Bilderverbote für Alle -  Thomas Zika

Bilderverbote für Alle (eBook)

Ein Anmaßungskatalog für LiebhaberInnen und Fortgeschrittene

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
300 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-5728-4 (ISBN)
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In diesem Buch werden stereotype Foto-Motive zu Bilderverboten, indem sie kunsthistorisch und psychoanalytisch untersucht, dekonstruiert, verboten, verteufelt und dann in ihren Ausnahmen legitimiert werden. Zwischen Buddha, Platon, Kant und dem Antichristen ergänzen Reiseabenteuer, Drogeneskapaden und Bewusstseinserweiterungen die biografische Rahmenerzählung des Fotografen und Künstlerdozenten Thomas Zika. In seinen Gedankenausflügen zwischen Fotografie und Kunst, Profi und AmateurIn, Wollen und Müssen, Kompositionsregeln und Bibelzitaten, Film und Literatur, Vorlesung und Zungenrede outet sich der Ex-Ministrant als bildersüchtiger Bilderhasser. In den Bilderverboten geht es darum, erlernte Grundregeln möglichst kreativ auf Ausnahmen und Überschreitungsmöglichkeiten hin zu überprüfen; prozesshaftes Scheitern wird als Chance einer gelingenden Initiation zur GestalterInnen- und KünstlerInnenpersönlichkeit interpretiert. Ein Must-Have für alle Studierenden aus den Bereichen Fotografie und Kunst, die wissen wollen, wie man Zeit biografisch relevant verschwendet.

Thomas Zika studierte Fotografie, Kunst und Gestaltung an Hochschulen in Dortmund, Wien und Wuppertal. Seine Arbeiten wurden im Rahmen zahlreicher Ausstellungen im In- und Ausland kuratiert, in der Vergangenheit erhielt er nationale und internationale Preise und Stipendien. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen und Akademien. Die fotografischen Forschungsfragen des Künstlers gelten dem Reflektieren der Bedingungen unserer Wahrnehmung von Wirklichkeit. Der Autor nutzt den Begriff Placebo als Metapher für unser Verhältnis zu Fotografien und für das Verhältnis von Fotografien zur realen Welt. In Künstlerbüchern und Ausstellungen befragt er Wahrnehmungs- und Welterklärungsmodelle mit unterschiedlichen visuellen Konzeptionen und Bildsprachen. Innerhalb seiner jüngsten Werkgruppen entwickelt er zunehmend experimentelle künstlerisch-fotografische Prozesse, die versuchen, Chaos und Zufall zu nutzen. Als Dozent für Fotografische Kunst und Nachhaltige Gestaltung arbeitet er mit Methoden, die den Studierenden aufzeigen, dass Scheitern an Themenstellungen keine fehlerhafte Katastrophe oder Niederlage bedeutet, sondern notwendige Entwicklungspotentiale zum Weiterlernen bietet. Bilderverbote für Alle ist sein erstes Buch mit Essays zu Kunst und Fotografie.

BILDERVERBOT


SONNEN
UNTER
GÄNGE

Sonnenuntergänge sind schön. Warum?
Weil sie das Inkommensurable der Sonne
weniger inkommensurabel machen.

Wenn der superheiße Ball in den Horizont taucht, wird diese Linie dadurch eindeutig weniger problematisch. Der Himmel explodiert psychedelisch farbenfroh und wir erleben die Dichotomie von oben und unten wenigstens mit positivem Stress.

AmateurInnen positionieren ihre PartnerInnen im Motiv-Vordergrund des Sonnenuntergangs-Szenarios und heraus kommt dann die unterbelichtete Enttäuschung, die den Liebsten oder die Liebste nur als gesichtslosen Scherenschnitt herausschält, jetzt immerhin vor traumhaftem Firmament.

Weil der gnadenlose Belichtungsmesser nicht zwischen schwarz und weiß unterscheiden, sondern nur grau stammeln kann, scheitert das Kontrastmanagement des beliebtesten Amateurmotivs. Heutzutage scheitert natürlich niemand mehr, weil die fleißigen Algorithmen aktueller, moderner Digitalkameras dafür sorgen, dass die Redundanz des Flusser‘schen Universums zunimmt. Will sagen, die traurige Masse an unterbelichteten Gegenlichtschattenrissen vor Sonnenuntergängen wird radikal ersetzt durch die fröhliche Masse an optimal belichteten Dividuen vor Sonnenuntergängen.

