Ich spüre das, was ihr nicht sagt (eBook)

Wunden in der eigenen Familiengeschichte erkennen und Heilung finden
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-30071-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich spüre das, was ihr nicht sagt -  Susanne Panter
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Familiengeheimnisse und Tabus aufarbeiten
Die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte kann sich zur emotionalen Achterbahnfahrt entwickeln. Susanne Panter - erfahrene Herkunftsberaterin und Mediatorin - thematisiert einfühlsam blinde Stellen, Brüche oder Wunden im Familiensystem. Sie begleitet kompetent auf dem Weg der Herkunftsklärung und damit auf dem Weg zu sich selbst. Neben praktischem Wissen für eine Personensuche und vielen Fallgeschichten erklärt sie auch die systemischen Strukturen von Familien und was Menschen davon abhält ein Tabu aufzudecken sowie welche »Risiken und Nebenwirkungen« die Suchenden erwarten können.

• Dieses Buch möchte Mut machen, sich Familiengeheimnissen aktiv zuzuwenden.

• Es zeigt den Prozess, den Menschen durchlaufen, wenn sie sich mit den Wunden in ihrer Familiengeschichte auseinandersetzen.

• Mit Beispielen und konkreten Anleitungen wird deutlich gemacht, wie Wunden heilen können, wenn man sie an die Luft lässt.

Susanne Panter ist ausgebildete Mediatorin und hilft seit mehr als 20 Jahren dabei, dass Familienangehörige wieder in Kontakt kommen, wenn dieser verloren ging. Sie gründete Deutschlands ersten privaten Personensuchdienst und hat bisher rund 4.500 Einzelschicksale betreut. Von 2016 bis 2022 entstand die Reihe »Die Aufspürerin«, bei der sie vom SWR regelmäßig mit der Kamera begleitet wurde. Es ist für Susanne Panter jedes Mal ein Herzensprojekt, anderen zu helfen, die weißen Flecken in ihrer Biografie mit Farbe zu füllen. Deshalb ist »Im eigenen Leben zu Hause sein« das Motto ihrer gemeinnützigen Firma, der »Herkunftsberatung«.

Will man Licht ins Dunkel bringen?

Häufig berichten mir Betroffene, dass es eine lange Phase gab, in der sie die Auswirkung von tabuisierten Themen auf ihr Leben nicht wahrgenommen haben. Oft wird erst genau hingeschaut, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bei sehr vielen meiner Klientinnen und Klienten dauerte es lange Jahre, bis nicht mehr geleugnet werden konnte, dass eine zur Adoption freigegebene Schwester einen doch interessiert oder dass die ständige Verharmlosung des eigenen Vaters darüber, dass er nicht weiß, wer sein Vater eigentlich war, einen stört, weil man von seinen Ärzten immer wieder nach derselben Erbkrankheit gefragt wird.

Steter Tropfen höhlt den Stein. Zunächst wird ein vager Entschluss gefasst: Man könnte versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen, man muss es aber nicht. Denn mit dem Entschluss kommen die Zweifel: Was würde (die längst verstorbene) Omi dazu sagen, wenn ich erforsche, wer der Vater meines Vaters war? Mein Großvater hatte bestimmt gute Gründe, nie über die Behinderung und den frühen Tod von Mamas Schwester zu sprechen. Trete ich meinen Adoptiveltern nicht zu nahe, wenn ich sie nach meinen biologischen Eltern frage? Was mache ich, wenn meine zur Adoption freigegebene Schwester nie erfahren hat, dass sie adoptiert wurde? So viele Gründe auch gefunden werden, sich des Themas endlich anzunehmen, werden auch genauso viele Gründe gefunden, es lieber sein zu lassen.

Man kann sich den Entscheidungsprozess vielleicht wie eine Wippe vorstellen. Auf der einen Seite stehen:

  • die Sehnsucht danach, die Wahrheit zu erfahren,
  • die Empörung darüber, dass so wichtige Themen in der Familie einfach ausgeblendet werden,
  • das Gefühl, dass es für einen selbst und die Nachkommen wichtig wäre, wenn das Tabu endlich gebrochen und das Geheimnis gelüftet würde.

Auf der anderen Seite der Wippe finden sich:

  • Loyalitätskonflikte gegenüber den Angehörigen, die das Tabu pflegen,
  • Unsicherheit darüber, ob einem das Ergebnis einer solchen Aufklärung überhaupt guttun würde,
  • Sorge, dass die anderen Familienmitglieder einen in dem Anliegen nicht unterstützen und deswegen ablehnen.

