Tradition schießt keine Tore (eBook)

Werder Bremen und die Herausforderungen des modernen Fußballs
eBook Download: EPUB
2022 | 5. Auflage
272 Seiten
Verlag Die Werkstatt
978-3-7307-0620-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tradition schießt keine Tore -  Marco Bode,  Dietrich Schulze-Marmeling
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Als Werder Bremen im Sommer 2021 nach 40 Jahren aus der 1. Bundesliga abstieg, stand Marco Bode dem Aufsichtsrat des Klubs vor. In diesem Buch schildert er gemeinsam mit Dietrich Schulze-Marmeling, wie es zu diesem Absturz kommen konnte und warum Vereine wie Werder sich im modernen Profifußball auch abseits des Platzes zusehends schwerer tun. Das Buch gibt Handlungsoptionen an und räumt mit der Illusion auf, dass Tradition und die große Anzahl treuer Fans allein die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft bilden könnten.

Marco Bode, Jahrgang 1969, hat 379 Pflichtspiele (101 Tore) für den SV Werder Bremen absolviert und wurde mit dem Klub Deutscher Meister, DFB-Pokal- und Europacupsieger. Von 2012 bis 2021 saß er im Aufsichtsrat des SVW. Foto: © Nordphoto

Marco Bode, Jahrgang 1969, hat 379 Pflichtspiele (101 Tore) für den SV Werder Bremen absolviert und wurde mit dem Klub Deutscher Meister, DFB-Pokal- und Europacupsieger. Von 2012 bis 2021 saß er im Aufsichtsrat des SVW. Foto: © Nordphoto

Prolog


22. Mai 2021, 00:02 Uhr


Dietrich erhält folgende Textnachricht von Marco:

„Die Zeit ist einfach verrückt geworden: Gestern wurden wir von unseren Sicherheitsleuten gebrieft, und die Polizei will bei unseren Privatwohnungen Streife fahren! Ich glaube, in Bremen würde nix passieren, aber allein die Vorstellung!“

#wirschaafendas

Es ist die Nacht vor dem 34. Spieltag der Saison 2020/21. Die Meisterschaft ist längst entschieden, aber noch ist unklar, wer den abgeschlagenen Tabellenletzten Schalke 04 in die zweite Liga begleitet. Um den sicheren Klassenerhalt auf Platz 15 und die Relegation auf Platz 16 ringen noch drei Teams: Arminia Bielefeld (32 Punkte), Werder Bremen (31 Punkte) und der 1. FC Köln (30 Punkte). Bielefeld muss in Stuttgart antreten, Köln empfängt Schalke 04. Weder für Stuttgart, geschweige denn für Schalke geht es noch um etwas. Werder spielt zuhause gegen Borussia Mönchengladbach. Für die Gladbacher hat das Spiel noch eine Bedeutung. Bei einem Sieg in Bremen und einer Niederlage von Union Berlin winkt die neue Europa Conference League.

Vor dem letzten Spieltag hat Werder den Trainer ausgetauscht. Florian Kohfeldt musste seinen Stuhl räumen. Alle Hoffnungen ruhen nun auf der Vereinslegende Thomas Schaaf.

Bielefeld gewinnt in Stuttgart mit 2:0, Köln schlägt Schalke mit 1:0, und in Bremen läuft alles schief. Werder, das in der „ewigen Tabelle der Bundesliga“ unter 56 Vereinen Platz drei belegt, steigt durch eine 2:4-Niederlage nach 41 Jahren zum zweiten Mal aus der Bundesliga ab.

Nach dem Abpfiff lassen einige Hundert Fans ihrem Frust freien Lauf. Sie fordern lautstark den Rausschmiss von Frank Baumann und der gesamten Vereinsführung. Als die Polizei eine Absperrung entfernt, stürmen einige in Richtung Zufahrtstor und versuchen, ins Stadion einzudringen. Die Polizei setzt Pfefferspray ein, wird mit Glasflaschen beworfen und nimmt anschließend zwei Randalierer fest. Später verlassen die Spieler das Stadion durch einen Hinterausgang, wo Kleinbusse auf sie warten, die sie sicher nach Hause bringen.

