Wege in die Freiheit (eBook)

Wie unerkanntes Trauma uns gefangen hält und wie wir es auflösen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
272 Seiten
Integral (Verlag)
978-3-641-30123-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wege in die Freiheit - Satya Marchand
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Auch wenn es uns oft nicht bewusst ist - nahezu jeder Mensch hat in der Kindheit traumatische Erfahrungen gemacht. Solche Entwicklungs- und Bindungstraumata können unser Leben, unsere Gesundheit und unsere Beziehungen in höchstem Maße negativ beeinflussen: Wir leiden und finden keine Lösung, da die wahren Ursachen unserer Probleme im Verborgenen liegen ...
Die bekannte Trauma-Expertin Satya Marchand, die als Kind selber höchst traumatisierende Erfahrungen gemacht hat, präsentiert hier ihren Weg der Heilung, um unerkannte Traumata zu erkennen und aufzulösen. Dabei verbindet sie spirituelle Erkenntnisse, ganzheitliche Körperarbeit und neueste Forschungsergebnisse der Neurobiologie mit ihrer jahrelangen therapeutischen Erfahrung. Dank ihrer einfachen, wirkungsvollen Impulse und Techniken können wir mit unserer Vergangenheit Frieden schließen und innerlich befreit in die Zukunft gehen.
  • Warum jeder Mensch unbewusste Traumata in sich trägt - und wie wir sie auflösen können
  • Ganzheitliche Methoden zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte: eine innovative Verbindung von Psychologie und Spiritualität


Satya Marchand wurde 1962 in Hamburg geboren. Sie durchlebte eine äußerst schwierige, traumatische Kindheit. Nach unterschiedlichsten Ausbildungen, intensiven Studien und tiefen Lernerfahrungen ist es Satya Marchand gelungen, zu einem glücklichen und erfüllten Leben zu finden. Heute begleitet sie als spirituelle Lehrerin und Trauma-Expertin zahlreiche Menschen mit einer unvergleichlichen Kombination aus körper- und praxisorientierter Arbeit auf dem Weg zu Erkenntnis und Heilung.

Kapitel 1  
WAS IST TRAUMA?


Der Begriff »Trauma« wird seit einigen Jahren häufig und mittlerweile fast inflationär verwendet. Vielleicht ist er auch dir schon im therapeutischen Setting, in Büchern oder YouTube-Beiträgen begegnet. Allerdings wird der Begriff meist nicht sehr genau definiert, sodass oft unklar bleibt, worum es sich bei Trauma eigentlich handelt. Zudem gibt es, auch in der Fachliteratur, haarsträubend falsche Definitionen, die sehr irreführend sind, und deshalb möchte ich an dieser Stelle genauer darauf eingehen, was Trauma eigentlich ist. Das Wort Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlichen übersetzt Wunde, Verletzung.

Der Duden definiert Trauma als »starke psychische Erschütterung, die [im Unterbewusstsein] noch lange wirksam ist«. An dieser Definition stimmt nur, dass ein Trauma noch lange wirksam ist. Weder handelt es sich um eine psychische Erschütterung, noch ist es im Unterbewusstsein wirksam. Trauma ist ein Körperzustand, der im autonomen Nervensystem wirksam ist.

Im englischsprachigen Webster wird Trauma wie folgt definiert: »An emotional wound or shock often having long-lasting effects.« Auch hier wird Trauma als etwas Emotionales definiert, was es eindeutig nicht ist. Trauma steht zwar in Wechselwirkung mit Emotionen, ist aber dennoch ein Körperzustand.

Und in der Zeitschrift Psychologie heute wird im Zusammenhang mit Trauma sogar von »false memories« gesprochen, von Menschen, die etwas erfinden, das gar nicht existiert. Ganz entsetzlich für Traumaopfer ist die Leugnung des Faktischen – unzählige Menschen in Arztpraxen und Kur- oder Reha-Einrichtungen bekommen mitgeteilt, dass es so etwas wie Bindungs- und Entwicklungstrauma gar nicht gibt. Auch Sätze wie dieser: »Pinkeln ist eine traumatische Reaktion auf das Trinken von Wasser«, leugnen zwar nicht die Existenz von Trauma, ziehen es aber ins Lächerliche und sprechen damit den betroffenen Menschen ihren Leidensdruck ab.

Diese Beispiele sollen dir einen Eindruck davon vermitteln, wie groß die Unkenntnis über Trauma ist.

TRAUMAFORSCHUNG


Die Traumaforschung ist eine noch sehr junge Disziplin, die sich mit der Erforschung und Behandlung von traumatischen Ereignissen auf Menschen und soziale Systeme befasst.

