Rum oder Ehre (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7113-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rum oder Ehre -  Carsten Sebastian Henn
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Martin Störtebäcker, 72 Jahre alt und von seinen Freunden liebevoll »der Käpt'n« genannt, lebt friedlich in der deutschen Rum-Metropole Flensburg, wo sich sein Faible für den köstlichen Zuckerrohrbrand her-vorragend pflegen lässt. Aber dann segnet sein bester Freund Lasse das Zeitliche - und gibt dem Käpt'n aus dem Grab einen letzten Auftrag mit: Er soll zur legendären Rum-Insel Jamaika reisen und sich endlich auf die Suche nach seinem dort verschollenen Bruder begeben. In der Karibik angekommen freundet sich der Käpt'n schnell mit einer abenteuerlustigen Taxifahrerin an, die ihn bei seiner Suche unterstützt. Doch schon bei der Besichtigung der ersten Rum-Distillery stellen sie fest: Etwas stimmt ganz und gar nicht in dem tropischen Paradies. Der Brennmeister der Distillery wird auf brutale Weise ermordet aufgefunden - und es wird nicht der letzte Mord gewesen sein. Ein rasantes Katz-und-Maus-Spiel beginnt ...

CARSTEN SEBASTIAN HENN ist Kulinariker durch und durch. Er hält Hühner und Bienen, studierte Weinbau in Adelaide (Australien), besitzt einen Steilstweinberg an der Terrassenmosel, ist ausgebildeter Barista und neben seiner Arbeit als Schriftsteller einer der renommiertesten Restaurantkritiker und Weinjournalisten Deutschlands. Seine Romane und Sachbücher haben eine Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplare und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Mit >Der Buchspazierer< sta

EINS

»I Can See Clearly Now«

Martin glaubte nicht an Übersinnliches, aber an diesem Tag sprach ihn jemand aus dem Grab an.

Natürlich war es Lasse.

Martin hieß mit Nachnamen Störtebäcker (zu seinem Bedauern nicht verwandt mit dem Seeräuber ähnlichen Namens), aber alle nannten ihn nur den Käpt’n. Oder den Einbeinigen, obwohl er in der Regel auf zwei Beinen unterwegs war. Wenn er sich das linke hochband, war er für seine Piratenschule im Einsatz und veranstaltete Kindergeburtstage. Dabei fragten die Kinder ihn oft, ob er in Wirklichkeit Käpt’n Iglo wäre, wegen des weißen Barts, und auch sonst sähe sein Gesicht aus, als gehörte es auf eine Packung Fischstäbchen. Martin musste dann immer bedauernd verneinen, denn das Geld für solch einen Werbedeal hätte sicher dafür gesorgt, dass er nicht immer knietief im Dispo steckte.

Geldsorgen waren allerdings das Letzte, was ihn in diesem Moment beschäftigte: Der Mann, der heute beerdigt wurde und in dessen Grab er gerade mit einem Schäufelchen voller Erde in der Hand herabsah, war Lasse, sein bester Freund.

Lasse und er hatten eine Wette laufen gehabt: Wer zuerst stirbt, hat gewonnen. Dabei hatte Lasse wegen seiner schwachen Pumpe und seinem jahrzehntelangen Diabetes die deutlich besseren Chancen gehabt. Der Einsatz: ein HSV-Trikot. Wenn Martin zuerst gestorben wäre, hätte er Lasses 1979er von Kevin Keegan bekommen, also mit ins Grab. Martin musste ihm nun sein von Uwe Seeler bei der Meisterschaft 1960 vollgeschwitztes und signiertes Trikot hinterherwerfen. Das tat echt weh, aber Wettschulden waren Ehrenschulden. Außerdem wusste Martin, dass Lasse bestimmt an dieses Trikot gedacht hatte, als ihm klar geworden war, dass der Herzinfarkt sein Ende einläutete.

Die Beerdigung fand auf dem Mühlenfriedhof statt, Lasse hatte ein Grab in direkter Nähe des Wasserturms bekommen – was dem alten Segler sicher gut gefallen hätte. Und falls er wiederauferstehen würde, wäre der Ausgang auch nicht weit.

Viele Leute waren nicht zu seiner Beerdigung gekommen, vielleicht zwei Dutzend, fast alle in Lasses Alter. Das leider auch Martins Alter war: zweiundsiebzig. Und egal, was Udo Jürgens mal gesungen hatte, das Leben hatte leider nicht erst mit sechsundsechzig angefangen. Martins Knochen fühlten sich morsch an, die Lunge löchrig, und die meisten Muskeln hatten schon längst das sinkende Schiff verlassen.

