Freiheit hat keinen Preis (eBook)

Der lange Kampf um den Schutz der Menschenrechte
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
368 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8401-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freiheit hat keinen Preis -  Brigitte Klump
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Brigitte Klumps Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass die DDR 1980 auf der Schwarzen Liste der UN-Menschenrechtskommission landete. Einfach war es nicht, eine Weltbehörde wie die UNO vom Fehlverhalten eines ihrer Mitglieder zu überzeugen, das zudem noch im Weltsicherheitsrat saß. Doch die DDR sagte zu, die ihr vorgehaltenen Rechtsbrüche zu prüfen und zu beseitigen. Tausende DDR-Bürger durften daraufhin ausreisen. Und das alles ohne 'besondere Bemühungen der westdeutschen Bundesregierung', die vorher jährlich für rund 100 Millionen Mark Menschen freigekauft hatte. Brigitte Klumps Report über nationale und internationale Politik liest sich spannend wie ein Krimi. Ihr Buch ist ein einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte, das anlässlich der 60. Wiederkehr des Mauerbaus an das bittere Unrecht unter dem DDR-Regime erinnert und unbedingt das Wiederlesen lohnt.

60 Jahre nach dem Mauerbau

2021 – eine Jahreszahl, die vor ein paar Jahrzehnten noch wie Utopie klang. Vieles ist inzwischen geschehen in der Welt, das Rad scheint sich immer schneller zu drehen. Vor der deutschen Geschichte macht dieses Rad nicht halt: Vor nunmehr 60 Jahren, am 13. August 1961, erteilte SED-Chef Walter Ulbricht den Befehl, die Sektorengrenze zu Ost-Berlin abzuriegeln, inklusive der S- und U-Bahnverbindungen in den Ostteil der Stadt. Der Stacheldraht, der sich mitten durch die Stadt zog, wurde durch eine hohe Mauer ersetzt. 28 Jahre lang sollte die Mauer, der »antifaschistische Schutzwall«, Politik und Leben der Bewohner beider deutscher Staaten nachhaltig prägen. Familien wurden auseinandergerissen – und das nicht nur in Berlin, sondern in beiden Staaten: Die bisherige Sperrzone zwischen der DDR und der BRD mit einer Länge von 1378 Kilometern wird ab diesem Zeitpunkt ebenfalls zu einem unüberwindbaren Wall ausgebaut, vermint, mit Selbstschussanlagen und bewaffneten Grenzsoldaten gesichert.

Flucht mit der S-Bahn

Ich selbst floh vier Jahre vor dem Mauerbau aus der DDR in die BRD. Damals, 1957, konnte man noch mit der S-Bahn von Ost- nach West-Berlin entkommen. Meine Eltern und meine vier Geschwister blieben in der DDR zurück, ich konnte sie jedoch bis 1978 ohne große Schwierigkeiten besuchen. Allerdings nur bis zur Veröffentlichung meines Buches »Das Rote Kloster« – danach war Schluss mit den Besuchen, denn die DDR war nicht besonders amüsiert über meinen Insiderbericht. Hinzu kam: Mein Neffe Klaus, Sohn meines ältesten Bruders Klaus-Jürgen, hielt es wie viele seiner Mitbürger nicht mehr aus in der DDR. Er unternahm kurz darauf, im Winter 1979, einen erfolglosen Fluchtversuch über Ungarn. Den Fortgang dieser Geschichte und die direkten Folgen, die sie für mich und letztendlich für die beiden deutschen Staaten hatten, können Sie in diesem Buch nachlesen: Beim Versuch, meinen Neffen aus dem Stasi-Gefängnis in Cottbus mit legalen Mitteln zu befreien, entwickelte ich, in Zusammenarbeit mit unglaublich hilfsbereiten Menschen, die UNO-Methode 1503. Letztendlich konnten über diese Methode nicht nur mein Neffe, sondern 4000 weitere Bürger der DDR ausreisen, die sich vergeblich jahrelang um Familienzusammenführung mit ihren im Westen lebenden Verwandten bemüht hatten.

