Rationale Zugänge zum Buddhismus (eBook)
121 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7565-3445-6 (ISBN)
Dr. phil., langjähriger Studienleiter der Volkshochschule Düsseldorf, Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, lebt heute in Rheinland-Pfalz. Buddhistischer Hintergrund: Soto-ZEN, Kyudo-Übender der Heki Ryu Bishu Chikurin Ha in der mündlichen Überlieferung durch Shibata Kanjuro XXI. Sensei
Dr. phil., langjähriger Studienleiter der Volkshochschule Düsseldorf, Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, lebt heute in Rheinland-Pfalz. Buddhistischer Hintergrund: Soto-ZEN, Kyudo-Übender der Heki Ryu Bishu Chikurin Ha in der mündlichen Überlieferung durch Shibata Kanjuro XXI. Sensei
2 - Buddhas grundlegende Erkenntnis – ist einfach
Drei Daseinsmerkmale: Vergänglichkeit – Nicht-Selbst – Leiden
Buddha hat grundlegend erkannt, daß unser Dasein von drei fundamentalen Merkmalen geprägt ist. Der Mensch hat nichts Statisches. Er verfügt über keinen festen Wesenskern, hat kein permanentes, unveränderliches Selbst. Also ist er das Gegenteil, ein Nicht-Selbst (Anatta). Das, was wir Persönlichkeit nennen und für (relativ) stabil halten, sind nur Daseinsfunktionen, die bei genauerer Betrachtung aus fünf Bestandteilen bestehen; Buddha führt sie in der Lehre von den Fünf Erfahrungskomplexen (auch Daseinsfunktionen oder Aggregaten) (Pali: khandha, Sanskrit: skandha) näher aus.
Er zerlegt unsere ‚Persönlichkeit‘ in fünf Erfahrungskomplexe, die in ihrem Zusammenwirken unser Dasein ausmachen, unser Erleben erfahrbar machen in die scheinbar stabile Form einer anschaubaren Persönlichkeit kleiden. Diese Erfahrungskomplexe sind verbundene Lebens- oder Daseinsfunktionen, sie beginnen mit Berührung (Körper) und führen über Empfindungen, Wahrnehmungen und Willenskräfte zu unserem am höchsten entwickelten Erfahrungskomplex, dem des Bewußtseins: Das Bewußtsein, ein Mensch zu sein, ein Selbst zu haben. Die Bewußtseinsvorstellung eines stabilen Selbst zerfällt aber sofort, wenn wir die fünf Daseinsfunktionen in ihrer ständigen Veränderung erkennen. Würden wir unser Leben wie einen Film mit schnellem Vorlauf abspielen, würden wir das bemerken. Wir denken räumlich und vergessen die Zeitdynamik dabei.
Kein Bestandteil unserer sog. Persönlichkeit weist daher die Merkmale einer beständigen „Seele“ auf: Alles Leben, beginnend mit körperlichen Berührungen, fließt zu wechselnden Empfindungen, Wahrnehmungen und Willenskräften zu neuen Bewußtseins-Zuständen – Leben ist ständige Veränderung. Schon im Begriff „Bewußtsein“ oder ‚Zustand‘ klingt die Seins-Täuschung an.
In dieser unaufhörlichen Veränderung zeigt sich die Vergänglichkeit allen Lebens, die, allem Begehren des Menschen zum Trotz und gerade wegen seines existentiellen Anhaftens an der Vorstellung von etwas Festem, Verläßlichen, zu Leiden führt. Veränderung ist Leiden, Leiden an der Veränderung, Leiden am Verlust des schönen oder gewohnten Augenblicks. Dieses Leiden ist die von Glücksmomenten unterbrochene Grundmelodie unseres Lebens. Alles buddhistische Denken konzentriert sich daher auf diese eine Frage: die Aufhebung des Leidens.