Obwohl Lasses drei Exfrauen anwesend waren, trat Martin als Erster ans Grab, so war es vereinbart. Zwar hatte Lasse sich auf seine alten Tage und in Anbetracht seines miserablen Gesundheitszustands mit ihnen allen ausgesöhnt, aber der Käpt’n war nun mal bis zum Schluss der wichtigste Mensch in seinem Leben gewesen.

Damit das Trikot halbwegs ordentlich auf dem Sarg lag, beugte Martin sich ächzend hinunter, breitete den Stoff aus und machte sich bereit loszulassen.

Das war der Moment, in dem Lasse aus dem Grab sprach.

Beim Klang seiner Stimme schrien einige in der Trauergemeinde vor Schreck auf, eine entfernte Cousine von Lasse lief sogar weg. Die meisten wurden leichenblass, was dem Anlass natürlich gut entsprach. Martin selbst erstarrte, sein Hals pochte schwer.

Lasses erstes Wort heulte wie eine Sirene durch die Luft. Er zog die Vokale lang, wie immer, wenn er Martin begrüßte.

»Käääääpt’n, du alte Bangbüüüüüx! Jetzt bin ich tot, du aber nicht. Also mach was draus, ja? Du weißt, wie es mit den letzten Wünschen von Verstorbenen ist, oder? Die muss man erfüllen! Komme, was da wolle! Achtung, hier ist meiner: Mach endlich die Reise nach Jamaika, auf den Spuren deines verschwundenen Bruders. Du hast mich jahrelang damit gequält, immer wieder über diesen Traum geschnackt, und dann biste doch nie los. Das ertrage ich nicht mehr! Vor allem weil ich jetzt tot bin.«

Lasse, man konnte es nicht anders nennen, beömmelte sich.

»Und einen zweiten Wunsch habe ich noch: Amüsiere dich dabei, lass es dir auf deine alten Tage gut gehen. Du hast es echt verdient. Und jetzt wirf endlich das verdammte Trikot runter, sonst komm ich nämlich hoch und hol es mir!«

Martin warf schnell das Trikot ins Grab, bevor sich der Sargdeckel noch öffnete.

Natürlich war ihm klar, dass Lasses Stimme eine Aufzeichnung gewesen sein musste, aber sicher war sicher.

Dann trat einer der Sargträger vor. Es war Knut, in seiner Hand eine Fernbedienung mit einem einzigen großen Knopf, wie man sie von Garagentoren kannte. Knut war Elektriker und Teil der Kegelrunde von Lasse und Martin.

»War sein letzter Wunsch«, sagte Knut entschuldigend. »Also einer seiner letzten. Ich musste auf die Alex schwören.«

Die Alex, eigentlich Alexandra, war der Salondampfer im Hafen von Flensburg, dem Knut sein Leben verschrieben hatte. Im Förderverein hielten sie den 1908 erbauten und heute letzten seegehenden kohlenbefeuerten Passagierdampfer Deutschlands instand. Knut und die Alex führten seit vielen Jahren eine intensivere Beziehung, als die meisten Ehen eine waren.

Martin rappelte sich mühsam auf, trat zu Knut, legte ihm die Pranke auf die Schulter und fing an zu lachen. Zuerst war er der Einzige, aber dann machte Knut mit und schließlich die ganze Trauergemeinde.

Sogar die Cousine kam zurück und lachte mit.

Das hätte Lasse gut gefallen, dem nie ein Witz zu flach, nie eine Pointe zu derb war. Als Achtjähriger hatte er mal ein Furzkissen auf den Platz des Pfarrers in der Marienkirche gelegt – und seitdem hatte sich sein Humor nicht wirklich weiterentwickelt.

Es war einer der Gründe, warum Martin ihn so ins Herz geschlossen hatte.

Danach trafen sich alle im »Piet Henningsen« unter an die Decke gepinnten Netzen und Schlangenhäuten. Martin versuchte, sich nicht davon irritieren zu lassen, dass ausgestopfte Fische, ein Taucherhelm und eine Gallionsfigur ihn beim Essen beäugten. Es gab Hering. Er konnte Fisch nicht besonders gut leiden, was er in Flensburg natürlich niemandem sagen durfte, weil sonst sein Charakter angezweifelt worden wäre. Über die Jahre hatte er deshalb viele Ausreden entwickelt, warum er ausnahmsweise keinen Fisch aß, obwohl er ihn sonst natürlich über alles liebte.

Dieser Leichenschmaus war ein weiterer posthumer Witz von Lasse. »Und dann drücken die sich alle den fiesen Hering rein!«, hatte er gesagt, als er ihm bei einer guten Flasche Rum von diesem Plan für die Festlichkeiten nach seinem Ableben erzählt hatte. »Nur weil ich tot bin! Ich schmeiß mich weg!«

Nach dem Essen musste Martin schnell zurück in seine Mühle, denn für den Nachmittag hatte sich eine Kindergeburtstagsgruppe angemeldet, die bei ihm auf die Piratenschule gehen wollte.

