Kiefer-Yoga (eBook)
160 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46623-0 (ISBN)
Julia Reindl, M.A., war 10 Jahre an der Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie in Linz tätig, wo sie sich auf die Therapie von Kieferfehlfunktionen spezialisierte. Die Logopädin und Mentaltrainerin eröffnete 2012 ihre eigene Praxis und lehrt als Dozentin an der Fachhochschule für Logopädie in Oberösterreich. 2018 gründete sie die Jaw Yoga Academy und setzte mit der erfolgreichen App 'Kieferfreund' Maßstäbe für eine moderne Begleitung von Menschen mit Kieferproblemen.
Julia Reindl, M.A., war 10 Jahre an der Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie in Linz tätig, wo sie sich auf die Therapie von Kieferfehlfunktionen spezialisierte. Die Logopädin und Mentaltrainerin eröffnete 2012 ihre eigene Praxis und lehrt als Dozentin an der Fachhochschule für Logopädie in Oberösterreich. 2018 gründete sie die Jaw Yoga Academy und setzte mit der erfolgreichen App "Kieferfreund" Maßstäbe für eine moderne Begleitung von Menschen mit Kieferproblemen.
Das Mund-Kiefer-Gesicht-System
Das Mund-Kiefer-Gesicht-System hat die wichtigen Aufgaben des Aufnehmens, Zerkleinerns und Schluckens der Nahrung, sowie der Atmung, des Sprechens und Singens. Das alles sind unbewusste oder automatisierte Vorgänge. Das Mund-Kiefer-Gesicht-System besteht aus einem inneren und einem äußeren Funktionskreis.1 Um das System gesund zu erhalten, sollten beide Funktionskreise im Gleichgewicht zueinander stehen. Dieses exakt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel macht das System vielseitig, aber gleichzeitig auch sehr anfällig für Störungen. Damit es optimal funktionieren kann, ist ein muskuläres Gleichgewicht unabdingbar.
Der äußere Funktionskreis umfasst die mimische Muskulatur und die Kaumuskeln. Dreiundzwanzig (!) Muskelpaare bewegen das Gesicht und ermöglichen Mimik, Sprechen, Singen und zum Teil das Schlucken. Die vier Kaumuskeln habe ich weiter oben bereits beschrieben.
Mimische Muskulatur
Zunge und Mundboden bilden den inneren Funktionskreis. Aufgrund der vielen Muskeln innerhalb der Zunge ist diese in alle Richtungen stark verformbar. Neben den Geschmacksknospen verfügt sie über Tastzellen, die ein dreidimensionales Ertasten ermöglichen. Das wird einem klar, wenn ein Speiserest zwischen den Zähnen steckt. Die Zunge vermittelt uns ein weitaus größeres Bild des Fremdkörpers, als er tatsächlich ist. Diese Eigenschaft der Zunge, sich immer zum Fremdkörper hinzubewegen, kann Auslöser für eine Gewohnheit sein, die sich negativ auf das Kiefer-System auswirkt. Beispielsweise haben Menschen mit Zahnprothesen oder Zahnspangen oft das Problem, dass die Zunge unaufhörlich an Teile der Apparatur drückt. Auf diese schädlichen Gewohnheiten (fachsprachlich: Habits) werde ich im Kapitel »Kiefer-Yoga MIND« ausführlich eingehen. Die Zunge ist außerdem wichtiger Bestandteil des Sprechens, Kauens und Schluckens. Da das Schlucken ein weitgehend unbewusster, zum Teil sogar reflektorischer Vorgang ist, schluckt die Zunge von dort aus, wo sie sich gerade in Ruhe befindet. Die Zungenruhelage, also die Position, in der sich die Zunge normalerweise in Ruhe befindet, ist zugleich Schluck-Ausgangspunkt und beeinflusst somit die Art und Weise, wie wir schlucken. Liegt sie in der richtigen Position am Gaumen, wirkt die Kraft in einer wellenförmigen Bewegung gegen den Gaumen. Und der Gaumen benötigt genau diese Kraft, um sich in Kindheit und Jugend optimal zu entwickeln!
Das Tonschalenmodell
Das Tonschalenmodell ist eine schematische Darstellung in Anlehnung an das »Kugelschalenmodell« nach Erhard Thiele2 des Mund-Kiefer-Gesicht-Systems, anhand dessen ich die formgebende Funktion der muskulären Kräfte und das Zusammenspiel der beiden Funktionskreise verbildlichen möchte. Vielleicht hast du schon einmal mit einer sich drehenden Töpferscheibe getöpfert?
