Die schnelle und die langsame Liebe (eBook)
224 Seiten
Gräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
978-3-8338-8945-5 (ISBN)
Wolfgang Schmidbauer, geboren 1941 in München, ist einer der bekanntesten Psychoanalytiker Deutschlands. Er promovierte 1969 im Fach Psychologie. Seit 1973 ist er Psychoanalytiker in privater Praxis, Lehrtherapeut, Journalist und Autor zahlreicher Bücher, von denen einige Bestseller wurden. Schmidbauer lebt in München und in Dießen am Ammersee.
Wolfgang Schmidbauer, geboren 1941 in München, ist einer der bekanntesten Psychoanalytiker Deutschlands. Er promovierte 1969 im Fach Psychologie. Seit 1973 ist er Psychoanalytiker in privater Praxis, Lehrtherapeut, Journalist und Autor zahlreicher Bücher, von denen einige Bestseller wurden. Schmidbauer lebt in München und in Dießen am Ammersee.
Hinweis zur Optimierung
Impressum
Wichtiger Hinweis
Einleitung
Blindflug – Gegensätze ziehen sich an
Zwischen Flirt und Freundschaft
Am Wasserfall oder Hunger nach Bewunderung
Wiener Melange – eine Gruppensitzung
Der Träumer träumt sich fort
Die schreiende Frau oder wer Lieblosigkeit duldet …
Nicht schlecht für den Anfang
Das zweite Kind
Nachwort
ZWISCHEN FLIRT UND FREUNDSCHAFT
Als Klara und Rolf das Bildungszentrum verließen, nieselte es. Sie blieben bei ihren Rädern stehen. Rolf fing an, den Sattel seines alten Holländers mit dem Mantelärmel trocken zu reiben. Solange die Kursteilnehmer noch in Hörweite waren, dämpfte er seine Stimme.
»Heute ist wieder der stille Italiener dran«, sagte er. »Das letzte Mal waren wir bei deinem lauten Griechen und haben diese Babyoktopusse gegessen.«
»Weil es zu deinem Italiener so weit ist, habe ich mein Rad mitgebracht. Mir ist kalt, es ist Frühling, ich habe keine Strumpfhose mehr angezogen und keinen Pullover.« Sie stieg auf.
»Ich hätte mein Rad auch geschoben«, sagte Rolf.
Sie fuhr auf dem Gehsteig, er sah ihren schwarzen Lackmantel zwischen den geparkten Autos, die sie trennten.
Im Lokal legte sie den Mantel ab. Darunter trug sie eine Baumwollhose und unter einer ärmellosen Jacke ein weißes T-Shirt, so eng, dass sich die von der Kälte hart gewordenen Brustwarzen deutlich abzeichneten. Sein Blick haftete dort, bis die Jacke wieder zufiel, als Klara sich an den Tisch setzte.
Warum nicht? Was er eben gesehen hatte, war vielleicht ein Grund, aufzuwachen. Eine Tulpenzwiebel bemerkt doch auch, dass oben der Frühling kommt. Eine Anstrengung, auszutreiben ins Ungewisse. Liegen bleiben bis nächstes Jahr. Solange es niemand bemerkte, war doch nichts einzuwenden. Seine Gedanken schweiften ab. Wer hatte geschrieben, dass jeder Mensch wie eine Zwiebel ist – eine Schicht nach der anderen, kein Wesenskern? Ibsen? Klara plauderte.
»Ich habe viel über Frühstörungen gelernt, als ich 28 war. Da hatte ich die totale Krise nach einer Trennung, und die Therapeutin, eine Ammon-Schülerin, Frau Berg, hat mich wirklich jeden Tag gesehen, zehn Minuten lang. Nach zwei Monaten war ich drüber weg. Dann hat der Ammon sie weggeschickt nach Hamburg, und ich sollte zu einem Vorgespräch zu einer grässlichen Blonden – du weißt sicher, wie sie hieß, in der Hohenzollernstraße, später bekam sie dann ein Kind – da bin ich aber kein zweites Mal hingegangen.«
»Hieß die Haub?«
»Nein, Haub nicht!«
»War es eine Frau Ehlers?«
»Nein, Ehlers auch nicht.«
»Dann kenne ich sie nicht.«
»Kennst du die Frau Brünert?«
»Ja, schon lange.«
»Was hältst du von ihr?«
Er schnitt ein Stück von dem panierten Putenfleisch ab, das der Kellner mit einer Beilagenportion Canelloni und vier garnierten Tomatenscheiben gebracht hatte. Über Kollegen zu urteilen war eine knifflige Sache, vor allem für ihn, den Träger einer lästigen Autorität. Auch Klara war keine Studentin mehr, aber sie trat noch so auf, und je mehr sie zu ihm aufsah, desto schwerer fiel es ihm, an sie heranzukommen.
