Vom Glück, Pech zu haben (eBook)

Wie man an einem Schicksalsschlag wachsen kann - Meine 10 Grundsätze der Resilienz
eBook Download: EPUB
2021
272 Seiten
Mosaik (Verlag)
978-3-641-26414-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom Glück, Pech zu haben - Denise Schindler, Manfred Otzelberger
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Keine Biographie muss vollkommen sein und kein Mensch perfekt, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Denise Schindler weiß, dass jeder Mensch Handicaps hat - ihres kann man jedoch schon auf den ersten Blick erkennen. Im Kleinkindalter verliert Denise ihren Unterschenkel und ist fortan darauf angewiesen, aus eigener Kraft für das Glück und die Selbstbestimmung zu kämpfen. Sie verkörpert das, was wir heute als Resilienz bezeichnen: eine besondere Widerstandskraft, die mit einer inneren Haltung und zu erlernenden Techniken einhergeht. Dank dieser Form von Durchhaltevermögen führt Denise ihr Wunschleben - als Frau sowie als Weltklasse-Athletin. Nun gibt sie ihr Wissen um Resilienz und Willenskraft weiter und erzählt mit ihren ganz persönlichen Erfahrungen, wie man Schicksalsschläge, Handicaps und selbstgesetzte Grenzen überwinden kann.

Mit einem Vorwort von Johannes B. Kerner.

Denise Schindler, geboren 1985, ist als Top-Rennradfahrerin das Covergirl des deutschen Behindertensports. Nach einem Straßenbahnunfall wurde ihr als Zweijährige der rechte Unterschenkel amputiert. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die gelernte Eventmanagerin an die Spitze des Sports gekämpft und steht voller Euphorie in den Startlöchern für die Paralympics in Tokio 2021.

1. Akzeptanz:

Wie eine Straßenbahn (nicht) zu meinem Schicksal wurde

Ich bin eher Kämpferin als Grüblerin. Anstatt mich zu fragen, was wäre wenn, erkenne ich die gegebenen Umstände an und nehme den Kampf mit ihnen auf. Das geht nur, weil ich nicht mit mir selbst hadere. Ich habe Frieden mit mir und meinen Ansprüchen geschlossen. Ich akzeptiere die reale Welt und mich selbst. Das ist nicht leicht, und natürlich ist es auch völlig in Ordnung, sich zu beklagen, wenn man Schmerzen hat oder das Leben einen anderen Weg nimmt, als man es sich vorgestellt hat. Aber auf Dauer bringt das nach meiner Erfahrung niemanden weiter. Fakt ist, dass diese Akzeptanz ein Prozess ist. Er verlangt viel Ehrlichkeit mit sich selbst. Akzeptanz entsteht nicht von heute auf morgen, aber sie ist erlernbar. Das ist die gute Nachricht. Akzeptanz war Teil meines Lebens, noch bevor ich das Wort kannte oder überhaupt aussprechen konnte. Natürlich habe ich bereits als Kind gemerkt, dass ich anders bin. Oft wurde ich begafft wie im Zoo. Der Gang im Freibad bis zum Wasserbecken – ein Spießrutenlauf. Ich habe meiner Mutter als Kind all diese Fragen gestellt: Wieso ich? Warum bin ich anders? Was wäre, wenn …?

Die einfache, aber so wichtige Antwort meiner Mutter hat sich mir bis heute eingebrannt: »›Wenn‹ und ›warum‹ gibt es nicht.«

Darin steckt so viel Wahrheit. Wir können uns immer wieder zermürbende Fragen dazu stellen, warum gerade uns so ein Schicksalsschlag widerfahren musste: Warum hatte gerade ich einen Unfall mit der Straßenbahn, der mich das halbe rechte Bein kostete und mein linkes Sprunggelenk zerschmetterte? Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich nicht in diesem Moment ausgerutscht wäre?

Oder wir können unser Schicksal umarmen und es als Chance verstehen: Welches Glück ich doch hatte, diesen Unfall zu überleben! Jeden Morgen die Augen aufschlagen und die Welt auf eineinhalb Beinen erkunden zu dürfen. Meiner Mutter Blumen vorbeibringen zu können – nicht nur zum Muttertag. Denn uns verbindet ein unsichtbares Band. Ich habe meine Mutter immer als sehr starke Persönlichkeit empfunden. Sie hat immer Souveränität und Stärke ausgestrahlt. In meiner Gegenwart hat sie nie mit dem Unfall gehadert. Sie hat dafür gesorgt, dass das Klagen nicht als Dauerton in meinem Kopf stecken blieb. Denn so ist das Leben: Wir können uns nicht vor allen Eventualitäten schützen. Leben ist lebensgefährlich  – und der Versuch, sich vor allem Unglück abzuschirmen, zum Scheitern verurteilt.