Die Wippe wiegt über die Jahre immer wieder hin und her. Mal wiegen die einen Argumente schwerer, mal die anderen. Es ist ein fragiler Prozess, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten, sich den Familiengeheimnissen, dem Verschwiegenen, wirklich zuzuwenden, um sich damit aussöhnen zu können. Der Prozess verläuft wohl nie linear und ist von vielen Faktoren abhängig.

Es gibt manchmal Anläufe, um dann wieder zurückzuschrecken und die Sache doch lieber auf sich beruhen zu lassen. Die Formulierungen sind unterschiedlich: Von »Es ist mir doch nicht so wichtig« über »Ich möchte niemandem zu nahetreten« bis zu »Es ist mir viel zu risikoreich, dass ich am Ende etwas herausfinde, das meine Mühe gar nicht wert ist«. Ich habe mich oft gefragt, wie es sein kann, dass man sich des Problems annehmen möchte und später dann doch wieder davor zurückschreckt. Vielleicht kommt es Ihnen bekannt vor, vielleicht stecken Sie selbst in einer solchen Situation und sind sich nicht sicher, wie konsequent Sie das Thema, wegen dem sie dieses Buch in den Händen halten, angehen und verfolgen wollen.

Das erste Hindernis, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten, ist sicher, sich zunächst einzugestehen, dass es überhaupt etwas aufzuarbeiten gibt. »Bei mir ist alles in Ordnung.« Diese Sichtweise wird oft versucht, so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Nach und nach wird den Betroffenen deutlich, dass es vielleicht doch etwas aufzuarbeiten gibt. Und wenn es an einem Tag völlig klar und deutlich scheint, dass man da mal etwas aufklären müsste, ist es am nächsten Tag schon wieder ganz anders. Man fragt Tante Rita zögerlich nach dem Vater von Papa und wird beschwichtigt: »Ach, der Papa hatte doch einen Vater, den Otto. Und auch wenn er nicht der leibliche Vater war, hat er sich doch immer um deinen Vater gekümmert. Es hat deinem Vater wirklich an nichts gefehlt, da kannst du ganz beruhigt sein.« Dann wird vielleicht der Ton auch etwas energischer: »Ich weiß auch nicht, wie deine verstorbene Oma das finden würde, wenn da so nachgebohrt wird. Mit mir hat sie jedenfalls nie darüber gesprochen. Ich weiß auch nicht, ob man da überhaupt irgendwas herausfinden könnte, selbst wenn man wollte. Ich glaube ja eher nicht. Ach, am besten, du lässt die Vergangenheit ruhen, Kind.«

Durch einen solchen Dialog können Menschen resignieren und ihren Wunsch, zu wissen, wer der leibliche Großvater war, für viele Jahre unterdrücken. Erst an Tante Ritas Grab kommt der Gedanke wieder auf, dass nun eine weitere Zeitzeugin gestorben ist, die einem vielleicht dabei hätte helfen können, irgendwann doch noch zu erfahren, wer eigentlich Papas Vater war.

Ähnlichkeiten zum Trauerprozess

Der Prozess, sich der verborgenen Wunden seiner eigenen Familie anzunehmen, hat nach meiner Beobachtung Ähnlichkeiten mit einem Trauerprozess. In Anlehnung an die Erkenntnisse der schweizerisch-US-amerikanischen Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross († 2004) entwickelte die Schweizer Psychologin Verena Kast (2020) im Jahr 1982 ein vierphasiges Modell der Trauerbewältigung. Grundlage waren die Erkenntnisse des Bindungsforschers John Bowlby sowie die seines Kollegen Colin Murray-Parks. Auch wenn die Modelle sich leicht unterscheiden, wurde bei allen herausgearbeitet, dass der Mensch bei der Konfrontation mit einem schwer zu verarbeitenden Thema verschiedene Phasen durchläuft. Nachfolgend werde ich diese Phasen auf den Prozess anwenden, sich mit Tabuthemen in der eigenen Familie auseinanderzusetzen. Vielleicht entdecken Sie, in welcher Phase Sie sich selbst in Ihrem Prozess der Aufarbeitung befinden. Bei den Phasen gibt es keine festgelegte Reihenfolge. Sie dauern nicht alle gleich lange an und es gibt die Möglichkeit, dass die eine oder andere Phase ausgelassen wird. Es handelt sich zwar eher um ein technisches Modell, aber vielleicht hilft es, sich selbst besser zu verstehen, wenn man sich seinen eigenen Prozess anschaut.

