Geborgen und stark (eBook)
144 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-28329-2 (ISBN)
Wenn sich Eltern trennen, ist das oft schmerzlich und stellt sie vor die schwierige Aufgabe, diesen Schritt familienverträglich zu vollziehen. Wie berücksichtigt man die Gefühle und Reaktionen der Kinder am besten? Wie spricht man mit ihnen, um die Situation zu erklären? Wie lässt sich das Familienleben in zwei Haushalten verlässlich gestalten, sodass die Bedürfnisse aller berücksichtigt werden? Und was tun, wenn es hakt?
In diesem Buch gibt der renommierte Familientherapeut Jesper Juul kompetente und authentische Antwort darauf, wie Eltern die Trennungssituation für ihre Kinder einfühlsam gestalten und so dafür sorgen, dass diese weiterhin geborgen und stark aufwachsen.
Jesper Juul (1948-2019) war einer der bedeutendsten und innovativsten Familientherapeuten Europas, Konfliktberater und Gründer des Elternberatungsprojekts familylab international. Durch zahlreiche Seminare, Vorträge, Medienauftritte und erfolgreiche Elternbücher wurde er international bekannt. Seine respektvolle, gleichwürdige Art, mit Menschen umzugehen, beeindruckt Fachleute wie Eltern auch heute noch immer wieder neu.
Trennung in Liebe – auf das Wie kommt es an von Mathias Voelchert
Uns als Eltern familienverträglich zu trennen, gelingt nur, wenn jeder sich dem anderen gegenüber verantwortungsvoll verhält, auch und gerade in der Trennung.
Doch Trennung ist ein heikles Thema, das für viele Betroffene ein großes Maß an Emotionen und Schmerz mit sich bringt. In der Regel versuchen wir, Trennungen und Abschieden auszuweichen oder sie möglichst schnell hinter uns zu bringen.
Ich selbst habe mich 1996 gezwungenermaßen mit dem Thema Trennung beschäftigen müssen – als meine erste Frau und ich uns getrennt haben. Unsere Kinder waren damals fünf und sieben Jahre alt. Wenn Sie sich heute in einer Trennungssituation befinden, würde ich Sie gern ermutigen, das Thema kraftvoll und mutig anzugehen. Lassen Sie sich nicht von Menschen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, entmutigen!
Als meine erste Frau und ich uns getrennt haben, waren wir seit zwanzig Jahren zusammen. Schon den Gedanken an eine Trennung hatte ich stets weit von mir gewiesen. Trennung war etwas für andere Leute, aber doch nicht für mich. Wer sich trennt, ist gescheitert und hat kapituliert – das passiert mir nie, habe ich gedacht. Und es war wie ein Schock, als ich erkannt habe, dass es endgültig vorbei war, dass unsere Liebesbeziehung als Paar zu Ende war.
Gleichzeitig gab es so ein widersprüchliches Gefühl bei mir und bei meiner ersten Frau ebenso: Da war noch Liebe da. Von ihr zu mir und von mir zu ihr. Aber es war keine partnerschaftliche Liebe mehr, sondern eine mitmenschliche Liebe. Diese Liebe hat nicht von heute auf morgen aufgehört, sondern es gab eine Phase des Übergangs, die mich sehr verwirrt hat. Ist es wirklich vorbei oder fängt es wieder an, fragte ich mich. Kann es noch eine gemeinsame Zukunft für uns geben?
Auf diese weitverbreitete Unsicherheit möchte ich gern aufmerksam machen. Manche Menschen wissen ganz genau, dass es vorbei ist. Doch die meisten, mit denen ich spreche, sind sich ihrer Sache nicht so sicher.
Oft geraten wir mit unseren Moralvorstellungen und unseren Ansichten, was in einer Ehe erlaubt ist und was nicht, in Konflikt. Und ich denke, es ist wichtig, dass Sie sich auf diesen Punkt konzentrieren und sich genau überlegen: »Was ist mir wichtiger – meine Moralvorstellungen oder unsere Beziehung?« Die Beziehung zu Ihrer Frau, zu Ihrem Mann, zu Ihren Kindern – das ist der Dreh- und Angelpunkt Ihres Lebens, und für den lohnt es sich, zu leben. Die Moral dagegen …
Ich sage nicht, dass man unmoralisch handeln soll, aber ich denke, es ist wichtig, zwischen Moral und Ethik zu unterscheiden. Moral beruht für mich auf vorgefassten starren Meinungen: Das macht man nicht. Unsere Ethik hat hingegen mit persönlichen Überzeugungen zu tun: Das tue ich nicht, weil es meinen Werten nicht entspricht.
