Was ist Scrum?

Definition

Scrum ist ein leichtgewichtiges Rahmenwerk, welches ursprünglich ausschließlich in der Softwareentwicklung genutzt wurde. Der Rahmen, den Scrum bietet, kommt bei immer mehr Projekten, Produkten und Teams in unterschiedlichen Domänen zum Einsatz. Alle haben Folgendes gemeinsam: Sie bewegen sich in stetig komplexer werdenden Umfeldern. Scrum hilft diesen Teams, wertvolle Produkte zu kreieren, indem sie anpassungsfähige Lösungen für komplexe Problemstellungen entwickeln. Es werden in Scrum Regeln, Ereignisse (Events) und Komponenten (sogenannte Artefakte) definiert, die erforderlich sind, um Produkte unter Anwendung agiler Methodik zu erstellen. Das Regelwerk von Scrum ist einfach. Die Anwendung allerdings nicht unbedingt. Jedes Element dieses Rahmenwerks erfüllt einen Zweck, der für den gewünschten Erfolg essentiell ist. Sie können natürlich auf Elemente verzichten und die Regeln für sich selbst ändern. Das, was Sie dann tun, wird nicht den Erfolg bringen, den Sie sich von der Anwendung von Scrum erhoffen. Und das liegt schlicht daran, dass das, was Sie dann tun, kein Scrum ist.

Mit der Nutzung von Scrum wird eine Vielzahl hauptsächlich englischer Bezeichnungen eingeführt. Für alle Scrum-Vokabeln und weitere Begriffe, die uns erklärungsbedürftig erscheinen und die im weiteren Verlauf hier verwendet werden, finden Sie in den folgenden Kapiteln Erklärungen und Beispiele. Wir schreiben ab jetzt diese Vokabeln und andere Begriffe, deren Definition wir im Kontext für angebracht halten, bei der jeweils ersten Nennung fett und unterstrichen. Und wir fassen alle Kurz-Definitionen am Ende des Buchs in einem Glossar zum Nachschlagen zusammen.

Der Begriff Scrum ist das erste dieser neu eingeführten Worte: Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka, zwei bedeutende japanische Wissenschaftler auf dem Gebiet des Wissensmanagements, verwendeten den Begriff 1986 in einer Veröffentlichung des Magazins „Harvard Business Review“. Die Namen der beiden Herren müssen Sie nicht lernen, um Scrum zu verstehen. Wir haben sie auch gegoogelt, um die richtige Schreibweise zu gewährleisten. Jedenfalls führten diese beiden Wissenschaftler mit ihrem Artikel eine Analogie der Produktentwicklung zum Rugby-Sport ein: Das „Gedränge“ (so die wörtliche Übersetzung des Wortes „Scrum“), welches entsteht, während der Ball innerhalb einer Mannschaft immer wieder hin und her gepasst wird, während sich das gesamte Team auf dem Spielfeld vorwärts bewegt.5 Diese Methode, im Team gemeinsam Produkte „nach vorne zu bringen“, ist das Kernelement, in dem sich Scrum vom klassischen Projektmanagement unterscheidet.

Ein interdisziplinär besetztes Team arbeitet gemeinsam in fest definierten Zeiteinheiten (sogenannte Sprints) an der Erstellung einzelner Produktmerkmale (Features bzw. Inkremente).

Die Menschen im Team heißen Entwickler (engl. „Developer“), Scrum Master und Product Owner. Dies sind die sogenannten Ergebnisverantwortlichkeiten, auf die wir im weiteren Verlauf noch genauer eingehen werden. Gemeinsam bilden sie das Scrum-Team. Man sagt aber nicht jedes Mal, wenn man von ihnen redet, „Scrum-Team“. Den Begriff „Scrum“ inflationär zu verwenden (OK, wir tun das in diesem Buch etwa 900-mal), macht nichts und niemanden agiler. Es kostet nur Zeit. Deshalb reicht es völlig, wenn wir wissen, wer gemeint ist, wenn wir vom „Team“ reden (machen wir in diesem Buch über 1.100-mal). In Abgrenzung zum „Team“ wurde früher das Entwicklungsteam, also die Developer, die eine gemeinsame Rolle im Scrum-Team hatten, oft „Dev-Team“ genannt. Diese Unterscheidung gibt es heute nicht mehr. Ein Scrum-Team ist ein Team ohne Teil-Teams. Basierend auf der Erfahrung mit unterschiedlichen Teams und Produkten führen wir bereits an dieser Stelle des Buchs den Begriff der Fachspezialisten ein, die nach unserer Erfahrung wertvolle Mitglieder des Teams sind. In den Prinzipien hinter dem Agilen Manifest wird der Begriff „Business People“ verwendet und in der deutschen Übersetzung wird dies zu „Fachexperten“. Das ist der von uns gemeinte „Fachspezialist“, der für uns in der Praxis oft unentbehrlich ist. Wir vertiefen und begründen das beim Blick auf die einzelnen Verantwortlichkeiten noch ausführlich.

Am Ende eines Sprints demonstriert das Scrum-Team den Stakeholdern und allen anderen interessierten Personen (im Unternehmen) die Ergebnisse und fordert aktiv Feedback ein. Danach folgt die Retrospektive, der wir in diesem Buch ein umfangreiches Kapitel widmen. Dann startet ein weiterer Sprint, in welchem das Feedback verarbeitet wird, Änderungen am Produkt vorgenommen werden und die nächsten Anforderungen (User Stories, dazu später mehr) in sichtbare Produktinkremente umgesetzt werden. Und so geht es immer weiter: Ein Sprint folgt dem anderen und das Produkt wird immer weiter vervollständigt und optimiert. Dieses Vorgehen bezeichnet man als iterativ und inkrementell.

