Unter Bäumen (eBook)
336 Seiten
Gräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
978-3-8338-8954-7 (ISBN)
Benno Fürmann wurde 1972 in Westberlin geboren und zählt zu den bekanntesten deutschen Schauspielern. Seinen Durchbruch hatte er 1998 mit 'Die Bubi Scholz Story'. Derzeit ist er in der preisgekrönten Serie 'Babylon Berlin' als Oberst Günter Wendt zu sehen.
Benno Fürmann wurde 1972 in Westberlin geboren und zählt zu den bekanntesten deutschen Schauspielern. Seinen Durchbruch hatte er 1998 mit "Die Bubi Scholz Story". Derzeit ist er in der preisgekrönten Serie "Babylon Berlin" als Oberst Günter Wendt zu sehen.Philipp Hedemann, geboren in Bremen, ist Journalist und Autor. Als Afrika-Korrespondent berichtete er aus mehr als 30 afrikanischen Staaten. Seine Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet.
Hinweis zur Optimierung
Impressum
Prolog
Kapitel 1: Natur
Kapitel 2: Reisen
Kapitel 3: Familie
Kapitel 4: Leben
Kapitel 5: Hoffnung
Epilog
Danksagung
Literaturverzeichnis
Respekt
Meine Tochter Zoe ist im Herbst geboren, und ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mit ihr – als sie rund ein halbes Jahr alt war – bei den ersten wärmenden Sonnenstrahlen in den Park des Berliner Schlosses Charlottenburg ging: der erste Frühling im Leben meiner Tochter! Ich war aufgeregt.
Nach dem Grau des Winters leuchteten die von der Sonne beschienenen Grashalme satt. Ich nahm Zoe aus dem Kinderwagen und legte sie vorsichtig auf die Wiese. Der Wind bewegte zart die Halme. Zoe schaute neugierig auf das helle Gras. Sie sah fasziniert aus. Ich war gerührt und sagte: »Das ist Gras, mein Engel«, und fühlte mich etwas einfältig aufgrund dieser nicht gerade überkomplexen Aussage. Aber der Anblick meiner Tochter, die auf der ersten Wiese ihres Lebens über das grüne Meer der für sie nicht gerade kleinen Grashalmen blickte, bewegte mich. Natur, die Natur entdeckt. Ein kleiner Mensch, der alles zum ersten Mal sieht! Was ging vor in ihren Synapsen? Was sah sie? Was hörte sie? Was roch sie?
So sehr mich Zoes erste halbwegs bewusste Begegnung mit der Natur rührte, so sehr hat mich ihr Verhalten bei Ausflügen in die Natur manchmal irritiert. Natürlich wusste ich, dass sie sich als gebürtige Berlinerin in der Stadt vertrauter bewegt als im Wald, trotzdem ärgerte es mich immer mal wieder, wenn ich sah, wie sie demonstrativ – so empfand ich es zumindest – angeekelt war, wenn sie auf Insekten und Schnecken traf. Ich hatte in diesen Momenten das Gefühl, es nicht geschafft zu haben, mein Kind naturverbunden zu erziehen, das Gefühl versagt zu haben, sie in ihrer natürlichen Neugier auf das Leben richtig zu begleiten.
Manchmal schämte ich mich für mein hartes Urteil. Wenn sie – so wie viele andere kleine Mädchen auch – beim Anblick eines für sie offenbar ekelhaften Tieres aufschrie, fiel es mir schwer, Zoes »Verzweiflung« ernst zu nehmen. Ich hatte Probleme damit, diese schrillen Töne als genuin und authentisch wahrzunehmen. Kreischt man wirklich aus tiefstem Herzen, wenn man einen Tausendfüßler, eine Nacktschnecke, oder eine Spinne sieht? Ist das nicht vielmehr gesellschaftlich anerzogenes Verhalten?