Erst als die schwere hölzerne Tür hinter ihm ins Schloss fiel, in die Martin vor nicht allzu langer Zeit in mühevoller Kleinstarbeit die Köpfe berühmter Piraten geschnitzt hatte, kamen die Tränen. Martin hatte nie gelernt, vor seinen Freunden zu weinen. Er konnte mit ihnen stundenlang über Gott und die Welt reden, laut feiern, dreckig lachen, sich besinnungslos besaufen, nur das Weinen hatte er sich nie mit ihnen zu teilen getraut. Seinen Tränen ließ er nur in seiner Mühle freien Lauf, die er vor ein paar Jahren der Stadt abgekauft und renoviert hatte, ja eigentlich immer noch renovierte. Das alte Mädchen hielt ihn auf Trab, indem sie immer wieder irgendwo etwas kaputtgehen ließ. Martin lief das Wasser herunter, weil Lasse ihm so verdammt fehlte – und er sich so elend allein fühlte. Lasse war Kernfamilie gewesen, das letzte Mitglied davon. Es gab andere Freunde und etliche Bekannte, aber Lasse war der Letzte gewesen, mit dem ihn ein richtig dickes Band verbunden hatte.

Martin ging die Treppe hoch in den ersten Stock. Sie war steil und schmal, die in den zweiten sogar noch enger. Der Aufstieg verlangte ihm einiges ab. Es war, wie in einen Trichter zu kraxeln. Martin war schon lange nicht mehr ganz oben gewesen, obwohl der Raum dort der schönste war, die Aussicht traumhaft. Es war das Zimmer seines kleinen Bruders Christian. Oder eher dessen Museum. Martin hatte viele der Möbel und Sachen aus Christians ehemaliger Wohnung mitgenommen und hier wieder aufgebaut – falls er irgendwann zurückkehren würde. Da waren die Reggae-Poster und -Platten von Peter Tosh, Gregory Isaacs und natürlich Bob Marley, die angebrochenen Rum-Flaschen, Dutzende. Egal, ob weiß oder braun, spiced, flavoured, ob in der Karibik gelagert oder in Europa, die Buddel in Form eines Totenkopfs oder mit aufwendig gezeichnetem Etikett, sein kleiner Bruder liebte Rum in all seinen Facetten. Auch Christians altes Aquarium mit darin versenktem Buddelschiff stand hier, und der leere Glaskubus machte Martin mehr als alles andere klar, dass sein kleiner Bruder fehlte. Christian war das klassische Nesthäkchen, für alle überraschend zwölf Jahre nach dem Erstgeborenen auf die Welt gekommen. Ein Unfall oder ein Wunder, je nachdem, wie man es sah. Von klein auf war das strohblonde Energiebündel der Sonnenschein der ganzen Familie gewesen. Martin hatte in der Jugend fast väterliche Gefühle für seinen Bruder entwickelt – wenn er sich nicht gerade darüber geärgert hatte, dass er auf ihn aufpassen musste. Sehr lange her war das. Es wirkte fast wie aus einem anderen Leben.

Martin ging zu dem alten Telefunken-Plattenspieler und legte das Album mit den größten Reggae-Hits aller Zeiten auf, das ihm Christian damals aus Jamaika geschickt hatte. In der Hülle steckte eine Postkarte, das Letzte, was er von ihm gehört hatte. Die Tinte war verblichen, aber Martin wusste genau, was daraufstand: Mach dir keine Sorgen um mich, großer...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2021
Reihe/Serie Kulinarische Kriminalromane
Kulinarische Kriminalromane
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Essen / Trinken
Schlagworte Abenteuer • Barkeeper • Bestseller-Autor • Bücher über Rum • Cocktails • Cosy Crime • Cozy Crime • Der Buchspazierer • Der Gin des Lebens • Drinks • Flensburg • Genuss • Geschenk • Geschenk für Männer • Gin • Jamaika • Karibik • krimi mit essen • Kriminalroman • Krimis • Kulinarischer Krimi • Kulinarischer Roman • Piraten • Privatdetektiv • Reggae • Reise • Rezepte • Rum-Cocktails • rum-geschenk • Rum-Geschichte • rum-lexikon • rum-produktion • Rum-Rezepte • schlesweg-holstein • Schleswig-Holstein • Störtebeker • Tom Hillenbrand • Whiskey
ISBN-10 3-8321-7113-4 / 3832171134
ISBN-13 978-3-8321-7113-1 / 9783832171131
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