Bittersüß (eBook)

Wie Sehnsucht und Melancholie uns Halt und Kraft geben | Von der Autorin des Weltbestsellers »Still«

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46552-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bittersüß -  Susan Cain
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Weshalb es sich lohnt, auch Kummer und Melancholie zuzulassen  Bestseller-Autorin Susan Cain zeigt in ihrem neuen psychologischen Ratgeber Bittersüß, weshalb vermeintlich negative Gefühle wie Trauer, Melancholie, Schmerz und Leid zu einem wirklich erfüllten Leben gehören und wie sie uns helfen, unser volles Potenzial zu entfalten. In ihrem Bestseller Still erforschte Susan Cain die verborgene Kraft der Introvertiertheit. In Bittersüß verwendet sie dieselbe Mischung aus Recherche, Geschichtenerzählen und Memoir, um zu zeigen, wie Bittersüße der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist. Anhand vieler anschaulicher Beispiele verdeutlicht sie, wie das Verständnis der Bittersüße es uns ermöglicht, die Übergänge des Lebens zu überstehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns suggeriert, permanent fröhlich und glücklich sein zu müssen und die keinen Kummer erlaubt. Doch ohne Licht kein Schatten, ohne Tag keine Nacht - Melancholie, Traurigkeit, Sehnsucht und schwierige Emotionen gehören ganz natürlich zu unserem Leben. Nur indem wir die ganze Fülle des Lebens annehmen, entdecken wir Sinn und Verbindung, Liebe und Freude. Dichter und Komponisten wussten dies zu allen Zeiten und haben unvergängliche Meisterwerke von bittersüßer Schönheit erschaffen. In einer Zeit großer Einsamkeit und persönlicher Angst bringt uns Bittersüß auf tiefe und unerwartete Weise zusammen, indem wir unseren persönlichen und kollektiven Schmerz in Kreativität, Transzendenz und Verbindung verwandeln.


Porträt einer jungen Frau, 2021, Ukraine (© Tetiana Baranova, Instagram @artbytaqa)

Einführung


Die Kraft des Bittersüßen

Wir haben ewig Heimweh nach einer anderen, andersgearteten Welt.

Vita Sackville-West, Mein Garten4

Einmal, ich war so um die zweiundzwanzig und studierte Jura, holten mich Freunde auf ihrem Weg zum Seminar in meinem Schlafsaal an der Uni ab. Ich hatte gerade bittersüße Musik in Moll gehört. Nicht Albinoni, den ich damals noch nicht kannte. Eher meinen absoluten Lieblingsmusiker aller Zeiten, Leonard Cohen, den Poeta laureatus des Pessimismus.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich empfinde, wenn ich diese Art Musik höre. Oberflächlich betrachtet ist es Trauer, in Wirklichkeit aber fühle ich Liebe: eine große Woge der Liebe, die mich überrollt. Eine tiefe Verbundenheit mit allen Seelen dieser Welt, die das Leid kennen, das aus diesen Klängen spricht. Ehrfurcht vor der Gabe des Künstlers, Schmerz in Schönheit zu verwandeln. Höre ich diese Musik allein, kann es mir passieren, dass ich spontan die Hände zum Gebet falte, obwohl ich durch und durch Agnostikerin bin und normalerweise nicht bete. Aber diese Musik öffnet mir das Herz: Ich kann dann spüren, wie meine Brustregion sich entspannt. Plötzlich finde ich es ganz in Ordnung, dass jeder Mensch, den ich liebe, mich eingeschlossen, eines Tages sterben wird. Dieses Gefühl von Gleichmut angesichts des Todes hält vielleicht drei Minuten vor, aber jedes Mal, wenn es sich einstellt, verändert es mich ein bisschen. Wenn Sie Transzendenz definieren als den Moment, in dem Ihr Selbst sich auflöst und Sie sich mit allem verbunden fühlen, so sind diese musikalisch bittersüßen Augenblicke das, was in meinem Leben dem am nächsten kommt. Nur dass dies wieder und wieder geschieht.

Ich habe nie verstanden, wieso.

Meine Freunde amüsierten sich über das Missverhältnis zwischen schwermütigen Songs und Studentenheim-Schlafsaal. Einer fragte mich, warum ich denn Beerdigungsmusik höre. Ich lachte, und wir zogen los. Ende der Diskussion.

Nur dass ich die nächsten fünfundzwanzig Jahre über dieses Erlebnis nachdachte. Warum hatte denn traurige Musik eine so unglaublich erhebende Wirkung auf mich? Und was war der Grund, der diese Vorliebe in unserer Kultur zum Gegenstand eines Witzes werden ließ? Und warum verspüre ich jetzt, da ich diese Sätze niederschreibe, das Bedürfnis, Ihnen zu versichern, dass ich auch Tanzmusik mag? (Ehrlich!)

