Flow@Work (eBook)
295 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45197-8 (ISBN)
Friederike Fabritius ist studierte Neurowissenschaftlerin. Sie hat am Max-Planck-Institut für Hirnforschung gearbeitet und war bei McKinsey im Management Consulting tätig. Heute arbeitet sie selbstständig mit großen Unternehmen auf der ganzen Welt zu den Themen Höchstleistung, Zusammenarbeit und Change. Sie ist Mitglied des Beirats von Acatech, wo sie unter anderem die Bundesregierung im Bereich der technischen und digitalen Entwicklung berät.
Friederike Fabritius ist studierte Neurowissenschaftlerin. Sie hat am Max-Planck-Institut für Hirnforschung gearbeitet und war bei McKinsey im Management Consulting tätig. Heute arbeitet sie selbstständig mit großen Unternehmen auf der ganzen Welt zu den Themen Höchstleistung, Zusammenarbeit und Change. Sie ist Mitglied des Beirats von Acatech, wo sie unter anderem die Bundesregierung im Bereich der technischen und digitalen Entwicklung berät.
1Das Neurogap
»Frauen sind nicht das Problem, sie sind die Antwort.«
Julie Linn Teigland
Ich traf in dem wuchtigen Tagungsraum im obersten Stockwerk eines 5-Sterne-Hotels ein, wo ich an einer ganztägigen, von meinem damaligen Arbeitgeber organisierten »Lean-In«-Schulung teilnehmen wollte. Die etwa 40-jährige Seminarleiterin trug einen maßgeschneiderten marineblauen Hosenanzug und dazu passende Pumps. Ihr Haar war zu einem eleganten Bob geschnitten, der von blonden Strähnchen durchzogen war. Zunächst erläuterte sie uns versierten weiblichen Führungskräften, dass Männer nach anderen Regeln spielten und dass wir lernen müssten, uns männliche Machtspiele zunutze zu machen, wenn wir es an die Spitze schaffen wollten. Ich machte zermürbend viele Überstunden – auch auf vielen internationalen Reisen – für eine führende große Unternehmensberatung. Der Frauenanteil unter den Mitarbeitern des Unternehmens betrug weniger als 25 Prozent, und von den Partnern waren sogar nur 5 Prozent Frauen. Die Unternehmensleitung wollte diese Zahlen verbessern, indem sie weiblichen Führungskräften half, voranzukommen. Mich und meine Kolleginnen auf ein Seminar zu schicken, auf dem wir lernen sollten, wie man »Führungsstärke entwickelt« (lean-in), war eine Initiative zur Förderung der Genderdiversität.
Als Neurowissenschaftlerin mit einem starken Interesse an menschlichem Verhalten freute ich mich sehr über die Gelegenheit, an dieser Schulung teilzunehmen. Könnte Lean-In Frauen wirklich helfen, sich mehr Macht zu verschaffen und in die männerdominierten oberen Ränge der Unternehmenswelt aufzusteigen?
Nicht lächeln
Die Seminarleiterin ging flott reihum und begrüßte jede von uns mit Handschlag. Wenn unser Handgriff »schwach« war, mussten wir ihr erneut die Hand geben und stärker drücken, bis sie zufrieden war. Mein höflicher Händedruck wurde als unzureichend kritisiert. Es bedurfte mehrerer, zunehmend anstrengender Versuche meinerseits, ehe sie zufrieden war. Als sie endlich weiterging, kam ich mir vor wie eine Holzfällerin.
Nachdem die Dozentin den Rundgang beendet hatte, forderte sie uns auf, es ihr gleichzutun und die Anwesenden einzeln mit herzlichem Händedruck und sofortiger Rückmeldung zu begrüßen. Rufe wie »Fester!« und »Das hat sich so angefühlt, wie wenn man einen toten Fisch berührt!« hallten durch den Raum, begleitet von schallendem Gelächter, das missbilligende Blicke unserer Dozentin nach sich zog.
Als Nächstes erfuhren wir, dass wir, um ernst genommen zu werden, immer Anweisungen geben müssten und niemals Fragen stellen dürften. Wir wurden in Paare aufgeteilt. Eine Frau spielte den Chef, die andere ein Teammitglied. Ich musste fünfmal »Ich brauche diesen Bericht morgen!« sagen, ehe es mir gelang, meine Mädchenstimme so weit zu senken, dass sie sich für unsere Kursleiterin hinreichend Respekt gebietend anhörte. Während dieser Übung wurde auch viel gekichert. Es berührte uns peinlich. Für die meisten von uns fühlte es sich selbstverständlicher an, ein Teammitglied zu fragen: »Wärst du so nett, diesen Bericht morgen abzuliefern? Das wäre wirklich super«, gefolgt von einem Lächeln.
Aber Lächeln? Ein großer Fehler.
»Lächeln Sie nicht!«, blaffte unsere Dozentin. »Die Männer in Ihrem Umfeld werden darin ein Zeichen von Schwäche und niedrigem Status sehen. Sie können nach der Arbeit lächeln.« Gedämpfteres Kichern, während sie uns zum Wegsehen zwang. Sie bedeutete uns, an einem riesigen Konferenztisch Platz zu nehmen.
