Schnaps (eBook)

Hochprozentige Kulturgeschichte in Schlaglichtern
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
312 Seiten
Kalden-Consulting (Verlag)
978-3-942818-32-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schnaps -  Thomas Schindler,  Angelika Schuster-Fox,  Luzia Praxenthaler
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Die Alkoholkultur ruht in Deutschland im Wesentlichen auf den drei Pfeilern Bier, Wein und Spirituosen, die sich in zahllose Variationen auffächern. Dementsprechend sind in den letzten Jahren zahlreiche kulturgeschichtliche Publikationen zu den beiden erstgenannten Alkoholarten erschienen, beispielsweise 2016 anlässlich des mehr als Marketing-Gag, denn wissenschaftlich als Kontinuum anzusehenden 500-jährigen Jubiläums des Bayerischen Reinheitsgebots für Bier; bei Wein waren es strukturgeschichtliche Themen wie etwa dessen unterschätze Bedeutung in der Konsumkultur der frühen Neuzeit, um nur Beispiele angeführt zu haben. Interessanterweise fand die Kulturgeschichte der Spirituosen demgegenüber bislang nahezu keine vergleichbare Würdigung. Im Gegenteil, die geringe Anzahl an verfügbarer neuerer Fachliteratur hierzu erscheint fast wie eine Art Abstinenz dem Thema gegenüber.

Dr. Thomas Schindler, Volkskundler und Kulturanthropologe; Referent für Volkskunde am Bayerischen Nationalmuseum in München.

3.2 Gebrannter Wein


Im Jahrhundert der aufklärenden Lexika wurde das wichtigste Wissen zum Zweck von dessen konsequenter Vermarktung zielgruppenorientiert kompiliert, unter anderem für Frauen. So widmet sich das „Damen Conversations Lexikon“ von 1834 auch der erstaunlich anschaulichen Darstellung insbesondere der Technologie und Fertigungspraxis des Hochprozentigen — ein mögliches Lemma „Schnaps“ fehlt dort übrigens; möglicherweise weil der Begriff zu vulgär erschien: „Branntwein ist ein geistiges Getränk, welches man durch Destillation (s. d. Art.) oder, was dasselbe ist, Brennen, aus verschiedenen Vegetabilien, am gewöhnlichsten aus Getreide, nachdem dieselben in Weingährung gebracht worden, gewinnt, und dessen Erfindung den Arabern zugeschrieben wird. Das Getreide wird geschroten und mit Malz im Möschbottich eingerührt, welches das Einmöschen heißt. Nachdem die Mischung kurze Zeit gestanden, rührt man sie in heißem Wasser, setzt, nachdem sie lau geworden, Hefe zu, und läßt das Gefäß zugedeckt so lange ruhig stehen, bis die Gährung statt findet. Das gewonnene Produkt heißt der Mösch, der in die Branntweinblase gebracht und destillirt wird. Der erste Abzug (Destillat) heißt Lauer und ist noch sehr verunreinigt, man pflegt daher noch ein zweites und drittes Mal zu destilliren, und erhält dadurch einfachen und doppelten Branntwein. Durch nochmaliges Destilliren erhält man den Weingeist, der desto reiner (rectificirt) wird, je öfter man ihn überdestilliren läßt. Man setzt zur zweiten Destillation des Branntweins verschiedene Substanzen, (Citronen, Kümmel, Pommeranzen, Anis u. dgl.) zu, welche aromatische Theile enthalten, und gibt dadurch dem Branntwein einen eigenthümlichen Wohlgeschmack, indem man zugleich Zucker zusetzt. Der beliebte Franzbranntwein wird aus Wein, Weintrebern und Weinhefen gewonnen.“48 Dass Damen der Gesellschaft, an welche dieses Lexikon adressiert war, über solcherart Wissen verfügen sollten, erstaunt nur auf den ersten Blick. Zu bedenken gilt vielmehr, dass längst vielerorts Mäßigkeits- und Anti-Alkohol-Vereine etabliert waren und sich deren Anhängerschaft zu größeren Teilen aus Frauen zusammensetzte, die sich entsprechend informieren wollten. Darüber hinaus verdeutlicht der Lexikoneintrag, wie verbreitet das vermeintliche Spezialwissen um die Branntweinbereitung in dieser Zeit bereits war und nimmt mittelbar die zahllosen Spirituosenrezepte der in den folgenden Jahren aufblühenden, ebenfalls an die adeligen, bürgerlichen, auch bäuerlichen (Haus-)Frauen adressierten Kochbuchliteratur vorweg.

