München 72 (eBook)

Ein deutscher Sommer
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-27142-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

München 72 -  Markus Brauckmann,  Gregor Schöllgen
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»Ein großartiges Zeitdokument ... Sie fühlen sich zurückversetzt in diese Zeit.« (WDR 2)
Die zweiten Olympischen Sommerspiele auf deutschem Boden sind das erste Weltereignis in der Bundesrepublik: München 72 bietet die einmalige Chance, das moderne Deutschland vorzuzeigen. Für die Bundesbürger ist Olympia, was für die Amerikaner die Mondlandung war - ein Aufbruch in eine neue Zeit, dem die ganze Nation entgegenfiebert. Alle wollen zum Gelingen der Heiteren Spiele beitragen: berühmte Athleten, unbekannte Helfer, eifrige Hostessen. Es ist ihr deutscher »Summer of Love«. »München 72« erzählt die Geschichte und Geschichten hinter dem Sportfest. Von Deutschland West und Ost, von »Willy wählen« und alltäglichem Rassismus, von Mode und Musik, von Aufklärung und Sex. Von Frieden und Krieg - und vom Terroranschlag auf die israelische Mannschaft, der über Nacht die Erinnerung an Berlin 1936, die ersten Olympischen Spiele auf deutschem Boden, wachrief.

Markus Brauckmann, Jahrgang 1968, ist Autor und Regisseur. Nach Studien in Berlin und den USA arbeitete der Politologe für verschiedene Fernsehsender sowie in mehreren Bundestagswahlkämpfen. Seine TV-Dokumentationen wurden im In- und Ausland mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, 2016 gewann er die »Romy« für einen Film über Niki Lauda. 2022 veröffentlichte er, gemeinsam mit Gregor Schöllgen, das Buch »München 72: Ein deutscher Sommer« (DVA). Markus Brauckmann lebt in Köln.

Auf die Plätze


Ein letzter Moment der Muße im fast leeren Stadion, bevor es losgeht. Drei Themen sind in diesen Tagen in aller Munde: die neue U-Bahn, ein drohender Boykott afrikanischer Nationen und die charmanten Olympia-Hostessen. »München präsentiert die Spiele des Fräuleinwunders«, schreibt die »Abendzeitung«. »Mädchen, Mädchen, Mädchen«.

© imago sport/WEREK

Sie sind moderne, aufgeklärte Frauen. Aufgewachsen als Teenager in den wilden Sechzigern, mit Antibabypille und sexueller Revolution. Jetzt müssen sie schön brav sein. Für das große Ereignis und für ihr Land. Denn am 26. August 1972 werden in München die Spiele der XX. Olympiade der Neuzeit eröffnet. Und sie, die Hostessen, werden Besucher aus aller Welt in Empfang nehmen. Welcome to Germany!

Herrenbesuch? In ihren Unterkünften streng verboten, darüber wacht ein Angestellter der Bundeswehr. Flirten? Kaum möglich, weil die Einsatzpläne der jungen Damen randvoll sind. Und statt Minirock sieht ihre Kleiderordnung ein Dirndl und Kniestrümpfe vor. Die Mädchen von München 72 haben einen tadellosen Ruf zu wahren. »Wir wollten Deutschland gut repräsentieren«, sagt Gertrude Krombholz freundlich, aber bestimmt. »Für ungebührliches Verhalten war da kein Platz.« Die 39-Jährige aus Bayern hat einen Teil der jungen Damen ausgebildet, die für viele Teilnehmer der erste Anlaufpunkt bei den Spielen sein werden: die Olympia-Hostessen. Sie gehören zur Generation München 72, die Deutschland ein neues Gesicht geben soll. Vor den Augen der Welt, die hier zu Gast ist.

Die Verantwortlichen haben schon im Vorfeld einiges getan, um die Helferinnen perfekt auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Seit zwei Jahren laufen die Planungen. Dafür zuständig ist Doktor Emmy Schwabe, die Leiterin des Referats Besucherbetreuung und Hostessenwesen beim Organisationskomitee (OK) der Olympischen Sommerspiele 1972 in München. Um die Richtigen zu finden, will sie zunächst ein Testprogramm mit Sportstudentinnen aufsetzen. Gertrude Krombholz ist die Frau, der sie diese Aufgabe zutraut.

Die Dozentin der Bayerischen Sportakademie ist sofort Feuer und Flamme. »Ich hatte gerne mit jungen Leuten zu tun. Und mit meinen Studentinnen habe ich immer in einem Boot gesessen.« Mit dem Testprogramm und dann mit der Auswahl der jungen Frauen wird es nicht sein Bewenden haben. Krombholz bleibt als Gruppen-Chefhostess an Bord, zuständig für die Schwimmhalle. Der Freistaat Bayern stellt die Lehrkraft frei – unter Fortzahlung der Dienstbezüge.

