Finde den Weg zu deiner inneren Mitte (eBook)

4. Warum Loslösung so wichtig ist

Ich weiß nicht, ob du dir bewusst bist, dass es deine Bindungen sind, die dir zu schaffen machen. Ich spreche nicht nur von den Bindungen zu Besitztümern, sondern von allen Bindungen, derer wir uns kaum bewusst sind. Wie emotionale und zwischenmenschliche Bindungen ist auch die Bindung an Gedanken eine der Ursachen unserer Nöte. All diese Bindungen erzeugen nicht nur Druck, sie verfälschen auch unsere eigentliche Natur.

Wir definieren uns über das Denken und Fühlen, denn beides ist unweigerlich mit dem Menschsein verknüpft. Gedanken und Gefühle begleiten uns durchs Leben, sodass wir es kaum schaffen, von ihnen Abstand zu nehmen. Es mag dir seltsam vorkommen, dass wir uns von etwas distanzieren sollten, was uns eigentlich gar nicht gehört. Unsere Aufgabe ist es, all diese Begrenzungen hinter uns zu lassen.

Durch unser materielles Streben und ständig mehr Umweltreize fehlt uns ein Gegenpol – ein Ruhepol. Ein Anker, auf den wir uns stützen können. Etwas, worauf wir uns ausruhen können. Ein Rückzugsort, der nicht in der Welt, sondern in uns beheimatet ist. Unruhe, Ängste und Sorgen sind zwar immer noch da, wenn wir in uns still werden, doch ist es das Ziel, sich nicht mehr von ihnen beeindrucken und verunsichern zu lassen. Dann können wir auch schlechte Erfahrungen als etwas erleben, wovon wir uns nicht mehr persönlich betroffen fühlen. Dass wir uns von Sorgen und Ängsten mitreißen lassen, ist unserem Mangel an Selbsterfahrung zuzuschreiben. Das Ich wird mitgerissen, das Selbst ruht in sich – und Meditation ist der Weg vom Ich zum Selbst, ein Weg, uns wieder als Geist zu erfahren.

Die Covid-19-Pandemie hat uns eine Zwangspause verpasst. Die großen Herausforderungen, die sich uns stellten und weiterhin stellen, haben uns stark gemacht, auch wenn sie Spuren hinterlassen haben. Einige hatten kaum Zeit zum Durchatmen, das waren die an der Front. Andere durften erleben, was es bedeutet, in der Arbeit einen Gang herunterzuschalten. Familien durften Zusammenhalt erfahren, aber auch ihre Grenzen ausloten.

Fakt ist, dass Menschlichkeit ein Gesicht bekommen und ein Rückzug aus der Schnelllebigkeit stattgefunden hat. Jetzt geht es darum, die Entspannung beizubehalten und zu lernen, sich nicht unterkriegen zu lassen und das Leben zu nehmen, wie es ist. Ich habe die Menschen noch liebevoller wahrgenommen und ein Durchatmen in der Welt verspürt. Ich habe gesehen, wozu Menschen fähig sind und welche Größe sich hinter ihren Masken verbirgt. Und damit meine ich nicht die Masken im Außen! Eine insgesamt doch auch schöne Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Welche positiven Erfahrungen hast du gemacht?

Was hat dich gestört?

Was hast du gelernt?

Was hat dein Verhalten, deine Meinungen und Überzeugungen verändert?

So unterschiedlich wie die Gründe, warum jemand eine Meditationstechnik erlernen möchte, so verschieden sind auch die individuellen Auswirkungen der Meditation. Bestimmte Methoden helfen uns dabei, ruhiger zu werden und uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Das Selbst braucht jedoch keine Methode, sondern nur Loslösung pur. Doch wie bereits erwähnt, sind Methoden und Techniken die ersten Schritte, um uns selbst anzunehmen.

Hinterfrage, aus welchem Grund du meditieren möchtest. Vielleicht aus einem gesundheitlichen, einem psychologischen oder einem religiösen Grund? Willst du ruhiger werden? Beabsichtigst du etwas damit? Setzt du dich einfach nur still hin, weil es dir guttut? Hast du einen Grund, und wenn ja, welchen?

Nach einem langen und arbeitsreichen Tag tut es Körper und Geist gut, für eine gewisse Zeit abzuschalten. So baut er Spannungen ab, die sich während des Tages im Körper angestaut haben. Durch die tiefe Entspannung fühlt man sich nach einer etwa 20-minütigen Meditation erfrischt und erholt. Alle Muskelpartien werden gelockert, und man schöpft neue Kraft. Eine wunderbare Möglichkeit, um aufzutanken und loszulassen!

Meditation aus gesundheitlichen Gründen ist vor allem für jene Menschen hilfreich, die unter Druck stehen, gestresst sind und den Körper als angespannt, müde und schwer empfinden.

