Charisma (eBook)

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten hier die 2., überarbeitete Auflage in Händen. Ich hatte zwanzig Jahre gebraucht, um das 1996 entwickelte Charisma-Konzept endlich in ein Buch zu gießen und schließlich 2017 zu publizieren. Das Konzept hat sich in seiner Grundstruktur nicht verändert, aber durch meine Teilnahme an Germany’s Next Topmodel bin ich mit einer viel breiteren Öffentlichkeit im Austausch und so schreibe ich nun nicht mehr ausschließlich für den Businesskontext, sondern für alle, die ihr Leben auf Basis ihrer eigenen Gaben und Talente gelingen lassen wollen.

Ein „gelingendes Leben“, in dem Sie selbst am Steuer sitzen, das ist das Ziel. Es braucht keine Weltveränderung im großen Stil durch Einzelne. Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass das Fördern von HeldInnen-Figuren negativ ist, weil zu viel Macht immer korrumpiert. Wir brauchen kein Heldentum. Wenn jeder und jede von uns die eigenen Gaben entwickelt und verantwortungsvoll in diese Welt einbringt, genügt das schon. Denn dies war der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Charisma-Konzepts: es sollte ein Beitrag zu einer besseren Welt sein, weil WIR besser mit uns selbst umgehen.

Wenn wir uns selbst finden und in unserer Einzigartigkeit lieben lernen, fällt viel Druck und Leid von uns ab. Nur wenn wir uns selbst annehmen, können wir auch andere annehmen und ihnen als freie Menschen begegnen. Wenn wir uns selbst kraftvoll fühlen, können wir auch anderen ihre Kraft zugestehen und werden fähig, gemeinsam – und nicht im Wettstreit gegeneinander - an den Lösungen zu arbeiten, die diese Welt dringend braucht.

Ich möchte Sie in diesem Buch auch lehren, mit klarem Blick hinter die Dinge, Situationen und Menschen zu schauen – auch hinter uns selbst, wo wir uns selbst täuschen und blenden.

Dieses Buch ist für alle, die mit voller Konsequenz BEWUSST leben wollen.

Einige Beispiele habe ich ergänzt, den dritten Teil der Welt von heute angepasst. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben in der Zwischenzeit jedoch nur noch weiter bestätigt, womit ich nun bereits seit mehr als einem viertel Jahrhundert arbeite: mit der Tatsache, dass Geist und Körper in direkter Verbindung stehen und sich über die Beziehung mit der Umwelt weiterentwickeln. Und zwar in jedem einzelnen Moment. Daher haben wir auch in jedem Moment die Möglichkeit, das eigene Leben anders weiterzuentwickeln. Wir sind Lehm in unseren eigenen Händen.

Dieser Lehm, aus dem wir das für uns beste Selbst entwickeln können, ist das Geschenk, das wir zu Beginn unseres Lebens erhalten: es sind unsere einzigartigen Anlagen und Talente, die wir Zeit unseres Lebens zu immer größerer Pracht entfalten dürfen.

Dieses Geschenk ist die „Gnadengabe“, ist „Charisma“. In diesem Buch geht es um das Entdecken und Fördern Ihrer ganz eigenen Gnadengabe(n) und der Schaffung eines Lebens, das Ihnen entspricht.

Martina Gleissenebner-Teskey, im März 2023

Das gelingende Leben

entsteht aus einer Kette von gelingenden Momenten.

Ein Moment führt zum nächsten.

Wenn du DIESEN Moment dir entsprechend

bestmöglich lebst,

dann wird auch der nächste dir entsprechen und

bestmöglich sein.

Beginne JETZT.

Los Angeles, 2022

Die letzte Entscheidung ist gefallen: wer würde ins große Finale von einer der seit 17 Jahren erfolgreichsten deutschen Fernsehshows – „Germany’s Next Topmodel“ – kommen? Meine Tochter Lou-Anne und ich als erste „Best Agerin“.

Immer wieder werde ich ab da in Interviews darauf angesprochen, „Geschichte“ geschrieben zu haben. Für mich hört sich das jedes Mal sehr surreal an. Es ist, als ob das Ereignis außerhalb meiner Selbst läge. Innerlich fühle ich mich kein bisschen anders als vorher. Die Teilnahme an GNTM, mein Erfolg und alles, was sich seither daraus ergeben hat, war einfach eine Konsequenz daraus, ein Leben zu leben, das mir entspricht. Ein Leben, in dem ich meine Gaben so gut wie möglich zur Entfaltung bringen will. Nicht, um irgendeinem Erfolgsziel nachzulaufen, sondern weil es mein Leben ist und ich nur dieses habe.

Ich hatte das alles für möglich gehalten, und deshalb ist es möglich geworden. Mit Einsatz, aber ohne Anstrengung. Mit Hingabe an den Moment. Mit klarem Bewusstsein für die Werte, die mich bis dahin geleitet haben und die durch die Teilnahme und alle damit verbundenen Herausforderungen nur bestätigt wurden.

