»Ich bewundere Yalom für seine profunden Beiträge sowohl zur Psychotherapie als auch zur Literatur und für seine ungeheure Menschlichkeit.« Irvin D. Yalom ist nicht nur einer der bekanntesten und renommiertesten Psychotherapeuten Amerikas, sondern auch ein weltweiter Bestsellerautor, der mit seinen Romanen und Erzählungen möglicherweise mehr Menschen für die Psychotherapie gewonnen hat als manche Fachgesellschaft. Jefferey Berman, ordentlicher Professor für Englisch an der University von Albany, beschäftigt sich in diesem Buch mit Irvin D. Yaloms literarischem Werk und der Wirkung, die dieses auf seine Leser und Leserinnen hatte. Es ist das erste Mal überhaupt, dass Irvin D. Yalom als Erzähler in den Mittelpunkt gerückt wird.
Jeffrey Berman ist außerordentlicher Professor für Englisch an der State University of New York. Sein Buch über Irvin D. Yalom ist autorisiert, er hatte exklusiven Zugang zu den Stanford Archives sowie Irvin D. Yalom und seiner Frau Marilyn.
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Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie
Die Kunst der Selbstoffenbarung
»Nie hat ein Therapeut meiner Ansicht nach einen ernsthafteren Versuch gemacht, den therapeutischen Prozeß zu entmystifizieren.« Die Aussage nach zweihundert Seiten der vierten Auflage von Yaloms erstem Lehrbuch Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie beschreibt treffend eines von Yaloms lebenslangen Zielen. Das Buch, 1970 erstmals in den USA veröffentlicht und nun in seiner aktualisierten 2005 erschienenen fünften Auflage, ist nach wie vor das Standardlehrbuch in diesem Fachbereich. Das American Journal of Psychiatry führte es als eines der zehn einflussreichsten psychiatrischen Publikationen des Jahrzehnts auf. Jerome Frank, Yaloms Mentor am Johns Hopkins Hospital, bejubelte das Werk als das »beste Buch, das es heute und für die absehbare Zukunft« zu diesem Thema gibt. Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie ist Yaloms einziges Lehrbuch, das er wiederholt überarbeitet hat.
Als Ruthellen Josselson 1970 während ihres Praktikums für klinische Psychologie am Massachusetts Mental Health Center arbeitete, einer »ehrwürdigen Bastion psychoanalytischen Denkens«, beobachtete sie, wie Yaloms Lehrbuch von ihren Professoren und Vorgesetzten »mit Verachtung aufgenommen« wurde, weil sie dessen radikalen Ansatz gegenüber der in jener Zeit üblichen Lehrmeinung als subversiv betrachteten. Das Buch leitete in ihrer Generation »einen allmählichen Wandel« ein und ist nun, wie sie 2008 schrieb, »das wahrscheinlich meistgelesene Lehrbuch im professionellen Umfeld der Gesundheitsberufe«. Es ist noch immer Yaloms meistgelesenes Lehrbuch.
Als Yalom Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie schrieb, war seine Hauptzielgruppe, wie er reumütig eingesteht, das Beförderungskomitee der Stanford University. Nachdem man ihm mitgeteilt hatte, dass er vorzeitig fest angestellt und befördert worden war, änderte er seine Zielgruppe und seinen Schreibansatz radikal. »Ich strich das Beförderungskomitee aus meinen Gedanken, eliminierte den Wissenschaftsjargon und jedweden nutzlosen komplexen theoretischen Überbau – ich schrieb nur noch mit einer Absicht: Studenten für die Gruppentherapie zu begeistern und sie darin zu unterrichten.« (aus: Liebe, Hoffnung, Psychotherapie)
Der Hauptnutzen von Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie liegt im praxisbezogenen Ansatz, der alle Aspekte des Themas umfasst: ein Handbuch, das jede nur vorstellbare Frage zur Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie in klarer, jargonfreier Sprache untersucht. Für uns hochinteressant ist vor allem die Art und Weise, wie es Yaloms Vision der Selbstoffenbarung veranschaulicht und sein Erscheinen als Romanautor antizipiert.