Die Polyvagaltheorie, die Dr. Stephen Porges 1994 in den USA veröffentlichte, gilt als bahnbrechend für die Forschung und Traumatherapie und hat die Sichtweise auf Trauma revolutioniert. Renommierte und bekannte Therapeuten, die die Polyvagaltheorie zur Grundlage ihrer Arbeit gemacht haben, darunter Peter Levine, Gabor Maté, Bessel van der Kolk, Lawrence Heller, Deb Dana u. v. a., beweisen mit den Erfolgen ihrer therapeutischen Tätigkeit, dass Traumaheilung über den Körper erfolgen muss, weil Trauma im Körper gespeichert ist und dort wirkt.

Bis heute wird Trauma auch in Fachkreisen fälschlicherweise immer noch als seelische und psychische Verletzung betrachtet, die man mithilfe intuitiver Methoden zu lindern versucht. Diese Auffassung wird dem Wesen von Trauma aber in keiner Weise gerecht und führt dazu, dass viel Zeit und Geld in Forschungsgruppen, Arbeitsgemeinschaften und Studien gesteckt wird, deren Ausgangsüberlegungen an der Peripherie hängen bleiben. Auch in der Forschung bestimmt die Art der Fragestellung über die Aussagekraft einer Antwort, und solange Trauma als psychisches Problem betrachtet wird, gehen alle Studien und Untersuchungen am Kern des Themas vorbei.

Trauma ist ein Körperzustand, und ohne die von Stephen Porges beschriebenen Zusammenhänge zwischen belastenden kindlichen Erlebnissen und den daraus resultierenden körperlichen Reaktionen im autonomen Nervensystem ist nicht zu verstehen, wie ein in unserer Gesellschaft als normal angesehenes elterliches Verhalten so gravierende Folgen für ein Kind haben kann.

Um zu verstehen, warum etwas scheinbar so Harmloses wie ein Anschreien, eine Zurückweisung oder die Botschaft an das Kind, es solle »anders« und »besser« sein, als es ist, so dramatische Folgen haben kann, muss man sich vergegenwärtigen, dass Babys und Kleinkinder instinktiv wissen, dass sie lebensnotwendig auf die Zuwendung ihrer Eltern angewiesen sind. Ohne die Fürsorge ihrer Eltern würden sie sterben, weil sie sich nicht selbst versorgen können. Daher ist es leicht nachvollziehbar, dass das Nervensystem eines Kindes Überlebensalarm meldet, wenn es von den Eltern ignoriert oder angeschrien wird, Signale der Zurückweisung empfängt oder die Eltern ihm sogar körperliche Schmerzen zufügen.

Das autonome Nervensystem versorgt und reguliert unsere inneren Organe und Drüsen und ist zuständig für alle lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Blutdruck, Entgiftung, Körpertemperatur und vieles mehr.

Es ist unterteilt in das sympathische und das parasympathische Nervensystem, wobei das parasympathische Nervensystem sich erneut teilt, nämlich in den ventralen und den dorsalen Vagus. Das sympathische Nervensystem ist zuständig für alle Aktivitäten, wie zum Beispiel Tanzen, Sport oder Wandern, und aktiviert den Körper auch in Stresssituationen, um fliehen oder kämpfen zu können, während der ventrale Zweig des parasympathischen Nervensystems für Regeneration, Verbundenheit, soziale Interaktionen, Sprache, Mimik und Intonation zuständig ist. Der dorsale Zweig des parasympathischen Nervensystems ist sowohl für tiefe Entspannung als auch für die Immobilität der Erstarrung und des Kollabierens zuständig.

Wenn Eltern oder andere Bezugspersonen nicht angemessen auf die Bedürfnisse eines Kindes reagieren, zum Beispiel durch mangelnde Zuwendung, Gleichgültigkeit oder Aggression, führt dies dazu, dass das autonome Nervensystem des Kindes in den Überlebensmodus wechselt. Das geschieht unbewusst als autonomer Prozess. Wenn die Gefahr abnimmt oder vorerst überwunden ist, kann das Nervensystem sich wieder in die Entspannung regulieren, womit sich das Erlebte aber nicht auflöst, sondern als Information im Körper gespeichert bleibt.

Der Mensch ist ein hochsoziales Beziehungswesen, und für jedes Kind ist die stabile liebevolle Nähe zu den Eltern oder anderen engen Bezugspersonen die entscheidende Voraussetzung für eine gesunde und freie Entwicklung. Nährende und verbindende Nähe ist deutlich wichtiger als materieller Komfort, und eine glückliche Kindheit ist definitiv und glücklicherweise nicht an äußere Bedingungen gebunden.

