Der Vagus-Nerv - unser innerer Therapeut (eBook)

Die Polyvagaltheorie zur Selbsthilfe bei Trauma, Angst, Panik und Depression - Mit einfachen Übungen die Selbstheilung aktivieren
eBook Download: EPUB
2021
176 Seiten
Irisiana (Verlag)
978-3-641-27573-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Vagus-Nerv - unser innerer Therapeut - Sandra Hintringer
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Vagus gut, alles gut
Das autonome Nervensystem, und hier vor allem der Vagus-Nerv, sind entscheidend beteiligt an unserem psychischen Wohlbefinden. Ist der Vagus-Nerv in seiner Funktion blockiert oder gestört, können vielfältige emotionale Probleme die Folge sein. Die Traumatherapeutin und Osteopathin Sandra Hintringer zeigt, wie man die Funktionsweise des Vagus-Nervs verbessern kann, um so zu mehr psychischem Wohlbefinden zu gelangen. Anschaulich und nachvollziehbar beschreibt sie Aufbau und Arbeitsweise des vegetativen Nervensystems und widmet sich der Entstehung von Depression, Trauma und weiterer emotionaler Störungen. Im Praxisteil des Buchs finden sich Wahrnehmungs-, Atem- und Körper-Übungen, die dabei helfen, den Vagus-Nerv zu regulieren, damit wir auch psychisch wieder in unser Gleichgewicht finden.

Sandra Hintringer arbeitet als Heilpraktikerin mit Schwerpunkt Osteopathie und Traumatherapie in eigener Praxis in Potsdam. Ihre Arbeit als Therapeutin fußt auf der Polyvagaltheorie nach Stephen Porges. Sie ist staatlich geprüfte Physiotherapeutin, Traumatherapeutin mit einem Zertifikat in Somatic Experiencing® nach Peter Levine und ausgebildet in traumasensiblem Yoga.

TEIL 1


Die Polyvagal-Theorie:
Stressreaktionen und Traumafolgen
verstehen und regulieren


1.1


Was ist die Polyvagal-Theorie?


Die Polyvagal-Theorie ist ein Erklärungsmodell, das Aufbau, Eigenschaften und Funktionsweise des autonomen Nervensystems schlüssig beschreibt. Seit Beginn unseres Daseins als Menschen sind wir unentwegt auf der Suche nach einer sicheren Lebensumgebung und verlässlichen Bindungen. Das autonome, also unwillkürliche Nervensystem ist dabei der wichtigste mitwirkende Teil unseres Körpers. Wie das Wort »autonom« besagt, agiert es ohne unseren Willen, ohne unser aktives Eingreifen oder unsere bewusste Kontrolle und größtenteils unbemerkt. Pausenlos, also Tag und Nacht und unabhängig von unserer Aktivität, ist das autonome Nervensystem für die Aufrechterhaltung unserer Sicherheit tätig.

Um diesen Auftrag zu erfüllen, kann das Nervensystem auf drei mögliche autonome Reaktionsmuster zurückgreifen. Diese stehen in einer Hierarchie und bilden in ihren Funktionen die Entwicklungsgeschichte des Gehirns ab. So gibt es zunächst ein sehr altes System, das man dorsalen Vagus nennt. Dieses ist als Energiesparsystem angelegt, äußert sich durch das Muster Schockstarre oder Totstellen und unterstützt das Überleben in den extremsten Situationen. Bei jedem Neugeborenen ist dieser Anteil bereits voll ausgebildet und funktionsfähig. Das in der Hierarchie folgende System ist der entwicklungsgeschichtlich etwas jüngere Sympathikus. Dieser kann Kräfte zum Durchstehen von Notlagen mobilisieren und löst unser Kampf- oder Fluchtverhalten aus. Der entwicklungsgeschichtlich jüngste und damit dritte Teil in dieser Hierarchie ist der ventrale Vagus. Er steht hinter unserer Fähigkeit, in Kontakt zu treten, Probleme mittels Kommunikation zu lösen und in Verbundenheit zu leben oder aber uns bewusst für einen Rückzug zu entscheiden. In Abhängigkeit von der Reifung des kindlichen Nervensystems übernimmt vorläufig die Mutter diesen regulierenden Part, bis das Kind gelernt hat, sich selbst zu regulieren.