Wenn mich jemand als charismatisch bezeichnet, dann freut mich das, aber auch diese Bezeichnung war weder ein Ziel, noch ist sie eine Errungenschaft. Sie beweist nur, dass Charisma durch die Beziehung im Einklang mit sich selbst und der Umwelt entsteht und dass ich diesen Einklang nun auf einer sichtbareren Ebene lebe. Aber er war vorher schon da. Die Essenz meines Seins hat sich nie verändert. Die Möglichkeit, andere mit auf diese Reise zu nehmen, jedoch vervielfacht. Diese Möglichkeit beschließe ich, anzunehmen und in vollem Umfang zu nutzen.

Wien, 2015

Beiläufige Aufmerksamkeit. Ab und zu dreht sie den Kopf zur Seite, gespieltes Desinteresse. Sie sitzt aufrecht, entspannt. Ihre Schwanzspitze bewegt sich rhythmisch auf und nieder. Lange.

Und dann plötzlich der Satz. Nur einer. Präzise in der Ausführung. Klar in der Richtung. Voller Leichtigkeit. Und die Maus hat ausgespielt.

An diese Beobachtung – eine von vielen ähnlichen, wenn man mit einer Katze lebt - musste ich denken, als ich den Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, auf jener Diskussionscouch sitzen sah. In sich gesunken, gleichsam unbeteiligt, ein unscheinbarer Mann zwischen seinen Mitdiskutanten, die sich gegenseitig in ihren Wortmeldungen an Expertise zu übertrumpfen suchten. Keine Regung auf seiner Seite, verhalten freundliche Mimik. Und dann die Verwandlung:

Eine Frage wird gestellt und die unscheinbare Gestalt kommt nach vorne, an die Kante dieser unglaublich bequemen Couch – präzise, zielgerichtet, völlig ruhig, mit Leichtigkeit – und wir hören zum ersten Mal eine Antwort, die nicht nur auf die Moderatorin Bezug nimmt, sondern auf alles, was die Redner rechts und links vor ihm gesagt haben und was den Kern der Diskussion trifft.

Danach sinkt er wieder zurück, in die Tiefen dieses Polstermöbels, verschwindet – aber nur für den, der erst jetzt den Saal betritt. Alle anderen im Publikum warten nur noch darauf, ihn wieder sprechen zu hören und diese Verwandlung noch einmal mitzuerleben.

Monte Carlo, 2002

Wir waren wie in einer Blase. Und außerhalb die Welt. Nur er und ich. Bis zuletzt sprachen wir uns per Sie an, bis zuletzt bestand die kulturelle Distanz, und bis zuletzt bewegten wir uns in jedem Meeting in einer Blase, die die äußere Welt ausschloss. Und selbst, wenn an diesem Meeting noch andere Menschen teilnahmen, sobald er seine Aufmerksamkeit auf mich richtete, betraten wir unsere Blase der Ausschließlichkeit.

Diese Beobachtung teile ich mit vielen anderen, die mit Charismatikern zusammengetroffen sind. „In dem Moment schien nur ich für sie/ihn interessant zu sein.“ Die Ausschließlichkeit der Zuwendung, mit der wir als Neugeborene bedacht wurden – sie suchen wir Zeit unseres Lebens aufs Neue. Der innigste Wunsch jedes Menschen ist, GESEHEN ZU WERDEN. Nicht nur äußerlich, sondern als ganzer Mensch. Gesehen zu werden verleiht uns das Gefühl von Bedeutung.

Jene, die uns tatsächlich zu sehen scheinen, üben fast unwiderstehliche Macht auf uns aus. Das Gefühl, bedeutsam zu sein, das Gefühl, einen Sinn zu haben, beflügelt uns mehr als alles andere.

Toronto, 1993

Es war ein heißer Sommerabend, als eine Gruppe junger Mädchen in den Trainingsraum der Model-Agentur strömte. Ich hatte spontan den Kurs von einer Kollegin übernommen, die erkrankt war und legte damit, ohne es zu ahnen, den Grundstein für mein gesamtes späteres Berufsleben.

Allein, in jenem Moment war ich mir meines Glücks nicht ganz so sicher: einige Mädchen waren hübsch, andere weniger, und keines von ihnen hatte die Gabe der Ausstrahlung. Besonders eines erweckte meine Neugier, da es so ganz das Gegenteil eines Models zu sein schien – Typ „Graue Maus“, unauffällig, ohne Haltung, ohne Präsenz.

Binnen weniger Kursstunden schälte sich diese junge Frau aus ihrer Unauffälligkeit wie ein Schmetterling aus seinem Kokon, richtete sich auf wie eine Blume, der man endlich Wasser und Licht schenkt. Ich beobachtete diese Verwandlung, deren Grund ich selbst war, mit Verblüffung.

Das Geheimnis? Eine Kombination aus unbedingter Aufmerksamkeit und bewusster Körperarbeit haben das Strahlen in diesem Mädchen hervorgebracht. Was heute wissenschaftlich erwiesen ist, durfte ich damals real miterleben.

In all diesen...