Über sich selbst -  Sri Aurobindo

Über sich selbst (eBook)

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2020 | 1. Auflage
446 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-118-1 (ISBN)
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Trotz seines umfangreichen Schriftwerks bestehen nur wenige Aussagen Sri Aurobindos zu seiner eigenen Person. Sie liegen nun erstmals hiermit deutschsprachig in gesammelter Form vor.
Sri Aurobindo hat nach seiner Studienzeit in England und seiner politisch-revolutionären Tätigkeit in Indien zum Zwecke der Befreiung seiner Heimat vom kolonialen Joch um 1909 den Durchbruch zu seiner eigentlichen Bestimmung erfahren. Sie gipfelte in einer Erweiterung des Erdbewußtseins über alle mentalen Stufen hinaus, seiner Arbeit in Pondicherry. Deren Unverwechselbarkeit mit dem Sinnauftrag spiritueller "Vorgänger" brachte ihn zu der Überzeugung, daß sein Leben nicht an der Oberfläche lag und deshalb sorgsamer biographischer Erfassung bedurfte. Aus vorliegender Kompilation von Aufzeichnungen und Briefen erwächst für den Leser darum so etwas wie eine Autobiographie besonderer Art.

2. Erste Anfänge des Yogas


Eine frühe Erfahrung

X sagt, irgendwo stehe geschrieben, Ihr hättet 1890 eine Verwirklichung gehabt. Ist das richtig?

Eine Verwirklichung 1890? Das ist kaum möglich. Da war etwas im Jahr meiner Abreise aus England, obgleich ich [damals] nicht Yoga übte und nichts darüber wusste; ich erinnere mich nicht, wann es war, aber wahrscheinlich 1892-93 … Ich erinnere mich nicht an etwas Besonderes im Jahr 1890. Wo fand er das geschrieben?

22-8-1936

Vorahnungen spiritueller Möglichkeiten

Ist es richtig, dass nur jene, die vor Beginn ihrer Sadhana ein klares Wissen von ihren spirituellen Möglichkeiten hatten durch eine definitive, von der göttlichen Gnade eingegebene Vorahnung, in der Lage sind, bis zum Ende an ihrem Pfad festzuhalten, während jene, die keine solche Vorahnung hatten, eine Erfahrung bekommen mögen, aber nicht in der Lage sein werden, an ihrer Sadhana festzuhalten?

Zumindest ich selbst hatte keine solche Vorahnung, bevor ich mit dem Yoga begann. Über andere kann ich nichts sagen – vielleicht war es bei einigen der Fall –, aber die Vorahnung konnte nur Glauben bringen, sie konnte unmöglich Wissen bringen; Wissen kommt durch Yoga, nicht vorher.

Ich wiederhole, dass man nur das eine wissen muss, ob die Seele in uns zum Yoga bewegt wurde oder nicht.

5-5-1933

 

*

 

Glaubst Du, Buddha, Konfuzius oder ich selbst wurden mit der Vorahnung geboren, dass sie oder ich sich dem spirituellen Leben zuwenden würden? Solange man im gewöhnlichen Bewusstsein ist, lebt man das gewöhnliche Leben. Wenn das Erwachen und das neue Bewusstsein kommen, verlässt man es – darin liegt nichts Rätselhaftes.

27-4-1936

Die eine wesentliche Sache

Ich weiß nicht, was X schrieb oder in welchem Artikel, er liegt mir nicht vor. Aber wenn die Aussage lautet, dass niemand eine erfolgreiche Meditation haben oder irgend etwas verwirklichen kann, bis er rein und vollkommen ist, so vermag ich nicht zu folgen: dies widerspricht meiner eigenen Erfahrung. Ich hatte immer Verwirklichung durch Meditation zuerst, und die Läuterung begann danach als Resultat. Ich habe erlebt, wie viele Personen, denen man keine bedeutende innere Entwicklung zuschreiben konnte, sogar fundamentale Verwirklichungen durch Meditation erlangten. Sind alle Yogis, die effektiv meditiert haben und große Verwirklichungen in ihrem inneren Bewusstsein hatten, vollkommen in ihrer Natur? Mir scheint es nicht so. Ich vermag nicht an absolute Verallgemeinerungen in diesem Bereich zu glauben, weil die Entwicklung spirituellen Bewusstseins eine äußerst umfassende und vielschichtige Sache ist, wobei vielerlei Dinge geschehen können, und man kann fast sagen, dass es für jeden Menschen gemäß seiner Natur anders ist und dass die eine Sache, die wesentlich ist, der innere Ruf und die Sehnsucht sind sowie die Beharrlichkeit, stets ihr zu folgen, gleich wie lange es dauern mag, gleich welches die Schwierigkeiten oder Hindernisse sind, weil nichts anderes die Seele in uns befriedigen wird.