»Manche kommen sehr gut mit ihr zurecht und entwickeln sich gut bei ihr. Aber mit anderen kann sie gar nicht umgehen. Ich würde sagen, es ist schwer, vorauszusehen, wie die Arbeit mit ihr läuft, aber das trifft schließlich auf uns alle zu.«
»Ich bin ja immer noch bei Frau Pauk. Hat mir viel gebracht, aber irgendwie ist es jetzt vorbei und ich denke, ich müsste eigentlich aufhören. Ich glaube, dass sie mit etwas an mir nicht mehr weiterkommt. Ich trau mich einfach oft nicht, ich bin zu schüchtern, und in dem Punkt komm ich bei ihr einfach nicht mehr weiter.«
»Warum willst du es nicht einmal ganz ohne Therapie versuchen? Ich finde, dass es wichtig ist, gerade nach einer längeren Analyse, einmal ganz ohne zu leben. Dann verteilt sich die Libido neu, die bisher an den Analytiker gebunden war. Wenn du gleich drüber nachdenkst, die nächste Therapie anzufangen, erlebst du das nicht!«
»Aber ich kann mein Leben doch nicht so lassen, wie es ist!«
Rolf quetschte den letzten Zitronensaft auf das restliche Schnitzel, schnitt es in drei Happen und trank einen Schluck von seinem dunklen Weizenbier.
»Warum nicht?«
»Weil … mein Mann schläft nicht mit mir, und ich habe einen Liebhaber, das ist doch kein Dauerzustand!«
»Warum nicht?«
»Du bist so ein Zyniker!«
»Ich bin Realist.«
»Wie hältst du es denn mit dem Treusein?«
»Ich würde sagen, ich bin gemäßigt treu, seit ich das zweite Mal verheiratet bin. In meiner ersten Ehe war es chaotisch, ich habe viel ausprobiert. Seit ich mit Helga zusammen bin, ist mir immer klar geblieben, dass sie meine erste Wahl ist und ich mit ihr lieber lebe als mit allen anderen. Neulich habe ich geträumt, dass eine junge Frau ein Kind von mir erwartet, es war schrecklich: Sie war zwar anziehend, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihr zuliebe Helga zu verlassen, und wachte voller Angst auf, weil das jetzt unausweichlich schien.«
Es war nur ein winziger Teil des Schattens, der früher auf seinem Leben lag und der ihn jetzt streifte wie die äußerste Spitze eines Raubvogelflügels. Er schüttelte sich ein wenig und schaute in ihr ernstes und eifriges Gesicht. Gerne hätte er ihr etwas Gutes aus seiner längeren Erfahrung mit Untreue mitgegeben, aber wusste er, ob es so etwas gab? Es war doch immer ein Spiel mit der eigenen Unreife, mit Versuchen, den Kuchen zu behalten und ihn zu essen, wie sie zum Leben gehören. Es war schrecklich unvernünftig von ihm, Helga wegen irgendeiner anderen zu betrügen, die nicht hübscher war und bestimmt nicht so klug, die ihn weniger liebte und die ihm weniger bedeutete. Aber es war doch geschehen, Helga hatte nichts bemerkt oder doch wenigstens so getan, als ob sie nichts mitbekäme. Trotzdem wurde es jedes Mal schwieriger.
Als junger Mann hatte er sich gefürchtet, sich Frauen zu nähern und das zu tun, was manche vorwitzig »verführen« nennen. Später, als er sich besser zurechtfand, wurde ihm auch klar, dass Verführung meist auf der Bereitschaft des Gegenübers beruht, sich verführen zu lassen, der Bereitschaft, jene winzigen Fluchtbewegungen abzubremsen, die eine Annäherung verhindern. Da war es ihm einige Zeit gut gelungen, Liebesbeziehungen anzubahnen. Aber jetzt fing es wieder an, schwierig zu werden, nicht nur beladen mit einer neuen Hemmung, sondern auch mit den Lasten der Erinnerung an frühere Unbeschwertheit. Diese Fragen, diese Vorsicht, diese Bedenken, das war doch alles schon einmal überwunden gewesen, und jetzt schien es doppelt unüberwindlich; es ist wohl leichter, etwas niemals zu besitzen, als es zu haben und dann zu verlieren.