Schon im Vorwort zu Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie stellt Yalom fest, dass die Psychotherapie beides ist: »Wissenschaft und Kunst« (alle Verweise stammen, wenn nicht anders angegeben, aus der vierten, 1996 veröffentlichten Ausgabe). Auf der letzten Seite des Buches kommt er auf die Aussage zurück: »Psychotherapie ist Wissenschaft und Kunst zugleich.« Diese Feststellungen beinhalten eine unerwartete Bedeutung. Im Lehrbuch bezieht Yalom sich immer wieder auf literarische Kunst, fiktive Geschichten und Theaterstücke, die die Einsichten der Autoren in die Conditio humana, die Natur des Menschen, illustrieren. Zwei seiner literarischen Verweise sind besonders bemerkenswert: Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel, das 1943 auf Deutsch und 1949 auf Englisch (manchmal unter dem Titel Magister Lundi) erschien, und Eugene O’Neills Theaterstück von 1946 Der Eismann kommt. Eine Untersuchung dieser beiden literarischen Werke zeigt, inwieweit sowohl die Psychotherapie als auch die Belletristik von der Erzählkunst abhängen.
Ein Geständnis auf dem Sterbebett:
Das Glasperlenspiel
Im Kapitel »Der Therapeut: Übertragung und Transparenz« bezieht sich Yalom auf beide literarische Werke. Das Kapitel, in dem es um die Untersuchung der Beziehung des Therapeuten zu Gruppenmitgliedern geht, eröffnet sehr ungewöhnlich mit einer Art Ansprache, die Lehrbuchautoren eher selten anwenden, einer Apostrophe an den Leser: »Spielen Sie als Therapeut eine Rolle? Wie weit sind Sie frei, Sie selbst zu sein? Wie ›ehrlich‹ können Sie sein? Wieviel Transparenz können Sie sich selbst zugestehen?« Gegen Ende des Kapitels erörtert Yalom die Frage, ob Therapeuten den Patienten ihre Schwächen eingestehen sollten. Dann zitiert er M. B. Parloff, einen Kollegen, der anmerkte: »Ein ehrlicher Therapeut ist einer, der versucht, das zu liefern, was der Patient assimilieren, verifizieren und nützen kann.« In einer Fußnote nennt Yalom ein anschauliches Beispiel für die Notwendigkeit des richtigen Timings. Er fasst das Thema des dreißigseitigen Kapitels »Der Beichtvater« in Hesses Roman zusammen, einer Geschichte über zwei berühmte, für ihre Heilkraft legendäre christliche Büßer, die sich anfreunden und einander heilen:
Joseph, einer der Heiler, leidet schwer unter Gefühlen der Wertlosigkeit und des Selbstzweifels; er macht sich auf eine lange Reise quer durch den indischen Subkontinent, um Hilfe bei seinem Rivalen Dion zu suchen. In einer Oase beschreibt Joseph einem Fremden, der sich dann auf wundersame Weise als Dion entpuppt, sein Leiden; Joseph nimmt daraufhin Dions Einladung an, als Patient und Diener mit ihm zu gehen. Alsbald gewinnt Joseph seine frühere Heiterkeit, seinen Eifer und seine Kraft zurück; schließlich wird er der Freund und Kollege seines Meisters. Erst nach vielen Jahren gesteht Dion auf dem Totenbett seinem Freund Joseph, daß er bei ihrer Begegnung in der Oase selbst in einer ähnlichen Sackgasse in seinem Leben angekommen und auf dem Weg gewesen war, Joseph um Hilfe zu bitten.
Die Geschichte ist durch und durch Yalom, denn sie bekräftigt das Bedürfnis nach einer authentischen therapeutischen Beziehung, den Wert der Selbstoffenbarung für Patienten und Therapeuten, das Konzept eines verwundeten Heilers, die Möglichkeit zu Veränderung und zum Wachstum und die Bedeutung, sich auf jemanden einzulassen, als Gegenmittel für existenzielle Einsamkeit.