 

*

 

Wenn absolute Hingabe, Glauben usw. von Anfang an essenziell für den Yoga wären, so könnte ihn niemand ausführen. Ich selbst hätte ihn nicht praktizieren können, wenn eine solche Bedingung von mir gefordert worden wäre.

8-3-1935

Die erste konkrete Verwirklichung

In einem tieferen und spirituelleren Sinn ist eine konkrete Verwirklichung jene, die die realisierte Sache dem Bewusstsein wirklicher, dynamischer, inniger macht, als jede physische Sache es sein kann. Eine solche Verwirklichung des persönlichen Göttlichen oder des unpersönlichen Brahman oder Selbstes kommt gewöhnlich nicht am Anfang einer Sadhana oder in den ersten Jahren oder im Laufe vieler Jahre. Sie wird sehr wenigen zuteil; meine kam fünfzehn Jahre nach meiner ersten vor-yogischen Erfahrung in London und im fünften Jahr nach Beginn des Yogas. Das betrachte ich als außerordentlich schnell, fast als Eilzuggeschwindigkeit, obwohl es ohne Zweifel verschiedene raschere Verwirklichungen gegeben haben mag. Aber es so bald zu erwarten und zu fordern, würde in den Augen eines erfahrenen Yogis oder Sadhaks als hastige und anomale Ungeduld erscheinen. Die meisten würden sagen, dass eine langsame Entwicklung die beste sei, die man sich in den ersten Jahren erhoffen kann, und nur, wenn die Natur bereit ist und voll konzentriert auf das Göttliche, kann die endgültige Erfahrung eintreten.

Juni 1934

Persönliche Anstrengung und Wirken der Gnade

Übrigens, was ist denn diese Geschichte von meinen vier oder fünf Stunden Konzentration täglich mehrere Jahre lang, bevor irgend etwas herabkam? So etwas geschah nie, wenn Du mit Konzentration angestrengte Meditation meinst. Was ich tat, war vier oder fünf Stunden täglich pranayama – was etwas ganz anderes ist. Und von welchem Strom sprichst Du? Der Strom der Dichtung kam herab, während ich pranayama machte, nicht erst einige Jahre später. Was den Strom der Erfahrungen betrifft, das kam nach einigen Jahren, aber nachdem ich pranayama lange Zeit eingestellt hatte und nichts tat und nicht wusste, was zu tun war oder wohin ich mich wenden sollte, nachdem all meine Anstrengungen fehlgeschlagen waren. Und es kam nicht als Resultat der Jahre von pranayama oder Konzentration, sondern in einer lächerlich einfachen Weise, durch die Gnade entweder eines zeitweiligen Gurus (aber das war es nicht, denn er selbst war verwirrt darüber) oder durch die Gnade des ewigen Brahman und danach durch die Gnade von Mahakali und Krishna. Daher versuche nicht, mich in ein Argument gegen das Göttliche hineinzuziehen, jener Versuch wird vollkommen unwirksam sein.

22-1-1936

 

*

 

Welchen Sinn hat es für mich, Dinge zu sagen, wenn Du absichtlich missinterpretierst, was ich schreibe? Ich sagte deutlich, dass das pranayama mir nichts in Richtung spiritueller Verwirklichung brachte. Ich hatte es lange vorher eingestellt. Die Brahman-Erfahrung kam, als ich einen Weg suchte, keinerlei Sadhana tat, keine Anstrengung unternahm, weil ich nicht wusste, welche Anstrengung ich unternehmen sollte, da alle ohne Ergebnis blieben. Dann bekam ich innerhalb von drei Tagen eine Erfahrung, die die meisten Yogis erst am Ende eines langen Yogas bekommen, bekam sie ohne dass ich sie wollte oder mich darum bemühte, bekam sie zur Überraschung von Lele, der versuchte, mir zu etwas ganz anderem zu verhelfen. Aber ich glaube nicht, dass Du das verstehen kannst, daher sage ich nichts weiter.

