Unbändig - Wie ich nicht nur einen Affen auswilderte, sondern auch mich selbst (eBook)
220 Seiten
Malia Verlag
978-3-949822-03-2 (ISBN)
Als junges Mädchen Sachen packen und in Afrika mit Affen arbeiten, ohne jemals alleine verreist zu sein? - Das ist entweder das Mutigste oder das Leichtsinnigste, was du tun kannst! Als Michi sich nach ihrem Abitur entscheidet, in Südafrika als Freiwilligenhelferin Löwen, Elefanten und Affen auszuwildern, trotzt sie allen Widerständen und Zweifeln. Wagemutig begibt sie sich auf eine Reise, von der sie selbst noch nicht ahnt, dass dieses Abenteuer erst der Anfang einer unbändigen Leidenschaft ist. Am anderen Ende der Welt wird sie nicht nur von speienden Kobras und bissigen Nasenbären begrüßt, sondern findet zwischen wilden Affen, großen Bäumen und dem sanften Rauschen der afrikanischen Savanne Antworten, die ihr Herz trommeln lassen. Mit einem Vorwort von Gesa Neitzel.
Sechs Wochen sind ein Wimpernschlag
Ich erschrecke, als mein Wecker klingelt und schalte ihn panisch aus. Komischerweise ist mein erster Gedanke: Habe ich verschlafen? Mein müder Blick verrät mir jedoch, dass es gerade einmal halb sechs in der Früh ist. Mein Flug geht in neun Stunden, also habe ich noch ausreichend Zeit, obwohl wir zwei Stunden bis zum Düsseldorfer Flughafen brauchen und deswegen gegen elf losfahren werden.
Bis dahin muss ich mich nur noch fertigmachen, den Reißverschluss meines Koffers zuziehen sowie Haargummis, Mascara und Handcreme kaufen. Dennoch laufe ich wie eine tickende Zeitbombe durch das Haus und finde keine Ruhe. Um sieben bin ich geduscht, der Koffer ist geschlossen und ich trage bereits das dritte weiße Shirt, weil auf dem zweiten Zahnpasta gelandet war und ich das erste mit Kaffeeflecken geschmückt hatte.
Mein Fuß wippt unruhig, meine Miene ist so starr, dass ich beinahe Muskelkater im Kiefer bekomme und meine Nägel sind blutig gebissen. Jedes Geräusch wirkt wie ein Alarmsignal auf meinen Körper und jede Berührung lässt meine Muskeln verkrampfen. Ich beginne plötzlich zu schluchzen. Ich versuche, die Tränen zu verdrücken, damit sie meine Schminke nicht verschmieren, doch es gelingt mir nicht: Ein salziger Tropfen nach dem anderen rollt meine Wange herunter.
Jede Träne steht für eine Befürchtung. Und davon habe ich unzählige: Ich könnte in den falschen Flieger steigen. Mit der Verständigung könnte es hapern. Ich könnte Fehler machen. Ich könnte mich als totale Niete herausstellen und am Ende nur im Weg stehen. Ich könnte versagen. Versagen. Versagen. Versagen. Das Wort hämmert gegen die Innenseite meines Schädels und ich schluchze, bis die Worte endlich leiser werden und so etwas wie ein friedliches Schweigen einkehrt. Dann fühle ich mich viel ruhiger. Vielleicht sogar ein wenig leer. Nichtsdestotrotz flüstert meine Angst mir immer wieder zu, dass ich besser hier bleiben sollte – aber immerhin schreit sie nicht mehr. Und sie hat ja auch Recht. Ich könnte jetzt tatsächlich meine Zimmertür abschließen und mich verstecken. Aber ich möchte nicht meiner Angst folgen, ich will mit meinem Herzen gehen. Ich möchte mir beweisen, dass auch in mir eine Räubertochter, ein kleiner Steve und eine mutige Jane steckt. Ein Blick in den Spiegel verrät mir jedoch, dass ich mich besser nochmal abschminke, da ich sonst allemal als Pandabär durchgehe. Daher stapfe ich ins Bad und wasche mir das Make-Up mit einem Waschlappen ab. Während ich mir das Gesicht trockenreibe, sage ich ganz zaghaft: „Ich könnte es schaffen!“