In uns allen ist der Wunsch verwurzelt, die Trennung von Ich und Du zu überwinden. Dennoch können wir uns der Erkenntnis nicht verschließen, dass wir Individuen sind und eine vollkommene Symbiose gar nicht möglich ist.
Je genauer wir unsere eigenen Grenzen kennenlernen und je besser wir lernen, die Grenzen unseres Partners zu respektieren, desto besser gelingt auch unsere Beziehung. Auch Trennungen gelingen uns besser, sofern sie dann überhaupt noch nötig sind.
Interessant ist, dass wir die Symbiose als Ziel beziehungsweise als gewünschten Langzeitzustand betrachten. Vielleicht hat das mit der Erinnerung an unsere Zeit im Mutterleib zu tun, dem ein langer Trennungsprozess folgt. Zunächst wird die Nabelschnur durchtrennt, dann entdecken Kinder ihre Selbstständigkeit, durchleben die Pubertät, gehen eigene Wege, trennen sich von vielem Althergebrachten. Abschiede und Trennungen sind uns eigentlich vertraut. Trotzdem erleben viele Menschen die Trennung vom Partner so, als würde etwas in ihnen sterben. Es stirbt aber nicht die Beziehungsfähigkeit, sondern die Illusion, vollkommen miteinander verschmelzen zu können. Wir idealisieren die Symbiose, statt sie als zeitlich begrenztes Phänomen zu betrachten.
Julie und John Gottman, zwei amerikanische Beziehungsforscher, haben beschrieben, was eine erfolgreiche Paarbeziehung ausmacht: das Bewusstsein, einen gemeinsamen Sinn fürs Leben zu schaffen; die Fähigkeit, scheinbar ausweglose Pattsituationen zu überwinden; der Pragmatismus, Probleme zu lösen, die sich lösen lassen, und die Akzeptanz, dass es auch unlösbare Probleme gibt. Auch die klassischen Beziehungskiller sind von den Gottmans und einem Forschungspartner untersucht worden: den Partner zu verurteilen und zu verachten. Ihn gering zu schätzen und mit Schuldzuweisungen zu überhäufen. Mehr »Du« als »Ich« zu sagen. Destruktive Konflikte zu produzieren und den eigenen Anteil daran nicht sehen zu wollen. Mit Schweigen zu strafen, Gespräche zu verweigern, sich abzukapseln. Machtdemonstrationen zu betreiben und den Partner zu demütigen.2
Sie führen auf direktem Weg zum Scheitern der Beziehung, zum Bruch und zur inneren Kündigung des Partners – und meistens auch zu schlechten Trennungen. Denn wie soll eine wohlwollende und konstruktive Trennung gelingen, wenn es bis dahin nur Missverständnisse, Machtdemonstrationen, Verachtung und Misshandlungen mit Worten gegeben hat?
Ehe bzw. Familie ist keine Harmonieveranstaltung, sondern eine Wachstumsveranstaltung. Und auch jede Trennung bietet den beteiligten Erwachsenen enorme Wachstumsmöglichkeiten, um sich endlich von alten, untauglichen Mustern zu lösen. Eines ist mir auf meinem eigenen Weg und in der Arbeit mit Paaren klar geworden, wir trennen uns in den seltensten Fällen vom Partner, wir trennen uns von den Anteilen unserer selbst, die uns zu dem haben werden lassen, wie wir heute sind und wie wir nicht mehr sein wollen. Gleichzeitig sehen wir in den seltensten Fällen Alternativen zum erlernten Verhalten. Hier neue Ideen zu entwickeln, erhöht die Chance, dass sich ein ähnliches Drama zumindest in der nächsten Beziehung nicht wiederholt.
Die Art der Trennung ist oft ein Abbild der vorangegangenen Partnerschaft.