24-1-1936

 

*

 

Warum sich nicht alles [spontan] in mir aufgetan hat wie die Vision für Malerei und einige andere Dinge? Alles tat es nicht. Wie ich Dir sagte, musste ich mich bei vielen Dingen abmühen. Andernfalls hätte die Sache nicht so viele Jahre (30) gedauert. In diesem Yoga kann man nicht in allem eine Abkürzung nehmen. Ich musste an jedem Problem arbeiten, das es zu lösen galt, und an jeder Bewusstseinsebene, die zu transformieren war, und ich musste jeweils die verflixten Bedingungen so nehmen, wie sie waren, und ehrliche Arbeit leisten, ohne auf Wunder zurückzugreifen. Natürlich, wenn das Bewusstsein ganz von selbst wächst, so ist es in Ordnung, die Dinge werden mit dem Wachstum kommen, aber selbst dann nicht Hals-über-Kopf in leichtem Galopp.

4-4-1935

Es trifft nicht zu, dass diese Schwierigkeiten ganz spezifisch nur Deine sind; jeder Sadhak, der sich auf den Weg macht, muss ähnliche Hindernisse überwinden. Ich selbst benötigte vier Jahre innerer Anstrengung, um einen wirklichen Weg zu finden, obgleich die göttliche Hilfe die ganze Zeit mit mir war, und selbst dann schien er durch Zufall zu kommen; und ich benötigte zehn weitere Jahre intensiven Yogas unter einer höchsten inneren Führung, um ihn zu erkunden, und das deshalb, weil ich meine und der Welt Vergangenheit assimilieren und transzendieren musste, bevor ich die Zukunft finden und begründen konnte.

5-5-1932

 

*

 

Ich glaube, Du hast zu viel aus meinem Ausdruck „Zufall“ gemacht und dabei die wichtige Einschränkung ignoriert, „er schien durch Zufall zu kommen“. Nach vier Jahren pranayama und anderen eigenen Praktiken, die kein anderes Resultat hatten als erhöhte Gesundheit und größeren Energiefluss, einige psycho-physische Phänomene, einen großen Strom dichterischer Schöpfung, eine begrenzte Kraft subtiler Schau (leuchtende Muster und Figuren etc.) zumeist mit wachem Auge, erlebte ich einen völligen Stillstand und wusste nicht weiter. An diesem kritischen Punkt wurde ich veranlasst, einen Mann ohne großen Namen zu treffen, den ich nicht kannte, einen Bhakta mit begrenztem Mental, aber mit einiger Erfahrung und erweckender Kraft. Wir saßen zusammen, und ich befolgte äußerst gewissenhaft, was er mich tun ließ, wobei ich selbst nicht im mindesten verstand, wohin er mich führte oder wohin ich selbst ging. Das erste Resultat war eine Reihe höchst substanzieller Erfahrungen und radikaler Bewusstseinswandlungen, die er nie beabsichtigt hatte – denn sie waren adwaitisch und vedantisch, und er war gegen Adwaita Vedanta – und die meinen eigenen Ideen völlig entgegengesetzt waren, denn sie ließen mich mit gewaltiger Intensität die Welt als cinematographisches Spiel leerer Formen in der unpersönlichen Universalität des Absoluten Brahman sehen. Die Sache endete dann so, dass er von einer Stimme in sich veranlasst wurde, mich dem Göttlichen in mir zu überantworten, wobei er absolute Hingabe an dessen Willen als Regel gab – ein Prinzip oder vielmehr eine ursprüngliche Kraft, an die ich mich unbeirrbar und...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Hinduismus
ISBN-10 3-96861-118-7 / 3968611187
ISBN-13 978-3-96861-118-1 / 9783968611181
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