Die römische Republik (eBook)
304 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-77082-1 (ISBN)
Wolfgang Blösel ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
EINFÜHRUNG: FORUM UND EXPANSION
Wir schreiben den 2. November 82*: Der römische Feldherr L.1 Cornelius Sulla hat nach einem mehrjährigen blutigen Bürgerkrieg in der erbitterten Schlacht am Collinischen Tor am Vortag die Kontrolle über die Stadt Rom errungen. Nun lässt er etwa 6000 feindliche Soldaten, die sich ihm ergeben hatten, viele davon vom italischen Stamm der Samniten, von seinen Schergen im Circus Flaminius, auf dem Marsfeld direkt am Tiber gelegen, zusammentreiben und niedermetzeln. Zur gleichen Zeit hat Sulla die Senatoren im unmittelbar benachbarten Tempel der Kriegsgöttin Bellona zusammenrufen lassen. Als die Senatoren sich über die Schreie der Hingemordeten entsetzt zeigen, heißt er sie, deren Gejammer nicht zu beachten; denn es handele sich nur um einige Verbrecher, die auf seinen Befehl hin ihre gerechte Strafe erhielten.
In dieser Szene, die uns der kaiserzeitliche Biograph Plutarch2 schildert, beachtete Sulla in einer Hinsicht penibel die ungeschriebenen Regeln der Nobilität, die er zugleich in anderer Hinsicht mit Füßen trat: Als mit dem militärischen Oberbefehl, dem imperium, ausgestatteter Prokonsul durfte Sulla das religiöse und politische Zentrum Roms nicht betreten. Deshalb empfingen die Senatoren, die normalerweise in der Senatskurie auf dem Forum Romanum tagten, heimkehrende Feldherren im Tempel der Kriegsgöttin Bellona, der knapp außerhalb der sakralen Stadtgrenze, des pomerium, lag, um mit ihnen über die Gewährung eines Triumphes zu verhandeln. Indem Sulla die Senatoren dorthin beorderte, sollten diese nicht nur die Gültigkeit seines konsularischen Imperiums, das er sechs Jahre zuvor, vor dem Bürgerkrieg, als Konsul erhalten hatte, anerkennen, sondern insbesondere auch Ohrenzeugen dessen werden, was er mit all seinen Gegnern zu machen gedachte, nämlich ‹kurzen Prozess›.
Durch die gewalttätige Einschüchterung der Senatoren brachte Sulla nichts weniger als die Fundamente der Herrschaft der römischen Führungsschicht ins Wanken: Denn gerade frei von jeglicher Gewaltdrohung sollten die Senatoren in der Curia Hostilia beraten und die Bürger auf dem Comitium ihre Abstimmungsentscheidungen treffen können. Das Comitium lag auf dem Forum Romanum, hier wurden die römischen Bürger in Versammlungen (contiones) durch die Magistrate über anstehende Abstimmungen unterrichtet. Dort wählten sie auch in den comitia tributa die Magistrate ohne militärische Befehlsgewalt – die Quästoren, Ädilen und Volkstribune. Zu diesem Zweck waren diese beiden Versammlungsplätze durch das pomerium vom Rest der Stadt abgegrenzt. Diese Linie war offenbar seit früher Zeit nicht durch Mauern, sondern nur durch Grenzsteine (sogenannte cippi) an ihren Wendepunkten markiert und umschloss einen geschützten Raum, der auch als domi bezeichnet wurde, wörtlich «im Hause», innerhalb dessen das Tragen von Waffen strikt untersagt war. Hierin mussten selbst die Beile, Zeichen der Macht der Obermagistrate über Leben und Tod der römischen Bürger, aus den Rutenbündeln (fasces) entfernt werden. Im Bereich domi waren die Bürger vor Tötung oder auch nur vor körperlicher Züchtigung durch das sogenannte Provokationsrecht geschützt. Ein Imperiumsträger konnte somit seinen militärischen Oberbefehl innerhalb des pomerium nicht ausüben, es gab darin, wie überhaupt in der gesamten Stadt Rom, nicht einmal eine feste Polizeitruppe, welche die öffentliche Ordnung hätte aufrechterhalten können.
Doch dieser Umstand darf nicht zur Annahme verleiten, die Römer wären etwa in früher Zeit waffenscheue Pazifisten gewesen. Denn als Bürger versammelten sie sich sogar unmittelbar jenseits des pomerium, auf dem Marsfeld, zu den Comitia centuriata, die ursprünglich eine Versammlung des römischen Gesamtheeres darstellten. In diesen Zenturiatkomitien wählten sie bezeichnenderweise die Konsuln und Prätoren, die ja ein militärisches Imperium besaßen. In komplementärer Weise zum Begriff domi hieß das Gebiet außerhalb des pomerium «militiae»: dort unterlag jeder römische Soldat der vollen Befehls- und auch Strafgewalt römischer Imperiumsträger. Die Bürger wurden, obgleich unbewaffnet, mittels eines Hornsignals und der roten Kriegsfahne zur Versammlung gerufen, die während der gesamten Zusammenkunft auf der dem Marsfeld südlich angrenzenden Burg (arx) gehisst blieb, von wo aus zugleich auch eine Wachmannschaft die Versammelten schützte.