Die Anatta-Lehre vom Nicht-Selbst
… also vom Fehlen eines statischen Ichs, ermutigt die Buddhisten, sich vom Anklammern an eine vermeintlich statische Welt und der hierdurch begründeten leidvollen Fixierung befreien zu können. Das Nicht-Selbst in allen Dingen der Welt zu erkennen, nach Ursache und Wirkung zu analysieren, öffnet den Weg der Befreiung. Nichts sonst, etwa woher wir kommen und wohin wir gehen, ist von Bedeutung.
Unser Raum-fixiertes Denken können wir nun nach seinen drei Daseinsmerkmale auflösen:
- Vergänglichkeit (Anicca/anicca) – Alle zusammengesetzten Dinge verändern ständig die Zusammensetzung ihrer Bestandteile (z. B. Atome und Moleküle) und unterliegen permanenter Vergänglichkeit, müssen in ihrer momenthaften Zusammensetzung wieder aufhören zu existieren
- Nicht-Selbst (Anatta/anatta) – Also gibt es kein beständiges, aus sich heraus existierendes Selbst, weil alles Zusammengesetzte seine Existenz aus etwas anderem herleiten muß, in Abhängigkeit von Etwas entstanden ist, Bedingungen seines Werdens unterliegt.
- Leiden (Dukkha/dukkha) – Weil alle Dinge der Vergänglichkeit unterliegen, die Menschen aber ihre Unvergänglichkeit anstreben, ist Leiden die Natur aller Dinge – dies ist die Erste der Vier Edlen Wahrheiten des Buddha.
Unser Wissenschaftsdilemma: Geist immer noch nicht naturwissenschaftlich nachgewiesen
Ich und Selbst – zwischen Materie und Nicht-Materie
– woraus besteht unser Ich-konstituierendes Selbst und wo finden wir es? Im Gehirn vermuten es die Neurowissenschaftler und streiten über die Frage, ob dieses Ich Materie oder Nicht-Materie (Geist?) darstellt, wenn es denn des Räumlich-Fixierten überhaupt bedarf. Die meisten Buddhisten erkennen eine Koexistenz von Geist und Materie an, manche (Cittamatra-Schule) denken extremer, daß alles - auch das Stoffliche - nur Geist sei, nur in der Vorstellung existiere. In den jährlichen Mind-and-Life-Konferenzen (vgl. www.mindandlife.org/){11} bemühen sich Naturwissenschaftler und Buddhisten gemeinsam um Wissensfortschritte. Dabei haben sie bemerkenswerte Erkenntnisse erzielt, etwa zu Hirnaktivitäten während der Meditation.{12}
Erstaunlicherweise bestätigen neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse häufig die Ergebnisse der introspektiven Geisteswissenschaften des Ostens. Dies belebt auch die erkenntnistheoretische Kontroverse des Abendlandes, die zwischen Geistes- und Naturwissenschaften geführt wird. Letztlich geht es dabei um eine grundlegende Frage:
Wahrheits-Dogma und Wirklichkeits-Leiden
Wie wahr ist die Wirklichkeit? Und wer kann sie mit welchen Mitteln beweisen? Nach ihrem Einfluß auf die Wirklichkeit gemessen scheinen die Naturwissenschaften derzeit die Deutungshoheit gewonnen zu haben. Aber ist ihrem Anspruch unumschränkt zuzustimmen, daß ein wissenschaftlicher Beweis nur dann Gültigkeit erlangen könne, wenn eine dritte Person unter angebbaren Methoden zu den gleichen Ergebnissen kommt (Verifikationsprinzip)? Kann man sich auf eine Wissenschaft verlassen, die ihre Behauptung, daß auch Geist letztlich Materie sei und damit ihrem Zugriff unterliege, nicht hinlänglich beweisen kann? Dieser Beweis ist bis heute nicht geführt!
Auch im Alltäglichen bedrückt uns die Problematik auf vielfache Weise, einige Beispiele:
o Kann eine geistige Erkrankung mit chemischen Mitteln geheilt werden? Andersherum: Determiniert Chemie unsere Persönlichkeit?
o Wie kann ein Richter erkennen, ob ein Zeuge die Wahrheit spricht? (materielle Wahrheit)
o Warum haben es Mobbing-Opfer so schwer, ihre Unschuld zu beweisen?
o Kann ich meiner Uneigennützigkeit trauen, wenn ich eine Spende gebe?
