Vom Glück, unbeschwert zu leben (eBook)
218 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-837-5 (ISBN)
Valorie Burton wuchs als Kind eines US-Airforce-Offiziers unter anderem in Deutschland auf. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Annapolis, Maryland. Vor 20 Jahren machte sich die studierte Psychologin und Journalistin mit einer eigenen Beratungspraxis selbstständig. Mittlerweile ist sie eine gefragte Motivatorin und Sprecherin bei Frauenkonferenzen und Firmenevents.
Einführung: Warum hast du das getan?
Wie Schuldgefühle unsere Entscheidungen beeinflussen
Ich weiß nicht, welche Art von Schuldgefühlen Sie dazu bewogen hat, dieses Buch in die Hand zu nehmen, aber auf jeden Fall sind Sie nicht allein damit. Ich habe dieses Buch zwar für Sie geschrieben, doch die Erkenntnisse und Schritte, die ich auf den folgenden Seiten beschreiben werde, haben auch mir selbst geholfen.
Gewissensbisse, ob berechtigt oder nicht, haben mich mein ganzes Leben lang begleitet und mich zu einem ängstlichen und besorgten Menschen gemacht. Und was noch schlimmer ist: Sie haben mich dazu gebracht, Dinge zu tun, die ich normalerweise nicht für sinnvoll gehalten hätte – wie zum Beispiel eines Morgens, nicht lange nachdem ich mit diesem Buchprojekt begonnen hatte. Vielleicht passierte das alles, damit Sie sich jetzt darüber amüsieren können, zumindest aber ist es ein passendes Beispiel dafür, wie Schuldgefühle sich in unser Leben hineindrängen und unsere Gefühle und Entscheidungen in Beschlag nehmen.
Es war ein Mittwoch, so gegen 6:55 Uhr, und meine Familie und ich lagen ganz gut in der Zeit. Tatsächlich waren wir sogar ein paar Minuten früher dran als sonst. Mein fünfjähriger Sohn Alex war fertig angezogen, glücklich und zufrieden und hatte sich bereits die Zähne geputzt, sein Bett gemacht und die Schuhe angezogen. An diesem Punkt, mitten im Schuljahr, hatte ich es aufgegeben, darauf zu bestehen, dass er sein Frühstück am Tisch aß. Er will keinen Toast und keine Eier. Aber ich hatte zumindest einen neuen Weg gefunden, wie ich ihn dazu bringen konnte, seine Cornflakes zu essen. Ich füllte ihm welche in eine Plastiktüte mit Zippverschluss und goss eine Tasse Milch in einen Becher mit aufklappbarem Deckel, sodass er sie unterwegs im Auto trinken konnte. Wenn ich ihm als Belohnung in Aussicht stellte, ein paar Minuten auf meinem Smartphone spielen zu dürfen, würde er auf dem Weg zur Bushaltestelle alles rasch aufessen. Diese Option war auf jeden Fall schneller und einfacher, als wenn ich ihn dazu hätte bewegen müssen, sich so früh morgens an den Tisch zu setzen und dort zu essen. Natürlich war das nicht die Art und Weise, wie meine Mutter mir mein Frühstück gemacht hatte, als ich noch ein Kind war, aber es funktionierte wenigstens.
Gerade als ich seine Milch in den Becher gegossen hatte, stellte Alex mir in einem lieben Tonfall eine einfache Frage: »Mama, kann ich heute am Tisch frühstücken?«
Das hört sich eigentlich ganz vernünftig an. Aber mein Sohn ist beim Essen ziemlich langsam. Und so viel Zeit hatten wir nun auch nicht mehr.
Meine von Schuldgefühlen gesteuerte Reaktion jedoch sollte den ganzen Morgen durcheinanderbringen.
»Nein, heute nicht. Wir haben nicht so viel Zeit« wäre die naheliegende Antwort gewesen. Aber das hätte vorausgesetzt, dass ich logisch und von gesundem Menschenverstand regiert gehandelt hätte. Stattdessen wurde ich in rascher Folge mit einem ganzen Arsenal negativer Gedanken bombardiert.
Der arme Junge.
Er muss morgens so früh aufstehen. Es ist ja noch ganz dunkel draußen!
Er ist erst fünf und muss schon um 7:15 Uhr an der Bushaltestelle sein.
Er will doch nur zu Hause frühstücken und du treibst ihn zur Tür hinaus.
Danach schossen mir Erinnerungen an meine eigene Kindheit durch den Kopf. Wenn ich morgens in die Küche kam, war es, als würde ich in einem Südstaatenhotel zum Frühstücksbüfett gehen.
Deine Mutter bereitete dir ein üppiges Frühstück zu – Eier, Schinken, Maisgrütze, Toast mit Butter oder Marmelade, je nachdem, was du wolltest, und Orangensaft. Und das ausnahmslos an jedem einzelnen Morgen!
Deine Mutter sorgte auch dafür, dass du dein Frühstück am Küchentisch aßt, als du so alt warst wie Alex, und dein eigenes Kind muss seine Cornflakes im Auto essen.
Alex saß da und schaute mich mit freundlichem Blick an, geduldig auf eine Antwort wartend. Ich sah die Tüte mit den Cornflakes und erinnerte mich an etwas, das mir noch mehr Schuldgefühle einflößte.
Es gab nur einen einzigen Morgen in meiner ganzen Kindheit, an dem meine Mutter mir Cornflakes zum Frühstück gab. Aus Spaß nenne ich es auch heute noch »Das große Cornflakes-Experiment« – jenen einzigen Versuch meiner Mutter, etwas Zeit zu sparen und ihrem Kind das zu geben, was die meisten Kinder jeden Morgen essen.
