Ohne festen Boden (eBook)

Wie wir mit Ungewissheit besser umgehen und warum wir sie brauchen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-27997-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ohne festen Boden -  Rike Pätzold
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Die große Unbekannte namens Leben
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an die Ungewissheit. Rike Pätzold, die sich beruflich wie privat mit dem Aushalten ungewisser Zustände beschäftigt, zeigt, dass wir das Unbekannte als Möglichkeitsraum gewinnen können. Sie beschreibt, warum es die Sicherheit, die wir suchen, gar nicht gibt, und warum das auch gut so ist. Wir erfahren, wie wir unsere Zukunft neu denken, um unsere Gegenwart zu gestalten, und uns dafür ein gutes Sicherheitsnetz knüpfen. So können wir mutig handeln und uns den Herausforderungen eines Lebens ohne festen Boden stellen.

Rike Pätzold (geb. 1982) ließ sich nach ihrem Studium der Sinologie, Japanologie und Sprachphilosophie an der LMU München in International Leadership und körperorientiertem Coaching ausbilden. Als alleinerziehende Mutter arbeitete sie mehrere Jahre in Asien. Zum Thema Ungewissheit, Selbstorganisationsprozess und Zukunftsgestaltung berät sie Unternehmen und lehrt an Hochschulen. Sie forscht, coacht, schreibt, hält Vorträge (u.a. TEDx 2021) und ist eine beliebte Interviewpartnerin. Als Mitgründerin und Leiterin des Instituts für Praktische Emergenz unterstützt sie Organisationen, Städte und Gemeinden im Umgang mit Komplexität und Ungewissheit. Sie lebt mit ihrer Patchworkfamilie in München und auf ihrem Segelboot »Ponyo«.

Vorwort

Herzlich willkommen, wie schön, dass Sie dieses Buch aufgeschlagen haben. Vielleicht haben Sie es in die Hand genommen, weil Sie wie ich von den Themen Uneindeutigkeit, Offenheit und Ungewissheit fasziniert sind und gerne mehr darüber erfahren möchten. Vielleicht möchten Sie sich aber auch deshalb genauer darüber informieren, weil Sie in letzter Zeit vermehrt Erfahrungen mit Unerwartetem, mit plötzlichen und unvorhergesehenen Veränderungen und Ungewissheit machen mussten. Unsere Lebensumstände scheinen mehr und mehr plötzlich auftretenden Phänomenen unterworfen, mit denen die wenigsten gerechnet haben. Neben einer weltweiten Pandemie haben wir es zunehmend mit Extremwetterlagen und wirtschaftlichen oder politischen Instabilitäten zu tun, die uns unmittelbar betreffen und unser Sicherheitsgefühl in den Grundfesten erschüttern. Auch technologische Entwicklungen tragen dazu bei, dass Häufigkeit, Tiefe und Geschwindigkeit von Veränderungen zunehmen.

So wurde schon vor Corona von der sogenannten VUKA-Welt gesprochen: Diesem Akronym zufolge wird unser Leben zunehmend von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität geprägt. Der Begriff entstand in den 90ern in militärischen Kreisen zur Charakterisierung der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges, breitete sich später im Kontext strategischer Führung von Unternehmen und anderer Organisationen aus und beschreibt mittlerweile, wie viele inzwischen den Alltag erleben: zunehmend verunsichernd, uneindeutig und unbeständig.1

Selbstverständlichkeiten haben sich besonders in der jüngsten Vergangenheit in Luft aufgelöst, Pläne mussten aufgegeben oder angepasst werden, und uns wird eine kaum gekannte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit abverlangt. Das Fliegen auf Sicht wird vermehrt Teil der »neuen Normalität« und hat Jahresurlaubsplanung und Quartalsziele fürs Erste abgelöst. Der Boden scheint zu schwanken.

Auch bei mir hat die Pandemie einiges durcheinandergewirbelt, umgeschmissen, aufgebrochen, aber auch Überraschendes und Neues in mein Leben gespült. Ursprünglich wollte ich dieses Buch auf unserem Segelboot schreiben, denn nirgends bin ich so frei im Kopf wie dort, wo ich um mich herum nur den Horizont sehe und meine Gedanken nicht an Wänden abprallen. Ich hatte mir das also sehr schön ausgemalt. Aber erstens kommt alles anders, und zweitens als man denkt. Denn das Boot, auf das ich später noch ausführlicher zu sprechen kommen werde, liegt nun pandemiebedingt schon eine Weile fast unerreichbar weit weg. Und so musste ich einen Großteil dieses Buches zu Hause und manchmal unter wenig idealen Bedingungen schreiben.