Fünf Meter Drehbuch

Dieses Buch endet eigentlich am Anfang: An der Stelle, an der es gelang, zunächst Klaus in die BRD zu holen, im November 1980. Bis November 1989, also bis zum Fall der Mauer, hatte ich noch so einiges zu erledigen – und ich gab auch der Staatssicherheit zu tun. Offensichtlich sehr viel, denn ungefähr fünf Meter Akten in der damaligen Gauck-Behörde (heute: Stasi-Unterlagen-Archiv) zierten das Regal, das ich 1994 in Augenschein nehmen durfte. Joachim Gauck, damals Leiter der seinen Namen tragenden Behörde, empfing mich persönlich und war wohl besorgt, ich könnte einen Schwächeanfall erleiden, sodass er mich nach Stunden des Aktenwälzens fragte: »Soll ich Ihnen einen Tee machen?«

Mein Schock saß jedoch nicht so tief, wie von Gauck vermutet, kannte ich doch die Methoden meiner früheren »Ausbilder« am »Roten Kloster«, wie das Institut für Journalistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, die Kaderschmiede des Stasi, genannt wurde. So hatte ich in den Jahren seit der Veröffentlichung meines ersten Buches stets freundlich erst den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am Telefon begrüßt, bevor jemand am anderen Ende abhob. Meine Familie hielt mich für reichlich überspannt ... Allerdings mussten auch meine beiden Kinder viel später nach der Lektüre einiger Passagen aus meinen Stasi-Akten zugeben, dass ich wohl noch untertrieben hatte. Die Stasi hatte nicht nur über Jahre hinweg unser Telefon überwacht, sondern auch systematisch versucht, Zugang zur Familie zu bekommen: So sollte beispielsweise meine Tochter Inga von einem »Romeo« auf einer Berlinreise umgarnt werden. Schier unglaublich liest sich in der Akte auch der Plan, meinen Mann und mich beim Flug im Jet eines NVA-Piloten, einem Freund meines Bruders, entführen zu lassen. Die findigen Herrschaften der Staatssicherheit waren sich auch nicht zu schade, einen Kleinkriminellen aus dem Nachbarort unseres Dorfes zu engagieren, der uns ein bisschen erschrecken sollte. Das ganze Drehbuch war, gelinde gesagt, abenteuerlich und grenzte an Irrsinn. Die Akteure in diesem C-Movie hatten sich jedoch trotz aller Perfidie reichlich dusselig angestellt – kein einziger Sabotageakt gelang auch nur im Ansatz.

Ein Krater in der Mauer

Was allerdings zum enormen Ärger der Verantwortlichen im real existierenden Sozialismus der Deutschen Demokratischen Republik gelang, und zwar über nahezu neun Jahre, war, die UNO-Resolution in Anwendung zu bringen: Nach Klaus’ Ausreise kam der Stein erst richtig ins Rollen und die DDR hatte Mühe, sich vor der UNO-Menschenrechtskommission zu behaupten. Die Methode 1503 war anfangs nur ein Schlupfloch für meinen Neffen und seine Eltern, sprengte aber im Laufe der Zeit und mithilfe von betroffenen Verwandten in der Bundesrepublik (siehe meine Aktion der 29 Briefe im letzten Teil des Buches), engagierten Journalisten und UNO-Mitarbeitern einen ordentlichen Krater in die Mauer.

Bis Herbst 1989 gelang es, mithilfe der UNO-Resolution 1503 (XLVIII) des Wirtschafts- und Sozialrates rund 4000 Familienmitglieder mit ihren Verwandten im Westen zusammenzuführen. Seit 1973, seit ihrer Ratifizierung durch alle in der UNO zusammengeschlossenen Staaten, hätte diese Methode in Anwendung kommen können. Wenn sie denn in Deutschland veröffentlicht worden wäre ... Ich fand sie mehr oder weniger zufällig 1980 in einem Aktenordner des Bundesjustizministeriums.

Im Laufe der Jahre habe ich viele dankbare Briefe von ehemaligen DDR-Bürgern erhalten, die in ihrer Warteschleife, bis hin zu einem Jahrzehnt nach ihrem ersten Ausreiseantrag, Schikanen der DDR-Behörden und der Stasi ertragen hatten. Und ich erhielt und erhalte immer noch Briefe von den Angehörigen, die sich für ihre Lieben in der DDR eingesetzt hatten, also von Menschen, die über die UNO-Resolution wiedervereint wurden. Zu einigen von beiden Gruppen habe ich heute noch losen Kontakt, einige andere habe ich zusammen mit meiner Tochter ausfindig gemacht. Wir wollten gerne wissen, wie es ihnen nach der Ausreise, in all den Jahren und in dieser turbulenten Zeit ergangen ist und ergeht. Ein paar der Interviews können Sie auf den nächsten Seiten lesen – allen voran die Antworten und Einsichten meines Neffen Klaus Klump, dem »Stein des Anstoßes«.