Ich bin in der dritten Klasse. Ich komme in die Küche unserer Dreizimmerwohnung in der Nähe von Frankfurt, wo mein Vater als Soldat stationiert ist. Ich setze mich an den Tisch und meine Mutter bringt mir ein Schälchen mit Rice Krispies mit Milch und viel zu viel Zucker, so wie ich es gerne mag.
Ich liebe Rice Krispies. Jeden Tag esse ich sie nach der Schule als Snack. Ich weiß nicht, warum mir meine Mutter an diesem Morgen welche vor dem Frühstück vorsetzt, aber ich stelle keine Fragen, weil sie einfach lecker sind. Ich schlinge sie hinunter, meine Mutter füllt das Schälchen ein zweites Mal und ich verputze auch das.
Dann sagt sie: »Okay, wir wollen jetzt los.«
Ich bin total verwirrt. »Aber ich habe doch noch gar nicht gefrühstückt!«, protestiere ich.
»Wieso?«, entgegnet meine Mutter. »Du hast doch gerade zwei Schälchen mit Rice Krispies gegessen!«
Ich starre sie ungläubig an. »Das ist doch kein Frühstück. Das ist ein Snack!«
Meine Mutter scheint einerseits erstaunt über meine Reaktion zu sein, sich andererseits aber auch ein bisschen schuldig zu fühlen. Doch es ist Zeit für mich, zur Schule aufzubrechen.
»Ich habe jetzt keine Zeit mehr, ein warmes Essen zu machen, Valorie«, erklärt sie schließlich. »Wir müssen los, sonst kommst du zu spät zur Schule und ich zu spät zur Arbeit.«
Ich schnappe meinen Ranzen und als wir die Wohnung verlassen, murmle ich vor mich hin, ich könne es nicht fassen, dass ich »ohne Frühstück« zur Schule muss.
Das war der einzige Morgen, an dem ich Getreideflocken zum Frühstück aß.
Jahrzehnte später kam mir nun dieser Morgen wieder in den Sinn. Und das Ergebnis? Obwohl mein Sohn gerne Cornflakes isst, flüsterte mein achtjähriges Ich mir ins Ohr: Cornflakes sind kein Frühstück! und ich bekam Gewissensbisse, weil ich ihm welche vorgesetzt hatte. Als sich nun diese Gedanken mit all dem anderen vermischten, was mir an diesem Morgen durch den Kopf ging, endete es unweigerlich mit der Antwort, die ich Alex auf seine einfache Frage gab. Ich kannte zwar die logische Antwort, aber es war nicht die Logik, die Alex antwortete, sondern das Schuldgefühl.
»Klar, mein Schatz. Wir können hier essen, aber du musst dich beeilen. Ich habe das nämlich nicht eingeplant.«
Sie können sich sicher vorstellen, was als Nächstes passierte: Mein Sohn ließ sich Zeit. Ich versuchte die Sache zu beschleunigen, aber als wir schließlich das Haus verließen, war mir klar, dass ein Wunder geschehen musste, damit wir noch rechtzeitig an der Bushaltestelle ankamen. Alex besucht eine Privatschule am anderen Ende der Stadt und wir haben schon Glück, weil es eine zentral gelegene Bushaltestelle nur wenige Minuten von unserem Haus entfernt gibt. Wenn wir es aber nicht rechtzeitig zur Haltestelle schaffen, müssen wir uns vierzig Minuten lang durch den Verkehr quälen, um zur Schule zu gelangen.
Meine Hände umklammerten angespannt das Lenkrad, als würden wir dadurch schneller vorankommen. Mein Blick wanderte zwischen der Uhr und der Straße hin und her. Meine Schultern verkrampften sich und ich fokussierte mich auf mein Ziel wie ein Laserstrahl. Alle Ampeln standen auf Grün und so hatte ich beinahe das Gefühl, als würde eine göttliche Vorsehung mich geradewegs zur Bushaltestelle schleusen. Ja! Vielleicht schaffen wir es ja doch noch!
Ich hielt den Atem an und hoffte, dass vielleicht immer noch ein paar Kinder am Einsteigen waren, während ich in den Parkplatz des Busbahnhofs einbog.
Plötzlich machte mein Auto einen Satz. Bum!
Mein Reifen hatte die Bordsteinkante mitgenommen. Und dann sah ich Alex’ Bus wie in Zeitlupe abfahren. Schon verließ er den Busbahnhof.
Wenn ich einfach weiterfahre, kann ich den Bus vielleicht noch abfangen, bevor er in die Hauptstraße einbiegt, dachte ich.
Also fuhr ich wieder auf die Straße zurück und dem Bus entgegen in der Hoffnung, dass ich den Fahrer auf mich aufmerksam machen konnte. Aber anscheinend hatte mein SUV mindestens einen platten Reifen, denn er neigte sich deutlich auf eine Seite. Ich konnte hören, wie das zerfetzte Gummi bei jeder Raddrehung gegen den Asphalt schlug.
»Mama, du musst langsamer fahren«, ermahnte mich Alex von der Rückbank aus. Allerdings hatten wir keine andere Wahl. Und so hoppelten wir mit knapp 20 Stundenkilometern auf den Bus zu. Glücklicherweise sah uns der Busfahrer und hielt an. Ich sprang aus dem Auto und rannte auf die andere Seite, um Alex beim Aussteigen zu helfen. Er bekam seinen Bus noch.
Ich aber fuhr zurück zum Parkplatz und saß erst einmal still und erschöpft da. Wie konnte ein Morgen, der so friedlich begonnen hatte und an dem wir so pünktlich gewesen waren, damit enden, dass zwei Reifen platzten und...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2022 |
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Übersetzer | Anja Findeisen-MacKenzie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-96362-837-5 / 3963628375 |
ISBN-13 | 978-3-96362-837-5 / 9783963628375 |
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Größe: 532 KB
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