Jetzt mal ein Geständnis: Ich wäre selbst gerne ein Landschaftsfotograf. Immer an der frischen Luft, immer inmitten einzigartiger vom Aussterben bedrohter Biotope. Mein Problem: Die supersten Landschaftsmotive sind mit ganz besonderem Licht fotografiert, das man bei gegebener Wetterlage innerhalb von ein paar Minuten nach Sonnenaufgang vorfindet. Das heißt dann wiederum, dass man bereits Stunden vor Tagesanbruch aufstehen muss, um die Ausrüstung zum vorher ausgeheckten Standort zu schleppen. Im Anschluss daran noch Stativ und Großbildkamera aufwändig aufbauen, um schlussendlich so etwas wie einen extended decisive moment zu fotografieren, wenn die ersten Sonnenstrahlen die geneigte Landschaft streicheln. Vice versa dann abends beim Sonnenuntergang, wenn das Resttageslicht zur „blauen Stunde“ kumuliert. Ist für mich viel zu viel Zeitmanagement, vor allem im Dunkeln aufstehen ist nicht mein größtes Talent.

Auf bluehoursite.com kann man Orts- und Zeitkoordinaten eingeben: „Not to miss any more opportunities“, um dann den optimalen spread fur die jeweilig anzufertigenden Belichtungen vornehmen zu konnen. Das Problem: Die perfekt belichteten Aufnahmen sehen alle nach schlechtem landscpae-porn aus, gerade vor den durch gelb-rötliches Kunstlicht beleuchteten Umrissen einer City-Scape oder einer Hafenkulisse entsteht durch den Komplementärkontrast des blauen Langzeithimmels so etwas wie der „high dynamic range“ – Antichrist.

Das Problem des Dynamikumfangs gab es selbstredend bereits zu analogen Zeiten, aber jetzt gibt es in so gut wie jeder Digitalkamera eine programmierte Funktion, die es erlaubt, mehrere Belichtungen des gleichen Motivs zu erstellen, die dann per Software (meistens schon in der Kamera enthalten) zusammengerechnet werden zu Super- oder Mega- Bildern. Mir persönlich verursachen diese einen ästhetischen Brechreiz, dem Fotocommuniy-liker aber anhaltende Ekstasen. Aber so ändert sich die Welt.

Ich persönlich habe das Gefühl, dass ich
die Ästhetik des Fehlers viel mehr zu
schätzen weiß, je weiter wir digital in
die Zukunft voranschreiten.

Nicht nur was die Anmutung von künstlerischen Bildoberflächen angeht, sondern auch metaphorisch als existentielles Memento Mori. Ich schätze mal, das nennt man Älterwerden.

Dass wir Normalos natürlich alle einem grundlegenden Fehler erliegen, indem wir überhaupt vom Sonnenuntergang sprechen, ist noch ein Überbleibsel des geozentrischen Weltbildes. Denn nicht die Sonne bewegt sich, sondern wir HimmelsguckerInnen rotieren auf der Erde über die Tag-Nacht-Grenze hinweg. Für diese moderne Perspektive eines heliozentrischen Weltbildes mussten aber erst mal Kopernikus, Kepler und Galilei von der Kirche der Häresie geziehen werden. Ein Häretiker ist jemand, der Meinungen und Thesen vertritt, die im Widerspruch zu kirchlichen Glaubenssätzen stehen, also mehr oder weniger „spirituelle Avantgarde“. Wenn Frauen so etwas im Mittelalter taten, kamen sie dafür auf den Scheiterhaufen. Ob es das Internet noch geben wird, wenn wir herausfinden sollten, dass es noch etwas Anderes gibt als das heliozentrische Weltbild?

Aber jetzt zurück zur Sonne. Nikolai Howalt greift in seiner Arbeit „Light Break“ die wissenschaftlichen Versuchsanordnungen des Mediziners Niels Ryberg Finsen auf, der als Pionier der Therapeutik mittels Lichtstrahlen gilt. Bei dem dänischen Fotokünstler wird das Licht der Sonne durch die Filter und Linsen des Nobelpreistragers geleitet und gebrochen, und „zeichnet“ sich ohne Kamera als Luminogramm selbst auf das Fotopapier. Howalt kommt so zu gefälligen und farbintensiven Bildern. Ob von diesen Unikaten allerdings genügend auratische Energie für therapeutische Wirkungen ausgeht, muss der/die BetrachterIn wie immer selbst entscheiden.