Manchmal wünschte sich Rolf jetzt, dass Frauen wie Klara, die ihm gefielen und die ihn bewunderten, den ersten Schritt tun sollten, ihn umwerben, er hätte sich gerne verführen lassen, die Fluchtbewegung abgebremst. Aber das war wohl das Fatale an seiner Rolle geworden. Früher war er jünger gewesen als die Frauen. Oder so alt wie sie. Jetzt war er der Seniorpartner, die Respektsperson. Klara wartete auf seine Zeichen, wo er doch lieber auf ihre reagiert hätte.
»Du bist eben reifer geworden.« Das sagten Freunde, wenn Rolf, selten genug, davon redete. Er hätte lieber die alte Unbekümmertheit behalten. Früher war er einfach geblieben, hatte noch ein Glas getrunken, hatte versucht, das Gespräch darauf zu bringen, ob sie heute noch etwas … er habe da einen gemütlichen Raum, wo man ganz ungestört … Oder zu ihr nach Hause? Dieser Vergleich vom Jäger, der stimmte. Es war doch, so erzählten das jedenfalls die Jäger, die er kannte, eine Frage der Ausdauer, des Ansitzens. Wer viel Beute machte, der war auch immer viele Stunden gesessen, hatte gewartet, bis er zum Schuss kam. Jetzt war es anders. Die Frauen hätten ihn, die Respektsperson, die er geworden war, aufhalten müssen auf seinem Weg nach Hause – wo er sich dann mit einem Glas Wein und einem Stück Käse noch vor den Fernsehapparat setzte und ein wenig herumzappte, bis er ins Bett ging.
Wenn die Werbung für Telefonsex kam und Girls oder Boys halbnackt herumstöhnten und sich grausame Mühe gaben, Zahlen erotisch aufzusagen, fragte er sich, wer sich von diesen Stimmen angezogen fühlen mochte. Auch zu Zeiten seiner größten Erregbarkeit wäre er das nicht gewesen; vielleicht brauchte es dazu eine ganz neue Generation. Das hatte ihn schon bei seinen Töchtern verwundert: wie diese, kaum den Schulrucksack abgestreift, zum Hörer griffen und mit eben jenen Freundinnen telefonierten, die sie den ganzen Morgen in der Schule um sich gehabt hatten.
Plötzlich fühlte Rolf sich wie in einer Rüstung. In Island bereiteten sich die Bauern auf den Kampf mit dem Eisbären, der im Winter ihre Gehöfte belagerte, dadurch vor, dass sie Arme, Beine und Rumpf mit Hanfseilen eng umwickelten; so konnten sie den Krallen und Zähnen ihres Gegners wenigstens für eine Weile widerstehen. Auch er hatte sich eingeschnürt, er wusste nicht mehr, wie er früher jene Wunschabsichten an die Frau gebracht hatte, die ihm jetzt kleinlich und gierig erschienen. Es war ja auch vernünftig, Klara nicht aufzustören und zu verwirren und sich selbst keinen Komplikationen auszusetzen, wie sie sich aus solchen Fehltritten und Seitensprüngen ergaben. Mit seiner Rüstung musste er auf den gebahnten Wegen bleiben, alles andere überforderte seine Beweglichkeit, und wenn er stolperte und in einen Graben fiel, konnte er womöglich nie wieder aufstehen und weitergehen.
»Vergebens«, so erinnerte Rolf den letzten Satz in Freuds Essay vom »Motiv der Kästchenwahl«, »Vergebens hascht der alternde Mann nach der Liebe des Mädchens. Nur die dritte der Frauen, die schweigende Todesgöttin, wird ihn in ihre Arme nehmen.«
Aber Klara war kein Mädchen. Sie war jünger als er, zehn Jahre...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2023 |
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Reihe/Serie | GU Beziehungen | Lebenshilfe Partnerschaft |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität |
Schlagworte | Beziehung • Buch • Bücher • Dating-Bibel • Ehe • Emotion und Gefühl • Frauen • für Singles • GU • Lebenslange Partnerschaft • Liebe • Männer • Partnerschaft • Partnersuche • Ratgeber • Sexualität • Verlieben • zwischenmenschliche Beziehungen |
ISBN-10 | 3-8338-8945-4 / 3833889454 |
ISBN-13 | 978-3-8338-8945-5 / 9783833889455 |
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