Gemeinsam mit weiteren Kolleginnen suchen Emmy Schwabe und Gertrude Krombholz zunächst einmal »hübsche und sprachgewandte Mädchen«. Eingesetzt werden die Freiwilligen im Protokoll, bei der Betreuung der Mannschaften, an Infoständen in Hotels, am Flughafen – und bei den olympischen Wettkämpfen. Irgendjemand muss den Sportlern ja den Weg zur Umkleidekabine oder zum Siegerpodest zeigen. Über 10 000 junge Damen schauen sich die Prüferinnen näher an. Die Richtung gibt Willi Daume vor, der Chef von München 72, der noch vorzustellen ist. In einem Brief an die Hostessen legt der Präsident des Organisationskomitees seine Vorstellungen von ihrem weiblichen Wirken dar: »Hostess, Gastgeberin also, ist man. Denn im Grunde kann man es nicht erlernen. Die Fähigkeit kommt aus dem Wesen und Herzen einer Frau. Man muss sie von Hause aus mitbringen.«

Gertrude Krombholz ist – ungewöhnlich in diesen Jahren – unverheiratet und kinderlos (»Ich war glücklich in meinem anspruchsvollen Beruf«). Nun muss sie sich auf einmal um Hunderte von »Mädchen« kümmern, wie man damals sagt, obgleich viele von ihnen längst erwachsene Frauen sind. Für die angehenden Hostessen ist Krombholz strenge Lehrerin und gute Freundin in einer Person.

Besonders im Blick hat sie die Hostessen für die Siegerehrungen. »Wir haben erst mal 14 Tage eisern vor dem Spiegel trainiert«, erinnert sich Krombholz. Dafür legt sie sich eigens eine Kamera zu und filmt die Übungen. Zum Beispiel das graziöse Schreiten bei einer Medaillenzeremonie an der Regattastrecke in Oberschleißheim. Im Gleichschritt, aber nicht zu militärisch. Anstrengend und gewöhnungsbedürftig sei das für die Mädchen gewesen, berichtet sie. Die Sieger auf dem Podest werden meist von Bundeswehrangehörigen gemimt, und so kommt mancher Rekrut für Augenblicke zu Gold oder Silber oder Bronze. 44 junge Frauen werden für diese Aufgabe an den elf olympischen Wettkampfstätten ausgewählt. »Ich wollte bei den Siegerehrungen nur große Mädchen einsetzen«, erinnert sich die Ausbilderin im Interview für dieses Buch. Aber Willi Daume sei dagegen gewesen: »Er wusste, dass viele Funktionäre, die Medaillen übergeben, eher klein sind.«

Die Münchnerinnen schlafen zuhause. Die rund tausend auswärtigen Mädchen, die nicht aus der bayerischen Metropole stammen, wohnen im sogenannten Hostessen-Hochhaus in Freimann in Zweibettzimmern mit Dusche und Kochnische. Die olympische Tätigkeit ist fordernd. Gearbeitet wird im Schichtbetrieb rund um die Uhr. Wenn sie nicht im Dienst sind, haben die Hostessen zu fast allen Sportarten kostenlosen Zutritt. Die Verpflegung ist frei, ebenso die weiß-blaue Dienstkleidung: Dirndl, Bluse, Jacke, Regencape, Kniestrümpfe, Schuhe, Umhängetasche, Sonnenbrille.

Die jungen Damen im Hochhaus sind zwischen 18 und 28 Jahre alt und kommen aus aller Welt. Männer müssen draußen bleiben. Für Thilo Koch, der gerade einmal 50, aber längst eine TV-Legende ist, macht man eine Ausnahme. Der Reporter fährt mit seinem Kamerateam zum »Turm der tausend Mädchen«, um eine »grüne« Story zu drehen. »Grün« bedeutet: jenseits des Sports, schreibt er in seinem Olympia-Tagebuch Piktogramm der Spiele.