Arno Stern, der Erfinder und Entwickler des Pariser »Malortes«, an dem insbesondere Kinder in einem geschützten Raum ihre Kreativität frei entfalten dürfen, hat einmal gesagt, dass seine Kindheit wunderschön gewesen sei, obwohl er in unsicheren und bedrohlichen äußeren Verhältnissen aufgewachsen sei. In jungen Jahren erlebte er Krieg, Flucht und Entwurzelung. Dass er seine Kindheit trotzdem »schön« empfand, war auf die liebevolle Zugewandtheit seiner Eltern zurückzuführen, die ihm stets aufmerksam und mit Respekt begegneten. Dank ihrer bedingungslosen Liebe konnte er sich so entwickeln, wie es seiner Wesensart entsprach, ohne den Wünschen und Vorstellungen seiner Eltern entsprechen zu müssen. Diese innere Haltung seiner Eltern war entscheidend für Arno Sterns Glück; die fehlende materielle Sicherheit, der Krieg und die belastenden äußeren Umstände seiner Kindheit waren weit weniger wichtig als die liebevolle Verbundenheit mit seinen Eltern.

Man kann sagen, dass Trauma eine gesunde Reaktion auf ungesunde Ereignisse ist. Oder auch, dass ein Trauma ein belastendes Ereignis ist, das von der Person, die es erlebt, nicht bewältigt und verarbeitet werden kann. In diesem Sinne kann man Trauma auch als »Diskrepanzerlebnis« beschreiben: Gemeint ist die Diskrepanz zwischen dem, was einem Menschen widerfährt, und dem, was ihm zur Bewältigung zur Verfügung steht. Ein Trauma entsteht immer dann, wenn ein Ereignis so überwältigend ist, dass es alle zur Verfügung stehenden Verarbeitungs- oder Bewältigungsmechanismen übersteigt.

Viele Menschen sind der Überzeugung, dass sie eine gute Kindheit ohne große Katastrophen hatten, und glauben deshalb, dass Trauma für sie keine Rolle spielt. Auch ich bin jahrzehntelang nicht auf die Idee gekommen, dass Trauma ein Thema für mich sein könnte. Wenn auch du dir die Frage stellst, ob du womöglich traumatisiert wurdest und ob das, was dir passiert ist, wirklich so einschneidend war, dass es Trauma genannt werden kann, dann ist es gut, wenn du anfängst, dich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine wichtige Grundaussage der Traumaforschung besteht darin, dass es nicht das Ereignis an sich ist, das einen Menschen traumatisiert, sondern dass Trauma durch die individuelle Reaktion auf dieses Ereignis und die Fähigkeit, damit umzugehen, entsteht.

So können zum Beispiel Überlebende eines Flugzeugabsturzes sehr unterschiedlich reagieren. Manche erholen sich schnell, finden ihre Balance wieder, kehren in ihren Alltag zurück und unternehmen ganz selbstverständlich weitere Flugreisen. Auf andere hingegen wirken die Geschehnisse so stark, dass ihr ganzes Leben davon beeinträchtigt wird und es für sie keine »Normalität« mehr gibt. Diese Menschen können kein Flugzeug mehr besteigen und reagieren bereits mit massivem Stress, wenn sie nur ein Flugzeug am Himmel sehen oder eine Luftaufnahme in einem Reisemagazin betrachten.

Diese Traumafolgen werden sowohl von den Betroffenen als auch von der Gesellschaft als störend, dysfunktional und beeinträchtigend wahrgenommen, sind aber in Wirklichkeit hochintelligente...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte 2023 • aufrichtige kommunikation • Autonomes Nervensystem • bindungsmuster auflösen • Bindungstrauma • Blockaden lösen • eBooks • Entwicklungstrauma • Geborgenheit • Gesprächstherapie • Gesundheit • Gewaltfreie Kommunikation • Glaubenssätze • körperliche und seelische probleme • körper- und bewusstseinsforschung • mentale Gesundheit • Motivation • Neuerscheinung • neurogenes Zittern • Polyvagal-Theorie • Positives Denken • psychisches Wohlbefinden • Selbsthilfe • Selbstwert • Sicherheit • Stress • therapeutische Methoden • Traumata • Traumatische Erfahrung • traumatische Erlebnisse • TRE • Vagusnerv • Verhaltenstherapie
ISBN-10 3-641-30123-8 / 3641301238
ISBN-13 978-3-641-30123-1 / 9783641301231
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