Gleichzeitig war ich mir darüber im Klaren, dass das Ideal von meinem Kind als vollkommen freies, unvoreingenommen liebendes, furchtloses und allem und jedem gegenüber aufgeschlossenes Wesen in der Natur nur eine romantische Vorstellung war. Mein naiver Wunsch. Eine Projektion. Meine Sehnsucht nach dem natürlichen Gleichgewicht der Dinge – oder vielleicht eher nach einem über- oder unnatürlichen Zustand. Denn ist es nicht natürlich und (überlebens-)wichtig, sich vor manch Unbekanntem in der Natur zu ekeln und zu fürchten? Es ist natürlich, sich eine vermeintlich ursprüngliche Welt zu wünschen, in der alle Dinge in Balance sind und ihren Platz haben und alle Kreaturen permanent neugierig aufeinander sind, alle Tierchen sich verliebt beschnuppern und sich einfach freuen, zu sein. Ist es nicht eine illusorische Vorstellung, dass meine Tochter in der Natur eine nie endende Party der Neugier feiert, weil sie permanent beeindruckt ist von der Schönheit und dem Zauber der Flora und Fauna? Als würde sie in jedem Moment jubilierend und aus tiefstem Herzen dankbar sein und mir – eine kleine Harfe spielend – engelsgleich ins Ohr flöten: »Danke, Papa, dass du mir die Natur nahegebracht hast. Die Natur in all ihrer Mannigfaltigkeit, der ich ja selbst entspringe und die mich auf so wundersame Art und Weise durchfließt. Juchhei!«
Soweit ich mich erinnern kann, habe ich als Kind beim Anblick von Kriech- und Schleimzeug nicht lauthals »Iiihh« gerufen. Aber ich habe anderes gemacht. Ich habe Schlimmeres gemacht. Ich habe Tiere gequält.
Ich war mit meiner Mutter, einer Freundin meiner Mutter und deren Sohn, der ungefähr so alt war wie ich, in Holland. Am Meer. An den Namen des Jungen kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich weiß noch genau, dass er Sommersprossen und rotblonde Haare hatte und fast einen Kopf größer war als ich. Ein weißer Spargel. Mit ihm baute ich neben unserem Reetdach-Häuschen am Strand einen kleinen Garten, eine Art Mini-Bonsai-Paradies aus Blättern, Stöckchen, Steinchen und kleinen Wegen. Wir fanden diese kleine von uns erschaffene Welt gut, aber irgendwie auch ein bisschen langweilig. Wir brauchten etwas, das sich bewegt. Wir entschieden uns für träge bienenartige Insekten, die nicht stachen, wenn man sie griff. Trotz aller Trägheit neigten sie doch dazu, unsere schöne neue Welt verlassen zu wollen. Also entschieden wir uns kurzerhand dafür, ihnen die Flügel abzureißen. Die kleinen Racker blieben nun und liefen über unsere Wege, so wie wir es uns vorgestellt hatten, auch wenn sie etwas desorientiert wirkten. Wir waren zufrieden – und sahen, dass es gut war. Da war, bis unsere Mütter kamen, kein schlechtes Gewissen.
Ein paar Jahre später, ich war neun oder zehn Jahre alt, war ich mit meinem Vater und meiner kroatischen Stiefmutter im Sommerurlaub in Jugoslawien, im heutigen Kroatien. Mein Vater hatte ein kleines Häuschen mitten in der Natur gemietet, irgendwo bei den Plitvicer Seen. Das einfache Haus und die Umgebung waren wunderschön. Es gab weit und breit keine Nachbarn, kein weiteres Haus, nur uns, und ich empfand es als wahnsinnig aufregend, alleine in der Natur unterwegs zu sein. Allerdings war ich kein unerschrockener Abenteurer wie meine Vorbilder Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Ich zog zwar meine Kreise, blieb aber immer in der Nähe des Hauses. Irgendjemand hatte mir erzählt, in Jugoslawien gäbe es Schlangen, giftige Schlangen! Nur bekleidet mit meiner Badehose, meinen Gummistiefeln und meinem am Gürtel baumelnden Fahrtenmesser streunte ich durch die üppige Natur. Ich war bereit zuzustechen, hatte aber zugleich eine diffuse Angst vor dem Fremden, dem Gefährlichen, dem Unkalkulierbaren. Aber das aufregende Gefühl, an der Grenze der Zivilisation zur Wildnis alleine unterwegs zu sein, war stärker.
Es geschah jedoch – nichts. Absolut nichts. Ich drehte tagein, tagaus meine Runden, bekam aber kein einziges gefährliches Tier zu Gesicht, nicht mal eine Blindschleiche. Mein Vater, ob er nun meine Frustration spürte oder nicht, zeigte mir eines Morgens ein großes, spinnenartiges Insekt. Er wies mich auf die beeindruckend langen Beine hin, erklärte mir dann noch dieses und jenes, was mich in dem Moment jedoch nicht die Bohne interessierte. Als er mit seinen Ausführungen fertig war, richtete ich mich auf und trat das Tier tot.
