Sokrates in Sneakern (eBook)

Von der Kunst, gute Gespräche zu führen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
272 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-27802-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sokrates in Sneakern -  Elke Wiss
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Mit Sokrates die Kunst des Fragenstellens lernen
»Gute Fragen zu stellen, erinnert an ein Tennisspiel: Man trifft den Ball und wartet darauf, dass er zurückkommt. Man spielt nicht gleich drei weitere Bälle zum Gegenüber. Und man gibt dem Gegenspieler nicht vor, wie er den Ball zurückzuspielen hat.«

In einer Zeit, in der alle gleichzeitig reden und Meinungen schnell zu Tatsachen erhoben werden, ist echter Austausch zwischen Menschen oft schwer zu finden. Wir versuchen, andere von unseren Ansichten zu überzeugen, anstatt wirklich miteinander zu sprechen. Es fällt uns schwer zuzuhören, wir verwenden kaum Zeit darauf, Fragen zu stellen und zuzugeben, etwas nicht zu wissen, ist keine Option.

In ihrem internationalen Bestseller ermutigt uns die praktische Philosophin Elke Wiss, unsere Kommunikationsfähigkeiten weiterzuentwickeln. Sie erklärt, wie wir unseren Geist schärfen, neue Perspektiven einnehmen und unsere Beziehungen verbessern können. Mithilfe der alten Philosophen sowie vielen Alltagsbeispielen, Tipps und Tricks lernen wir, mit Offenheit und Neugier zu leben und Fragen zu stellen, die überraschen und zum Nachdenken anregen. So können wir Gespräche führen, die zu echter Verbindung führen - zu anderen und zu uns selbst.

Elke Wiss, geboren 1986 in den Niederlanden, ist Theatermacherin und praktische Philosophin. Sie schreibt und leitet Performances und gibt Schulungen und Workshops in praktischer Philosophie und der Kunst, Fragen zu stellen. Elke Wiss führt als Coach sokratische Diskussionen innerhalb von Organisationen durch und gibt individuelle philosophische Konsultationen. Ihr Buch »Sokrates in Sneakern« wurde in den Niederlanden zu einem Bestseller.

Einleitung

»Mach schon, stell die Frage einfach.« Sokrates saß schräg hinter mir. Er trug knallbunte Sneaker und ein Batman-Cape.

»Los jetzt, du hast einen guten Grund dafür.«

Ich blinzelte. »Sokrates, ich weiß, dass deine Zeit etwa 2500 Jahre zurückliegt. Vielleicht ist dir ja einiges entgangen, aber in der heutigen Gesellschaft ist das keine Frage, die man einfach mal so stellt.«

Das ist schon viele Jahre her. Ich nahm an einem Kurs »Praktische Philosophie« teil. Es war meine erste Begegnung mit diesem Konzept. Ich war auf der Suche nach etwas Theorie, Wissen und Erfahrung zum Führen philosophischer Gespräche und hoffte, hier klar denken zu lernen. Als Theatermacherin suchte ich nach Werkzeugen, um mir über meinen eigenen Denkprozess beim Gestalten von Aufführungen klarer zu werden. Und ich wollte in meinen Schauspielen gezieltere Fragen stellen können. Also ging ich hin: zum Kurs »Praktische Philosophie«.

In der Mittagspause des ersten Kurstages landete ich an einem Tisch mit fünf anderen Teilnehmern: einem Mann und vier Frauen. Das Thema an diesem Tisch: Kinder. Man fragte einander rundum: Hast du Kinder? Ja, einen Sohn. Und du? Ja, zwei Töchter, acht und zehn Jahre alt. Jedem wurden noch einige Nachfragen gestellt: Wie alt sind sie? Gehen sie schon zur Schule? Ach ja, hat dein Kind auch schon ein eigenes iPad?

Ich kannte diese Art von Gesprächen mittlerweile. Ich war Ende zwanzig und hatte schon einige Gespräche dieser Art hinter mir. Sobald jemand in einem solchen Gespräch sagt: Nein, ich habe keine Kinder, entsteht oft ein betretenes Schweigen, oder jemand stellt schnell eine Frage an den Nächsten in der Runde. Das verwundert mich immer. Menschen mit Kindern sprechen gerne davon, wie es ist, Kinder zu haben, aber die Geschichten von Kinderlosen wollen sie am liebsten nicht hören. Schon damals fand ich: Auch sie haben eine Geschichte. Warum entscheiden wir, indem wir ihnen keine Fragen stellen, dass es keinen Raum gibt, sie diese erzählen zu lassen?