Eine kurze Fußnote kann die Feinheiten von »Der Beichtvater« und insbesondere Josephs Gabe zum empathischen Zuhören nicht einfangen. Wann immer eine geplagte Seele Joseph aufsucht, so Hesse, »verstand Joseph ihn anzuhören, ihm sein Ohr und Herz zu öffnen und hinzugeben, sein Leid und seine Sorge in sich aufzunehmen und zu bergen und ihn entleert und beruhigt zu entlassen«. Joseph, geübt in der Redekur, lässt sich seine Ungeduld nie anmerken, wenn Büßer ausschweifend erzählen, ohne auf die Gründe einzugehen, weshalb sie ihn ausgewählt haben. Auch urteilt er nie über die Geständnisse und Gewissensängste, die er zu hören bekommt. Seine Weigerung, Urteile abzugeben, gibt den Büßern nicht nur die Möglichkeit, sich selbst zu offenbaren, sondern hilft ihnen auch, die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. Was immer Joseph gebeichtet wurde, erklärt Hesse, schien »nicht ins Leere gesagt, sondern im Sagen und Gehörtwerden verwandelt, erleichtert und gelöst zu werden«.
Schon in der ersten Auflage von Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie erörterte Yalom Das Glasperlenspiel, doch auch später ging ihm der Roman nicht aus dem Kopf, zweiunddreißig Jahre danach kam er in Der Panama-Hut wieder darauf zurück. Seine Interpretation des Romans verändert er nicht, aber nun erkennt er etwas an der Beziehung zwischen den beiden verwundeten Heilern, was er früher nicht gesehen hat. »Vielleicht verschenkten sie die Gelegenheit für etwas noch Tieferes, Authentischeres, nachdrücklicher Veränderndes. Vielleicht fand die wahre Therapie am Totenbett statt, als sie sich ehrlich offenbarten, dass sie beide nur menschlich, allzu menschlich waren. Die zwanzig Jahre der Geheimhaltung, so hilfreich sie auch waren, verhinderten womöglich eine grundlegendere Form gegenseitiger Unterstützung. Was wäre wohl geschehen, wenn Dions Beichte auf dem Totenbett zwanzig Jahre früher stattgefunden hätte, wenn Heiler und Suchender sich gemeinsam den Fragen gestellt hätten, auf die es keine Antwort gibt.«
Yalom identifiziert sich sowohl mit Joseph, dem jüngeren Heiler, als auch mit Dion, dem älteren, verwundeten Heiler in Hesses berühmtem Roman, den die Schwedische Akademie anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn im Jahr 1946 lobend hervorhob. Yalom identifiziert sich auch mit dem Romanautor, dem Schöpfer der beiden fiktiven Figuren. Hesse schrieb den Roman als Warnung vor der aufkommenden Bedrohung durch die Nazis. Fünfhundert Jahre in die Zukunft versetzt, mahnt Das Glasperlenspiel die Intellektuellen, sich nicht weiterhin in ihren akademischen Elfenbeintürmen zu verschanzen, eine Warnung, die Yalom in seinen eigenen Schriften aufgreift, wenn er Denker wie sich selbst ermahnt, sich authentisch für die alltäglichen Probleme des gegenwärtigen Lebens zu engagieren.
In seinen beiden Verweisen auf Hesse vermittelt Yalom das »Beichtvater«-Thema, doch im Kapitel gibt es eine dritte Figur, zu der er sich nicht äußert. Ein »Gelehrter oder Schöngeist« besuchte Joseph und Dion und »sprach lang, gelehrt und schön über die Gestirne und über die Wanderung, welche der Mensch samt seinen Göttern vom Beginn bis zum Ende eines Weltalters durch alle die Häuser des Tierkreises zurückzulegen habe«. Der ungenannte Geschichtenerzähler, der einfach nur als Mythologe bezeichnet wird,...
Erscheint lt. Verlag | 11.1.2024 |
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Übersetzer | Liselotte Prugger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | WRITING THE TALKING CURE: Irvin D. Yalom and the Literature of Psychotherapy |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Schlagworte | 2023 • 2024 • eBooks • Neuerscheinung • Psychotherapie • Roman • Und Nietzsche weinte |
ISBN-10 | 3-641-26890-7 / 3641268907 |
ISBN-13 | 978-3-641-26890-9 / 9783641268909 |
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