Liebe ist planbar (eBook)

1.4.3 Komplexität

Unsere Welt wird immer komplexer. Was steckt hinter Ereignissen? Was sind die Auswirkungen? Die Systeme werden vielschichtiger und sind kaum mehr zu überblicken. Die Zusammenhänge sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt und werden so noch unübersichtlicher. Ob eine Entscheidung richtig oder falsch ist, ist oftmals im Vorfeld nicht vorhersehbar. Die Vielzahl an möglichen Optionen und die starke weltweite Vernetzung multipliziert diesen Faktor. Nehmen wir noch einmal die Corona-Situation. Wer wusste zu Beginn wirklich, wie die Dinge zusammenspielten? Die Flut an Informationen war undurchdringlich. Welche Zahlen stimmten, welche Fakten? Täglich gab es neue Erkenntnisse. Die Konsequenz für die Politik, aber auch für alle Betroffenen: Entscheidungen werden in immer kürzeren Abständen getroffen, Ansichten revidiert und immer wieder neue Wege ausprobiert.

Ist eine Beziehung komplex?

Eigentlich sollte man meinen: Zwei Menschen, Liebe – das kann doch nicht so schwer sein. Weit gefehlt. Gerade wenn zwei Menschen sich nahestehen, wird es fast immer schwierig. Wir erwarten, dass der andere unsere Bedürfnisse erfüllt, uns versteht, für uns da ist, uns unterstützt, unsere Gedanken liest und vieles mehr. Doch schnell sind wir enttäuscht. Dann schalten wir blitzartig auf unseren unbewussten Autopilot um, und es laufen Programme und Muster ab, die die Beziehung und uns selbst mehr und mehr belasten Wir werden von unserem Unterbewusstsein gesteuert. Liebesbeziehungen gehören zu den komplexesten zwischenmenschlichen Beziehungen.

1.4.4 Mehrdeutigkeit

In der Unternehmenswelt wird es immer schwieriger, eindeutige oder exakte Lösungen zu bestimmen. Es gibt nicht mehr nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele Grautöne dazwischen. Informationen sind auf Knopfdruck im Übermaß vorhanden, können jedoch unterschiedlich interpretiert werden. Hierarchische Führung trifft auf neue Modelle, in denen Selbstverantwortung immer wichtiger wird. Das strenge Verfolgen eines Planes tritt in den Hintergrund. Gefragt sind eine starke Vision und mutige Entscheidungen sowie eine schnelle Anpassung an eine sich rasch verändernde Außenwelt. Fehlinterpretationen sind ein täglicher Begleiter. Umso wichtiger wird es daher, eine Kultur zu entwickeln, die Fehler als gute Gelegenheit zum Lernen ansieht.

Ist eine Beziehung mehrdeutig?

Ganz sicher. In vielen Beziehungen ist jeder Tag aufs Neue eine Überraschung. Dinge, die gestern gut funktioniert haben, kommen heute nicht gut an. Wir glauben manchmal sogar, plötzlich einen anderen Menschen vor uns zu haben. Doch es ist einfach ganz normal, dass auf A nicht immer B folgt. Zu viele Faktoren spielen mit. Die eine Lösung für alle Gelegenheiten existiert leider nicht. Es kommt auch darauf an, wie ich mich gerade fühle, wie der heutige Tag war, wie der Gemütsstand der Beziehung derzeit ist, was mir sonst noch so im Kopf herumschwirrt und vieles mehr.

1.5 Die agile Beziehung – vom Problem zur Lösung

Zweifellos ist VUCA ein Problem, das für Beziehungen eine Bedrohung darstellt. Doch soll man nun den Kopf in den Sand stecken und sich seinem Schicksal ergeben? Ganz bestimmt nicht. Es hat einen Vorteil, dass wir uns an unternehmerischen Prinzipien festhalten können: VUCA trägt in sich selbst eine mögliche Lösung. Viele Unternehmen haben das erkannt und setzen verstärkt darauf. Und wie du sehen wirst, kann dies auch ein möglicher Weg für eine gelungene Beziehung sein. Klar ist aber, dass diese Lösung keine einfache ist. Es gibt keine Vorlage, die zu sicherer Zufriedenheit führt, wenn wir sie befolgen. Jede Lösung ist mit Arbeit, Rückschlägen, Experimenten und vielen kleinen Erfolgen verbunden. Jedes Paar will andere Schwerpunkte setzen. Jedes Paar benötigt eine individuelle Lösung. Das Gute an der VUCA-Lösung: Sie lässt sich an unterschiedliche Gegebenheiten individuell anpassen.

Doch was kann nun eine mögliche Strategie sein? VUCA kann auch bedeuten: Vision, Understanding, Clarity und Agility.

Auf Deutsch:

• Vision
• Verständnis
• Klarheit
• Agilität

Diese vier kleinen Worte haben, gezielt angewendet, eine unglaubliche Wirkung auf jede Beziehung. In der Folge werde ich auf diese vier Bereiche eingehen und verdeutlichen, was sie für die Beziehung bewirken, wie wir die richtigen Schritte definieren können und welche Werkzeuge uns dabei unterstützen. Einen Schwerpunkt wird die Agilität einnehmen. Aus meiner Sicht ist Agilität die Klammer, welche die anderen drei Begriffe umschließt. Und wir werden beim Kennenlernen von Vision, Verständnis und Klarheit viele agile Methoden verwenden, die uns leichter ans Ziel kommen lassen.

