Generation Angst (eBook)
448 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-04691-7 (ISBN)
Die Folgen dieses Experiments waren, wie Jonathan Haidt auf Grundlage umfangreichen Datenmaterials zeigt, katastrophal – und sie betreffen auch die heute Heranwachsenden. Die schnellste und allumfassendste Neuverdrahtung menschlicher Beziehungen führte dazu, dass sich die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen rapide und dauerhaft verschlechtert hat. Dieser Entwicklung müssen wir jetzt entgegentreten: Haidt erklärt, was Regierungen, Schulen und Eltern tun können, um Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 34/2024) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 33/2024) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 32/2024) — Platz 12
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 31/2024) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 30/2024) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 29/2024) — Platz 13
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 28/2024) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 27/2024) — Platz 4
Jonathan Haidt ist Professor für Sozialpsychologie an der New York University. Er erforscht die psychischen Grundlagen der Ethik und das Erscheinungsbild von Ethik in verschiedenen Kulturen. Er veröffentlichte mehrere erfolgreiche Bücher, darunter den New-York-Times-Bestseller «The Righteous Mind», erhielt bereits mehrere Auszeichnungen für seine Lehrtätigkeit und beweist auch in diesem Buch seine Kunst, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich und mitreißend zu vermitteln.
»Eine Abrechnung mit unserem Smartphone-basierten modernen Lebensstil. Haidt erklärt im Detail, wie es zur Gesundheitskrise unser Kinder und Jugendlichen kommen konnte – und warum sie sich immer weiter verschärft.«
Oprah Daily, 19. Dezember 2023
»Ein wichtiges Buch … Die Verlagerung der Energie und Aufmerksamkeit der Kinder von der physischen Welt in die virtuelle hatte, wie Haidt zeigt, katastrophale Folgen.«
The New York Times, 27. März 2024
»Dringlich und unverzichtbar … Das Buch könnte zum Gründungsdokument werden für eine wachsende Bewegung, die dafür kämpft, Smartphones aus Schulen zu verbannen und junge Kinder von Social Media fernzuhalten.«
The Guardian, 24. März 2024
»Haidts Empfehlungen, die ganz dem Common Sense entsprechen, sind hervorragend.«
The Washington Post, 22. März 2024
»Fesselnd, nachvollziehbar – und sehr beängstigend ... vollkommen überzeugend.«
The Telegraph, 12. März 2024
»Ein fundamentales Buch ... Wer denkt, die «Neuverdrahtung», von der Haidts Buch handelt, sei nur ein Problem der Jungen, hat nichts verstanden.«
Hannah Lühmann, Welt am Sonntag, 16. Juni 2024
Teil I Eine Flutwelle
Kapitel 1 Anstieg des Leidens
Wenn ich mit den Eltern von Jugendlichen rede, kommt das Gespräch oft auf Smartphones, soziale Medien und Videospiele. Die Geschichten, die Eltern mir erzählen, weisen in der Regel einige Muster auf. Eines davon ist die Geschichte vom «ständigen Konflikt». Eltern versuchen, Regeln festzulegen und Grenzen zu ziehen und durchzusetzen, doch es gibt so viele elektronische Geräte, so viele Argumente dafür, dass die Regeln gelockert werden müssen, und so viele Möglichkeiten, die Regeln zu umgehen, dass das Familienleben mehr und mehr vom Streit um Technologien beherrscht wird. Familienrituale und grundlegende menschliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, kann sich anfühlen, als müsse man einer ständig steigenden Flut widerstehen, einer Flut, die Eltern wie auch Kinder verschlingt.
Bei den meisten Eltern, mit denen ich spreche, dreht sich die Geschichte nicht um eine diagnostizierte psychische Erkrankung. Vielmehr ist es die grundlegende Sorge, dass hier etwas Unnatürliches vor sich geht und ihre Kinder etwas – tatsächlich fast alles – verpassen, während sich ihre Online-Stunden häufen.