Anfangs waren dies nur interessante Fragestellungen. Als ich aber nach Antworten suchte, merkte ich, dass dies die Fragen überhaupt waren, die ganz großen – und dass unsere Kultur uns zu unserem Schaden darauf getrimmt hat, sie nicht zu stellen.

• • •

Vor rund 2000 Jahren fragte sich Aristoteles, warum so viele große Dichter, Philosophen, Künstler und Staatsmänner häufig eine melancholische Persönlichkeit hätten.5 Hinter seiner Überlegung steht die antike Vorstellung, dass es im menschlichen Körper vier Säfte gibt, denen vier unterschiedliche Temperamente zugeordnet sind: Melancholiker (Trauer), Sanguiniker (Fröhlichkeit und Glück), Choleriker (Aggression) und Phlegmatiker (Ruhe). Das Mischungsverhältnis dieser Säfte, ihr jeweiliger Anteil, bestimmte angeblich den Charakter eines Menschen. Hippokrates, der berühmte antike griechische Arzt, glaubte, der ideale Mensch erfreue sich eines harmonischen Gleichgewichts dieser vier Säfte.6 Nun aber neigen die Menschen meist eher zu dem einem oder dem anderen Temperament.

In diesem Buch geht es um die Melancholie, die ich als »bittersüß« bezeichne7: eine Anlage zur Sehnsucht, zu Schmerz und Kummer; ein deutliches Gewahrsein der Vergänglichkeit der Zeit; und eine merkwürdig schmerzliche Freude an der Schönheit dieser Welt. Dieser bitteren Süße ist auch bewusst, dass Licht und Dunkel, Geburt und Tod – süß und bitter – auf ewig ineinander verwoben sind. »Tage voller Honig, Tage voller Zwiebeln«, so sagt es ein arabisches Sprichwort. Die Tragödie des Lebens ist unauflöslich verknüpft mit seiner Herrlichkeit. Und wenn Sie ganze Zivilisationen auslöschen und von Grund auf neu erstehen lassen könnten, würden diese Polaritäten neu mit ihnen erstehen. Sich voll und ganz auf diese Dualität einzulassen – auf das Dunkel ebenso wie auf das Licht –, ist paradoxerweise der einzige Weg, um über sie hinauszuwachsen. Und ebendas ist der Punkt, um den es letztlich geht. Das Bittersüße hat zu tun mit der Sehnsucht nach Verbundenheit, dem Wunsch nach Heimkehr.

Sich selbst als von bittersüßem Temperament zu beschreiben und dabei nicht eitel zu wirken, ist schwierig, hat man dabei die Feststellung des Aristoteles im Hinterkopf, dass Melancholie häufig ein Zeichen großer Geister sei. Doch seine Beobachtung sollte in den folgenden Jahrtausenden immer wieder Zustimmung finden. Im 15. Jahrhundert meinte der italienische Philosoph Marsilio Ficino, dass Saturn, der römische Gott der Melancholie, »den Alltag dem Jupiter überlässt, für sich selbst aber ein weltabgeschiedenes und göttliches Leben reklamiert«.8 Albrecht Dürer stellte im 16. Jahrhundert die Melancholie als schwermütigen Engel dar, der von Symbolen der Schöpferkraft, des Wissens und der Sehnsucht umgeben ist: ein Polyeder, ein Stundenglas und eine Himmelsleiter.9 Und im 19. Jahrhundert meinte der französische Schriftsteller Charles Baudelaire, er könne sich keine Art der Schönheit vorstellen, in die sich nicht ein Hauch Melancholie mische.10

Diese romantische Auffassung der Melancholie meldete sich im Laufe der Zeit wiederholt zu Wort, um danach wieder zu verstummen. Heute macht sie sich rar. In einem einflussreichen Essay aus dem Jahr 1918 bezeichnete der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud die Melancholie als Narzissmus. Seitdem ist sie im Rachen der Psychopathologie verschwunden. Die Mainstream-Psychologie sieht sie gar als Synonym für eine klinische Depression.11

Aber die Frage des Aristoteles blieb trotz alledem aktuell. Es kann gar nicht anders sein. Denn der Melancholie wohnen geheimnisvolle Kräfte inne, die für uns ganz wesentlich sind. Plato besaß sie, Jalal ad-Din Rumi besaß sie und auch Charles Darwin, Abraham Lincoln, Maya Angelou, Nina Simone … und Leonard Cohen.