Die verstehenden (heuristischen) Geisteswissenschaften gehen hier andere Wege als die Naturwissenschaften. Doch ist dies befriedigend? In Gerichtssälen etwa ängstigen sich Betroffene, wenn Gutachten und Gegen-Gutachten erstellt werden oder wenn unvollständig bleibende Indizien-Beweisketten geknüpft werden. Daher gilt: Im Zweifel für den Angeklagten!
Ob etwas wahr ist, entscheidet die Übereinkunft der Menschen eines kulturellen Geltungsbereiches aufgrund ihrer Wert-Orientierungen. Ihr zugrunde liegt ein zwischen Gut und Böse unterscheidendes Streben nach einer Vorteilhaftigkeit bestimmten Tuns für diese Gemeinschaft, dem sich der Einzelne auch im Falle eines persönlichen Nachteils zu fügen hat. In verschiedenen kulturellen Geltungsbereichen (Gemeinschaften) kann es also auch unterschiedliche „Wahrheiten“ geben – eigentlich ein Paradox.
Auf der höchsten Ebene können religiöse Übereinkünfte zwischen Millionen von Menschen als ‚Wahrheit‘ zur Geltung gebracht werden. Geltung erlangen sie aber nur dann, wenn jemand die Einhaltung dieser Verhaltenserwartungen sichern und eine Gefolgschaft oder Unterwerfung der Gemeinde realisieren kann. Wenn dies nicht gelingt, entstehen Konflikte bis hin zu ausufernden Wahrheits- / Glaubenskriegen und das Paradox wird sichtbar.
Wahrheit ist demnach immer dogmatisch, eine ‚Wahrheit‘ begründende Religion ist immer dogmatisch. Der katholische Glaubensführer (Papst) etwa braucht für seinen Geltungsanspruch das Wahrheits-Dogma, das durch das Unfehlbarkeits-Postulat eines Erden-Vertreters wirksam abzusichern gesucht wird.
Hoch bedeutsam ist hier, daß in dem Phänomen Wahrheit stets ein über-personales Element wirksam ist, das einen Geltungsanspruch für eine wie auch immer abgegrenzte Gemeinschaft begründet. Danach kann es keine subjektive Wahrheit geben, weil Wahrheit sich immer in einer Gemeinschaft objektivieren muß. Das hat weitreichende Konsequenzen: Ein Scheitern des Wahrheitsanspruchs beim Einzelnen führt zu dessen Ausgrenzung aus der Gemeinschaft, zum „sozialen Tod“. Ein breites Scheitern in der Gemeinschaft hingegen führt zur Erosion der Gemeinschaft und damit zum Wahrheits-Zerfall, wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg bei den christlichen Glaubensgemeinschaften mit einem über Jahrzehnte währenden Mitgliederschwund und Dogmenstreit beobachten.
Ob etwas wirklich ist, entscheidet sich hingegen in der persönlichen Sphäre des Menschen. Wahr ist der Glaube, wirklich aber das Feuer, in dem der Ungläubige verbrannt wird. Wirklichkeit ist die subjektive Daseinsbedingung des Leidens.
Da auch im Buddhismus von Wahrheit gesprochen wird, von den Vier Edlen Wahrheiten, müssen wir hier sprachlich nachschärfen. Buddhas Lehre gründet auf keinem Wahrheits-Dogma, sondern auf einem Wirklichkeits-Axiom: einem als absolut richtig erkannten Leidens-Grundsatz, aus dem die übrigen Aussagen evaluiert werden.
Im Buddhismus fehlt das Dogma, fehlt ein...
Erscheint lt. Verlag | 30.9.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Schlagworte | Aufklärung • Bewußtsein • Buddha • Buddhismus • Religion • Transzendenz • Zen |
ISBN-10 | 3-7565-3445-6 / 3756534456 |
ISBN-13 | 978-3-7565-3445-6 / 9783756534456 |
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