3.3 Gebranntes Obst

In Südwestdeutschland entwickelte sich die erste nennenswerte Obstbrandherstellung zwischen 1500 und 1550. Hierbei spielten insbesondere die fruchtbare Rheinebene und das Bodenseegebiet, aber auch die Mittelgebirgslagen des Schwarzwalds eine hervorzuhebende Rolle. Während die Fluss- und Seeregion generell geeignete Anbauflächen und eine gute Verkehrsanbindung boten und klimatisch begünstigt waren, eigneten sich die Hanglagen weniger zum Anbau von Getreide, dafür aber zur Viehhaltung, insbesondere auf Streuobstwiesen. Dieses Streuobst konnte durch die Vergabe von Destillierprivilegien nicht nur als Viehfutter oder Ergänzung des Nahrungsmittelspielraums der bäuerlichen Bevölkerung durch Haltbarmachung etwa mittels Darren im Sinne eines Ernteüberschusses dienen, sondern auch zu verkäuflichen Spirituosen weiterverarbeitet werden.49

Die Integration der Spirituosenherstellung aus Obst in das jahreszeitlich geprägte bäuerliche Wirtschaften gelang in den betreffenden Gebieten spätestens im 18. Jahrhundert, weil sich durch die Veredelung der Frucht mittels Destillation die Flächenerträge steigern ließen bzw. ein weiterverarbeitetes Erzeugnis einen höheren Preis am Markt erzielte. In den nichtamtlichen Statistiken und Landesbeschreibungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts scheint die Herstellung von Spirituosen nicht zuletzt deshalb auf, weil sich deren Herstellung in Obst- und Weinanbauregionen längst als bemerkenswerter Teilbereich örtlicher Wirtschaftsweisen etabliert hatte und in nennenswertem Umfang auch zur nachhaltigen Wirtschaftlichkeit der in lokale und regionale Handelsnetze einspeisenden bäuerlich-agrarischen Ökonomien beitrug, so etwa in Unterfranken. Für das säkularisierte Territorium der Würzburger Fürstbischöfe beispielsweise konstatierte Johann Kaspar Bundschuh (1753–1814) im sechsten Band seines zwischen 1799 und 1804 erschienenen sechsbändigen „Geographischen Statistisch-Topographischen Lexikon[s] für Franken“ aufgrund des gewerbsmäßigen Umfangs der Obst- und Weindestillation pauschal, dass die „unter die Zweige der Industrie, vermoege welcher im Hochstift die erzeugten Produkte verarbeitet und veredelt werden, gehoeren auch die Kartoffel, Branntweinbrennereien, nebst den Verrichtungen zu Essig und Liqueur“50. Demnach wurden im gesamten Hochstift nicht nur einfache Obstspirituosen hergestellt, sondern Destillate zusätzlich durch Zuckerzugabe und Mazeration als höherwertige Liköre angeboten. Der Hinweis auf den (Branntwein- oder Wein-) Essig mag als Fingerzeig zu lesen sein, dass professionelle Destillateure — wohl in Städten wie Würzburg oder den südlich davon gelegenen Mittel- und Kleinstädten Kitzingen oder Ochsenfurt — zusätzlich auch Essig, wozu Traubentrester auch verarbeitet werden konnte, in ihrem Produktspektrum führten. Dies erscheint naheliegend, weil durch den lokalen und regionalen Wein- und Obstbau der zur Essigherstellung notwendige Alkohol entweder aus dem Fruchtsaft oder Wein destilliert oder aus den Weintraubenpressrückständen gewonnen werden konnte, dem sogenannten Trester, Lauer oder Treber („Tresterbrände“, „Tresteressig“). Verhandelt wurden die Branntweine von international vernetzten Kaufleuten, wie etwa der in Kitzingen am Main ansässige Kaufmannsfamilie Sander, die ab dem späten 