Überhaupt habe ich diese Idee mittlerweile mehr als einmal verflucht: ein Buch über Ungewissheit zu schreiben, verständlich und alltagsnah. Gerne praktisch und alles gut recherchiert und belegt. Aber da Sie dieses Buch nun in der Hand halten, habe ich wohl nicht aufgegeben!

Warum also will ich gerade über Ungewissheit schreiben? Und was hat das mit dem bewussten Segelboot zu tun? Nun, viele der Erkenntnisse und Entdeckungen, die ich auf den nächsten zweihundert Seiten mit Ihnen teile, stammen aus meiner Zeit auf genau diesem Boot, aber eigentlich begann meine Liebesbeziehung mit der Ungewissheit schon viel früher.

Kopfüber und mit Anlauf

Seit ich denken kann, bin ich immer in alles reingesprungen. So mit Anlauf und kopfüber, ohne zu wissen, wie es dort, wo ich mich hineinstürzte, überhaupt aussah. Das war nicht immer ideal, so viel kann ich im Rückblick sagen. Für jede gute Entscheidung gab es zwei nicht so gute. Andererseits, was weiß ich schon? Vielleicht waren die vermeintlich blöden Entscheidungen genau die richtigen. Und wenn man sich so lange mit dem Thema Ungewissheit beschäftigt wie ich, verschwimmen Kategorien wie gut, schlecht, richtig oder falsch ohnehin; sie verlieren ihre absolute Bedeutung.

Jedenfalls gehöre ich zu den Menschen, die sich von Ergebnisoffenheit geradezu magisch angezogen fühlen. Ich war in meinem ganzen Leben nicht einen Tag fest angestellt, dabei hatte ich mehrere Anläufe unternommen. Aber so richtig wusste ich wohl nie, wie ich es anstellen musste, um mich gut zu verkaufen. Möglicherweise hat meinen Interviewpartnern bei Bewerbungsgesprächen auch der Eindruck von Verlässlichkeit und Beständigkeit gefehlt. Dabei kann ich loyal sein bis zur Selbstaufgabe, nur hat das mein Lebenslauf nie widergespiegelt.

Vielleicht kommt mein Enthusiasmus für ungewisse Zustände daher, dass ich mich von Anfang an mit der Ungewissheit verbünden musste: Ich wurde ohne Schilddrüse geboren. Das kommt auch heutzutage noch relativ selten vor, ist aber meist keine so große Sache mehr. Damals aber war ich – so wurde es mir zumindest erzählt – das erste Baby in Deutschland, bei dem durch den damals gerade eingeführten Fersenpieks gleich nach der Geburt festgestellt wurde, dass ihm etwas fehlte. Zuvor wurden Athyreosen – so der Fachbegriff für das vollständige Fehlen der Schilddrüse – erst deutlich später entdeckt, und dann ließen sich Folgeschäden oft nicht mehr verhindern. Meine arme Mutter verbrachte mit mir Wochen im Krankenhaus und schleppte mich von einer Untersuchung zur nächsten. Ich kann mich natürlich an keine konkreten Situationen mehr erinnern, aber was mir durchaus noch präsent ist, ist ein Gefühl von Verunsicherung, gepaart mit ganz großer Offenheit und vielen Fragezeichen. Meine Eltern wussten nicht, wie ich mich entwickeln würde, ob ich »normal« wachsen und wie alle anderen Kinder zur Schule gehen würde.

Vielleicht hätte ich auch mit einer Schilddrüse denselben Hunger nach Neuem und dieselbe Faszination für ungewisse Ausgänge entwickelt. Vielleicht gibt es auch hier keine Linearität, keine Ursache-Wirkung-Beziehung, sondern nur Zufall und Gleichzeitigkeit. Wie dem auch sei, meine ausgeprägte Experimentierfreude war nicht unanstrengend für meine Eltern, das werden sie nicht müde zu erzählen. Ich wollte alles ausprobieren und alles erleben. Natürlich gab es deshalb ständig Streit, weshalb ich mich mit 15 Jahren für einen Schulbesuch in England bewarb und meine Eltern überredete, mich gehen zu lassen. Ich kannte England nur aus zwei Wochen Sprachferien, Jane-Austen-Büchern und Byron-Gedichten, aber ich wollte unbedingt hin. (Als ordentlicher Teenie litt ich natürlich unsäglich unter meiner bürgerlichen Wohlstandssituation, aus der ich mich in Gedichte und Romane flüchtete, in denen ich die ganze Melodramatik meiner Existenz ausgedrückt sah.)