Meine Mutter sieht das noch nicht so. Obwohl sie nichts sagt, strahlt sie ein Gefühl von Unsicherheit, Überforderung und Hilflosigkeit aus. Unruhig poltert sie am Morgen durchs Haus, wischt diese Ablage sauber und staubsaugt jenen Teppich drei Mal. So ist sie eben. Putzen ist ihr Heilmittel, wenn sie aufgewühlt, genervt, traurig oder gelangweilt ist. Sie putzt eigentlich immer. Da mich ihr Verhalten nur noch unruhiger macht, verziehe ich mich in mein Zimmer und versuche, mich mit einer Folge Crocodile Hunter zu ermutigen. Für die nächsten drei Stunden fühle ich mich nochmals in meine Kindheit zurückversetzt und lasse mich von Steve in die Welt der giftspeienden Kobras entführen. Jetzt, wo ich sehe, wie mein Vorbild durch das Laub hechtet und Giftschlangen nachjagt, kommt das Herzklopfen zurück. Tief in mir weiß ich, dass mein Herz nicht einfach schlägt, es trommelt.
Steve schließt die Sendung mit der roten, südafrikanischen Speikobra ab und verabschiedet sich dann in einem Gewand der Massai von den Zuschauern. Und nun ist auch meine Zeit des Abschieds gekommen. Es ist inzwischen halb elf und meine Eltern warten in der Küche, denn nicht sie, sondern mein Freund wird mich zum Flughafen bringen. Ich schleiche die Treppenstufen hinab, damit sie mich nicht kommen hören und bleibe noch zwei Minuten vor der dunklen Eichentür stehen, bis ich sie schließlich öffne.
Mein Vater sitzt rauchend am Tisch, während meine Mutter aus dem Wohnzimmer gelaufen kommt. Mit Papa wird es leicht: Ein kurzes „Mach’s gut und pass auf dich auf“, eine Umarmung und das war’s – zumindest glaube ich das. Anders als erwartet, fängt auch er an zu weinen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.
„Ach, Papa“, kommt es mir über die Lippen und Tränen schießen auch mir in die Augen. Er legt seine Kippe auf den Aschenbecher und drückt mich so fest wie nie zuvor. Ich schließe die Augen. Als sich schließlich sein Griff lockert und er mich loslässt, fühle ich mich nicht bereit ihn zurückzulassen. Seine Hände zittern, als er mich ansieht und zur Beruhigung an seiner Kippe zieht. So ergriffen habe ich ihn noch nie gesehen.
Ich drehe mich zu meiner Mutter. Auch sie drückt mich wortlos an sich. Sie ist 1,84 Meter groß, was sie stört, seit ich denken kann. Aber gerade das liebe ich an ihr! Denn egal wie alt ich werde, meine Mama wird immer mindestens einen Kopf größer sein und somit werde ich mich in ihren Armen immer behütet und sicher fühlen.
Der Abschied von meinen Eltern fällt mir viel schwerer als gedacht. Vor allem, weil sich plötzlich ein schlechtes Gewissen meldet: Schau mal, wie viele Sorgen sich deine Eltern machen! Immer wieder lächle ich und versuche ihnen Mut zu machen, verspreche auf mich Acht zu geben, doch die Tränen wollen einfach nicht trocknen.