Versuchen Sie, so sachlich miteinander umzugehen wie irgend möglich, wenn einer von Ihnen beiden den Trennungsentschluss gefasst hat. Auch während der Trennung einen gewissen Zusammenhalt zu bewahren, ist eine gute Idee – sich selbst und den gemeinsamen Kindern zuliebe. Die Partner können versuchen, sich als Menschen verbunden zu fühlen, und nach gemeinsamen Lösungen suchen, so schwer dies im Einzelfall auch fallen mag. Man sollte sich stets vergegenwärtigen, dass es lange braucht, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen – zerstören kann man es hingegen in kürzester Zeit.
Ich habe noch kein Paar in Trennung erlebt, bei dem die Liebe vollkommen verschwunden war. Oft war sie verschüttet, abgenutzt und strapaziert – manchmal bereits in Wut und Hoffnungslosigkeit umgeschlagen, doch mitmenschliche Liebe und gegenseitiges Wohlwollen waren noch manchmal zu spüren – schließlich hat man sich einmal geliebt.
Die Transformation von der partnerschaftlichen Liebe zur mitmenschlichen Liebe hinzubekommen, sollte das Ziel sein. Auch müssen wir uns klarmachen, dass wir – falls überhaupt – nur wenige so gute Freundinnen oder Freunde haben wie den Partner, mit dem wir viele gemeinsame Jahre verbracht haben; beziehungsweise niemanden, den wir so gut kennen. Auch darum sollte man sich weiterhin gewogen bleiben. Meine erste Frau und ich kennen uns jetzt seit über fünfundvierzig Jahren, gehen wohlwollend miteinander um und helfen einander, wenn es nötig ist. Es gibt nicht viele Menschen, mit denen uns so eine lange gemeinsame Geschichte verbindet. Um das zu erreichen, ist es aber unumgänglich, sich mit den eigenen Ur-Ängsten und Dämonen zu befassen, von alleine werden die nicht verschwinden. Holen Sie sich Hilfe, um Ihre Lebensqualität entscheidend zu verbessern!
Es lohnt sich, um Menschen zu kämpfen, denen man sich seit Langem verbunden fühlt. Dazu gehört auch, etwaige Rache- oder Angstgefühle irgendwann ad acta zu legen.
Im aufgewühlten Zustand während der Trennung fällt schon mal der frustrierte Satz: »Du hast mein Leben zerstört.« Würden wir einen kühlen Kopf bewahren, müsste der Satz vielmehr lauten: »Meine Erwartungen sind nicht erfüllt worden.« Zugegeben, so viel Abgeklärtheit ist womöglich zu viel verlangt, doch sollten wir uns klarmachen, dass die andere Person mein Leben nicht zerstören kann. Sie kann meine Vorstellungen, die ich vom Leben hatte, schwächen oder enttäuschen. Dann ist es an mir, die Konsequenzen zu ziehen und mich zu trennen beziehungsweise neu zu orientieren. Ich selbst kann mein Leben neu konzipieren.
Wir leben in einer Zeit, in der wir eine Trennungskultur entwickeln müssen, um der allgemeinen Ratlosigkeit im Verlauf einer Trennung entgegenzuwirken. Diese Ratlosigkeit bringt manche dazu, aufeinander loszugehen, statt miteinander nach besseren Lösungen für alle Beteiligten zu suchen.
Bei meiner eigenen Trennung ging es nur um mich. Ich habe meiner Frau keine Vorwürfe gemacht. Doch ich hatte mich in unserer Beziehung so weit verbogen, dass ich meilenweit von dem Vater und Mann entfernt war, der ich hätte sein können. Ich wusste ganz genau, dass ich anders sein konnte als in dieser Konstellation. Das hat sich später bestätigt, auch wenn ich bis heute mit meiner Ungeduld noch immer nicht im Reinen bin.
Zum Frieden braucht es zwei, zum Krieg reicht einer
Damit wir uns gemeinsam entwickeln können, braucht es zwei, die das Risiko...
Erscheint lt. Verlag | 28.2.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
Schlagworte | 2022 • Audio CD • Beziehung • Beziehungsratgeber • Bindung • eBooks • Eltern • Erziehung • Erziehungsratgeber • Familylab • Geborgenheit • Gesundheit • Kindererziehung • kompetente Eltern • Neuerscheinung • Patchworkfamilie • Ratgeber • Remo Largo • Scheidung • Scheidungskinder • Trennung • trennung mit kindern • Trennungsschmerz |
ISBN-10 | 3-641-28329-9 / 3641283299 |
ISBN-13 | 978-3-641-28329-2 / 9783641283292 |
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