Und obwohl meine Zeit in England nichts, aber auch rein gar nichts mit der erhofften Internatsromantik zu tun hatte, erlebte ich dort eine wirklich gute Zeit, die meinen Hunger nach Abenteuern noch weiter befeuerte.

Zum Abitur wünschte ich mir ein Flugticket und am Tag nach der Abschlussfeier ging es nach Mittelamerika. Den großen Plan hatte ich nicht, nur die Idee, Spanisch zu lernen, und ein Zimmer bei einer wundervollen Familie in einer costa-ricanischen Kleinstadt, bei der ich vorerst unterkommen konnte. Und so ging es immer weiter von einer Reise zur nächsten Beziehung, zur nächsten Idee. In der Universität tauchte ich eher sporadisch auf, viel lieber verbrachte ich Zeit in der japanischen Galerie, in der ich nebenbei jobbte und wo dauernd etwas los war.

Die ständige Veränderung war aufregend, aber auch anstrengend, zumal es mir zunehmend schwerer fiel, mich nicht sofort zu langweilen, wenn etwas nicht mehr neu und interessant war. Und nicht alle Abenteuer blieben ohne Konsequenzen: Mit 22 wurde ich ungeplant schwanger und tauschte dieses neue Abenteuer gegen alle weiteren Abenteuer ein. Es kam, wie es kommen musste, nach einer Weile war auch das Muttersein nicht mehr neu und ganz so aufregend, eine neue Herausforderung musste her – warum nicht ein Auslandssemester in Taiwan mit einem knapp Zweijährigen dabei?

Es hat alles immer irgendwie geklappt, aber es war auch ermüdend, besonders für die Menschen um mich herum. Mehr als eine meiner Beziehungen ist in die Brüche gegangen, weil ich mich eingesperrt fühlte und Angst hatte, etwas zu verpassen. Es sollte noch viele Jahre und weitere Auslandsaufenthalte dauern, bis ich begriff, dass es in meinem Leben auch Beständigkeit geben darf, ohne dass es dadurch langweilig und vorhersehbar wird. Dass es möglich ist, mit jemandem zusammen Abenteuer zu erleben.

Als ich mit Ende zwanzig meinen jetzigen Partner kennenlernte, einen abenteuerlustigen Meeresbiologen, genau wie ich alleinerziehend, waren wir beide gerade nach München zurückgekehrt, er aus England, ich mal wieder aus Taiwan. Der Grund für die Rückkehr waren jeweils die Kinder – wir selbst fühlten uns in München etwas verloren. Es dauert nicht lange und wir waren ein Paar beziehungsweise eine Patchwork-Familie.

Als unser Leben nach einem Jahr langsam alltäglich wurde, fand ich bei ihm ein Buch über eine Segelreise. Mein Freund ist begeisterter Segler (und Taucher, Schnorchler und Windsurfer) und hatte bereits vergeblich versucht, mich für gemeinsame Segelferien zu gewinnen. Mir wird in eigentlich allen Fahrzeugen schlecht, deshalb waren mir bei aller Abenteuerlust Boote stets sehr suspekt.

Da ich aber gerade nichts anderes zu lesen und mein Freund anderweitig zu tun hatte, schnappte ich mir das Buch und verzog mich auf die Couch. Schon nach wenigen Seiten war ich wie gebannt. Es ging um ein schwedisches Paar, das sich ein Boot gekauft und mit seinen Kindern ein Jahr lang den Nordatlantik umrundet hatte. Sie besuchten fremde Länder, begegneten wundervollen Menschen, unterrichteten die Kinder an Bord.

Zu dem Zeitpunkt haderte ich...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Ambiguitätstoleranz • eBooks • Gesundheit • Innere Haltung • Komplexität • Lebenshilfe • Optimismus • Persönlichkeitsentwicklung • Psychologie • Ratgeber • Selbstsicherheit • Ungewissheit aushalten • Ungewissheitstoleranz • Unsicherheit
ISBN-10 3-641-27997-6 / 3641279976
ISBN-13 978-3-641-27997-4 / 9783641279974
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