Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters (eBook)

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2023 | 2. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-79500-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters - Hans-Jörg Gilomen
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Dieser Band bietet eine konzise, informative und weit gefächerte Einführung in die Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Das Themenspektrum reicht von den christlich geprägten Gedanken zu Ökonomie, Besitz und Handel in der Spätantike bis zu den spätmittelalterlichen Entwicklungen im Kredit- und Bankenwesen und dem Ausgreifen der Handelsunternehmungen nach Afrika und Südamerika an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. Produkte und Produzenten aller Sparten gelangen ebenso zur Darstellung wie demographischer Wandel, technischer Fortschritt, das Aufkommen der Städte, Zünfte und Messen sowie der Einfluss von Politik und Klima.

Hans-Jörg Gilomen lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Zürich.

I. Von der Spätantike zum Mittelalter (5. bis 7. Jahrhundert): Brüche und Kontinuitäten


In der Geschichtsschreibung sind mehrere Hauptursachen für den Niedergang des römischen Reiches angeführt worden, darunter auch wirtschaftliche. Am häufigsten wird die Sklaverei genannt. Sie sei verantwortlich gewesen für die Zerstörung des Arbeitsethos, für technische Stagnation und für zu große Produktion bei geringer Nachfrage, umgekehrt aber auch für zu geringe Produktion aufgrund mangelnden Interesses der Sklaven am Ertrag. Die ungünstige Produktivität, nach anderen aber einfach der Arbeitskräftemangel wegen dem stockenden Nachschub an Sklaven hätten zum schollengebundenen Kolonat geführt. Auch der Geldwirtschaft ist eine entscheidende Rolle zugeschrieben worden. Für die einen war die zunehmende Naturalwirtschaft bei ungenügender Entwicklung der Geldwirtschaft, der bloße «Scheinkapitalismus», bei dem die Gewinne konsumtiv in Luxus und Kunst verpulvert wurden, ein Hauptfaktor des Niedergangs, für andere war es gerade umgekehrt der zu stark entwickelte Kapitalismus, der zu rücksichtsloser Ausbeutung der Produzenten geführt habe. Auch eine geldmengentheoretische Überlegung fehlt nicht: Wegen Luxusimporten und Zahlungen an die Barbaren sei das Edelmetall aus dem Reich abgeflossen, die verminderte Geldmenge habe geringe Produktpreise zur Folge gehabt, weshalb sich die Produktion kaum mehr gelohnt habe. Für viele Autoren spielt die Besteuerung eine wichtige Rolle. Darauf führen sie zurück, dass die freien Bauern in das schollengebundene Kolonat herabsanken. Für andere ist durch Besteuerung im Interesse von Heer und Bürokratie die Privatwirtschaft ruiniert worden. Wiederum andere sehen gerade in der Armut des Staates bei gleichzeitigem Reichtum der Grundherren das Hauptübel.

Eine neue christlich geprägte Ökonomie?


Die Kirchenväter des 3.–5. Jahrhunderts haben christliche Grundsätze zu wirtschaftlicher Gerechtigkeit erarbeitet. Ihre Einschätzung des Reichtums war ambivalent. Nach Augustin ist er von Gott geschaffen zur Verherrlichung des Schöpfers, zur Prüfung der Guten und Strafe der Bösen. Umgekehrt meinte Tertullian, Gott habe immer die Armen gerechtfertigt und die Reichen verdammt. Nach Hieronymus stammen alle Reichtümer aus Ungerechtigkeit, denn wenn einer etwas gewinne, müsse ein anderer es verloren haben. Dem Reichen seien seine Güter jedoch nicht schädlich, wenn er davon die Armen unterstütze. Hermas meint sogar, wenn die Not zu schwer auf dem Armen laste, könne er nicht gute Früchte für das ewige Leben bringen. Das Motiv, dass der Arme geradezu zum Laster gezwungen sei und nur der Reiche tugendhaft sein könne, findet sich später immer wieder bei christlichen Autoren. Die Armut wurde als gottgewollt dargestellt: Die Armen seien da, damit die Reichen, die nur schwer das Seelenheil erlangen, sich durch Almosen den Himmel verdienen könnten. Die in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts verfasste Lebensbeschreibung des heiligen Eligius formuliert dann bündig: «Gott hätte alle Menschen reich erschaffen können, aber er wollte, dass es auf dieser Welt Arme gibt, damit die Reichen Gelegenheit erhalten, sich von ihren Sünden freizukaufen.»

Ein kurzer Text des 6. Jahrhunderts bringt die Stellungnahme der Kirchenväter zum Handel und zum Kredit auf den Punkt. Es heißt hier, indem der Herr die Verkäufer und Käufer aus dem Tempel vertrieb, habe er angezeigt, dass der Kaufmann Gott nie gefallen könne; deshalb solle kein Christ Kaufmann sein oder dann aus der Kirche Gottes hinausgeworfen werden. Gleich wie einer, der zwischen zwei Feinden gehe und beiden gefallen wolle, dem einen vom andern und umgekehrt schlecht reden müsse, so könne derjenige, der kaufe und verkaufe, nicht ohne Lüge und Meineid sein. Hier wird die ökonomische Idee vertreten, dass eine Ware nur einen Wert und damit nur einen gerechten Preis (pretium iustum) haben könne, ob man sie kaufe oder verkaufe. Jede Abweichung nach unten beim Ankauf oder nach oben beim Verkauf ist unrecht, verschafft einen schändlichen Gewinn (turpe lucrum), ist Preiswucher. Der Gewinn des Kaufmanns entsteht aus der Differenz des Ankaufspreises zum Verkaufspreis, ist also immer schändlicher Gewinn. Anders verhalte es sich, wenn jemand Material zur Herstellung eines Produkts kaufe. Dieser Handel zwischen Produzenten zur Weiterveredelung von Produkten und der direkte Absatz an Konsumenten ist erlaubt. Diese negative Sicht gründet auf einem aus der heidnischen Antike vermittelten Misstrauen gegen den Handel und gegen jeden Gewinn, der nicht in der Produktions-, sondern in der Distributionssphäre erzielt wird.