Mein Vater war zu schockiert, um auszurasten. Es war allerdings auch nicht nötig. Ich wusste im selben Moment, dass das, was ich gerade getan hatte, absolut nicht in Ordnung war. Mein Vater schaute mich ungläubig an, fing an, wütend auf mich einzureden und mich überkam ein ähnliches Gefühl wie damals am Strand in Holland. »Was ist los mit dir? Was stimmt nicht mit dir? Hast du einen Knall?« Ich schämte mich.
Muss man Natur lernen? Muss man Demut vor etwas Lebendigem, der Schöpfung erlernen? So wie man Achtsamkeit, Sensibilität und soziale Konventionen lernen muss? Eigentlich würde ich diese Fragen gerne mit Nein beantworten. Dieser Respekt vor allem Leben sollte doch eigentlich in jedem von uns von Geburt an drinstecken und nicht erst mühevoll über Jahre kultiviert werden müssen. Aber zumindest für mich galt das offenbar nicht. Ich musste mich dem Unbekannten langsam annähern. Ich musste die Natur erst begreifen und erfühlen, um ihr wirklich nah sein und sie ehren zu können.
Meine ersten Erfahrungen mit Natur und Bergen (aus heutiger Sicht müsste ich eher Hügel sagen) sammelte ich im Siebengebirge am Rhein. Meine Mutter kam aus Niederholtorf, einem Dorf bei Bonn. Ich liebte es, mit meiner Mutter ihre Familie zu besuchen. Sie war die Einzige aus ihrer sehr katholischen Familie, die der Enge des Dorfes entflohen und nach West-Berlin gezogen war, um dort Lehramt zu studieren.
Später waren die Fahrten nach Niederholtorf meine ersten Reisen allein, viele Stunden mit dem Zug durch die damalige DDR und die alte BRD. Ich als gefühlt einzig alleinreisendes Kind unter lauter Erwachsenen. Cool!
In Niederholtorf hatte mein Opa Hannes eine Bäckerei. Der Geruch von frisch Gebackenem ist für mich seitdem einer der schönsten Gerüche der Welt. Und ich durfte sogar in die Backstube hinter dem Tresen, sozusagen Backstage. Es war meine erste VIP-Erfahrung. Ich kannte jemanden, der dort etwas zu sagen hatte, schließlich gehörte meinem Opa der Laden.
Und ich liebte die Spielabende mit meinen Cousins, meiner Tante und meinem Onkel. Zuhause spielte ich nur sehr selten mit meinen Eltern. Aber meine Oma arbeitete in Bonn bei »Spiele König«, saß also direkt an der Quelle und brachte oft die neuesten Spiele mit.
Spielen wurde bei meiner Familie am Rhein sehr ernst genommen, trotzdem oder gerade deshalb ging es dabei laut und leidenschaftlich zu. Besonders gut erinnere ich mich an Scotland-Yard- und Sagaland-Partien, bei denen man die kleinen grünen Plastik-Tannen auf dem Spielfeld umdrehen musste, um sich die darunter verborgenen Symbole zu merken.
Aber noch mehr als die Plastikbäume auf dem Spielfeld liebte ich die echten Bäume an den Hängen des Siebengebirges. Am tollsten fand ich den Drachenfels. Von dort oben sah ich den Rhein sich groß und breit durch die sanft hügelige Landschaft schlängeln. Und hier erzählte mir meine Tante Dorothee die Legende vom Rheingold und Siegfried, der den Drachen erschlagen haben soll, in dessen Blut er badete, um unverwundbar zu werden. Während ich als kleines Kind gebannt dieser Sage lauschte, konnte ich nicht ahnen, dass ich über 20 Jahre später selbst in »Die Nibelungen« den Siegfried spielen würde.
...Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Reihe/Serie | Reiseerzählungen | Reiseerzählungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Reisen ► Reiseberichte ► Deutschland | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | Abwehrkraft • Alpen • Aufforstung • Auftanken • dem leben einen sinn geben • Deutschland • Entschleunigung • Entspannung • Erkenntnis • Inspiration • Kraft der Natur • Motivation • Nachhaltigkeit • Natur • Persönlichkeitsentwicklung • Reise • Schauspieler Biografie • sinnstiftend • Sinnsuche • Suche • Wald • Waldbaden • Was bin ich • wer bin ich • Zukunft • zwischenmenschliche Beziehungen |
ISBN-10 | 3-8338-8954-3 / 3833889543 |
ISBN-13 | 978-3-8338-8954-7 / 9783833889547 |
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