Jetzt war ich an der Reihe, und ich sagte, dass ich keine Kinder hätte. Ich holte kurz Luft, um noch ein paar Sätze hinzuzufügen. Damals arbeitete ich viel mit Kindern in Theaterkursen, die ich in diversen Schulen gab. Ich war voller toller Kindergeschichten, von denen ich gerne ein paar erzählt hätte.

Ich war auch neugierig auf die Argumente und Erfahrungen der anderen, und ich wollte auch gerne über meine Zweifel darüber reden, Kinder zu bekommen oder nicht. Woher weiß man, wollte ich fragen, ob man ein Kind will oder nicht? Das ist so eine große Entscheidung; und na ja, wohl so etwas Ähnliches wie ein Tattoo auf der Stirn: ziemlich endgültig, könnte man sagen. Das muss man sich schon gut überlegen. Und wie seid ihr eigentlich zu dieser Entscheidung gekommen?

Doch bevor ich weitersprechen konnte, wurde die »Und-du?-Frage« schnell der nächsten Teilnehmerin gestellt. Alle schauten neugierig auf meine Nachbarin, die nun begeistert von ihrer siebenjährigen Tochter erzählte. Mein Blick wurde sorgfältig gemieden: Offenbar gehörte meine Geschichte nicht in dieses Gespräch – was ich merkwürdig fand. Wir waren mehr oder weniger im gleichen Alter und hatten auf jeden Fall das gleiche Interesse, da wir uns ja alle für den Kurs »Praktische Philosophie« angemeldet hatten. Ein idealer Kontext für vertiefende Gespräche in einem Umfeld, in dem man sich nicht von konventionellen Normen und Gesprächsgewohnheiten hemmen lassen musste.

Eine Art Empörung kochte in mir hoch: Wieso ein Gespräch über Kinder beginnen und es nur mit einem ausgewählten Grüppchen führen? Wieso wird stillschweigend entschieden, wessen Geschichten Raum gegeben und wessen Geschichten vermieden werden? Wieso lässt man die betreffende Person nicht selbst entscheiden, ob sie etwas mit den anderen teilen möchte oder lieber nicht?

Nachdem meine Nachbarin zur Genüge über ihre Tochter gesprochen hatte, wurde die Frage an die nächste Person weitergereicht: an eine Frau Anfang vierzig mit verspielten braunen Löckchen. Sie sagte: »Nein, ich habe keine Kinder.« Schon war die Gruppe drauf und dran, wieder zur Nächsten weiterzugehen.

Und dann verlangsamte sich die Zeit. »Stell einfach diese Frage. Du hast einen guten Grund dafür«, hörte ich ihn hinter mir sagen. Sokrates lachte ein wenig, um mich zu ermutigen – und aus Schadenfreude, denke ich.

Ich schaute ihn an und erklärte ihm, dass das heutzutage nicht gerade üblich sei. »Das kann ich doch nicht machen, oder?«, fragte ich.

Sokrates schaute zurück. Er zog sein Cape zurecht, putzte sich einen Fleck von seinen Sneakern. »Das ist nun genau das Problem mit euch. Ihr habt euch eine Norm ausgedacht, die vorschreibt, dass es Fragen gibt, die heikel und unangemessen sind, und andere, die gut und zulässig sind. Und das alles nur, weil ihr der Meinung seid, dass man den anderen vor allem schonen soll, dass Fragen freundlich sein müssen und dass man echte, vielleicht auch schmerzliche, aber gerade deshalb auch wichtige und verbindende Themen vermeiden soll.«

»Ja, aber …«

»Die Frage, die du stellen willst, ist eine Frage nach einer Tatsache. Nicht wahr?«

»Ähm … ja.«

»Wie kann eine Frage nach einer Tatsache an sich eine falsche Frage sein?«

»Das, ähm, … weiß ich nicht.«

»Genau. Die Frage ›Hast du dich selbst dafür entschieden, keine Kinder zu bekommen?‹, fällt nicht per se in eine andere Kategorie als die Frage ›Hast du dich selbst für diese Haarfarbe, diese Hose, diesen Wohnort oder diesen Job entschieden?‹. Dass ihr der Frage alle möglichen schmerzhaften Emotionen zuschreibt, wie auf Eiern lauft und zudem noch eine ungeschriebene Regel daraus macht, dafür kann sie nichts. Kein Wunder, dass es so viele von euch nach mehr Tiefe verlangt. Ihr macht aus eurem Gespräch ein Minenfeld: Aus Angst vor einer Explosion seid ihr sehr darum besorgt, dass eure Gespräche schön sicher bleiben. Und damit oberflächlich. Und damit langweilig.«

Ich holte tief Luft, um Einspruch zu erheben. Sokrates fuhr unerschütterlich fort: »Außerdem: Wenn du der Meinung bist, dass man den Geschichten von Kinderlosen mehr Raum geben sollte, gleichzeitig aber den Mund hältst, dann macht dich das zu einer von ihnen. Dann trägst du auch selbst dazu bei, diese ungeschriebene Regel aufrechtzuerhalten.«

Ich blinzelte noch einen Moment lang konsterniert mit den Augen. Was nun?