Das autonome Funktionieren unseres Körpers mittels der drei beschriebenen Anteile zu kennen ist besonders wertvoll für das Verstehen der allgemeinen Stressreaktionen und des menschlichen Verhaltens, aber auch hilfreich für die Heilung von Traumata und aus ihnen resultierenden Störungen. Diese Zusammenhänge und das Wissen darum sind auch für das grundlegende kommunikative Miteinander und damit für ein reguliertes gesellschaftliches Leben essenziell und daher nicht allein für Trauma-Betroffene von Interesse. Dass sich die Theorie fortschreitend weltweit durchsetzt, ist sicherlich kein Zufall, sondern vielmehr ihrem richtigen Ansatz zu verdanken und dem Erfolg der darauf fußenden Methode als wirksames Mittel zur Kommunikation und zur Traumaheilung.

Doch die Methode hilft nicht nur im Rahmen der klar umrissenen sogenannten Traumafolgestörungen, sondern auch gegen diverse Erkrankungen, die man ohne Weiteres gar nicht auf ein traumatisches Ereignis zurückführen würde, etwa die schon erwähnten häufigen und vielfältigen Schmerzleiden, unter anderem Kopf-, Rücken oder Gelenkschmerzen. In diesem Zusammenhang zu nennen sind auch internistische und orthopädische Krankheiten wie Bluthochdruck, Magen-Darm-Störungen, Entzündungen oder Arthrosen. Auch die Behandlung von komplexen und oft lebensverändernden Syndromen, also Zuständen, in denen verschiedenste Symptome kombiniert auftreten, profitiert sicherlich von diesem Ansatz. Dazu zählen das chronische Müdigkeitssyndrom, Migräne, Fibromyalgie, Allergien oder auch das Burn-out-Syndrom, um nur einige wenige zu nennen.

Doch betrachten wir zunächst den Ursprung der Polyvagal-Theorie. Erstmalig wurde die Theorie 1994 von ihrem Begründer, dem amerikanischen Wissenschaftler und Professor für Psychiatrie Stephen W. Porges, erwähnt. Porges war selbst überrascht, mit welch durchschlagendem Erfolg er Kliniker besonders aus der Traumaheilkunde mit seinem Ansatz überzeugen konnte. Endlich war schlüssig erklärbar, welche adaptiven körperlichen Reaktionen nach einer Traumatisierung auftreten. Damit wurde zugleich die stete Suche nach Sicherheit und Überleben als begründetes Lebensziel aller Lebewesen deutlich. Später werde ich genauer auf die einzelnen und vielfältigen Funktionen der drei autonomen Zustände eingehen und auch darauf, wie wir uns die Polyvagal-Theorie zunutze machen können, um regulatorisch Einfluss zu nehmen.

Ursprünglich, also bevor Porges seine Theorie erarbeitete, war man davon ausgegangen, dass unser autonomes Nervensystem aus dem Antreiber Sympathikus und seinem beruhigenden Gegenspieler besteht, dem Parasympathikus. Ein Großteil des parasympathischen Systems wiederum besteht aus dem Vagusnerv. Hier beginnt die eigentliche Geschichte der Polyvagal-Theorie, denn Stephen W. Porges fand heraus, dass es nicht nur den einen Vagusnerv, sondern vielmehr das autonome Reaktionssystem eines ventralen, also vorderen, und das System eines dorsalen, also hinteren Vagusastes gibt. Obwohl beide als parasympathische, also beruhigende, Systeme gelten, könnten ihre Funktionen unterschiedlicher nicht sein. Der vordere Vagusast hält uns in gesunder, verbundener Lebensenergie, während der hintere Schockzustände und Ohnmachten auslöst und damit vermeintlich oder wirklich lebensbedrohliche Zustände verarbeitet. Abspaltung und Rückzug sind charakteristisch für das Reaktionsmuster des hinteren Vagus.

Hier wird der Begriff polyvagal plausibel, denn er setzt sich zusammen aus dem griechischen poly (»viele«, also mehr als einer) und dem lateinischen vagal (»umherschweifend«, von dem Verb vagari abgeleitet). Im Zusammenhang mit dem Nervus vagus bedeutet er also »der umherschweifende Nerv«.