Immer mehr Unternehmen setzen auf unterschiedliche agile Methoden und verzeichnen damit Erfolge, die mit traditionellen Vorgehensweisen wie starren Prozessen und Plänen oder streng getrenntem Bereichsdenken nicht mehr möglich wären.

Agil bedeutet für deine Beziehung jedoch nicht, dass du ab heute alles, was du bisher getan hast, nicht mehr tun darfst, und nur mit neuen, modernen Methoden eine gute Beziehung möglich ist. Ganz im Gegenteil, denn Agilität bedeutet, das Beste aus der traditionellen Welt zu verwenden und es kreativ mit neuen Wegen zu verbinden, um individuell passende Lösungen zu finden. Es gibt keine perfekte Beziehung, aber es gibt einen maßgeschneiderten Weg, der zu dir und deiner Beziehung passt. Eine agile Beziehung ist daher kein Endzustand, den wir erreichen wollen, sondern eine Reise.

Und das wars auch schon, keine Hexerei. Vielleicht ist es doch einfacher, als du denkst!

1.6 Agile Grundbegriffe

Agile Werte und Haltungen begleiten uns auf unserem Weg. Daher stelle ich wichtige Begriffe, die immer wieder auftauchen, im Überblick vor. Du siehst diese in der folgenden Abbildung:

Du bist der Ansicht, diese Wortfetzen haben per se wenig bis nichts mit Beziehungen zu tun?

Aber einen Moment noch. Ich werde versuchen, jeweils mit einem Satz zu erklären, wieso ich diese in der agilen Welt gängigen Begriffe auf die Beziehungswelt übertrage:

• T-Shape: Immer mehr über sich selbst, aber auch über den Partner erfahren und dieses Wissen im täglichen Handeln anwenden.
• Werte: Eine zufriedene Beziehung basiert auf einem gemeinsamen Wertesystem.
• Transparenz: Alles, was bekannt und sichtbar ist, kann aktiv und gezielt verändert (oder auch verstärkt) werden.
• Wachsen: Beziehung ist lebenslanges gemeinsames Wachsen und Weiterentwickeln.
• Vision: Eine gemeinsame Vision hilft der Beziehung, den Kurs zu halten.
• Veränderung: Beziehung ist immer Veränderung, denn es gibt etliche Einflussfaktoren.
• Haltung: Eine innere Grundeinstellung, die mein Denken und Handeln (zum Beispiel in Konfliktsituationen) beeinflusst.
• Fehlerkultur: Fehler werden konsequent genutzt, um zu lernen und die Beziehung zu verbessern.
• KVP: Prozess der kontinuierlichen Verbesserung – Problemfaktoren in der Beziehung werden konsequent minimiert.
• Selbstverantwortung: Jeder Partner übernimmt 100 Prozent Verantwortung für das Gelingen der Beziehung.
• PDCA: Ein Zyklus, der fokussierte Weiterentwicklung unterstützt.
• Kaizen: Veränderung der Beziehung in kleinen, nachvollziehbaren Schritten.
• Fokus: Jede Beziehung hat kleinere und größere Problemquellen – wir fokussieren und immer auf das aktuell wichtigste Thema mit dem größten Nutzen.
• Mindset: Ähnlich wie Haltung, eine Denkweise, Einstellung, Grundhaltung.
• Direkte Kommunikation: Wir versuchen, alles in Worte zu fassen, die unser Partner verstehen kann, und vermeiden Gedankenlesen, Interpretieren und Bewerten.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch meine beiden helfenden Hände vorstellen:

Gestatten: Susi und Franz! Agile Beziehungsprofis. Sie werden immer wieder darauf hinweisen, welche agilen Begriffe im Spiel sind.

1.7 Entwicklung der Persönlichkeit

Wie entwickeln wir uns eigentlich als Menschen, und welche Auswirkungen kann das auf unsere späteren Beziehungen haben? Ich beziehe mich im Folgenden auf die Theorie von Harville Hendrix, dem Begründer der Imago-Therapie, einer sehr erfolgreichen Therapiemethode für Paare. Sein Buch „So viel Liebe wie du brauchst“ lege ich dir sehr ans Herz. Er erklärt darin auch wunderbar, wie Partnerwahl funktioniert und welche Auswirkungen die Wahl unseres Partners auf uns hat.

Viele unserer Prägungen entstehen in der Kindheit. Hendrix beschreibt vier Entwicklungsphasen, die wir durchlaufen:

1. Die Bindungsphase (circa 0 bis 15 Monate) – in dieser Phase entwickeln wir emotionale Sicherheit und grundsätzliches Vertrauen.
2. Die Erforschungsphase (circa 15 Monate bis 3 Jahre) – in dieser Phase entwickeln wir...