Aber was besaßen diese Leute nun eigentlich?

Ich habe Jahre damit zugebracht, dieser Frage nachzugehen. Ich bin der Brotkrumenspur von bildenden Künstlern, Dichtern, Meditierenden und Weisen aller Kulturen gefolgt. Die mich dann zu den Arbeiten von Psychologen, Wissenschaftlern, ja selbst Managementexperten unserer Tage führten (die tatsächlich die einzigartigen Stärken melancholischer Unternehmensführer und Kreativer erforschen und fragen, wie diese am besten nutzbar gemacht werden können). Und ich kam zu dem Schluss, dass die Bittersüße keineswegs, wie man gerne glaubt, ein Gefühl oder Erleben des Augenblicks ist. Sie ist vielmehr eine stille Kraft, eine Art des Seins, eine sagenumwobene Tradition – die sträflich übersehen wird, aber voll des menschlichen Potenzials steckt. Sie ist eine authentische und erhebende Reaktion auf das Problem, das wir in einer zutiefst mängelbehafteten, aber unverbrüchlich schönen Welt leben.

Vor allem aber zeigt die bittere Süße uns, wie wir auf Schmerz reagieren können: indem wir ihn annehmen und versuchen, ihn in Kunst zu verwandeln, wie Musiker das tun. Oder in Heilung, in Innovationen oder in andere Dinge, die die Seele nähren. Wenn wir unsere Nöte, unsere Sehnsucht nicht verwandeln, bürden wir sie vielleicht anderen auf – in Gestalt von Missbrauch, Herrschsucht oder Vernachlässigung. Ist uns hingegen bewusst, dass alle Menschen Verlust und Leid kennen – oder erfahren werden –, können wir uns einander wahrhaft zuwenden.12

Diese Vorstellung – Schmerz in Schöpferkraft, Transzendenz und Liebe zu verwandeln – ist das Leitmotiv dieses Buchs.

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Die ideale Gemeinschaft weist, wie der ideale Mensch, alle vier hippokratischen Temperamente in einem harmonischen Verhältnis auf. Aber so, wie bei vielen Menschen die Züge eines bestimmten Typus überwiegen, so ist dies auch in unserer Gesellschaft der Fall. Und wir haben, wie wir in Kapitel 5 sehen werden, die westliche Kultur rund um den sanguinischen (fröhlichen) und den cholerischen (aggressiven) Typ orchestriert. Beides assoziieren wir mit Tatkraft und Stärke.

Der sanguinisch-cholerische Typ ist vorwärtsgewandt und kampfbereit. Er setzt im direkten Leben auf optimistische Zielorientiertheit und online auf den gerechten Zorn. Wir sollen durchsetzungsfähig, zuversichtlich und selbstbewusst sein. Wir sollten genug Selbstvertrauen haben, um immer unsere Meinung zu sagen. Und genügend zwischenmenschliches Geschick, um haufenweise Freunde zu finden und Menschen zu beeinflussen. Den US-Amerikaner*innen ist Glück so wichtig, dass sie das Recht darauf in einem ihrer Gründungsdokumente verankert haben. In diesem Land beschäftigen sich über 30000 Bücher mit diesem Thema, wie eine kürzlich...

Erscheint lt. Verlag 4.10.2022
Übersetzer Elisabeth Liebl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Akzeptanz • Angewandte Psychologie • bittersüß • Bittersweet • das volle Potenzial leben • denkmuster ändern • Die Kraft der Introvertierten • Emotionen verstehen • Führungsqualitäten • Ganz sein • Gefühl der Verbundenheit • gefühle und emotionen • im Einklang leben • im Einklang sein • innere Harmonie • innere Mitte finden • Introvertiertheit • Kreativität • Kummer überwinden • Lebenseinstellung • Lebensfragen • Lebensführung • Lebenshilfe • lebenshilfe bücher • Leidvolles akzeptieren • Licht und Dunkel • Melancholie • Mitgefühl • mit Gefühlen umgehen • Persönliche Entwicklung • psychologie bücher • Ratgeber • Ratgeber glücklich sein • Ratgeber Leben • Ratgeber Psychologie • Schattenseiten integrieren • seele buch • Sehnsucht und Kreativität • Selbstfindung Bücher • Sorgen und Sehnsüchte • Spiritualität • Spiritualität im Alltag • Spiritualität ohne Religion • Still • Still und Stark • Susan Cain • Susan Cain Still • Umgang mit Kummer • Umgang mit Melancholie • Umgang mit Trauer • Umgang mit Traurigkeit
ISBN-10 3-426-46552-3 / 3426465523
ISBN-13 978-3-426-46552-3 / 9783426465523
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