Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert (eBook)
416 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43951-0 (ISBN)
Tim Marshall, Jahrgang 1959, ist renommierter Experte für Außenpolitik und internationaler Bestsellerautor. >Die Macht der Geographie<, 2015 bei dtv erschienen, wurde in 30 Sprachen übersetzt und weltweit millionenfach verkauft. 2020 folgten mit >Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert< und 2023 mit >Die Geografie der Zukunft< die nächsten Bestseller über brisante Krisenherde der Welt.
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Tim Marshall, Jahrgang 1959, ist renommierter Experte für Außenpolitik und internationaler Bestsellerautor. ›Die Macht der Geographie‹, 2015 bei dtv erschienen, wurde in 30 Sprachen übersetzt und weltweit millionenfach verkauft. 2020 folgten mit ›Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert‹ und 2023 mit ›Die Geografie der Zukunft‹ die nächsten Bestseller über brisante Krisenherde der Welt.
VORWORT
Der Falke hört den Falkner nicht;
Die Dinge zerfallen; die Mitte hält nicht mehr stand.
The Second Coming, W.B. Yeats
Im Nahen Osten stehen sich die gewaltige Festung des Iran und seine Nemesis Saudi-Arabien am Persischen Golf gegenüber. Im Indo-Pazifik sieht sich Australien gefangen zwischen den beiden stärksten Nationen unserer Zeit: den Vereinigten Staaten und China. Im Mittelmeer befinden Griechenland und die Türkei sich in einem Konflikt, der bis in die Antike zurückreicht und jederzeit gewaltsam ausbrechen kann.
Willkommen in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts! Die Ära des Kalten Kriegs, in der die USA und die Sowjetunion die Welt beherrschten, gerät zunehmend zu einer entfernten Erinnerung. Wir betreten ein neues Zeitalter der Rivalität zwischen diversen Großmächten, in dem verschiedene Akteure, darunter auch kleinere Mitspieler, heftig ins Rampenlicht drängen. Und das geopolitische Drama wächst bereits über die Erde hinaus, weil die unterschiedlichsten Länder Ansprüche jenseits unserer Atmosphäre anmelden, bis hin zum Mond und darüber hinaus.
Wenn eine Ordnung ins Wanken gerät, die für mehrere Generationen fest etabliert schien, wird man leicht nervös. Aber so etwas hat es schon früher gegeben, so wie es jetzt geschieht und auch in Zukunft geschehen wird. Seit einiger Zeit bewegen wir uns wieder in Richtung einer »multipolaren« Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine bipolare Ära entstanden, mit einem von Amerika geführten kapitalistischen System auf der einen und dem kommunistischen System auf der anderen Seite, das vom alten russischen Reich und China geführt wurde. Diese Ära dauerte je nachdem, wo man die zeitlichen Einschnitte setzt, etwa fünfzig bis achtzig Jahre. In den Neunzigerjahren gab es nach Ansicht einiger Beobachter eine kurze »unipolare« Dekade, in der die Macht der USA praktisch unangefochten war. Aber jetzt ist es offensichtlich, dass wir uns wieder auf eine Situation zubewegen, die für den größten Teil der Menschheitsgeschichte die Norm war: den Wettstreit verschiedener Machtansprüche.
Wann genau der erneute Wandel begonnen hat, ist schwer zu bestimmen; es kann kein einzelnes Ereignis ausgemacht werden, das die Veränderung ausgelöst hat. Aber manchmal gibt es Augenblicke, in denen man spürt, dass da etwas passiert, und die Nebelschleier der Machtpolitik plötzlich aufreißen. Ein solches Erlebnis hatte ich an einem nassen Sommerabend des Jahres 1999 in Pristina, der maroden Hauptstadt des Kosovo. Das Auseinanderbrechen der Bundesrepublik Jugoslawien im Jahre 1991 hatte zu jahrelangen kriegerischen Handlungen und Blutvergießen geführt. Jetzt hatten die Bombenangriffe der NATO die Serben gezwungen, das Kosovo aufzugeben, und die KFOR-Truppen standen bereit, die Region von Albanien aus zu besetzen. Aber schon während des ganzen Tages hatte es Gerüchte gegeben, dass eine russische Militärkolonne der in Bosnien stationierten SFOR im Anmarsch sei, um die serbischen Interessen zu wahren.
Zu diesem Zeitpunkt war Russland verarmt, verunsichert und nur noch ein Schatten seiner selbst. Es hatte ein Jahrzehnt lang zusehen müssen, wie die NATO auf seine Westgrenze vorrückte, weil eine osteuropäische Nation nach der anderen Regierungen wählte, die der Europäischen Union und/oder der NATO beitreten wollten. Auch in Lateinamerika und im Nahen Osten war der russische Einfluss geschwunden. Aber nun, im Jahr 1999, hatte Moskau wohl eine Entscheidung gegenüber den westlichen Mächten getroffen – bis hierhin und nicht weiter. Und das – Kosovo war die rote Linie. Präsident Jelzin befahl der russischen Armee einzugreifen, und manche Leute glauben, dass der aufstrebende nationalistische Politiker Wladimir Putin dabei eine Hand im Spiel hatte.