Man kann es als Gnade des Schicksals sehen oder als Defizit meines Gedächtnisses: Mein Unfall ist nicht auf meiner Festplatte abgespeichert. Ich kann mich nicht daran erinnern. Nicht an den Schmerz, nicht an den Schock. Nicht an den verzweifelten Schrei meiner Mutter. Auch nicht an die nachfolgenden Monate im Krankenhaus. Auf der Intensivstation, an Schläuche angeschlossen und künstlich ernährt. Alles ist gelöscht. Es gibt kein Vorher und Nachher. In diesem Fall war die Vergesslichkeit ein Segen. Sie war die beste Basis für meine Akzeptanz eines an sich unbegreiflichen und furchterregenden Geschehens, das nur unzureichend mit »Pech gehabt« beschrieben werden kann.

Akzeptanz – in diesem Wort steckt das Wort Tanz. Ein schönes Wort, ein Stück Leichtigkeit bei einem schweren Thema. Es ist ein Schlüsselbegriff der Resilienz: Wer sich gegen sein Schicksal, und erscheine es noch so unerträglich, aufbäumt und es nicht annehmen will, wird es kaum bewältigen. Wir müssen Einschnitte im Leben nicht gutheißen, aber wir können sie wie einen ungebetenen Besucher akzeptieren, dadurch verlieren sie ihren Schrecken.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber die Wunden heilen besser mit der Zeit, und die Narben können sich durch die Zeit wie ein Mosaik zu etwas Neuem zusammensetzen. Der zeitliche Abstand hat mir oft geholfen zu verstehen und mein Glück im Pech zu erkennen. Ich kenne sehr glückliche Menschen, die eine Behinderung haben und sie bestens in ihr Leben integriert haben. Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier. Und wir haben das Talent, uns auch an die größten Schicksalsschläge zu gewöhnen und uns mit ihnen zu arrangieren.

Und das zwingt mich und jeden anderen, der an seiner persönlichen Weiterentwicklung interessiert ist, zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Die geht lebenslänglich weiter. Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden. Ich habe an mich geglaubt und allen gezeigt, dass Sport mein Leben ist, meine große Liebe, auch mit Behinderung. Dass ich mehr bin als meine Behinderung. Ich bin stolz auf das, was ich, Stand heute, erreicht habe, aber auch ich muss täglich an mir arbeiten. »Weiterentwicklung« ist jederzeit möglich. Von der Wiege bis ins hohe Alter. Und mich beeindrucken am meisten die Menschen, die selbst im hohen Alter nie stehen geblieben sind.

Mein Unfall ist für mich heute eine Erzählung, kein Erlebnis. Bewusst habe ich kein Bild davon vor Augen. Aber klar ist: So etwas beeinflusst nie nur einen Menschen. Für mich waren die Folgen eine Herausforderung, für meine Mutter eine Katastrophe. Ich habe ihr nie einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie mich nicht halten konnte, dass sie beim Anfahren dieser unglückseligen Straßenbahn nur noch meinen Fäustling in der Hand hatte und nicht mehr mich. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Nicht eine einzige Sekunde habe ich daran gedacht, meine Mutter dafür verantwortlich zu machen. Schuldzuweisungen halten uns davon ab, Dinge und Umstände zu akzeptieren.

Mein Schicksalstag im Winter

Meine Mutter erinnert sich gut: »Einmal im Monat hatten die Frauen in der DDR einen sogenannten Haushaltstag, ich musste nicht in den Betrieb. Ich wollte mit Denise zum Einkaufen in die Stadt fahren und dem Getümmel in der Stadtmitte von Chemnitz ausweichen, in dem es oft schwer war, mit einem Schlitten eine Straßenbahn zu besteigen. Deshalb sind wir an der Annaberger Straße, Ecke Südring ausgestiegen. Es lag Neuschnee, der noch nicht geräumt worden war. Ich hatte Denise an der Hand, die in einen dicken Schneeanzug eingemummelt war. Meine Tasche und einen Schlitten, auf den sich meine Tochter setzen sollte, trug ich mit der anderen Hand.«