Der Text geht dann vom Preiswucher zum Zinswucher über. Mehr als alle Kaufleute sei der Wucherer verdammt. Er verkaufe nämlich die von Gott geschenkte Zeit zwischen dem Beginn und dem Ende der Darlehensfrist, indem er nicht nur die geliehene Summe, sondern darüber hinaus für die verlaufene Zeit einen Zins fordere. Wer hingegen Pacht- oder Mietzinse erhalte, sei kein Wucherer. Der Pächter eines Ackers könne daraus Früchte erwirtschaften, der Mieter erlange den Gebrauch der Wohnung. Wer einen Acker oder ein Haus vermietet, gebe deren Gebrauch und empfange dafür Geld – so scheine gleichsam Gewinn gegen Gewinn getauscht zu werden. Aus dem aufbewahrten Geld jedoch, das zu keinem Gebrauch vorgesehen sei außer zum Kaufen, erlange man keinen Gewinn. Zudem altere (verschleiße) der Acker oder das Haus durch den Gebrauch, das verliehene Gut aber vermindere sich nicht und altere nicht.

Diese für das ganze Mittelalter zentralen ökonomischen Grundpositionen sind die christliche Radikalisierung der aus der heidnischen Antike, letztlich von Aristoteles übernommenen These von der Unfruchtbarkeit des Geldes, das einzig dazu diene, den Austausch von Gütern zu vermitteln. Dazu kam die biblische Verurteilung jeder Darlehensverzinsung als Wucher gegen Bedürftige. Diese Einschätzung ging einzig vom Konsumdarlehen zur Überbrückung von Notlagen aus; sie ignorierte das Investitionsdarlehen und hatte keine Vorstellung von Kapitalproduktivität.

Rückgang der Bevölkerung


Mit der Bevölkerungsgröße ist die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und weiteren Bedarfsgütern verbunden, aber auch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften zu deren Produktion. Im spätrömischen Reich ist es seit dem 2. Jahrhundert zu einer erheblichen Abnahme der Bevölkerung gekommen. Der Rückgang wurde schon zeitgenössisch negativ bewertet und politisch bekämpft, etwa durch Gesetze, die Kinderlosigkeit mit rechtlichen Nachteilen bestraften, oder durch die Privilegierung von Eltern mit einer Mindestzahl von Kindern. Neben zu geringen Kinderzahlen führte auch eine ungewöhnlich hohe Mortalität zu einem Rückgang der Bevölkerung. Seit dem 2. Jahrhundert sind mehrere verheerende Epidemien belegt. Aus Mesopotamien schleppte die Armee des Severus im Jahr 165/66 die «Antoninische Seuche», wahrscheinlich die Pocken, ins Reich ein. Die Seuche erreichte im selben Jahr Rom, dann Gallien und das Rheinland; sie blieb bis ins Jahr 180/189 in immer neuen Ausbrüchen wirksam. In den Jahren 251–268 folgte die «Seuche des Cyprian», über deren Erreger es nur Vermutungen gibt. Auch Malaria und Tuberkulose forderten viele Opfer. Die zuvor nur sporadisch auftauchende Lepra wurde im 4.–6. Jahrhundert endemisch. Am schlimmsten war die «Justinianische Beulenpest», die zuerst 541 im oberen Nilgebiet Ägyptens belegt ist und sich in wiederholten Seuchenzügen bis ins 8. Jahrhundert im ganzen Reich verbreitete. Die Mortalität war sehr hoch. Im 6. Jahrhundert war die Bevölkerungszahl an einem Tiefpunkt angelangt. Die ökonomischen Folgen waren gravierend. Justinian erließ in den Jahren 542 bis 545 mehrere Gesetze, die als Reaktion auf Folgen der Bevölkerungsverluste zu deuten sind, bis hin zum Erlass von Lohnkontrollen angesichts des Mangels an Arbeitskräften. Über Arbeitskräftemangel und verödete Güter wurde in der gesamten Zeit der Seuchenzüge geklagt.

Ansiedlung der «Barbaren»


Die Barbaren sind als Verbündete ins römische Reich eingewandert oder haben, dort angekommen, förmliche Föderatenverträge abgeschlossen. Die wirtschaftliche Herausforderung der Ansiedlungen war enorm: Die oft als bewaffnete Gruppen marodierend von Beute lebenden Krieger mussten mit Staatsland oder als «Gäste» der römischen Grundbesitzer mit Einkünften aus deren Land ausgestattet und dadurch befriedet werden. Gewalt und Drohung haben die Grundbesitzer gewiss in der ersten Zeit mürbe gemacht, wie es beispielhaft für den Süden Frankreichs Paulinus Pellaeus schildert, dessen Besitzungen zu Beginn des 5. Jahrhunderts mehrmals von Westgoten...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2023
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Mittelalter
Geschichte Allgemeine Geschichte Mittelalter
Wirtschaft
Schlagworte Geschichte • Handel • Hanse • Mittelalter • Produktion • Verkehr • Wirtschaft
ISBN-10 3-406-79500-5 / 3406795005
ISBN-13 978-3-406-79500-8 / 9783406795008
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