Die Eloquenz der Sardine (eBook)

Unglaubliche Geschichten aus der Welt der Flüsse und Meere

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
234 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76691-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Eloquenz der Sardine - Bill François
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«Die einzigen Tiere, denen ich auf gar keinen Fall begegnen wollte, waren Fische.» Eine Sardine, strahlend und zerbrechlich, befreite Bill François einst als Kind von seiner Angst vor den Fischen und dem offenen Meer. «Sie bat mich, sie zu begleiten, und hob an, mir ihre Geschichte zu erzählen.» Seither ist er nie wieder vollständig auf festen Boden zurückgekehrt. Seither lauscht er den Wundergeschichten der blauen Welt, die er uns in seinem betörenden Buch weitergibt.
Die Meeresbewohner sind keineswegs stumm. Ihre Sprache ist im Gegenteil so vielfältig wie unsere Sinne. Bill François lässt uns die unterseeischen Klänge hören,wo sich das Echo der Eisberge mit den Gesängen der Wale und dem Chor der Fische mischt. Er lehrt uns die Sprache der Farben und Düfte unter Wasser und erzählt vom Atlantischen Lachs, der noch in den Gewässern Grönlands den bretonischen Bach riecht, in dem er geboren wurde. Mit einer Gang von Streetfishern steigt er in den Bauch von Paris hinab, um dessen aquatische Bewohner zu treffen. Ein begnadeter Erzähler, lässt uns Bill François am gesellschaftlichen Leben der Meereswesen teilhaben, berichtet von der Kindheit der Fische, von der Fähigkeit der Buckelwale, ihr Wissen weiterzugeben, und vom Geschlechtswechsel bei den Meerjunkern. Während die Meereswelt durch den Menschen zahllosen Gefahren ausgesetzt ist, vermittelt er uns das Glück, das ein freundschaftlicher Austausch mit ihr uns finden lässt.

Bill François hat Physik an der École normale supérieure studiert und forscht über die Hydrodynamik aquatischer Organismen. Daneben hat er Kurzgeschichten geschrieben und den Rednerwettbewerb "Le Grand Oral" von France 2 gewonnen. Beide Welten, die der Wissenschaft und die des Wortes, verbindet er in seiner Leidenschaft für die Flüsse und Meere und die Lebewesen, die sie bevölkern.

Vorher


Der Felsen war sehr hoch, weshalb ich meine Strandlatschen auszog, um beim Klettern nicht auszurutschen. Barfuß zu gehen fand ich ohnehin angenehmer: Meine Sandalen Marke «Méduse» mit ihren durchscheinenden Plastikriemen und den rostigen Schnallen bereiteten meinen Füßen mehr Qualen als eine Qualle. Außerdem verlangsamten sie im Wasser jeden meiner Schritte. Da waren mir die schroffen Felskanten viel lieber, auch wenn meine Knöchel für den Rest der Ferien mit wasserfesten Pflastern mit Disney-Figuren vollgeklebt waren.

Ich musste bis ganz nach oben. Dieser Felsvorsprung markierte das Ende des Sandstrands, auf dem die Erwachsenen, in ihre Urlaubslektüre vertieft, schliefen. Vor ihm erwartete mich das unbarmherzige «Ferienheft» zum Lernen; dahinter erstreckte sich die wilde Küste. Vom Gipfel hatte ich einen Blick über die gesamte Bucht, sah selbst die Lachen und Rinnen zwischen den Steinen. Mit jeder Welle kam und ging das Meer, einem langsamen Atmen gleich, und wenn es einatmete, wurde das Wasser glatt und durchsichtig, so dass ich sehen konnte, was sich in ihm verbarg. Der ideale Moment, um all die im Meer lebenden Wesen zu beobachten. Ich liebte es, nach ihnen zu suchen, sie beim Einatmen des Meeres zu erspähen und sie mit dem Kescher zu fangen. Aufregend fand ich sie alle: die Strandkrabben mit der Algenperücke, die durchscheinenden Garnelen, die blasenspuckenden Strandschnecken, selbst die scharlachroten Seeanemonen, die ich nicht anzufassen wagte, weil mir die Erwachsenen gesagt hatten, dass sie pieken. Die einzigen Tiere, denen ich auf gar keinen Fall begegnen wollte, waren Fische. Sie lebten weit draußen vor den Felsen, wo ich nicht mehr stehen konnte. Sie machten mir Angst. Meine Eltern brachten manchmal welche vom Markt mit nach Hause, und ich erschrak, wenn ich ihre großen runden Augen sah oder die beiden Spalte am Hinterkopf, mit denen sie aussahen, als hätte man sie geköpft. Aus Angst vor den Fischen wagte ich mich nie über die Lachen und Felsen hinaus. Das offene blaue Meer, das dahinter zu erahnen war, weckte in mir eine tiefe Furcht.