Kühne Träume werden übertroffen

Mein Neffe Klaus hatte die Nase von der DDR gestrichen voll – und das schon im Alter von 19 Jahren. Der heute 61-Jährige blickt zurück: »Mir war klar: Mit mir und diesem Staat wird das nichts mehr, all diese Lügen, Bespitzelungen, das Reiseverbot, und ich wollte unbedingt Journalist werden, aber auf keinen Fall in diesem verlogenen Staat.«

Also beschloss Klaus mit seiner damaligen Freundin zu fliehen: »Wir wollten im Winter und am helllichten Tag über die grüne Grenze von Ungarn nach Österreich abhauen. Das Ganze war an Naivität nicht zu überbieten: Ich 19-jähriger Kindskopf hatte Seitenschneider für den Stacheldraht dabei, 5000 Ostmark und meine Zeugnisse.« Die beiden überquerten unbehelligt den zugefrorenen Grenzfluss, die Leitha, rannten einen Hügel hoch – und wurden von einem Grenzer verhaftet. Klaus wurde sofort in die DDR zurücktransportiert, in das Zuchthaus Cottbus, in dem hauptsächlich Ausreisewillige und Republikflüchtige interniert waren. Zehn Monate verbrachte Klaus dort in Untersuchungshaft. Mein Bruder Klaus-Jürgen informierte mich und ich setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn dort rauszuholen. Der Rest ist, nun ja, Geschichte und in diesem Buch nachlesbar. Die DDR-Regierung hatte nicht erwartet, was in den nächsten neun Jahren geschehen würde, genauso wenig wie ich selbst. Klaus dazu: »Die Stasi hatte gehofft, dass meine Tante die von ihr entdeckte UNO-Methode einfach vergessen würde, wenn Bruder, Schwägerin und Neffe ausreisen durften. Da kannten die aber meine Tante schlecht. Es war das Signal, jetzt erst richtig loszulegen.«

Klaus und seine Eltern zogen zunächst bei uns im Oberbayrischen ein, er legte sein Abitur am BOS-Internat in Scheyern ab und verwirklichte seinen Berufswunsch, Journalist zu werden. Klaus war der Mitbegründer des privaten Radiosenders Antenne Bayern und ist heute, als leidenschaftlicher Sportler, Mitinhaber einer großen Sportagentur. Er könne sein Glück bis zum heutigen Tage nicht fassen: »Die folgenden Jahrzehnte entschädigten mich für all das, was ich in diesem üblen Staat erlebt hatte. Als Reporter nahm ich an neun Olympischen Spielen teil, habe alle Tennis-Grand-Slam-Turniere erlebt und eine Fußball-WM. Das übertraf alle meine hochfliegenden Kindheitsträume.«

Auswanderung mit riesigen Hürden

Bürger, welche die DDR endgültig verlassen wollten, konnten dies nur auf zwei Wegen tun: Sie konnten fliehen, was lebensgefährlich und fast unmöglich war, oder einen Ausreiseantrag stellen – was relativ aussichtlos war oder zumindest Jahre in Anspruch nehmen konnte. Der Antrag auf Ausreise, also eigentlich Auswanderung, folgte einem strengen bürokratischen Ablauf: Ausreisewillige mussten bei der sogenannten Abteilung Inneres beim Rat des Kreises oder Stadtbezirks an ihrem Wohnort den entsprechenden Antrag stellen. In den seltensten Fällen wurde sofort eine Genehmigung erteilt und wenn, hatte dies den sofortigen Verlust der DDR-Staatsbürgerschaft zur Folge. Von 1949 bis zum Mauerfall 1989 verließen nach Schätzungen vier bis fünf Millionen Menschen die DDR, vermutlich drei Viertel davon in den 12...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Ausreise DDR • DDR Buch • DDR Geschichte • DDR Roman • Deutsche Geschichte • Mauer • Menschenrechte • Menschenrechtsverletzungen DDR • Politisches Sachbuch • UNO-Resolution 1503
ISBN-10 3-7844-8401-8 / 3784484018
ISBN-13 978-3-7844-8401-3 / 9783784484013
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