Doch manchmal haben die Geschichten eine noch düsterere Note. Die Eltern haben das Gefühl, dass sie ihr Kind verloren haben. Eine Mutter, mit der ich in Boston sprach, erzählte mir, wie sehr sie und ihr Mann sich bemüht hatten, ihre vierzehnjährige Tochter Emily[24] von Instagram fernzuhalten. Sie konnten klar erkennen, wie schädlich die Plattform für ihre Tochter war. Um Emilys Zugang einzuschränken, versuchten die Eltern mit verschiedenen Programmen, die Apps auf Emilys Smartphone zu kontrollieren und ihre Nutzung zu begrenzen. Das Familienleben artete daraufhin jedoch zu einem ständigen Kampf aus, und es gelang Emily immer wieder, die Restriktionen zu umgehen. Bei einem sehr verstörenden Vorfall verschaffte sich Emily Zugang zum Smartphone ihrer Mutter, setzte die Kontrollsoftware außer Betrieb und drohte sich umzubringen, sollten ihre Eltern sie wieder installieren. Ihre Mutter erzählte mir:
Es fühlt sich so an, als sei der einzige Weg, soziale Medien und Smartphones aus ihrem Leben zu verbannen, auf eine verlassene Insel zu ziehen. Sie verbrachte jeden Sommer sechs Wochen in einem Sommerlager, wo keine Smartphones erlaubt waren – überhaupt keine elektronischen Geräte. Jedes Mal, wenn wir sie vom Camp abholten, war sie ihr normales Selbst. Doch sobald sie wieder ihr Smartphone benutzte, verfiel sie in dieselbe Unruhe und gedrückte Stimmung. Letztes Jahr nahm ich ihr das Smartphone für zwei Monate weg und gab ihr ein Klapphandy, und sie war wieder ihr normales Selbst.
Wenn ich solche Geschichten über Jungen höre, geht es gewöhnlich weniger um soziale Medien als um Videospiele (manchmal auch um Pornografie), vor allem dann, wenn die betreffenden Jungen sich von Gelegenheitsspielern zu obsessiven Gamern entwickeln. Ein Zimmermann berichtete mir von seinem vierzehnjährigen Sohn James, der leicht autistisch war. Vor der COVID-19-Pandemie hatte James in der Schule und auch beim Judo gute Fortschritte gemacht. Aber als die Schulen geschlossen wurden – James war damals elf –, kauften ihm seine Eltern eine Playstation, um ihn zu Hause zu beschäftigen.
Zunächst verbesserte dies James’ Lebensqualität – er hatte viel Spaß an den Spielen und an den sozialen Kontakten, die sie ermöglichten. Als er jedoch anfing, immer längere Zeit Fortnite zu spielen, begann sich sein Verhalten zu verändern. «Da kamen all die Depressionen, die Wut und die Trägheit zutage. Da begann er, uns anzuschnauzen», erzählte mir der Vater. Um die plötzliche Verhaltensänderung zu korrigieren, nahmen er und seine Frau ihrem Sohn alle elektronischen Geräte weg. Daraufhin zeigte James Entzugserscheinungen, wie Reizbarkeit und Aggressivität, und weigerte sich, sein Zimmer zu verlassen. Zwar nahm die Intensität der Symptome nach ein paar Tagen ab, dennoch fühlten sich seine Eltern wie in der Falle. «Wir haben versucht, seine Konsolennutzung einzuschränken, aber er hat keine Freunde außer denjenigen, mit denen er online kommuniziert – wie stark können wir ihn davon abschneiden?»
Ganz egal, welchem Muster die Geschichte folgt, die sie erzählen, oder wie ernst sie ist – immer gleich ist die Ohnmacht der Eltern, die sich gefangen und machtlos fühlen. Die meisten Eltern wünschen ihren Kindern keine smartphonebasierte Kindheit, doch irgendwie hat sich die Welt auf eine solche Weise neu konfiguriert, dass jeder Vater, jede Mutter, die sich widersetzt, ihr Kind zu sozialer Isolation verdammt.
In diesem Kapitel werde ich Befunde vorlegen, die zeigen, dass sich im Leben junger Leute Anfang der 2010er-Jahre etwas Wichtiges ereignet hat, das ihre psychische Gesundheit äußerst negativ beeinflusste.
Die Welle rollt an
In den 2000er-Jahren gab es kaum Anzeichen dafür, dass die psychische Gesundheit von Jugendlichen bedroht war.[25] Dann, Anfang der 2010er-Jahre, änderte sich die Situation ganz plötzlich. Was psychische Erkrankungen angeht, so hat jeder Einzelfall mehr als eine Ursache; es gibt stets eine komplexe Hintergrundstory, bei der Gene, Kindheitserfahrungen und soziologische Faktoren eine Rolle spielen. Ich konzentriere mich auf die Frage, warum die Raten für psychische Erkrankungen zwischen 2010 und 2015 bei der Generation Z (und einigen späten Millennials) in so vielen Ländern anstiegen, während ältere Generationen viel weniger stark betroffen waren. Warum kam es international zu einem synchronen Anstieg von Angststörungen und Depressionen bei Jugendlichen?
