Ready for Reset (eBook)

Den Stecker ziehen!

»Am liebsten würde ich mich eine Weile ausklinken«, sagen meine Klienten manchmal zu mir.

Für diese Fälle habe ich ein Klinkenkabel in meiner Praxis, und ich reiche es gern weiter.

Ratlos hält mein Klient es in der Hand. Er kennt mich schon eine Weile – und meine manchmal ungewöhnlichen Methoden.

»Wie gewünscht, ausgeklinkt«, sage ich.

»Ich weiß nicht, ob ich das so gemeint habe«, grinst er und wedelt mit dem Stecker durch die Luft.

»Wie fühlt sich das an?«, frage ich.

»Bisschen verloren irgendwie«, sagt der junge Mann, der zu mir kam, weil er es nicht schafft, seine Doktorarbeit abzuschließen. »Jetzt weiß ich ja gar nicht mehr, wo ich hingehöre.« Er schweigt eine Weile, dann sagt er: »Vielleicht möchte ich mich gar nicht ausklinken. Vielleicht möchte ich mich nur zum Teil ausklinken, also einen bestimmten Teil meines Lebens ausklinken.« Wieder schweigt er, dann räuspert er sich: »Die Frage ist, wo ich mich dann wieder einklinken würde, wenn ich ausgeklinkt wäre.«

Seine Augen wandern durch den Raum. Das zeigt mir, dass er innerlich nach Antworten sucht. Schließlich beginnt er frei zu assoziieren. »Einklinken. Türklinken herunterdrücken. An einer Tür klingeln. Klinkenputzen.« Er zögert. »Und wenn niemand aufmacht? Und woher weiß ich, dass es mir dort gefallen wird, wenn ich mich woanders einstöpsle? Ich meine, ich wollte mich doch nur eine Weile ausklinken.« Auf einmal wirkt er sehr nachdenklich. Dann sagt er: »Woher weiß ich, dass mir das gefällt, was passiert, wenn ich meine Doktorarbeit fertig habe? Denn dann bin ich ja festgelegt. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was mein Vater zu diesem Gedanken sagen würde.«

Seine Miene wirkt sehr angestrengt, der Körper verkrampft sich. Viele Gedanken gehen ihm nun durch den Kopf. Höchste Zeit, vom Kopf zum Bauch zu wechseln. Ich bitte ihn, sich auf die Matte zu legen. Das kennt er schon vom letzten Mal, und er macht es sich gleich bequem, so gut es geht, denn er ist wirklich sehr angespannt, wie ich merke, als ich seine Füße berühre.

Doch wie bei unserem letzten Termin entspannt er sich auch diesmal schnell. Ich nehme wahr, dass seine Energie nicht frei fließen kann, und widme mich einige Zeit seinen Fußreflexzonen. Sein Atem vertieft sich, seine Gesichtszüge werden weicher. Gut. Ich gebe ihm Zeit, sich in seinen Körper hineinzufühlen und Wohlbefinden zu entwickeln, hier auf der Matte, während ich seinen Leber- und Gallenblasen-Meridian behandle. Laut Chinesischer Medizin ist das Leber- und Gallenblasen-System zuständig für den Auf- und Abbau von Spannungen im Körper, auf physischer und auf mentaler Ebene.

Hätten wir »vernünftig« weitergesprochen, hätten wir uns vermutlich festgefahren. Ich hatte die »Ja, aber«-Fahne schon knattern gehört. Mein Klient hätte mir erklärt, warum er die Doktorarbeit, die er eigentlich nicht beenden wollte, unbedingt beenden muss. Sonst wäre, laut Meinung seines Vaters, das ganze Studium für den A… gewesen. Wir hätten uns im Kreis der rationalen Argumente gedreht. Wir hätten gemeinsam das gemacht, was er allein auch machte. Gewiss hätte er zu Einsichten gelangen können, doch sie wären flach gewesen. Hätten ihn vielleicht nicht so sehr berührt, wie nun, wo sich sein Atem vertieft hatte, sein ganzer Körper mitarbeitet auf dem Weg zu einer Lösung. Hier auf der Matte sind wir aus dem Feld der Vernunft gesprungen. Hier auf der Matte ist alles möglich. Die Entspannung im Körper wellt auch durch den Geist und eröffnet neue Perspektiven.

Nachdem wir einige Atem- und Mobilisationsübungen gemacht haben, erzählt mir mein Klient scheinbar unvermittelt von seinem Großvater. Er weiß selbst nicht, warum er an ihn denkt, er ist gerührt und schluchzt einmal auf, und seine Atmung vertieft sich noch mehr. Ich weiß nicht, was mein Klient denkt, doch unter meinen Händen spüre ich, dass sich etwas verändert, dass etwas Gestalt annimmt. Ohne dass er sich verspannt. »Wenn ich die Scheißarbeit geschrieben habe, kann ich machen, was ich will«, sagt er. »Dann habe ich mein Soll erfüllt. Dann bin ich frei.«

Meiner Meinung nach ist er das jetzt schon, doch das behalte ich für mich und begleite ihn weiter mit achtsamen Bewegungen.