Herr Koch führt ein Interview mit Herrn Rolfs, im nichtolympischen Leben Zivilangestellter der Bundeswehr. Er verwaltet das künftige Studentenwohnheim. Probleme mit dem Herrenbesuch? Nein, sagt Herr Rolfs, er habe da ein paar Studenten als Türsteher. Die nähmen Nachrichten entgegen, auch Blumen. Die Mädchen müssten ihre Wohnausweise vorzeigen. Kein männlicher Besucher dürfe den Fahrstuhl betreten. Herr Rolfs sagt zum berühmten Herrn Koch: »Hostess zu sein bei der Olympiade, das ist Ehrensache und darf nicht ins Zwielicht kommen.«

Genau das ist passiert. Schon vor Beginn der Spiele. Dumm, patzig und arrogant seien die hübschen Mädels, lauten die Vorwürfe in einer Boulevardzeitung. Die Antwort der Hostessen veröffentlicht die Zeitschrift Quick, die zur Ehrenrettung herbeieilt. »Wir sind besser als unser Ruf«, heißt es in der Schlagzeile. »Wenn wir wirklich so dumm, patzig und arrogant wären, wie behauptet, wären wir wohl nach Sylt gegangen als Playgirls, oder so«, findet Studentin Sylvie aus Bonn, 19 Jahre. »Wegen der 1000 Mark im Monat mache ich das bestimmt nicht«, sagt Martha, 22, aus Tutzing. Die 25-jährige Alexandra aus Braunschweig möchte nichts weiter als »die überwältigende Gastfreundschaft«, die ihr vor einem Jahr in den USA zuteilwurde, »irgendwie zurückzahlen«. Und Evelyn, Chefhostess in der Basketballhalle, hat sich extra für die Olympischen Spiele freigenommen. Im Alltag ist sie Lehrerin in Lausanne in der Schweiz. Die insgesamt rund 1600 Hostessen kommen aus 27 Ländern, wie Quick ermittelt.

Aber natürlich sind die allermeisten der jungen Damen Deutsche. Oder wie Anfang der siebziger Jahre betont werden muss: Westdeutsche. Denn seit 1949 gibt es nicht mehr das eine Deutsche Reich, sondern zwei deutsche Teilstaaten. Und beide – die Bundesrepublik Deutschland im Westen und die Deutsche Demokratische Republik im Osten – treten in München mit eigenständigen Mannschaften an, inklusive ihrer jeweiligen Staatsflaggen und Nationalhymnen. Das gab es bei Olympischen Sommerspielen noch nie.

Wenn man so will, ist diese geteilte deutsche Geschichte die Quittung für den fast sechsjährigen Krieg, mit dem das Deutsche Reich die Welt bis 1945 überzog. Dass die Völker dieser Welt jetzt zu einem sportlichen Großereignis nach Deutschland kommen, ist ein unerhörter Vertrauensbeweis – 36 Jahre nach der Nazi-Olympiade von Berlin, 30 Jahre nach Stalingrad, 27 Jahre nach dem Ende des Vernichtungsfeldzugs und des Holocaust.

Wer als westdeutscher Mann im Olympiajahr 45 Jahre oder älter ist, hat wahrscheinlich noch im Krieg gekämpft. Fernsehmann Thilo Koch, der Reporter vom Hostessen-Hochhaus, ist so einer. In seinem Tagebuch vergleicht er das von der Bundeswehr zur Verfügung gestellte Bett in der Olympia-Pressestadt mit dem »scheußlichen Strohsack« aus seiner Wehrmachtskaserne. Die Gegenwart schneidet auch hier besser ab als die belastete Vergangenheit. Ob die Besucher aus aller Herren Länder und die Fernsehzuschauer in allen Teilen der Welt das auch so sehen?

München 72 ist für die Bundesdeutschen, was für die Amerikaner die Mondlandung war: ein Aufbruch in eine neue Zeit, ein globales Event. Eine Milliarde Menschen, ein Viertel der Menschheit, wird allein bei der Eröffnungsfeier zusehen. Die Organisatoren haben das in einem Pressebulletin auf eine handliche Formel gebracht: Man müsste das Münchener Olympiastadion 34 Jahre lang täglich füllen, um auf diese Zuschauerzahl zu kommen.

Es ist das größte Fernsehpublikum, seit der Astronaut Neil Armstrong in Schwarzweiß 1969 den berühmten großen Schritt für die Menschheit tat. Diesmal sind die Bilder bunt, die um den Erdball gebeamt werden. Im Licht der TV-Scheinwerfer steht die Bundesrepublik auf der größtmöglichen Bühne in Friedenszeiten, grell ausgeleuchtet,...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Schlagworte 2022 • eBooks • European Championships 2022 • Geiselnahme • Geschichte • Hans-Dietrich Genscher • Heide Rosendahl • Heitere Spiele • Mark Spitz • München • Neuerscheinung • Olympia-Attentat • Olympia-Geschichte • Olympiapark • Olympiastadion München • Olympische Sommerspiele • Olympische Spiele 1972 • Schickeria - als München noch sexy war • Schwarzer September • Sport • Terrorismus • Uli Hoeneß • Ulrike Meyfahrt • Uschi Glas • Waldi
ISBN-10 3-641-27142-8 / 3641271428
ISBN-13 978-3-641-27142-8 / 9783641271428
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