Doch wie kam Stephen W. Porges auf diesen Zusammenhang? Eigentlich interessierte er sich als Wissenschaftler bis dahin nicht direkt für klinische Prozesse, also die Untersuchung und Behandlung von Patienten mit spezifischen Symptomen. Ursprünglich widmete er sich der Forschung rund um die Geburtshilfe. Er ging davon aus, dass starke Aktivierung im System des Vagusnervs gleichbedeutend mit guter Gesundheit sei. Doch dann kam ein entscheidender Hinweis: Es meldete sich ein Kinderarzt, der beobachtet hatte, dass starke Aktivität im Vagus-System mit einem Absinken der Herzfrequenz einhergeht, die wiederum für die Sterblichkeit vor allem von Frühgeborenen verantwortlich gemacht wird. Dieses Phänomen wurde als Vagus-Paradox beschrieben und veranlasste Porges, intensiver zu forschen. Letztendlich stieß er dabei auf die zwei unterschiedlichen Vagus-Systeme. Später beobachtete und belegte er in Studien, dass es einen Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und einer Schwächung des ventralen Vagus-Systems gibt. Er machte dies an einigen regelmäßig vorkommenden Symptomen fest. Dazu gehören zum Beispiel eine Überempfindlichkeit des Gehörs oder die Unfähigkeit, Blickkontakt herzustellen oder zu halten.

Doch was von alledem lässt sich nun in unserem Alltag gesundheitsfördernd nutzen? Ich fasse zusammen: Die Polyvagal-Theorie unterscheidet drei autonome physiologische Modi oder Zustände, die ventraler Vagus, Sympathikus und dorsaler Vagus hervorrufen. Diese als Anpassungsmechanismen bezeichneten Körperzustände rufen verschiedene körperliche Fähigkeiten ab und bewirken jeweils typische Verhaltensmuster. Ebenso wird jeder dieser Mechanismen durch unterschiedliche anatomische Zusammenhänge repräsentiert. Die Theorie beschreibt auch, dass die drei Reaktionsmuster hierarchisch funktionieren. Schnelle Wechsel zwischen den drei autonomen Zuständen gehören zur normalen Physis des Menschen und aller anderen Wirbeltiere. Ein Steckenbleiben in einem dieser Muster stellt jedoch die Abweichung von der Norm und damit einen Nährboden für Krankheiten dar.

Das übergeordnete Ziel ist immer das Überleben und Wiedererlangen sowie Erhalten von Sicherheit. Das Erkennen des jeweiligen Zustands und der anatomische Zusammenhang führen uns zu einer Reihe von schlüssigen, für den jeweiligen Zustand konzipierten Übungen in Teil 3, mit denen Sie Ihren Körper beim Wechsel zum jeweils günstigeren oder höher entwickelten autonomen Zustand unterstützen können. Doch bevor wir so weit sind, lohnt es sich, einen Blick auf die Funktionsweise der autonomen Hierarchie zu werfen.

Unser autonomes Nervensystem reagiert in rasender Geschwindigkeit auf alles, was unsere Umgebung ausmacht. Jeder kleinste Reiz wird unterbewusst registriert, mit Bekanntem abgeglichen und kategorisiert. So reagieren wir auf Angenehmes, auf Unangenehmes und auf Gefahren mit den beschriebenen drei autonomen Mustern. Das autonome Nervensystem hält zudem die grundlegenden Organfunktionen selbstständig und damit für Sie in der Regel unbewusst aufrecht. Hierzu zählen zum Beispiel die Verdauung und die Frequenz des Herzschlags. Sie stimmen mir mit Sicherheit darin zu, dass es sehr schwer ist, in einem Moment großer Verliebtheit oder allgemein bei großer Aufregung den Puls ruhig zu halten. Das autonome Nervensystem baut in seinen Entscheidungen auf allen bereits vorhandenen Erfahrungen auf und arbeitet immer für Sie und Ihr Überleben.

Solange unser Hirnstamm die eintreffenden Reize als sicher klassifiziert, verweilen wir im Programm des ventralen Vagus. Sobald sich jedoch unser Körper in einer Bedrohungslage wähnt, erfolgt ein Wechsel in den Sympathikus, und wir entscheiden uns unterbewusst entweder zum Kämpfen oder, falls das nicht möglich ist, für die Flucht vor der Gefahr. Deutet unser Gehirn die Informationslage als...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2021
Zusatzinfo ca. 57 farbige Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Alternative Heilverfahren
Schlagworte Angst und Panikattacken • Autonomes Nervensystem • Depression • Depressionen überwinden • Depression Frauen • Depression heilen • eBooks • Gesundheit • Kindheitstrauma • Medizin • Parasympathikus • Peter Levine • Polyvagal-Theorie • Posttraumatische Belastungsstörung • Psychotraumatherapie • Ratgeber • resilienz übungen • Selbstheilungsnerv • Somatic Experiencing • Stephen Porges • Traumabewältigung • Vagus • vagus nerv • Vagus-Nerv • Vegetatives Nervensystem
ISBN-10 3-641-27573-3 / 3641275733
ISBN-13 978-3-641-27573-0 / 9783641275730
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