Nach minutenlangem Schweigen springen wir um kurz vor elf alle auf, nehmen uns in die Arme und dann gehe ich. Meine Mutter bricht nun, wo ich über die Türschwelle trete, in haltloses Schluchzen aus, während mein Papa sich mit einer weiteren Zigarette beruhigt. Die letzte hatte er einfach im Aschenbecher verglühen lassen. Auch meine Mutter wird gleich erst einmal eine Tasse Kaffee trinken und ein halbes Päckchen Kippen rauchen. So gut kenne ich sie eben doch! Neben dem Putzen beruhigt sie nur ein blaues Päckchen Chesterfield. Sobald die Packung leer ist, wird sie aufspringen und meinen Vater dazu drängen, irgendetwas zu reparieren, während sie die Teppiche ein viertes Mal staubsaugen wird. Ich habe Mama sehr gern, aber wenn sie Hummeln im Hintern hat, sorgt sie dafür, dass diese auch alle anderen stechen.
Egal, für die nächsten sechs Wochen werde ich weit weg von den deutschen Hummeln sein. Ich lehne meinen Kopf ans Fenster und schließe die Augen. Am liebsten würde ich jetzt einschlafen und erst in Südafrika wieder aufwachen, denn so würde ich mir nicht nur einen langen Flug, sondern auch die ganze Nervosität ersparen. Immer wieder öffne ich die Augen, beobachte die Bäume, an denen wir mit 130 Stundenkilometern vorbeirauschen und schaue in die anderen Autos, nur um mich zu fragen, wo diese Menschen wohl gerade hinfahren. Geht es einem von euch gerade genauso wie mir? Bist du da im blauen Polo auch auf dem Weg nach Südafrika? Oder wird die Fahrerin des schwarzen Benz nachher neben mir im Flugzeug sitzen? Begleitet mich die Familie mit den frechen, rothaarigen Zwillingen? Ist irgendwer bei mir?
Doch egal, in welches Auto ich blicke, weder der Geschäftsmann, noch die Hausfrau, die Seniorin oder der Hipster machen den Eindruck, als würden sie meinen Weg begleiten. Für Millisekunden ziehen sie durch mein Leben und sind genauso schnell verschwunden, wie sie gekommen sind. Die meisten Begegnungen werde ich vergessen. Aber manche Menschen werden zu Erinnerungen, weil sie einen Fußabdruck auf meinem Weg hinterlassen. So wie Helga.
Mittlerweile bin ich am Flughafen angekommen, habe mein Gepäck aufgegeben, einen Kaffee getrunken, ohne mich zu bekleckern, und stehe zitternd in der Sicherheitskontrolle. Immer wieder blicke ich zurück und schluchze heftig. Noch kannst du umkehren, sagt mein Verstand. Untersteh dich, fordert mein Herz. „Lenk dich ab“, sage ich zu mir selbst und beginne die Leute um mich herum zu beobachten. Vor mir steht eine vierköpfige Familie, die alle Hände voll zu tun hat, weil ihre kleine Tochter nicht ohne ihr Stofftier durch die Kontrolle möchte. Die Mutter ist langsam genervt, da alle Leute die Familie mittlerweile verständnislos anblicken. Ich will nicht auch noch starren und drehe mich daher lieber um. Manchmal ist unsere Gesellschaft echt kalt, denke ich. Alles soll immer schnell, schnell gehen, für Ausnahmen gibt es kein Verständnis und für Individualität ist kein Platz. Ich verstehe das kleine Mädchen bestens, habe ich nicht selbst ein Kuscheltier in meinem Rucksack? Niemals würde ich ohne Affi auf Reisen gehen!
Meine Augen schweifen entlang der wahnsinnig hohen Decken, über die mit Werbebannern tapezierten Wände und mustern schließlich die Menschen, die mit mir warten. Hinter mir steht eine alleinreisende Frau. Sie scheint Anfang fünfzig, ist circa 1,70 Meter groß und sportlich schlank. Immer wieder fährt sie durch ihre braunen, schulterlangen Haare und klopft sich den Staub von ihrer schwarzen Tuchhose, die den Dreck des Flughafengebäudes magisch anzieht....
Erscheint lt. Verlag | 4.5.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
ISBN-10 | 3-949822-03-8 / 3949822038 |
ISBN-13 | 978-3-949822-03-2 / 9783949822032 |
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