Um eine gleichmäßige, runde Schale aus Ton zu formen, legt man die Tonmasse zuerst auf die Töpferscheibe. Wenn die Scheibe sich dreht, gibt man von außen einen gleichmäßigen Druck mit beiden Händen, sodass eine Kugel entsteht. Würde man auf einer Seite mehr Druck geben als auf der anderen, würde sich die Tonkugel verformen. Übertragen auf das Mund-Kiefer-Gesicht-System würde die Tonkugel den Ober- und Unterkiefer und die Zähne repräsentieren, die Hände entsprächen den Muskeln des äußeren Funktionskreises – also den Gesichts- und Kaumuskeln.
Damit aus der Tonkugel eine Schale wird, legt man die Finger auf die Kugel und gibt vorsichtig Druck nach unten und außen, sodass man die Schale von innen ausformen kann. Auch hier ist es wichtig, die Kraft gleichmäßig zu verteilen, würde man zu viel Druck auf eine Seite ausüben, würde sich der Rand der Schale deformieren. Im Mund-Kiefer-Gesicht-System ist es die Zungenmuskulatur, die formgebend von innen wirkt.
Um eine gleichmäßige, stabile Tonschale zu erzeugen, müssen also die zentrifugalen Kräfte der Zunge nach außen und die zentripetalen Kräfte der Gesichts- und Kaumuskeln nach innen in einem Gleichgewicht zueinander stehen. Ist dieses Gleichgewicht gestört, kommt es zu Formveränderungen der Schale, welche sich als Zahn- und Kieferfehlstellungen und Asymmetrien zeigen.
In Kindheit und Jugend ist diese Tonschale noch weich und verformbar, weshalb ein Normalisieren der muskulären Kräfte in dieser Zeit die meisten Auswirkungen auf die Zahn- und Kieferstellung hat. Tipps, wie du Kiefer-Yoga für deine Kinder sinnvoll anwenden kannst, werde ich dir im letzten Kapitel dieses Buches geben.
Zähne und Kiefer
Die Zähne spielen eine wichtige Rolle beim Erkennen von schädlichen Gewohnheiten im Kieferbereich. So zeigt sich beispielsweise ein Zungenstoß beim Schlucken oft in einem offenen Biss, was bedeutet, dass sich ein Spalt zwischen den oberen und unteren Schneidezähnen bildet, wodurch das Abbeißen erschwert sein kann.
Offener Biss
Zähneknirschen verursacht Zahnschäden, und ein erhöhter Wangentonus kann zum Nach-innen-Neigen der Mahlzähne oder zum Zahnfleischrückgang führen.
Die Zähne bestehen aus dem härtesten Material im menschlichen Körper und sind eine gute Projektionsfläche für immer wiederkehrende Gewohnheiten. Zahnschäden entstehen nicht durch eine einzige »durchknirschte« Nacht. Vermutlich sind nicht alle Abweichungen von der normalen Zahn- und Kieferstellung in Bezug auf die Kiefergesundheit zwingend problematisch. Beispielsweise können die Auswirkungen der Verzahnung auf den Körper mithilfe kinesiologischer Tests überprüft werden. Oft sind schiefe Zähne vielmehr ein ästhetisches Problem als ein funktionelles.
Wie du im nächsten Kapitel sehen wirst, befindet sich der Kiefer in einer sogenannten Ruheschwebelage. Das bedeutet, dass die Zahnreihen in Ruhe niemals zusammengebissen sein sollten, außer beim Schlucken und Kauen. Das macht auf den Tag gerechnet ungefähr dreißig Minuten aus, in denen die Zähne des Oberkiefers mit denen des Unterkiefers Kontakt haben. Hier stellt sich für mich die Frage, wie essenziell wichtig eine perfekte Verzahnung ist. Wie schon gesagt, beschreibt Verzahnung das Verhältnis, in dem der Oberkiefer zum Unterkiefer steht und wie die Zähne aufeinandertreffen. Könnte es sein, dass Kieferprobleme durch Störungen der Verzahnung erst dann entstehen, wenn die Zähne gewohnheitsmäßig sehr häufig und lange aufeinandergepresst werden, wie es beim Zähnepressen und Zähneknirschen der Fall ist? Ich möchte hier keine Antworten auf diese Fragen geben, sondern an dich appellieren, mithilfe dieses Buches selbst auf eine Forschungsreise zu gehen und eigene Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln.