Bei der Meditation aus psychologischen Gründen beruhigt sich der Verstand und kann sich allmählich vom Alltagsgeschehen lösen. Es wird still in uns. Durch diese regelmäßige Loslösung von Aufgaben und Herausforderungen, aber auch von den eigenen Emotionen und Gefühlsstauungen, gelangen Meditierende nach und nach zu einer geistigen Grundhaltung, in der sie sich weniger mit ihren Gefühlen, Wünschen und Abhängigkeiten identifizieren. Sie empfinden zwar noch immer so wie vorher, aber ihr Verlangen hat keine Macht mehr über sie. Sie erreichen eine emotionale Unabhängigkeit von der materiellen Welt und lassen sich von Gedanken nicht mehr so stark irritieren.

Meditation aus religiösen Gründen hat ein starkes Fundament. Religion ist ein guter Anker, sofern man nicht zu dogmatisch wird. Jede Religion an sich kann hilfreich sein, weil sie Halt gibt. Oft geht es gar nicht darum, was einem Halt gibt, sondern dass etwas da ist, das einem Vertrauen schenkt und innerlich stärkt.

Der Mensch muss sich irgendwo anlehnen können, das gibt ihm das Gefühl, nicht unterzugehen. Das Gefühl von Geborgenheit lindert Einsamkeit, die uns stark zu schaffen machen kann. Eine Oase der Zuflucht verleiht uns das Gefühl, nie verloren zu sein. Das stärkt gleichzeitig die Überzeugung, dass man einen Platz in der Welt und eine Aufgabe hat. Wichtig ist die Zuversicht, dass alles, was geschieht, nur zu unserem Besten ist. Das stärkt das Grundvertrauen, und man gelangt nach und nach zu der Gewissheit, dass jede Situation einen Nutzen hat, auch wenn dieser erst viel später oder vielleicht gar nie zu erkennen ist. Wichtig ist nur, dass wir darauf vertrauen, dass alles seinen Sinn hat und so sein muss, wie es ist.

Meditation sollte nicht als Weltflucht verstanden werden. Sie ist in jedem Fall eine Unterstützung. Es gibt natürlich noch viele weitere Gründe für Meditation. Jeder Mensch hat seine eigene Richtung und sollte immer nur das praktizieren, wovon er sich angezogen fühlt. Was bei dem einen Wunder wirkt, muss für jemand anderen noch lange nicht richtig sein.

Meditierende werden bei allen Meditationsmethoden nach und nach ruhiger. Das ist auch Sinn und Zweck, um überhaupt erst mal Abstand zu gewinnen. Nach und nach stellt sich der Effekt, sich zu zentrieren und sich gefühlsmäßig nicht mehr zu Reaktionen hinreißen zu lassen. Meditation trägt dazu bei, dass wir uns nicht mehr in Situationen hineinziehen lassen und gefestigter sind. Wir werden souveräner und lernen, mit unseren Widerständen duldsamer umzugehen. Durch die tägliche Meditation identifizieren wir uns nicht mehr so stark mit Wünschen und materiellen Dingen. Vielmehr erfahren wir uns als geistig unabhängige Wesen, die bewusst denken und handeln. Es kommt zur Harmonisierung aller uns innewohnenden Kräfte, und wir erhalten innere Anstöße und Impulse, die zu unserer Selbstverwirklichung beitragen. So erleben wir im Laufe der Zeit eine schrittweise Entwöhnung unserer Persönlichkeit und werden klarer und ausgeglichener.

In herkömmlichen Meditationen erfahren wir einen Aspekt der Wirklichkeit. Die eine Wirklichkeit offenbart sich, wenn wir Gründe und Absichten hinter uns lassen. Indem wir das, was da ist, weder einordnen noch beurteilen, wird es wie von Zauberhand still. So können wir das einseitige Denken loslassen und das Leben ohne den Filter des Ich erfahren. Es ist nichts mehr dazwischengeschaltet, denn alles, was erscheint, ist absolut gleichwertig. Dieser Wirklichkeit öffnen wir uns, wenn wir unser eigenes Wesen zurücknehmen und weder Gedanken noch Gefühlen zu große Aufmerksamkeit schenken. Dann können wir auf den Klang der Schöpfung hören und im Gleichklang, ja im Einklang, leben. Trennung löst sich auf, und das allumfassende Gesetz der Einheit kann endlich wieder zum Vorschein kommen.

Wahre Meditation beschert uns große Glücksgefühle und harmonische Seligkeit. Dies sind Eigenschaften unseres wahren Wesens und nicht mit unserer Gefühlswelt zu vergleichen. Glückseligkeit erfährt alles um uns herum als Schöpfung, als sich selbst. Wir werden eins mit der Welt und sind nicht mehr Einzelne, sondern die Gesamtheit von allem. Solche überwältigenden Gefühle und Erfahrungen können auftreten – oder auch nicht. Sie bestimmen aber in keinem Fall den Wert von Meditation. Meditation kann man nicht als »erfolgreich« betrachten, sondern als essenziell.

Vorsicht: Höhenflüge bergen die Gefahr, das Ich zu verstärken. Man...