Als das Meer gerade wieder einatmete, sah ich hoch oben vom Felsen am Rande der Wellen etwas aufblitzen. Ein Leuchten, das meinen Blick magisch anzog, vielleicht ein kleiner Schatz, ein Stück Perlmutt oder ein verlorener Gegenstand. Das musste ich mir ansehen. Über die scharfkantigen Felsen stolpernd kam ich dem schimmernden Etwas näher und näher. Und ich sah meine erste Sardine.

Damals wusste ich weder, dass es eine Sardine war, noch, dass man sie nur selten so nah an der Küste antraf. Normalerweise leben Sardinen auf offener See. Diese hier hatte sich offenbar verirrt, vielleicht von Thunfischen an die Küste gejagt, was aber ähnlich selten vorkam, weil es nicht mehr viele Thunfische im Mittelmeer gab. Haben Sie schon einmal eine lebende Sardine gesehen? Nur wenige Leute wissen, wie schön sie aussieht. Die Sardine glänzte silbern und hatte einen schwarzen Rücken, über den sich wie eine Girlande eine elektrisierend blaue Linie zog. An den Seiten funkelte ein breiter goldener Streifen. Die Sardine war zugleich strahlend und zerbrechlich, wie eins dieser Spielzeuge aus Weißblech, auf die ich im Laden immer gleich zurannte, die ich aber immer nur «mit den Augen» berühren durfte. An der Art und Weise, wie sie auf der Seite liegend dahintrieb, von den Wellen drangsaliert, ahnte ich schon, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Auch schien meine Gegenwart sie nicht zu beunruhigen, während sonst die kleinste Garnele die Flucht ergriff, sobald sie auch nur meine Schritte im Wasser spürte.

Ich hob die Sardine vorsichtig mit dem Kescher hoch und betrachtete ungläubig dieses staunenerregende Geschenk des Meeres, das sich nun in meinem Plastikeimer drehte. Die Sardine starrte mich aus ihrem schwarz-weißen Auge an; sie schien mir irgendetwas sagen zu wollen. Mir jedenfalls bedeutete ihr Schweigen, dass sie mir gern gewisse Geheimnisse anvertrauen würde – über das Leben in der blauen Welt, in der man nicht mehr stehen kann, über ihren seltsamen Alltag als Sardine. Ihr Dasein und ihre Art, das Universum wahrzunehmen, machten mich neugierig. Ich fragte mich, durch welche Landschaften und mit welchen anderen Wesen sie normalerweise schwamm und ob sie manchmal mit anderen Sardinen sprach. Plötzlich machte mir das tiefe Wasser keine Angst mehr; plötzlich lockten mich seine stillen Geheimnisse.

Damals ahnte ich noch nicht, dass mich seit dieser ersten Begegnung mit einer Sardine die Begeisterung für die Mysterien des Meeres nicht mehr loslassen würde. Dass sie mich immer weiter hinaus aufs offene Meer tragen würde, wo ich ein unterseeisches Universum entdecken sollte, dessen fesselnde Bewohner ganz und gar nicht schweigsam waren, sondern mir alle, wie sie da waren, ihre Geschichten erzählten.

Aber wie kommunizieren diese Wesen? Mit welchen Sinnen spüren sie die Welt? Ähneln ihr Leben und ihre Gefühle den unseren? Diese Rätsel wollte ich lösen, deshalb bin ich Wissenschaftler geworden. Meine zwei Forschungsgebiete, die Hydrodynamik und die Biomechanik, haben mir einen neuen Blick auf die Meereswelt sowie viele wunderbare Antworten geschenkt – und noch mehr neue Fragen.