17. Jahrhundert als Wein- und Branntweinhändler zu stetig wachsendem Wohlstand gelangte. Der bekannteste Spross dieser Familie, Johann Daniel (1680–1731), erlangte durch geschickte Verhandlungen mit der Landesherrschaft sogar das extrem profitable Transithandelsmonopol für Branntwein im Hochstift Würzburg. Dessen ältestem Sohn und Haupterben Johann Reichard (1713–1782) sowie seinen Söhnen gelang noch einmal die Ausweitung der geschäftlichen Aktivitäten mit Alkoholika, sodass die Sander zu den wichtigsten Handelsherren des Hochstifts aufstiegen.51 Die Sanders kontrollierten somit mittelbar auch den Branntweinabsatz weiterer volumenmäßig wichtiger Obstbau- und damit potentieller Brennorte im Hochstift wie etwa den von Castell (Lkr. Kitzingen), wo sich die regional größten Anbauflächen für Zwetschgen befanden. Dort wurde als Fernhandelsware im späten 18. Jahrhundert eigentlich hauptsächlich Dörrobst hergestellt, die sogenannten Prünellen, doch wurden die Zwetschgen beispielsweise immer dann, wenn das zum Darren notwendige Holz in guten Ertragsjahren zu teuer war, zu Obstbranntwein verarbeitet.52 Anhand dieses Beispiels wird auch deutlich, dass die Spirituosenherstellung zumindest in exportorientierten Fruchtanbaugebieten nur eine wirtschaftliche Möglichkeit neben anderen darstellte und von ökonomischen Parametern abhängen konnte, die einen Produktionswechsel hin zur Spirituosenherstellung quasi erzwangen. In einem der Nachbarorte Castells, dem ebenfalls durch Zwetschgenanbau geprägten Kleinlangheim, lag im Jahr 1815 auf 95 Häusern und damit auf jedem zweiten Haus des Ortes das Brennrecht, was auf die Bedeutung der Spirituosenbrennerei als Teil der lokalen und regionalen bäuerlichen Ökonomie verweist.53 Dass die Lage der Obst- und Weinbauorte am Main als Absatzroute für den transregionalen Branntweinexport in Richtung Untermain und Rheinland einen Standortvorteil dargestellt hat, zeigt sich anhand des Hafenortes Marktsteft, einem weiteren Ort im heutigen Landkreis Kitzingen. Die dortigen Obstbauern hatten sich im 18. Jahrhundert ebenfalls auf den Zwetschgenanbau spezialisiert, um am profitablen Handel mit den Prünellen und mit Branntwein zu partizipieren.54 Dass im späten 18. Jahrhundert auch in anderen, heute bayerischen Landesteilen die Destillation von Obstbränden üblich geworden war, belegt exemplarisch der zwischen München und Rosenheim gelegene Ort Aibling in Oberbayern, heute Bad Aibling (Lkr. Rosenheim). Für dieses ländliche Pfleggericht hielt Johann Wolfgang Melchinger (*1753) im dritten Band seines vierbändigen „Geographischen Statistisch-Topographischen Lexikon[s] von Baiern“ im Jahr 1794 explizit fest, dass neben dem „Hauptgewerbe Viehhandel und Viehzucht“ insbesondere der Anbau von Kirschen und anderem Obst und die Herstellung von Spirituosen aus Sauerkirschen, „Weichselbranntwein“ genannt, der nach München, Schwaben und in das „Ausland“, wohl insbesondere die östlich gelegenen habsburgischen Territorien, exportiert wurde, für Wohlstand sorgte.55 Vor dem...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Branntwein • Destillerie • Europa • Geschichte • Likör
ISBN-10 3-942818-32-9 / 3942818329
ISBN-13 978-3-942818-32-2 / 9783942818322
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 8,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99