Erste Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen

Die erste Phase wird durch ein Gefühl des Nicht-wahrhaben-Wollens bestimmt. Die Wahrheit wird verleugnet. »Was nicht sein darf, kann nicht sein«, ist das Credo und es wird versucht, Belege dafür zu finden, dass man sich geirrt hat, dass nicht stimmt, was einem erzählt wurde. Wenn es die eigenen Gefühle und Muster sind, die einen immer wieder darauf stoßen, dass es da etwas gibt, das man sich genauer anschauen müsste, wird oft versucht, sie zu verleugnen. Ganz nach dem Motto: »Was ich nicht sehe, ist auch nicht da.«

Zweite Phase: aufbrechende Emotionen

In der zweiten Phase wird aus der Verleugnung Erkenntnis und die Wahrheit kann akzeptiert werden. Diese Phase kennzeichnen starke Gefühle: Wut beziehungsweise Zorn, Empörung, Verlassenheitsgefühle und Verzweiflung.

Bezogen auf Familientabus wird zwischen Phase eins und zwei hin- und hergependelt, manchmal über lange Zeit hinweg. Man kann das Thema, durch Wut und Zorn geblendet, häufig nicht nüchtern angehen. Die Wut und der Zorn richten sich dabei einerseits auf die Personen, die das Tabu verursacht oder verhängt haben, teilweise aber auch gegen Väter oder Mütter, die niemals anwesend waren (»Weil mein Vater meine Mutter sitzen gelassen hat, wurde sie depressiv« oder »Weil meine Mutter meinen Vater und mich verlassen hat, musste ich bei Pflegefamilien untergebracht werden«).

Dritte Phase: aktive Auseinandersetzung

Im Trauerprozess nach Verena Kast stellt die aktive Auseinandersetzung die Phase dar, in der die trauernde Person ihre Beziehung zur verstorbenen Person durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit neu definiert (im besten Fall wird sie zum »inneren Begleiter«).

In dieser dritten Phase pendelt man sich zwischen dem Idealbild der verstorbenen Person und eventuell negativen Erfahrungen mit ihr auf ein realistisches Erinnerungsbild ein. Ich übersetze diese Phase für den Prozess des Aufklärens von Verheimlichtem als die aktive Phase der Aufklärungsarbeit: den unausgesprochenen Dingen und verheimlichten Fakten auf den Grund zu gehen, die Fakten zu sammeln und für sich zu sortieren und einzuordnen.

Vierte Phase: Neuordnung

In dieser Phase geht es in den ursprünglichen Modellen um die Integration des Verlustes in das eigene Leben. Für den Prozess der Aufklärung von Verschwiegenem würde ich diese Phase als die sehen, in der man die Recherchen abgeschlossen hat. Die gewonnenen Erkenntnisse und, je nachdem, auch neu hinzugewonnene Verwandte wurden in das Leben und den Alltag integriert.

Bei den meisten Herkunftssuchen ist die Trennung von einem der beiden Elternteile in der frühen Kindheit erfolgt – lange vor der Zeit, an die sich Betroffene bewusst erinnern können. Das Kind wächst heran, umgeben von anderen Kindern, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen und das Leben mit ihren leiblichen Geschwistern teilen. Irgendwann beginnt es zu spüren, dass bei ihm »etwas anders« ist. Fast alle meine Klientinnen und Klienten berichten, dass sie sehr früh ein Gefühl dafür hatten, dass sich ihre Eltern-Kind-Beziehung von denen ihrer Freundinnen und Freunde unterscheidet. Kinder haben sehr feine Antennen, oft viel...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte 2023 • Ahnenforschung • Beziehung • Beziehungsratgeber • Bindung • Bitte melde dich • eBooks • Einsamkeit • Eltern-Kind-Beziehung • Entfremdung • Familiengeheimnis • Familienprobleme • Familienstreit • Familientherapie • Gesundheit • Herkunft • Kindheitserfahrungen • leibliche Eltern • Neuerscheinung • Persönlichkeitsentwicklung • Psychologie • Ratgeber • Selbstfindung • Selbstheilung • Selbsthilfe • Spurensuche • Stammbaum • Trauma • unglückliche Kindheit • Vermisst • Wurzeln
ISBN-10 3-641-30071-1 / 3641300711
ISBN-13 978-3-641-30071-5 / 9783641300715
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