Abb. 1: Das archaische Rom
Überdies konnte das pomerium, diese oft als scharf verstandene Grenze zwischen dem Drinnen und Draußen, zwischen Frieden und Krieg, in einigen bezeichnenden Fällen von Feldherren überschritten werden. Dies galt zum einen für den Notfall der unmittelbaren kriegerischen Bedrohung der Stadt Rom, in dem der dictator seinen Oberbefehl, dem ausnahmslos jeder Römer unterworfen war, auch innerhalb des pomerium ausüben konnte. Zum anderen traf dies auch auf den Fall einer Massenmobilmachung aller wehrfähigen Bürger zu, des sogenannten tumultus. Dies drückte sich auch im Wechsel der Kleidung aus: jeder Römer war dann aufgefordert, seine Toga mit dem Soldatenmantel (sagum) zu vertauschen. In spätrepublikanischer Zeit verlieh der Senat durch den Notstandsbeschluss des senatus consultum ultimum den amtierenden Obermagistraten weitreichende Vollmachten zum Schutze der Stadt ohne jede räumliche Einschränkung.
Mögen diese Grenzüberschreitungen aus der Notlage verständlich sein, so gewährt das Rückkehrritual des siegreichen Feldherrn mitten hinein ins politische und religiöse Zentrum doch einen tieferen Einblick in die römischen Vorstellungen vom Verhältnis von Drinnen und Draußen, Frieden und Krieg, domi militiaeque. Der triumphus führte nicht nur den siegreichen Imperiumsträger, sondern in einem langen Zug auch seine Soldaten mitsamt der Beute und den Kriegsgefangenen durch die porta triumphalis in das Herz der Stadt an verschiedenen Tempeln vorbei, durch den Circus Maximus schließlich auf dem Forum Romanum vorbei am Comitium und an der Senatskurie. Das eigentliche Ziel des Triumphzuges war jedoch der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus, in dem der Feldherr dasjenige Gelübde einlöste, das er beim Auszug zum Krieg an selbiger Stelle abgelegt hatte. Mit seinem Dank an Jupiter hatten also die ermutigenden Vorzeichen der Götter (auspicia), die der Feldherr damals ebendort eingeholt hatte, ihre Bestätigung gefunden. Durch die mitgeführten Schlachtgemälde, Modelle von eroberten Städten und schließlich die von Soldaten und Kriegsgefangenen nachgestellten Schlachtszenen holte der Triumphzug die Schrecknisse des Krieges mitten in Roms entmilitarisierten Kern hinein, um dann jedoch am Tempel des obersten Staatsgottes deren endgültige Überwindung zu feiern.
Das Triumphritual macht augenfällig, wie sehr die Bereiche von Frieden und Krieg aufeinander bezogen waren: Sofern eine Kriegserklärung vom römischen Volk beschlossen wurde – was mit fortschreitender Zeit immer seltener geschah –, wurde die entsprechende Abstimmung in den Zenturiatkomitien auf dem Marsfeld außerhalb des pomerium vollzogen; über Friedensverträge entschieden hingegen die Tributkomitien auf dem Forum Romanum. Somit bildete das Forum Romanum nicht nur den Ort des waffenlosen Wettstreits um die höchsten Ehrenämter und der intensiven Beratung, sondern auch zusammen mit den Tempeln auf dem angrenzenden Kapitol sowohl den Ausgangs- als auch den Endpunkt für Roms rasante Expansion über die gesamte Mittelmeerwelt.
Der besondere Charakter des Forum Romanum erklärt sich entwicklungsgeschichtlich, finden sich hier doch die ersten archäologischen Spuren einer städtischen Bürgergemeinschaft wie etwa die Tempel des Jupiter, des Volcanus und des Saturn, ein Versammlungsplatz (comitium) und das Amtslokal des Königs (regia). Auch der Mythos lässt den ersten König Romulus das Comitium als Mittelpunkt seines Gründungsaktes wählen, zu dem er eigens ‹Experten› für Stadtgründungsrituale aus Etrurien habe kommen lassen: Auf dem Comitium soll er eine Grube ausgehoben haben, in die neben den Erstlingen der Feldfrucht jeder eine Handvoll Erde aus dem Land, aus dem er jeweils gekommen sei, geworfen habe. Nachdem man all dies in der Grube vermischt habe, soll Romulus darum im Kreise mit dem Pflug das pomerium gezogen und damit das Gebiet der Stadt (urbs Roma) vom Umland abgegrenzt haben.3 In diesem Mythos spiegelt sich das Selbstverständnis der Römer wider, dass der Gründer selbst wie auch die anderen Beteiligten nicht aus Rom, sondern aus verschiedenen fremden Ländern stammten. Indem sie die Grenzen der neuen Stadt selbst festlegten und sich in ihr zu einer festen religiösen und politischen Gemeinschaft zusammenschlossen, heiligten sie diesen Ort in besonderer Weise.
Der religiöse Mittelpunkt Roms lag auf dem Kapitol, das nicht vom pomerium umschlossen wurde, im Jupiter-Tempel, der wohl Ende des 6. Jahrhunderts errichtet worden war. Hier legte der ausziehende Feldherr...
Erscheint lt. Verlag | 24.4.2021 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
Schlagworte | Aufstieg • Augustus • Caesar • Elite • Expansion • Forum • Frühzeit • Herrschaft • Konflikt • Konkurrenz • Krieg • Militär • Politik • Römische Republik • Römisches Reich • Staat • Untergang • Weltmacht |
ISBN-10 | 3-406-77082-7 / 3406770827 |
ISBN-13 | 978-3-406-77082-1 / 9783406770821 |
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