DIETRICH: Ich wurde nicht als Werder-Fan sozialisiert. Aber natürlich habe ich am letzten Spieltag mit Werder gefiebert. Bitte nicht ein weiterer Traditionsverein raus aus der Liga! Ich fand Werder seit Mitte der 1980er sympathisch, als sich der Verein zum Bayern-Herausforderer aufschwang. Für viele Nicht-Bayern-Fans, gleich welcher Vereinsfarbe, hatte die Saison 1985/86 ein geradezu traumatisches Finale. Am 33. Spieltag empfing Werder die Bayern im Weserstadion und hätte durch einen Sieg den Titel klarmachen können. Abgesehen von den Bayern-Fans drückte ganz Fußball-Deutschland Werder die Daumen. Ich weiß noch heute, wo und mit wem ich dieses Spiel gesehen habe. Aber dann hämmert Michael Kutzop in der 89. Minute und beim Stand von 0:0 einen Strafstoß an den Pfosten … Am letzten Spieltag verlor Werder in Stuttgart, während die Bayern Gladbach mit 6:0 aus dem Olympiastadion schossen – und nun zum ersten Mal in dieser Saison Tabellenführer waren, dank des besseren Torverhältnisses. Und natürlich Meister. Ich fand das furchtbar ungerecht. Zumal Bayerns Klaus Augenthaler im Hinspiel Rudi Völler so schwer verletzt hatte, dass dieser fast die komplette Rückrunde ausfiel und erst beim Rückspiel gegen Bayern wieder mitwirken konnte – aber auch nur für 13 Minuten.

Aber zu Deiner Textnachricht und dem Finale der Saison 2020/21: Ich habe in dieser Nacht noch länger darüber nachgedacht. Und mich gefragt: Was macht der Fußball eigentlich mit uns, den Fans, den Journalisten? Und mit seinen Verantwortlichen, den Präsidenten, Sportdirektoren, Aufsichtsräten, Trainern und Spielern? Ist das vielleicht alles eine Nummer zu groß geworden? Sind wir nicht mehr dazu in der Lage, zu akzeptieren, dass Sport Sport ist? Wer ist denn noch bereit, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen, wenn dich das Fußball-Wutbürgertum im Falle des Scheiterns dermaßen an die Wand nagelt? Und die Polizei um dein Haus Streife fahren muss?

Verglichen mit einigen anderen Vereinen ging es in Bremen ja noch „harmlos“ zu. Nachdem der Hamburger SV im März 2018 beim FC Bayern eine 0:6-Klatsche bezogen hatte, stellten Fans am Zaun des Trainingsgeländes elf Kreuze auf. Dazu wurden Transparente aufgehängt, auf denen stand: „Eure Zeit ist abgelaufen! Wir kriegen euch alle!“ Und: „Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir Euch durch die Stadt.“

Am 30. Spieltag der Saison 2020/21 unterlag Schalke in Bielefeld mit 0:1, wodurch der Abstieg der „Knappen“ besiegelt war. Bei der Rückkehr nach Gelsenkirchen wurde die Mannschaft mit massiven Aggressionen konfrontiert. Einige Spieler mussten die Flucht ergreifen. Hatten sie in Bielefeld und davor etwa extra verloren, um die Fans zu ärgern? Oder war diese Mannschaft einfach nicht gut genug für die Liga? Wird demnächst jeder, der sich in seinem Arbeitsfeld mit Besseren messen muss und dabei den Kürzeren zieht, physisch bedroht und gejagt?

Mir taten die Schalker Spieler in dieser Saison extrem leid, besonders die jungen Spieler. Die hatten doch gar keinen Spaß mehr, am Wochenende aufzulaufen. Die haben doch vor jedem Wochenende gezittert. Denn anschließend konnten nicht nur sie, sondern auch ihre Freundinnen und Freunde, Eltern und sonstige Verwandte, Nachbarn usw. im Netz lesen, was für Luschen und Versager sie seien. Ich tippe mal: 99 Prozent derjenigen, die über die Spieler herfielen, würden so etwas im eigenen Job nicht aushalten. Und auch viele Journalisten nicht.