Seitdem schwimme, fahre und tauche ich bei Tag und bei Nacht, um diese faszinierenden Lebewesen zu beobachten. Als ich mich damals aus Angst vor den Fischen nicht weiter hinauswagte, als meine Medusensandalen mich trugen, wusste ich nicht, dass ich später meine Arbeitstage damit verbringen würde, die Fische zu studieren, und meine Freizeit, ihnen nachzureisen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal dem Gesang der Buckelwale lauschen, im Mittelmeer Pottwale besuchen oder Albatrosse zählen oder mit Mantarochen spielen würde … oder dass ich mitten in der Stadt, gleich bei mir um die Ecke, noch viel außergewöhnlicheren Fischen begegnen sollte.

Wasserwärts habe ich auch Menschen getroffen, die ihr Schicksal ans Meer geknüpft haben: Wissenschaftler, die seine Geheimnisse erhellen, Fischer, die in Harmonie mit ihm leben, Ehrenamtliche, die ihre Zeit dafür opfern, es zu schützen. Ich habe mich ihren Unternehmungen angeschlossen, um die unterseeische Welt besser zu verstehen und zu ihrem Schutz beizutragen, aber auch um meinen eigenen Platz in diesem Ökosystem wiederzufinden und einen freundschaftlichen Austausch mit dem Meer zu erlernen. Diese Menschen haben mir beigebracht, wie man die Signale der Delfine liest, wie man Thunfische fängt und sich an Seerobben heranpirscht. Und ich habe von ihnen viele Geschichten erfahren, die von Menschen geschrieben oder erzählt wurden, von der Wissenschaft oder dem Zauber der Legenden beschienen und durch Entdeckungen oder die Poesie der mündlichen Überlieferung gewürzt sind.

Was habe ich aus all diesen Geschichten gelernt?

Ich habe gelernt, dass uns die Meereswelt nicht nur ihre atemberaubende Schönheit schenkt, sondern auch eine ganz besondere Art von Wissen, vor allem über uns selbst.

Mir haben die Meeresbewohner insbesondere das Sprechen beigebracht. Die Art und Weise, wie sie kommunizieren, ein jeder Fisch in seiner Fasson, und wie sie trotz der scheinbaren Stille des Meeres Erzählungen erschaffen, hat mich die Kunst der Rede gelehrt. Dass mir diese erstaunlich redseligen Wesen ihre Geschichten anvertrauten, hat mich dazu angeregt, diese Geschichten weiterzuerzählen. Dank der Fische durfte ich Erzählungen entdecken, die ich mit diesem Buch an Sie weitergeben möchte.

Wir werden gemeinsam in die Tiefen des Ozeans und der Geschichte tauchen, in die Welt der Wissenschaft und die Welt der Legenden. Ich werde Sie mit der Geheimgesellschaft der Sardellenschwärme bekannt machen und mit Ihnen den Gesprächen der Wale lauschen. Auch werden wir einige außergewöhnliche Charaktere kennenlernen, etwa den Aal Åle, der hundertfünfzig Jahre lang in einem Brunnen gelebt hat, oder den Schiffshalter, der sich mit den Aborigines in Australien angefreundet hat. Wir werden uns den Gesang der Jakobsmuscheln und die antike Saga der Wellhornschnecken anhören, die wirklich einmalig ist. Wir werden die neusten Entdeckungen der Wissenschaft, etwa zur Immunität der Korallen oder dem Geschlechtswechsel bei Meerjunkern, unter die Lupe nehmen und uns von den alten Legenden der Seeleute in den Schlaf wiegen lassen – die oft glaubwürdiger sind als die unglaubliche Realität.

Ich hoffe, Sie werden aus der Lektüre dieses Buches auftauchen wie ich nach meinem ersten Schnorchelgang im Meer: mit dem Kopf voller Geschichten und der Lust, sie weiterzuerzählen. Und ich hoffe, Sie werden Ihren Strandurlaub oder Ihren Aquazoobesuch fortan anders erleben und Ihren Goldfisch, Ihre Meeresfrüchteplatte oder Ihr Thunfisch-Sandwich mit anderen Augen sehen.

Die...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2021
Übersetzer Frank Sievers
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Atlantischer Lachs • Buckelwale • Fische • Meer • Meeresbewohner • Meereswelt • Meereswesen • Meerjunker • Paris • Unterwasserwelt • Walgesänge
ISBN-10 3-406-76691-9 / 3406766919
ISBN-13 978-3-406-76691-6 / 9783406766916
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