Die Zunge-Kiefer-Funktionseinheit
Die Zunge bildet mit dem Kiefer eine funktionelle Einheit. Beim Kauen schiebt die Zunge die Nahrung seitlich zwischen die Mahlzähne, damit diese zerkleinert werden kann. Diese Zungenseitwärtsbewegung ist nicht angeboren und wird von Babys erst erlernt, wenn sie feste Nahrung zu kauen beginnen. Damit entwickelt sich auch die Zungenfunktion weiter und kann sich im Mund von der einen zur anderen Seite bewegen.
Kiefer-Check: Du kannst deine Zunge beim Schlucken beobachten: Drückt sie während des Schluckens gegen oder sogar zwischen die Zähne? Wenn du dir nicht sicher bist, kannst du einen Spiegel zu Hilfe nehmen und mit breit gezogenen Lippen (wie beim Lächeln) schlucken. Wenn du deine Zunge siehst oder sich Speichel während des Schluckens zwischen den Zähnen hervordrückt, ist das ein Hinweis dafür, dass die Zunge während des Schluckens nach vorne stößt. Der Fachausdruck hierfür ist Zungenstoß. Deine Beobachtungen kannst du wieder aufschreiben.
Zungenstoß
Ein Zungenstoß weist auf eine Fehlfunktion im Mund-Kiefer-Gesicht-System hin. Häufig ist das der Fall bei Kindern, die lange aus der Babyflasche trinken oder den Beruhigungssauger (»Schnuller«) bis ins Kindergartenalter behalten wollen. Aus meiner Erfahrung kann der Zungenstoß auch einfach von den Eltern abgeschaut werden, denn Kinder lernen durch Nachahmung.
Natürlicherweise bewegt sich die Zunge beim Schlucken wellenförmig gegen den Gaumen, ohne dabei die Schneidezähne zu berühren. Der Kiefer ist währenddessen geschlossen, und die Zahnreihen haben Kontakt, sodass sich die Zunge frei bewegen kann. Mit Kiefer-Yoga wird die Zunge kräftiger, koordinierter und beweglicher, sodass sie diese Bewegung bald mühelos ausführen kann.
Die funktionelle Einheit von Zunge und Kiefer besteht nicht nur in Bewegung, wie hier beim Kauen und Schlucken beschrieben, sondern auch in Ruhe. Eine wenig bekannte Tatsache ist, dass die Zunge in Ruhe, das heißt, wenn sie nicht zum Essen, Trinken, Schlucken oder Sprechen benötigt wird, den Unterkiefer trägt. Die natürliche, gesunde Zungenruhelage stabilisiert somit auch den Kiefer in der richtigen Position – mühelos sogar nachts, wenn wir schlafen. Das ist aus meiner Sicht einer der Schlüsselfaktoren bei Kieferproblemen und Schnarchen, wie ich später noch erklären werde.
Jetzt möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Stelle dir den menschlichen Körper als erfolgreiches Unternehmen vor, in dem viele hoch spezialisierte Mitarbeiter tätig sind. Das...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Reihe/Serie | Körpertherapie für eine ganzheitliche Gesundheit | Körpertherapie für eine ganzheitliche Gesundheit |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
Schlagworte | Ganzheitliche Gesundheit • ganzheitliche Medizin • gesund durch Yoga • Halschakra • heilen mit Yoga • Jaw Yoga*/477 • Julia Reindl • Kiefer • Kiefer angespannt Psyche • kiefer entspannen • Kiefer entspannen Übungen • Kieferentspannung • Kieferfreund • Kieferheilung • Kiefer Knacken • Kieferprobleme • kiefer schmerzen • kieferübungen • Kiefer verspannt Symptome • kieferverspannung lösen • Ratgeber Gesundheit • Schmerzen im Kiefer • Tinnitus Behandlung • Tinnitus Kiefer Übungen • Tinnitus was hilft • verkrampfter Kiefer • was hilft gegen schnarchen • Yoga Buch • Yoga Buch Anfänger • Yoga gegen Verspannungen • Yoga Gesundheitsbuch • Yoga Kiefer • Yoga zum Enspannen • Zähneknirschen |
ISBN-10 | 3-426-46623-6 / 3426466236 |
ISBN-13 | 978-3-426-46623-0 / 9783426466230 |
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Größe: 7,2 MB
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