Abbildung 2: Scrum auf einen Blick

Quelle: eigene Darstellung, zu Ihrer Verwendung auf happyprojektmanagementmitscrum.de bereitgestellt

Geschichte

Wenn Sie recherchieren, wer Scrum erfunden hat, werden Sie mit Sicherheit auf Dr. Jeff Sutherland und Ken Schwaber treffen. Die beiden Koryphäen werden (zumindest von vielen Menschen in der Scrum-Szene) gefeiert wie Popstars und haben mit diversen Veröffentlichungen und mit zwei parallelen Zertifizierungs-Systemen bei www.scrumalliance.org und www.scrum.org eine sehr erfolgreiche Vermarktungs-Maschinerie etabliert. Auf den Internetseiten von Scrum.org™ und Scrum Alliance® kann jedermann einen Multiple Choice Test online absolvieren und nach Zahlung eines Geldbetrags von ca. 150 US-Dollar ein Zertifikat (oder wie sie es nennen „the industry-recognized certification“)6 mit dem Titel Certified Scrum Master® oder Professional Scrum Master™ (ebenso für Product Owner, Developer) herunterladen. Die Scrum Alliance verlangt vor der Absolvierung eines Tests den Besuch eines Präsenz-Seminars, welches ca. 2.500 Euro kostet. Seit Mitte April 2020 können diese Kurse auch live online besucht werden. Diese virtuellen Seminare wurden als Reaktion auf die Corona-Krise etabliert. Mindestens die Hotel- und Reisekosten können so eingespart werden. Und teilweise lassen sich solche Remote Live-Kurse auch schon für Preise ab ca. 1.000 Euro finden. Scrum.org verzichtet auf die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Seminar, empfiehlt jedoch die Teilnahme an einem Kurs in Ergänzung zu den online kostenlos zugänglichen Lerninhalten. Die Präsenzkurse sind mit ca. 1.500 Euro bei Scrum.org etwas günstiger. Recht neu und deshalb noch nicht weit verbreitet sind die Kurse von Scrum Inc. für Scrum Master und Scrum Product Owner, die sich preislich ziemlich genau in der Mitte einsortieren. Hintergründe zu dieser dritten Organisation finden Sie, wenn Sie in diesem Buch oder im Internet nach „Scrum@Scale“ suchen.

Ob Sie den jeweiligen Test selbst durchklicken oder das von Ihrer Assistenz, Ihren Kindern oder wem auch immer machen lassen, wird nicht kontrolliert. Einerseits entspricht dieses Vertrauen den Scrum-Werten. Andererseits ist es für Ihre Arbeitsergebnisse ohnehin völlig egal, ob Sie persönlich (oder Ihre Mitarbeiter, Ihr zukünftiges Scrum-Team, Ihr externer Unternehmensberater) einen Online-Test bestehen oder nicht. Werten Sie eine Scrum-Zertifizierung bitte nicht als Voraussetzung, sondern sehen Sie diese eher wie eine theoretische Führerscheinprüfung. Sie dokumentieren mit dem erfolgreichen Ablegen der Prüfung ein grundsätzliches Verständnis für die Regeln. Fahren (oder in unserem Fall agiles Arbeiten) lernen Sie, indem Sie es tun, erleben, Ihre eigenen Fehler machen. Mit der Zeit werden Sie sicherer, tun viele Dinge intuitiv aus der Erfahrung heraus und lernen aus Ihren Fehlern. Und ob Sie in den Folgejahren jeweils 100 US-Dollar für die Erneuerung Ihres Zertifikats bezahlen, um eine „gültige“ Lizenz vorweisen zu können, entscheiden Sie dann auch mit etwas mehr Gelassenheit. Falls Sie sich für die Scrum Alliance entschieden haben, beschäftigen Sie sich möglicherweise bei der Verlängerung Ihrer Lizenz auch mit den „Scrum Education Units“ (SEUs). Dies ist ein Punktesystem, welches wir hier nicht erläutern, weil es keinen Einfluss auf Ihre Arbeit mit Scrum hat. Ob Sie Scrum Master oder Product Owner Zertifizierungen bei der einen oder anderen Organisation erwerben, ist Geschmacksfrage und für manche Kollegen eine Frage des Auftrag- bzw. Arbeitgebers. Der eine oder andere Konzern hat sich auf eine bestimmte Organisation festgelegt, um im unternehmensinternen Aus- und Weiterbildungssystem eine Struktur zu etablieren, Entwicklungspfade abzubilden und die Kosten kalkulierbar zu halten. Gelegentlich wird sich vermutlich auch ein (inoffizieller) Rabatt bei einer der Organisationen für einen Konzern aushandeln lassen, der beispielsweise 1.000 oder mehr Mitarbeiter zertifiziert sehen möchte. Scrum Inc. wirbt aktiv mit diesen Rabatten für Großunternehmen.

Im Straßenverkehr wird die eine oder andere Erfahrung, die Sie mit der Geschwindigkeit, dem Wetter oder schlicht an Kreuzungen gemeinsam mit anderen Verkehrsteilnehmern machen (hoffentlich nur) mit etwas verbeultem Blech und vielleicht mit einem...