Lebens. Wenn wir beide scheitern, bin ich der große Verlierer, nicht du.

Doch Spaß beiseite. Lass uns lieber kurz auf der Zeitleiste zurückspulen: Bereits (oder erst, je nach Sichtweise) 1997 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Art Mini-Notstand ausgerufen und der Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit Adipositas den Status „Epidemie“ verliehen. Laut aktuellen Berechnungen soll spätestens 2035 die halbe Weltbevölkerung übergewichtig sein. Aber ob adipös oder nur ein halbes Pfund drunter: Du bist ernsthaft krank und brauchst schnelle Hilfe. Im ersten Schritt ist das keine Muckibude mit Eiweißdrinks, die deine in jahrelangen Feldversuchen geschulten Geschmacksknospen beleidigen, sondern eine fundierte Anleitung, ein echter Sparringspartner, ein Personal Trainer für deinen Kopf. Du brauchst frische Gedanken und überzeugende Argumente für einen Richtungswechsel – und vor allem endlich einen herzhaften Tritt in deinen sonst immer weiter anschwellenden Hintern, den Tritt, den dir dein Hausarzt aus rechtlichen Gründen verweigern muss.

Um die Kurve zu kriegen, musst du dich mit deiner Korpulenz und ihren Folgen bewusst auseinandersetzen und zudem das dahinterliegende Prinzip „Ursache und Wirkung“ verstehen. Dieses Buch ist ein als Motivationsratgeber verkleidetes Sachbuch, das diesbezüglich aufklären und helfen möchte. Ein Buch, das mit Denk- statt Kochrezepten punktet und völlig neue Ansätze zu Schlagworten wie Motivation, Genuss, Eigenverantwortung und Lebensqualität bietet. Du hast vielleicht schon einige Bücher und Internetseiten über Ernährung durchforstet und unendlich viele Abnehmtipps in Sonntags- und anderen Schmierblättern gelesen – Tipps, die dort lediglich als Sättigungsbeilage für die sogenannten Fressanzeigen der Discounter dienen. Leider sind all diese Weisheiten bisher an dir abgeperlt wie Wasser vom Schwanz einer Ente. Warum also sollte gerade dieses Buch das schaffen, woran nicht nur Wissenschaftler und Mediziner, sondern auch Diätpäpste und andere selbst ernannte Experten reihenweise gescheitert sind? Ganz einfach: Weil es deine Essgewohnheiten beleuchtet, ohne dabei mit wissenschaftlichen Fachbegriffen zu prahlen, die nur dein Lateinlehrer und dein Arzt verstehen. Ich erzähle dir nicht, was Zucker in der Darmflora anstellt, und ich füttere dich auch nicht mit Begriffen wie Anabolismus oder Ghrelin. Warum? Weil wir über „essen“ und „nicht essen“ sprechen können, ohne uns auf die andere Seite der Zellmembran zu begeben. Ziel dieses Buches ist es, im Hier und Jetzt Ursachen und Zusammenhänge aufzuzeigen, die du noch nicht erkannt hast und die dir deshalb bisher so manches Aha-Erlebnis verwehrt haben. Neue Blickwinkel sind wichtig, denn eine frische Perspektive kann ein Problem vereinfachen und dich der Lösung näherbringen. Es wäre egoistisch und ignorant, immer nur die eigene Sichtweise in deine Entscheidungen einzubeziehen.

Dieses Buch wird dich vermutlich erschrecken, weil es vor Wiederholungen und Widersprüchen nur so strotzt. Du liest gelegentlich in einem Satz das Gegenteil von dem, was der vorherige beschworen hat. So wie hier zum Beispiel: Du sollst im Rahmen deiner Möglichkeiten Zucker und Fett reduzieren. Doch wenn du gern Eiscreme schlemmst, aber gegen Nüsse allergisch bist, dann solltest du lieber Eiscreme essen. Logik ist mein Antrieb. Ich bin Wissenschaftler. Nein, nicht auf dem Papier, dafür aber im Herzen. Und das ist manchmal mehr wert, wie wir später noch lesen werden. Aber ich kann dich schon jetzt beruhigen: Das mit den Widersprüchen ist in aller Regel pure Absicht, denn ich möchte damit lediglich unterschiedliche Blickwinkel auf denselben Aspekt bieten. Entscheide dich in jedem Einzelfall für den Weg, der am besten zu dir passt. Denn es ist völlig egal, welchen du wählst: Wir treffen uns alle am Ziel.

Du weißt natürlich genauso gut wie jeder andere, wie Abnehmen funktioniert, denn zumindest mit den Basics bist du bestens vertraut: Weniger Kalorien zuführen als verbrennen, weitgehender Verzicht auf Zucker, Fett und Alkohol, dazu ausreichend Bewegung – später, wenn etwas Kondition aufgebaut ist, möglichst in Form eines regelmäßig, aber dennoch moderat betriebenen Ausdauersports. Du weißt aber noch deutlich mehr. Zum Beispiel über die voraussichtlichen (weil sehr wahrscheinlichen) Folgen, wenn du unbekümmert so weitermachst wie bisher: Atemnot, Diabetes, Fettleber, hormonelle Störungen bis hin zur Unfruchtbarkeit, Rückenschmerzen, dazu erhöhtes Risiko für Krebs, Autoimmunerkrankungen, Arthrose und Gicht. Die Liste der physischen Leiden lässt sich seitenweise fortsetzen. Dazu gesellen sich oftmals starke Selbstzweifel bis hin zu Depressionen, denn die Seele isst immer mit. Irgendwann führt dieser Cocktail zu massiven Herz-Kreislauf-Beschwerden, Herzinfarkt, Schlaganfall (inklusive Gefahr des Erblindens) und Organversagen. Keiner kann dir sagen, wann es passieren wird. Sicher ist aber, dass du das Streichholz bereits verdammt nah an die Zündschnur gehalten hast. Vielleicht ist es ein schwacher Trost: Du wirst nicht krank, weil du zu viel Ungesundes isst, sondern weil du deinem Körper zu wenig Gesundes zuführst. Das klingt erst einmal nach derselben Seite der Münze. Warte, bis du die andere Seite gehört hast.

Such dir aus der oben genannten Liste der Leiden ruhig das geringste...