Die Kombination von analytischem Gespräch, Assoziation und Energiearbeit auf der Matte hat schon zu vielen überraschenden Ergebnissen geführt, die sich meine Klienten, und natürlich auch ich selbst, nie hätten träumen lassen.

Wir können unserem Körper vertrauen! Er teilt uns sehr genau mit, was uns guttut, was wir brauchen. Leider werden wir im Laufe unseres Lebens oft »harthörig«. Zu viele Grenzen müssen wir ständig überschreiten, um die Anforderungen des Alltags zu erfüllen. Irgendwann gewöhnen wir uns daran. Wir merken nicht mehr, dass wir uns überfordern. Und wir sind ja stark: so stark, dass das lange klappen kann. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und dann bricht wirklich etwas. Ein Bein bricht, eine Erkältung bricht aus, manchmal kommt es zum totalen Zusammenbruch. Je sensitiver wir sind, die Zeichen zu hören, desto klüger handeln wir. Wir ergreifen damit Partei, unsere eigene, endlich. Wir stehen uns selbst zur Seite. Denn wenn der Körper ein Problem hat, dann baden wir das aus. Wer will schon Schmerzen leiden, krank sein?

Es geht also darum, immer wieder in sich hineinzuspüren. Sich selbst im Spiegel anzuschauen und zu fragen: »Wie geht es dir?« Nicht oberflächlich, sondern in der Tiefe. Missbehagen aufzuspüren. Das funktioniert nicht zwischen Tür und Angel und doch sehr schnell, indem wir uns unserer Atmung zuwenden. Sobald wir bewusst atmen, verändert sich unser Empfinden, unsere Bewertung der Dinge. Vielleicht gelingt es sogar, die Bewertung irgendwann ganz loszulassen – eine unendliche Befreiung! Wir steigen später noch tiefer ein, an dieser Stelle nur ein kleines Warm-up mit einer ersten Atemübung.

Aus der Praxis:
Die 4–7–8-Atmung

Link zur YouTube-Playlist

Die folgende Atemübung entspannt sehr schnell. Bitte nicht während des Autofahrens praktizieren! Wenn ich dich durch die Übung führen soll, klicke einfach auf den QR-Code.

Loslassen

Wir leeren das Glas, damit Neues hineinfließen kann. Wir lassen Altes los, damit Neues entstehen kann. Eine Binsenweisheit, gewiss. Kürzlich war eine Klientin bei mir, der ich dies darstellte, indem ich zwei Fäuste formte und sie fragte: »Wie soll ich etwas Neues annehmen, wenn meine Hände besetzt sind, weil ich etwas Altes festhalte.«

Ihre Augen wurden riesengroß. Das war der Moment, in dem sie eine Lösung für ihr Problem fand. Es ist manchmal so einfach – wenn sich endlich die Metapher materialisiert, das Bild auftaucht, das den Durchbruch bringt.

Ich brauche diese Lösungen nicht zu hören, ich kann sie am Gesicht meiner Klienten ablesen, an ihrer Körpersprache. Ein Körper, der etwas loslässt, ist frei und geschmeidig: entspannt. Das ist allerdings ein Wort, das manche meiner Klienten nicht vertragen, vor allem nicht die Topmanager, die mit Vollgas durchs Leben rasen. Ich mag sie, ich war auch mal einer von ihnen. Wie sie verwechselte ich entspannt mit schlaff, schlapp, faul, ohne Biss, ohne Druck, ohne Erfolg, Versager.

Zu ihnen sage ich, dass wir auf der Matte »in den Moment kommen«. Darauf können sie sich eher einlassen. Aber nicht immer.

Wenn das der Fall ist, dann besteht mein Weg für sie zur Entspannung darin, dass ich sie total auspowere. Sie kommen dermaßen angespannt zu mir, dass sie nicht »einfach so« runterfahren können. Sie müssen noch weiter über die Grenze gehen, ehe sie loslassen können. Also machen wir erst mal ein paar Liegestütze, zehn, zwanzig, fünfzig, je nachdem, wie viel sie benötigen. Oder etwas anderes, damit sie so richtig aus der Puste kommen. Wenn dann die Spannung maximal hoch ist oder sogar den Bogen überzogen hat, landen sie in ihrem Körper, und wir können beginnen, loszulassen, zu entspannen, zu atmen. Ja, manchmal ist es so, als brauchten diese Menschen unter Druck erst die Erlaubnis, jetzt mal loslassen zu dürfen, und die verdienen sie sich mit der extremen Anspannung davor.

Veränderung kann...