Ich war in Pristina, als die gepanzerte russische Kolonne in den frühen Morgenstunden über die Hauptstraße zum Flugplatz hinausrumpelte, wo sie drei Stunden vor den KFOR-Truppen der NATO eintraf. Ich habe später gehört, dass US-Präsident Clinton erst durch meinen Bericht »The Russians rolled into town, and back onto the world stage« von dem Ereignis erfahren hat. Es war nicht gerade Pulitzer-Preis-Material, aber als erste Skizze von Zeitgeschichte erfüllte es seinen Zweck. Die Russen hatten klargemacht, dass sie beim großen geopolitischen Ereignis des Jahres mitspielen und einen Gezeitenwechsel in der historischen Entwicklung herbeiführen wollten, die sich so lange gegen sie gerichtet hatte. Ende der Neunzigerjahre schienen die Amerikaner keine Gegenspieler mehr in der Welt zu haben, der Westen triumphierte auf ganzer Linie. Aber nun hatte der Gegenstoß begonnen. Russland war nicht mehr die ängstliche Macht, die es gewesen war, eine von vielen, sondern es würde kämpfen, um sich zu behaupten. In Georgien, in der Ukraine, in Syrien und anderswo sollte sich das bestätigen.
Vier Jahre später war ich in der irakischen Stadt Kerbela, dem heiligsten Ort der Schiiten. Saddam Hussein war von der amerikanisch-britisch geführten Koalition gestürzt worden, aber der eigentliche Machtwechsel stand noch bevor. Unter dem Sunniten Saddam waren viele religiöse Rituale der Schiiten verboten worden, dazu gehörte auch die öffentliche Selbstgeißelung. Jetzt sah ich zu, wie mehr als eine Million Schiiten aus dem ganzen Land an einem glühend heißen Tag in Kerbela zusammenströmten. Viele von ihnen peitschten sich den Rücken oder zerschnitten sich mit Messern die Stirn, bis der Staub auf den Straßen blutrot war. Für mich war klar, dass der Iran, der schiitische Gottesstaat jenseits der östlichen Grenze, jetzt alles tun würde, um eine von Schiiten beherrschte Regierung im Irak zu errichten, damit eine Brücke zu den schiitischen Kräften in Syrien und im Libanon zu schlagen und seine Macht bis zum Mittelmeer auszudehnen. Das war geopolitisch fast unvermeidlich. Ich dachte: »Das sieht religiös aus, aber es ist auch politisch, dieser Fanatismus wird Wellen bis an die Küste des Mittelmeers schlagen.« Das politische Gleichgewicht hatte sich verändert, und Teherans zunehmende Macht in der Region stellte die Vorherrschaft der Amerikaner im Nahen OstenNahen Osten infrage. Kerbela war nur die Kulisse für diese Entwicklung – und leider war sie blutrot gefärbt.
Das waren nur zwei der Schlüsselmomente, die dazu beitrugen, die komplizierte Welt entstehen zu lassen, in der wir uns heute bewegen und in der unzählige Kräfte in einem großen Spiel zusammenstoßen, sich schieben und ziehen. Aber sie gaben mir einen kurzen Einblick in die Richtung, in die wir uns bewegen. Das Bild wurde nach 2010 noch klarer, als die Ereignisse in Ägypten, Libyen und Syrien ins Rollen kamen. Der ägyptische Präsident Mubarak wurde durch einen Putsch der Militärs gestürzt, die ein gewalttätiges Straßentheater benutzten, um ihre Pläne verborgen zu halten. In Libyen wurde Oberst Gaddafi gestürzt und ermordet, und in Syrien konnte sich Präsident Assad nur noch mit letzter Kraft an der Macht halten, ehe die Russen und die Iraner ihn retteten. In allen drei Fällen ließen die Amerikaner durchblicken, dass sie keinen Finger krumm machen würden, um die jeweiligen Herrscher zu schützen, mit denen sie jahrzehntelang gute Geschäfte gemacht hatten. In den acht Jahren der Präsidentschaft von Barack Obama zogen sich die Vereinigten Staaten langsam von der internationalen Bühne zurück, und in den vier Jahren unter Präsident Trump beschleunigte sich diese Entwicklung noch. Unterdessen sind andere Länder mit raschem Wirtschaftswachstum wie Indien, China oder...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2021 |
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Übersetzer | Lutz W. Wolff, Lutz-W. Wolff |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Afrika • Ägypten • Armut • Äthiopien • Australien • Bestseller • Bildung • China • Demokratie • Die Geografie der Zukunft • Diplomatie • Erdbeben in Lissabon • Extremismus • Geografie • Geopolitik • Geschichte • Griechenland • Großbritannien • Irak • Iran • Katalonien • Klima • Klimawandel • Konflikte • Korruption • Krieg • Landkarten • Mineralien • Naher Osten • Öl • Persischer Golf • Politik • politisches Geschenkbuch • Politisches Sachbuch • Putin • Putins Macht • Putins Netz • Ressourcen • Russland • Russland verstehen • Sachbuch Bestseller • Sahara • Sahel-Zone • Saudi-Arabien • Sicherheit • Spanien • Südpazifik • Syrien • Türkei • Ukraine-Konflikt • USA • Weltpolitik • Weltraum |
ISBN-10 | 3-423-43951-3 / 3423439513 |
ISBN-13 | 978-3-423-43951-0 / 9783423439510 |
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