Das Geheimnis des Veda -  Sri Aurobindo

Das Geheimnis des Veda (eBook)

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2021 | 1. Auflage
556 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-221-8 (ISBN)
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Die Veden waren lange Zeit dem Leser nur schwer zugänglich. Auch die westliche Veden-Forschung ließ den Durchblick vermissen. Die naturalistische Deutung triumphierte. Erst Sri Aurobindos bahnbrechende Interpretationstechnik, seine "psychologische Methode", hat Licht in das Dunkel dieser ältesten schriftlichen Dokumente indo-arischer Welt- und Lebensanschauung gebracht und ihre tiefen philosophischen Zusammenhänge sehen und verstehen lassen.
Eine geniale Interpretation der ältesten spirituellen Texte der Menschheit, die einen tiefen Einblick in die geistige Schau der großen vedischen Seher bietet. Ein Grundlagenbuch über den "Integralen Yoga"!

2. Kapitel

a) Vedische Theorie — Ein Überblick

Der Veda ist also die Schöpfung eines Zeitalters, das unseren intellektuellen Philosophien vorausgeht. In jener Ursprungsepoche erfolgte das Denken durch andere Methoden als die unserer logischen Vernunft, und die Sprache ließ Ausdrucksweisen zu, die in unserem modernen Gebrauch unannehmbar wären. Die Weisesten verließen sich damals auf innere Erfahrung und die Hinweise des intuitiven Mentals, um jenes Wissen zu erlangen, das die gewöhnlichen Wahrnehmungen und täglichen Aktivitäten der Menschheit überstieg. Ihr Ziel war Erleuchtung, nicht logische Überzeugung, ihr Ideal der inspirierte Seher, nicht der präzise logische Denker. Die indische Tradition hat diese Bedeutung des Ursprunges der Veden gewissenhaft bewahrt. Der Rishi war nicht der individuelle Autor der Hymne, sondern der Seher (draṣṭâ) einer ewigen Wahrheit und eines unpersönlichen Wissens. Die Sprache des Veda selbst ist śruti, ein Rhythmus, der nicht vom Intellekt geschaffen ist, sondern gehört wird, ein göttliches Wort, das sich vibrierend vom Unendlichen her dem inneren Gehör des Menschen offenbarte, der sich zuvor auf den Empfang unpersönlichen Wissens vorbereitet hatte. Die Wörter selbst, dṛṣṭi und śruti, Sehen und Hören, sind vedische Ausdrücke. Diese und verwandte Wörter bedeuten in der esoterischen Terminologie der Hymnen offenbarendes Wissen und Inhalt der Inspiration.

Im vedischen Begriff von Offenbarung findet sich keine Andeutung des Wundergleichen oder Übernatürlichen. Der Rishi, der von diesen Sinnesfähigkeiten Gebrauch machte, hatte sie durch eine fortschreitende Selbstentwicklung erlangt. Wissen selbst war ein Reisen und ein Hinausreichen oder ein Finden und ein Gewinnen. Die Offenbarung kam erst am Ende, das Licht war der Preis eines abschließenden Sieges. Im Veda findet sich ständig dieses Bild von der Reise, vom Vormarsch der Seele auf dem Pfad der Wahrheit. Indem sie auf jenem Pfad voranschreitet, steigt sie auch auf. Neue Ausblicke der Kraft und des Lichtes öffnen sich ihrem inneren Streben. Sie erlangt durch heroische Anstrengung ihren erweiterten spirituellen Besitz. Vom historischen Standpunkt aus kann man den Rig-Veda als Aufzeichnung einer großen Progression betrachten, die die Menschheit mit Hilfe besonderer Mittel zu einer gewissen Zeit ihres kollektiven Fortschrittes machte. In seiner esoterischen ebenso wie in seiner exoterischen Bedeutung ist er das Buch der Werke, des inneren und äußeren Opfers. Er ist die Hymne des Geistes von Schlacht und Sieg, indem er die Ebenen von Denken und Erfahrung entdeckt und betritt, die dem natürlichen oder dem Tiermenschen unzugänglich sind. Er ist des Menschen Lobpreisung des göttlichen Lichtes, der göttlichen Kraft und Gnade, die im Sterblichen am Wirken sind. Der Veda ist also weit davon entfernt, ein Versuch zu sein, die Resultate intellektueller oder imaginativer Spekulation festzuhalten, und er besteht auch nicht aus den Dogmen einer primitiven Religion. Aber aus der Identität der Erfahrung und der Unpersönlichkeit des empfangenen Wissens ergibt sich ein fester Rahmen von ständig wiederholten Begriffen und eine feste symbolische Sprache, die in jener frühen menschlichen Sprache vielleicht die unumgängliche Form dieser Konzeptionen war, weil sie schon aufgrund ihrer gleichzeitigen Konkretheit und Kraft mystischer Suggestion imstande war, das zum Ausdruck zu bringen, was für das gewöhnliche Mental der Menschen unausdrückbar war. Wir finden in jedem Fall dieselben Vorstellungen wiederholt von Hymne zu Hymne, mit denselben konstanten Begriffen und Formen und häufig in derselben Sprache ohne jede Bemühung um poetische Originalität, ohne jeden Anspruch auf Novität des Denkens und Frische der Sprache. Keine Bemühung um ästhetische Anmut, Reichhaltigkeit oder Schönheit verleitet die mystischen Dichter dazu, die konsekrierte Form zu variieren, die für sie zu einer Art göttlicher Algebra geworden ist, welche die ewigen Formeln des Wissens der ständigen Nachfolge der Eingeweihten übermittelt.