»Stell einfach die Frage.« Sokrates nickte in die Richtung von Verspielte Löckchen und lehnte sich zurück.

Ungehindert von jeglichem Wissen über die Kunst des Fragens, aber mit einer Portion guter Absichten und dem Drang, mich weiterzuentwickeln, beschloss ich, von Sokrates ermutigt, es zu versuchen. Ich werde hier eine Revolution in Gang setzen; ich werde in Gruppengesprächen für kinderlose Frauen eintreten und diesem Gespräch Tiefe verleihen, dachte ich. Ich nahm etwas Mut zusammen, holte Luft, schaute Verspielte Löckchen direkt in die Augen und fragte in das Schweigen der Gruppe hinein: »Hast du dich selbst dafür entschieden?«

Die Stille, die eintrat, war bleiern und beklemmend. Ich spürte, wie der Rest der Gruppe ein wenig den Atem anhielt. Verspielte Löckchen sah mich an, ihr Atem stockte, sie presste die Kiefer zusammen und sagte pikiert: »Nein. Dafür habe ich mich nicht selbst entschieden, nein.«

Der Rest der Gruppe machte sich, so gut es nur ging, unsichtbar, was bei einem kleinen Tisch mit sechs Personen nicht einfach ist, aber sie gaben ihr Bestes.

Ich spürte, wie meine eigene Nervosität gehörig zunahm. Ich zischte Sokrates zu: »Danke auch. Toller Rat, Kumpel.« In meinem Kopf gingen die Alarmglocken an. Wie um alles in der Welt soll ich dieses Gespräch noch retten, dachte ich.

Die Mittagspause war inzwischen vorbei, wir gingen alle gemeinsam zum Gruppenraum zurück. Ich suchte Verspielte Löckchen und ging ein Stück neben ihr her. Ich stammelte etwas Ähnliches wie: »Ich wollte dich nicht verletzen, aber in solchen Gesprächen werden Menschen, die sagen, ›ich habe keine Kinder‹, oft übergangen, und das finde ich nicht richtig, und ich bin immer neugierig auf diese Geschichte und ich bin neugierig auf deine Erfahrung, und daher dachte ich, ich stelle einfach eine Frage, denn jeder in diesem Gespräch verdient es, gehört zu werden, und wir sind hier, um praktische Philosophie zu betreiben und um zu lernen, bessere Fragen zu stellen und …«

Ich glaube, dass ich keinen Satz klar zu Ende gebracht habe. Meine Erklärungen blieben fade und beschämt irgendwo in der Luft hängen. Sie nickte kurz als Zeichen, dass ich aufhören könne zu reden. Und zischte mir dann noch zu: »Ich finde es sehr seltsam, dass einige Leute denken, das einfach so fragen zu können«, und beschleunigte ihren Schritt in Richtung Gruppenraum.

Dieser Moment an diesem Mittagstisch, dieses Gespräch und meine Frage sind mir so deutlich in Erinnerung geblieben, weil die Gefühle, die sie hervorriefen – bei mir und bei ihr – so stark waren. Ich schämte mich, fühlte mich schuldig, obwohl ich im Grunde nicht wusste wofür. Meine Absichten waren lauter gewesen: Ich wollte mehr Tiefe, mehr Verbindung. Geschichten austauschen. Jenseits des oberflächlichen Small Talks: Was machst du beruflich, woher kommst du, wie viele Kinder hast du? Ich wollte Raum für alle Geschichten schaffen. Ich wollte eine ungeschriebene Regel, über die ich mich wunderte, hinterfragen. Ich wollte die Welt wie ein moderner Sokrates in Sneakern mit guten Fragen, wertvollen Antworten und besseren...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2021
Übersetzer Bärbel Jänicke
Sprache deutsch
Original-Titel Socrates op Sneakers
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte eBooks • Fragen stellen • Fragetechnik • Gesprächsführung • Kommunikation • Kommunikationsmodelle • Kommunikationsstörungen • Miteinander reden • offene Fragen • Philosophie • Praktische Philosophie • Psychologie • Ratgeber • Selbstoptimierung • Soziale Kompetenz • Stoiker • Stoizismus
ISBN-10 3-641-27802-3 / 3641278023
ISBN-13 978-3-641-27802-1 / 9783641278021
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