Es sind Bilder, die meine Mutter nie vergisst. Ich würde ihr diese Last gern abnehmen, aber diese Bilder haben sich tief eingebrannt. »Ich bin ja schon groß, ich kann schon stehen«, soll ich gesagt haben, erinnert sich meine Mutter: »Einen eigenen Kopf hatte meine Tochter schon immer. Sie tollte auf ihren Moonboots, die wenig Profil hatten, auf der Verkehrsinsel an einer Stelle ohne Geländer herum, als die Straßenbahn losfuhr. Plötzlich rutschte sie weg, und die Straßenbahn riss sie mit. Es waren wohl 50 Meter, bis jemand die Notbremse zog und Denise unter dem Waggon hervorgezogen wurde. Ich rannte zu meiner Tochter, sie hatte nur Schnittverletzungen im Gesicht. Aber die Füße waren stark betroffen. Das linke Sprunggelenk war gebrochen, und am rechten Bein war von den scharfen Kanten der Straßenbahn der Vorderfuß abgetrennt worden. Dass meine Tochter mich tröstete, drang in meiner Schockstarre kaum mehr zu mir durch. »›Mama, wo warst du? Ist doch alles gut!‹«

Im Polizeiauto ging es ins Krankenhaus, es war eine einzige Rutschpartie bei dem Winterwetter. Ein Polizist trug mich zum Auto, und er informierte auch meinen Vater, der in der Arbeit war. Der setzte sich sofort in Bewegung, wie er heute erzählt: »Ich stand wie unter Strom. Ich bin zum Krankenhaus gerannt und dachte, dass meine Tochter tot sei. Ich war wahnsinnig erleichtert, als ich in der Klinik meine Frau umarmte und erfuhr, dass unsere Tochter am Leben war, wenngleich sie mit schweren Verletzungen sofort in den Operationssaal kam. Eine Hautverpflanzung wurde am rechten Fuß versucht, aber der Körper nahm sie nicht an, die Wunde war zu stark verschmutzt, es bestand ein lebensgefährliches Infektionsrisiko. Wir standen vor einer fürchterlichen Entscheidung: Entweder halten wir daran fest, dass ihr Füßchen erhalten bleibt, und gehen das Risiko ein, dass sie an der Infektion stirbt. Oder wir geben die Zustimmung zur Amputation, eine unwiderrufliche Entscheidung für das weitere Leben unserer Kleinen. Auf dringenden Rat der Ärzte entschieden wir uns zur Amputation. Die Zehen von Denise waren schon abgestorben, die Wunde drohte sich tödlich zu infizieren. Diese Verantwortung konnten wir nicht tragen. Es war ein Zustand der totalen Hilflosigkeit. Jede Entscheidung schien falsch zu sein.«

Meine Mutter hat sich von dem Schock dieser Tage gut erholt. Sie war nie eine traumatisierte Mutter, die in ihrem Alltag nicht zurechtkommt. Auch wenn sie die Last tragen kann, die ihr aufgebürdet wurde, sagt diese so starke Frau selbst: »Das krieg ich nie ganz weg. Wenn ich diese Schublade zumache, öffnet sie sich wieder von allein. Damit muss ich leben. Es ist ein Schmerz, der nie endet.« Mein Vater weiß, dass es ein wahnsinnig sensibles Thema ist: »Wir haben nie darüber geredet, ich hatte Angst, dass jedes Wort meine Frau verletzen könnte. Es war ein Tabuthema. Natürlich würde ich ihr nie einen Vorwurf machen. Es war einer dieser saublöden Augenblicke, die tausendmal gut ausgehen und einmal nicht. Wenn die Straßenbahn fünf Sekunden früher angefahren oder fünf Sekunden später gekommen wäre, wäre gar nichts passiert. So etwas kann jedem passieren. Auch wenn man denkt, es trifft immer nur die anderen. Niemand hat das Recht, leichtfertig darüber zu urteilen. Einen absoluten Schutz für ein Kind gibt es nun mal nicht, und unser Pech war, dass ein Geländer erst später angebracht wurde, eben aufgrund dieses Unfalls. Es hätte wohl das Schlimmste in...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Partnerschaft / Sexualität
Schlagworte Achtsamkeit • achtsamkeit buch • adidas • Behinderung • BRONZEMEDAILLE • eBooks • Glück • Motivation • Paralympics • Positives Denken • Radsport • Rennrad • Resilienz • Selbstbestimmt Leben • Selbstwert • Sport
ISBN-10 3-641-26414-6 / 3641264146
ISBN-13 978-3-641-26414-7 / 9783641264147
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