Auf einer Kunstmesse sah ich einmal eine sehr grose Farbfotografie von Robert Voit: Eine „klassische“ Venedig-Szenerie mit Kanal und Palästen im Mittelgrund, perfekt farbig fotografiert mit Großbild und einem übertriebenen Sonnenuntergangslicht, als wäre die Photoshop-Farbpalette ausgelaufen. Den Künstler interessiert das Groteske in der Landschaft, was ich für ein ziemlich gutes Alleinstellungsmerkmal halte. Hier hat er an der richtigen Stelle übertrieben, ansonsten enthüllt er fotografisch mit seiner sehr nüchternen Bildsprache Natur-Fakes, z.B. als Bäume getarnte Sendemasten in seiner Serie „New Trees“. Jedenfalls waren auf der Messe alle sechs Editionen des Venedig-Fotos mit roten Punkten übersät, sold out.

Im erweiterten Sinne könnte man auch die „1 h“-Serie des Fotografen Hans Christian Schink mit zu den Sonnenuntergängen rechnen. Aber jetzt wirklich nur als Ausnahme von der Regel, denn diese Bilder haben unzweifelhaft exakt gar nichts zu tun mit allen anderen Fotografien von Himmeln plus Tagesgestirn. Außer dass die Sonne eben eine Stunde weiter geht – was ja, wie bereits erwähnt, physikalisch nicht stimmt, weil die Erde rotiert. Aber allein das Wort triggert bei uns zu viel positiv konnotierte Gefühle, um es einfach mal eben empirisch zu begraben.

Ein fotohistorisches Initialbild, „Вlack sun“ von Minor White hat Schink inspiriert: Er macht auf der ganzen Welt mit Großbildkamera und schwarz-weißem Negativfilm einstündige Langzeitbelichtungen der Sonne. So entstehen auf dem Foto schwarze, gerade, abstrakt anmutende Linien über der Landschaft. Das Resultat manifestiert sich durch den Effekt der sogenannten „echten Solarisation“. Wenn man einen Negativfilm über einen gewissen Punkt hinaus belichtet, kippen die Tonwerte im fotochemischen Prozess des Labors um. Diese spezifische Eigenschaft des analogen Filmmaterials hilft ihm, unwirkliche Bilder mit hoher kontemplativer Suggestionskraft zu gestalten, die auch von Hiroshi Sugimoto sein könnten. Ein stärkeres Kompliment kenne ich nicht.

Der amerikanische Medienkünstler Paul Pfeiffer hat Marilyn Monroe aus den Bildern der berühmten Strand-Session des Fotografen George Barris digitally erased. Übrig bleiben seine „24 landscapes“, die nur seltsam beliebige Strandlandschaften zeigen. Aber auch unser Lieblingsmotiv, den Sonnenuntergang, stellte er medienkonzeptuell befremdlich dar. Wenn wir seine Videoinstallation „Morning after the deluge“ anschauen, wissen wir erst einmal nicht, ob es sich um einen Sonnenauf- oder untergang handelt. Der Titel ist nach dem berühmten Gemälde von William Turner von 1843 benannt, es soll den Morgen nach der Sintflut darstellen. Die Sonne ist immer noch da, die Erde auch, die Zukunft der Menschen ist ungewiss. Pfeiffer hat die beiden Aggregatzustände der irdischen Sonnenperspektiven, also sowohl den sunrise als auch den sunset gefilmt und miteinander überblendet, so dass sich nur die Horizontlinie bewegt und der gleißende Sonnenball in der Mitte stehen bleibt. Die gefilmten Farbveränderungen von Sonne und Himmel können den BetrachterInnen helfen, die Irritation konstruktiv aufzulösen. Denn Irritation findet statt, weil irgendwann im Laufe der Projektion eine Linie von oben nach unten wandert, zwischendurch die Sonne durchkreuzt, um im unteren Bildrand zu verschwinden. Wir können die Linie auch aufgrund vorbeiflatternder Vögel und Wellenbewegungen als Horizont identifizieren.

Halbvoll des interesselosen Wohlgefallens könnte der/die sehr geneigte und womöglich auch vorgebildete BetrachterIn bei der Rezeption von Paul Pfeiffers Installation eine ähnliche kopernikanische Verkehrung des BetrachterInnenstandpunktes erleben. Nämlich indem er/sie Turners raumauflösend kalkulierte Farbtrance „The Morning After The Deluge“ als Überblendung der Sonne mit dem Auge wahrnimmt.

Wenn es schon um Subjektivierung von Wirklichkeit geht, dann darf ich auch ganz solipsistisch die stilisierte Schlange in Turners...

Erscheint lt. Verlag 5.7.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Freizeit / Hobby Fotografieren / Filmen
ISBN-10 3-7534-5728-0 / 3753457280
ISBN-13 978-3-7534-5728-4 / 9783753457284
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