Greg und ich beendeten unser Buch The Coddling of the American Mind Anfang 2018. Abbildung 1.1 basiert auf einer grafischen Darstellung in unserem Buch, die damals Daten bis 2016 berücksichtigte. Ich habe sie aktualisiert, um zu zeigen, was seitdem geschehen ist. In einer Erhebung, die alljährlich von der US-Regierung durchgeführt wird, stellt man Teenagern eine Reihe von Fragen, bei denen es hauptsächlich um ihren Drogenkonsum geht, aber am Rande auch um ihre psychische Gesundheit. So wird zum Beispiel gefragt, ob die Teens sich über längere Zeit «traurig, leer oder depressiv» gefühlt oder «das Interesse an den meisten Dingen verloren haben, die gewöhnlich Spaß machen». Diejenigen, die mehr als fünf der neun Fragen über Symptome einer schweren Depression mit Ja beantworteten, litten höchstwahrscheinlich im vorangegangenen Jahr unter einer «schweren depressiven Episode».
Abbildung 1.1: Prozentualer Anteil von US-Teenagern (12 bis 17 Jahre), die mindestens eine depressive Episode im vorangegangenen Jahr hatten (Selbsteinschätzung, basierend auf einer Checkliste von Symptomen). (Quelle: U.S. National Survey on Drug Use and Health.)[26]
Man erkennt einen deutlichen Anstieg bei schweren depressiven Episoden, der um 2010 einsetzt. (In Abbildung 1.1 und in den meisten Diagrammen, die folgen, habe ich einen Bereich schattiert, um besser erkennbar zu machen, ob sich zwischen 2010 und 2015 etwas verändert hat oder nicht, also in der Periode, die ich als die Große Neuverdrahtung bezeichne.) Die Zunahme bei Mädchen war in absoluten Zahlen (Zahl der zusätzlichen Fälle seit 2010) viel größer als diejenige bei Jungen und zeigt in der Grafik viel deutlicher die Form eines Hockeyschlägers. Die Jungen starteten jedoch von einem niedrigeren Niveau als die Mädchen, daher war die Zunahme relativ gesehen (prozentuale Veränderung seit 2010, dem Jahr, das ich stets als Grundlinie nehme) bei beiden Geschlechtern gleich – rund 150 Prozent. Anders gesagt: Depressionen nahmen um rund das Zweieinhalbfache zu. Diese Zunahme betraf sämtliche Bevölkerungsgruppen und soziale Klassen.[27] Die Daten für 2020 wurden teils vor, teils nach den COVID-19-Lockdowns gesammelt, und zu diesem Zeitpunkt hatte jedes vierte amerikanische Teenager-Mädchen im vorangegangenen Jahr eine depressive Episode erlitten. Man erkennt auch, dass die Situation 2021 noch schlimmer wird; die Kurve steigt nach 2020 steiler an. Der größte Teil der Zunahme erfolgte jedoch vor der COVID-19-Pandemie.
Das Wesen der Welle
Was geschah mit den Teens Anfang der 2010er-Jahre? Wir müssen herausfinden, wer seit wann unter was litt. Es ist außerordentlich wichtig, diese Fragen präzise zu beantworten. Nur so können wir die Ursachen der Welle identifizieren und Möglichkeiten finden, sie umzukehren. Das war das Ziel, das mein Team sich gesetzt hat, und dieses Kapitel wird ausführlich darlegen, wie wir zu unseren Schlussfolgerungen kamen.
Wichtige Hinweise zur Lösung des Rätsels fanden wir, als wir uns eingehender mit Daten zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen beschäftigten.[28] Der erste dieser Hinweise ist, dass sich die Zunahme auf Störungen im Zusammenhang mit Angst und Depressionen konzentriert, die in der Fachsprache der Psychiatrie als «internalisierende Störungen» zusammengefasst werden. Betroffene verspüren starken negativen Stress (Disstress), und zwar...
Erscheint lt. Verlag | 18.6.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Schlagworte | Angststörungen • Aufmerksamkeit • Bindungsstörung • Depressionen • Digitale Demenz • Elternratgeber • emotionale Instabilität • Entwicklungsstörungen • Generation lebensunfähig • Generation selfie • Generation Z • gesunde Beziehungen • Internetkonsum • Katastrophisieren • Kinder- und Jugendpsychologie • Körperwahrnehmung • Lehrerratgeber • mentale Gesundheit • Nutzungsverhalten • Positive Psychologie • Psychische Erkrankungen • Schwarzweißdenken • Silke Müller • Smartphone • soziale Ängste • Soziale Entwicklung • Soziale Medien • Wir verlieren unsere Kinder |
ISBN-10 | 3-644-04691-3 / 3644046913 |
ISBN-13 | 978-3-644-04691-7 / 9783644046917 |
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