»Wenn Sie bei einem Meeting an einem Tisch wie diesem sitzen«, hob sie an, »will ich, dass Sie sich an den ›Platzhirsch‹ im Raum richten. Ignorieren Sie alle anderen. Wenn der Platzhirsch zuhört, ist Ihnen die Aufmerksamkeit aller anderen sicher.«
Ich hob die Hand. Sie nickte schroff. Mit der tiefsten Stimme, die mir möglich war, und sorgsam darauf achtend, keine Frage zu stellen, sagte ich: »Wenn ich meine Klienten treffe, versuche ich normalerweise eine inklusive, freundliche Atmosphäre zu schaffen, indem ich jede Person im Raum begrüße.«
»Das ist schwach!«, meinte unsere Dozentin. »Sprechen Sie mit dem Boss, und alle anderen werden Ihnen zuhören. Schultern nach hinten. Auf ihrem Stuhl ausgestreckt. Nehmen Sie sich so viel Raum wie möglich. Lassen Sie niemanden in Ihren Raum eindringen. Sie sind die Königin, und niemand berührt die Königin.«
Als Nächstes sahen wir uns den berüchtigten Videoclip an, der zeigt, wie US-Präsident George W. Bush hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel vorbeischlüpfte, als sie an einem noch eindrucksvolleren Konferenztisch als unserem saß. Im Gesicht unserer Dozentin zeichnete sich blankes Entsetzen ab, als sie sah, wie Bush Merkels Schultern freundlich drückte.
»Dies war ein männliches Machtspiel, wie es im Buch steht!«, empörte sich unsere Dozentin. »Lassen Sie es niemals zu, dass sich irgendjemand Ihnen gegenüber so verhält!« Wir machten wieder die Runde, klopften einander so kraftvoll auf die Schulter, wie wir nur konnten, und versuchten, die Atmosphäre einer Männer-Umkleide zu erzeugen. Es folgte wieder Gekichere. Als sich das Seminar dem Ende zuneigte, gab uns unsere neue Mentorin einen letzten Tipp: »Bestellen Sie nie den kleinsten Firmenwagen. Frauen neigen dazu, sich das kleinste, praktischste, umweltfreundlichste Auto auszusuchen. Aber Statussymbole sind Männern sehr wichtig, und das sollten sie ab sofort auch Ihnen sein. Das große Auto, die modische Uhr, der teure Schmuck, die Designer-Handtasche – all dies sind Statussymbole. Sie bringen Ihnen die Anerkennung Ihrer männlichen Kollegen ein. Gehen Sie aufs Ganze oder gehen Sie nach Hause.«
So »verbessert« man Frauen nicht
Unternehmen geben sehr viel Geld dafür aus, mehr Frauen ins obere Management zu bringen, weil zahlreiche Studien zeigen, dass von weiblichen Führungskräften geleitete Bereiche produktiver und profitabler sind und die Mitarbeiter sich hier wohler fühlen. Im Jahr 2018 zum Beispiel berichtete CNBC, dass »vieles dafür spricht, dass Genderdiversität in der Führungsspitze die Geschäftsergebnisse eines Unternehmens verbessert«.1
Hat es sich in meiner Firma bewährt, weibliche Führungskräfte in Empowerment-Kurse zu schicken? Ließ es uns bei dem Unternehmen bleiben, und wurden mehr Frauen befördert? Nicht wirklich.
Weitere Genderdiversitäts-Initiativen folgten: Schulungen weiblicher Führungskräfte, Mentoring-Netzwerke, Women’s Lunches – alles Mögliche. Trotzdem hat jede Frau aus meiner Peergroup, mich eingeschlossen, diesem Unternehmen den Rücken gekehrt, wobei wir unsere Fähigkeiten, Talente und Erkenntnisse mit uns nahmen. Die teuren Empowerment-Schulungen waren für die Katz. Keine einzige Frau, die ich kenne, arbeitet noch dort. Offen gesagt, waren wir frustriert von den erschöpfenden Reisen, den irrwitzigen Überstunden, dem extremen Stress und den fehlenden Kinderbetreuungsangeboten. Saftige Boni und andere Nebenleistungen wogen die Kosten für unsere körperliche und psychische Gesundheit nicht auf. Lassen Sie mich eines klarstellen: Es ist nicht so, dass wir nicht in der Lage waren, es zu schaffen. Wir wollten es nicht schaffen!
Als ich es das letzte Mal überprüft habe, saßen nur vier Frauen im 30-köpfigen Stiftungsrat meines damaligen Unternehmens. Der Anteil von Frauen an hochrangigen Führungskräften verharrte bei 11 Prozent. Unterdessen sind viele Männer, die zeitgleich mit mir eingestellt wurden, zu Partnern ernannt worden.
Die globalen Restriktionen im Rahmen der Covid-19-Krise führten zu einer weiteren Verschlechterung dieser Situation. Laut der Studie »Women in the Workplace« von 2021, die gemeinsam von McKinsey und LeanIn.org durchgeführt wurde, plant jede vierte Frau, zu kündigen oder beruflich kürzerzutreten. Die US-amerikanischen Unternehmen könnten bis zu...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2022 |
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Übersetzer | Thorsten Schmidt |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Bewerbung / Karriere |
Schlagworte | agile work • Agilität • Arbeitsgestaltung • Arbeitskultur • Biorhythmus • Change Management • Diversität • Diversity • Diversity Management • flexible Arbeit • flow • Gehirn • guter Stress • Hirnforschung • Homeoffice • Human Resources • Neurodiversität • Neurodiversity team • Neurohacks • Neurosignatur • new work • Remote Work • Talentmanagement • The Brainfriendly Workplace |
ISBN-10 | 3-593-45197-2 / 3593451972 |
ISBN-13 | 978-3-593-45197-8 / 9783593451978 |
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