Fußball war immer auch eine Bühne für aufgeregte und empörte Bürger, aber es ist schlimmer geworden. Manchmal denke ich: Das Spiel ist krank! Du solltest nicht mehr die Sportseiten lesen! Und dabei geht es mir nicht nur um die extremen Summen, die gezahlt werden, oder um Korruption. Es gibt Momente, in denen ich der geschlossenen Gesellschaft des US-Sports etwas abgewinnen kann. Etwas weniger Dramatik, etwas weniger Existenzängste, etwas mehr Raum für nachhaltiges Denken und Handeln.

MARCO: Ich weiß noch, dass ich eher überrascht als schockiert war über die Frage, ob es in Ordnung wäre, wenn jemand in unserer Straße ein wenig aufpassen würde. Am Ende ist ja auch gar nichts passiert, und mir persönlich sind die Menschen in Bremen zu allen Zeiten sehr freundlich begegnet. In der wirklichen Welt. Im Netz sieht das leider anders aus, da fallen immer mehr sämtliche Hemmungen. Aber das ist ein Phänomen, das es nicht nur im Fußball gibt. Wenn ich daran denke, wie mit Annalena Baerbock umgegangen wurde – wir müssen auf uns, auf unsere Demokratie und unsere Kultur aufpassen. „Rücktrittsforderungen, ‚Empörungssummsumm‘, Vernichtungslust: Die spontane öffentliche Beschämung ist Teil der Alltagskultur geworden“, schreibt die Kolumnistin Mely Kiyak in der ZEIT. Es ist nicht in Ordnung, wenn Menschen fertiggemacht werden, nur weil sie anderer Meinung sind, weil sie einen Fehler gemacht haben, oder weil sie irgendjemandem nicht gefallen.

Aber natürlich hatte ich Verständnis dafür, dass so viele Menschen traurig über den Abstieg von Werder waren, auch enttäuscht und verärgert. Und selbstverständlich habe ich mich auch mitverantwortlich gefühlt und viel darüber nachgegrübelt, welche Fehler ich und wir gemacht haben. Trotzdem habe ich versucht, alles auch ruhig einzuordnen. Im Sport lernst du schon als Kind, mit Niederlagen klarzukommen. Es tut immer weh, aber als Sportler hast du auch immer den Gedanken: Wie geht es weiter? Was muss ich tun, um wieder aufzustehen? Was kann ich lernen und besser machen? Auch wenn die Idee zu diesem Buch deutlich vor dem Abstieg entstanden ist, wollen wir uns ja auch auf eine Suche nach den Gründen für den Abstieg begeben.

DIETRICH: Mich hat in jenen Tagen noch etwas anderes sehr genervt. Und damit kommen wir zu dem Aspekt des Buches, den du ansprichst. Klar, vielleicht hätte man nur an diesem oder jenem Schräubchen drehen müssen und der Abstieg wäre vermieden worden. Werder wäre dann vielleicht 13. oder 14. geworden. Nachher ist man immer schlauer – vor allem im Fußball. Aber was mir viel zu wenig thematisiert wurde: Dass der Abstieg eine Vorgeschichte hatte. Dass man die Saison 2020/21, ja die gesamte Entwicklung des Vereins in den letzten zehn bis 15 Jahren in einem größeren Kontext sehen muss. Und dass der Abstieg auch etwas mit veränderten Rahmenbedingungen im Fußball zu tun hatte. Stattdessen nur: Dass ein Klub wie Werder, der schon viermal Deutscher Meister war, absteigt, das kann und darf doch gar nicht sein! Das geht doch gar nicht! Diese Haltung zeugt von großer Ignoranz gegenüber den Veränderungen, die die Fußballlandschaft erfahren hat. Aber auch gegenüber Vereinen wie Freiburg, Mainz oder Union Berlin, den sogenannten „Kleinen“, die einfach gut arbeiten.

Nach dem Abstieg warst Du Dir zunächst nicht sicher, ob wir das...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2022
Verlagsort Bielefeld
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport Ballsport
Schlagworte 50 + 1 • Abstieg • Aufsichtsrat • Fußball • Kommerzialisierung • Marco Bode • Modernisierung • Strukturprobleme • Traditionsverein • trainerentlassung • TV-Gelder • Überschuldung • Werder Bremen
ISBN-10 3-7307-0620-9 / 3730706209
ISBN-13 978-3-7307-0620-6 / 9783730706206
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