Die Hymnen haben wirklich eine vollendete metrische Form, verfügen über gleichbleibende Feinheit und regelmäßiges Geschick in ihrer Technik, große Variation in Stil und dichterischer Persönlichkeit. Sie sind nicht das Werk grober, barbarischer, primitiver Handwerker sondern der lebendige Atem einer überragenden und bewußten Kunst, die ihre Schöpfungen in der kraftvollen, aber gut beherrschten Bewegung einer selbstbeobachtenden Inspiration heranbildet. Dabei wurden alle diese hohen Gaben mit Vorbedacht innerhalb eines unveränderlichen Rahmens und stets mit denselben Materialien zum Tragen gebracht. Denn die Kunst des Ausdrucks war den Rishis nur Mittel, nicht Ziel. Ihr Hauptanliegen blieb vorwiegend praktisch, fast utilitaristisch, im höchsten Sinn von Nutzbarkeit. Die Hymne war dem Rishi, der sie verfaßte, ein Mittel zum spirituellen Fortschritt seiner selbst und der anderen. Sie entsprang seiner Seele, wurde zu einer Kraft seines Mentals, war der Träger seines Selbstausdrucks in einem wichtigen oder gar kritischen Augenblick der inneren Geschichte seines Lebens. Sie half ihm, den Gott in sich zum Ausdruck zu bringen, den Verschlinger, der das Böse ausdrückt, zu zerstören. Sie wurde zu einer Waffe in den Händen des arischen Strebers nach Vollkommenheit. Sie leuchtete auf wie Indras Blitz gegen den Verhüller auf den Hängen, den Wolf auf dem Pfad, den Räuber am Strom.

Die unveränderlich feste Form vedischen Denkens in Verbindung mit seiner Tiefe, Fülle und Feinheit genommen, veranlaßt zu einigen interessanten Spekulationen. Wir können plausibel machen, daß eine solche feste Form und Substanz weder in den Anfängen von Denken und psychologischer Erfahrung noch während ihres frühen Fortschrittes und Entfaltens möglich ist. Wir können daher annehmen, daß unsere vorliegende Sanhita den Abschluß einer Epoche repräsentiert, nicht ihren Beginn, ja nicht einmal einige ihrer aufeinanderfolgenden Stadien. Es ist sogar möglich, daß ihre ältesten Hymnen eine vergleichsweise moderne Entwicklung oder Version eines älteren* lyrischen Evangeliums sind, das in die freieren und geschmeidigeren Formen einer noch früheren menschlichen Sprache gekleidet war. Oder die umfangreiche Masse ihrer Litaneien ist nur eine Auswahl, die Veda Vyasa aus einer reicher artikulierten arischen Vergangenheit traf. Nach dem Volksglauben ist sie von Krishna von der Insel getroffen worden, dem großen traditionellen Weisen, dem mächtigen Kompilator (Vyasa), mit dem Blick auf den Beginn des Ehernen Zeitalters gerichtet, auf die Jahrhunderte wachsenden Zwielichtes und abschließender Dunkelheit. So ist sie vielleicht nur das letzte Vermächtnis der Zeitalter der Intuition, der strahlenden Morgendämmerungen der Vorväter, an ihre Abkömmlinge, an eine menschliche Rasse, die sich im Geist bereits den niedrigeren Ebenen und den leichteren und sichereren Gewinnen — sicher vielleicht nur dem Anschein nach — des physischen Lebens, des Intellekts und der logischen Vernunft zuwendet.

Aber dies sind nur Spekulationen und Schlußfolgerungen. Fest steht, daß die alte Tradition einer fortschreitenden Verdunklung und eines fortschreitenden Verlustes des Veda als Gesetz des Zyklus der menschlichen Entwicklung durch das Ereignis voll gerechtfertigt wurde. Die Verdunklung war bereits weit fortgeschritten vor Beginn des nächsten großen Zeitalters indischer Spiritualität, dem vedantischen, das sich bemühte, von dem alten Wissen zu bewahren oder wiederzugewinnen, was noch zu erlangen war. Denn das System der vedischen Mystiker gründete sich auf Erfahrungen, die für die normale Menschheit nur schwer zugänglich waren, und schritt voran mit Hilfe von Fähigkeiten, die in den meisten von uns nur rudimentär und unvollkommen entwickelt sind und, wenn überhaupt aktiv, vermischt und ungleichmäßig wirken. Nachdem die erste intensive Wahrheitssuche erst einmal vorüber war, mußten unweigerlich Perioden der Ermüdung und Abspannung eintreten, in denen die alten Wahrheiten zum Teil verloren gingen. Sobald sie einmal verloren waren, konnten sie auch nicht leicht wiedergewonnen werden durch gründliche Erforschung des Sinnes der alten Hymnen; denn jene Hymnen waren in eine Sprache gekleidet, die ganz bewußt zweideutig gehalten war.

Eine uns unverständliche Sprache kann korrekt verstanden werden, sobald einmal ein Schlüssel gefunden ist. Ein Sprachstil, der bewußt zweideutig ist, hält sein Geheimnis viel hartnäckiger und erfolgreicher, denn er ist voller Andeutungen und Hinweise, die irreführen. Als sich das indische Mental nun wieder einer Überprüfung des Sinnes des Veda zuwandte, war die Aufgabe daher schwierig und der Erfolg nur partiell. Eine Quelle des Lichtes existierte noch, das traditionelle Wissen, das von jenen überliefert wurde, die den vedischen Text memorierten und auslegten oder die dem vedischen Ritual vorstanden —...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Hinduismus
ISBN-10 3-96861-221-3 / 3968612213
ISBN-13 978-3-96861-221-8 / 9783968612218
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