Schatten des Kaiserreichs (eBook)

Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
288 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43790-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schatten des Kaiserreichs -  Eckart Conze
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150 Jahre Reichsgründung am 18. Januar 2021 Am 18. Januar 1871 wurde im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Kaiserreich proklamiert. Deutung und Erbe des damals gegründeten Nationalstaats sind heute umstritten. In welchem Verhältnis steht die Berliner Republik zum Reich Bismarcks und Wilhelms II.? Wie demokratisch war der nationale Staat? Hat sich Deutschland damals auf einen 'Sonderweg' in die Moderne begeben? War in der Reichsgründung der Weg zum Ersten Weltkrieg bereits angelegt. Was verbindet 1871 und 1933, was Versailles und Auschwitz? Die Debatten über 'Die Schlafwandler' und die Hohenzollern zeigen, dass der Schatten des Kaiserreichs bis in die Gegenwart reicht. Ein neuer Nationalismus taucht das vergangene Reich in ein rosiges Licht und versucht, ein kritisches Bild seiner Geschichte zu entsorgen. Doch die Reichsgründung war eine Revolution von oben, das Kaiserreich ein autoritärer nationaler Machtstaat. Die Bundesrepublik steht nicht in seiner Tradition. 150 Jahre nach der Reichsgründung verbindet das Buch Geschichte und Gegenwart, historische Analyse und geschichtspolitische Intervention. Eckart Conzes scharf gedachte und brillant formulierte Darstellung gibt Antworten auf politisch virulente Fragen, leuchtet die Hintergründe geschichtspolitischer Debatten aus und bezieht engagiert Stellung: »Es gibt nichts zu feiern. Das Reich von 1871, es ist vergangen. Das Deutschland der Gegenwart steht nicht in seiner Tradition.« Nicht zuletzt der Sturm des Reichstags vonDemonstranten mit Reichs- und Reichskriegsflaggen hat das Thema dieses Buches in den Mittelpunkt einer erbittert geführten öffentichen Debatte gerückt. 'Die nationale Einheit 1871 wurde erzwungen, mit Eisen und Blut, nach Kriegen mit unseren Nachbarn, gestützt auf preußische Dominanz, auf Militarismus und Nationalismus. Ich selbst war erst vor wenigen Tagen im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden - ein große, eine gute Ausstellung - und von der Decke, in einer Ecke des Saales, hingen an langen Fäden zahllose Kinderbücher aus jener Zeit. In ihnen, kleine Jungen, die kaum über die Tischkante gucken konnten, aber bereits stolz die Soldatenuniform tragen und begeistert die Kriegstrommel schlagen. Diese Glorifizierung des militanten Nationalismus, diese Verherrlichung des Krieges, des Heldentodes, selbst von Kindesbeinen an, das war der unselige Geist der damaligen Epoche. Es war ein kurzer Weg von der Gründung des Kaiserreiches bis zur Katastrophe des Ersten Weltkrieges.' Frank-Walter Steinmeier

ECKART CONZE, geboren 1963, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg und zählt zu den profiliertesten deutschen Zeithistorikern. An den Universitäten Cambridge, Toronto, Utrecht und Jerusalem hatte er Gastprofessuren inne. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Geschichte von Adel und Eliten, die internationale Politik vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, die Geschichte der Bundesrepublik sowie die Historische Sicherheitsforschung. Dass Eckart Conze keine Scheu vor großen Debatten hat, hat er als Mitautor von 'Das Amt und die Vergangenheit' bewiesen.

ECKART CONZE, geboren 1963, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg und zählt zu den profiliertesten deutschen Zeithistorikern. An den Universitäten Cambridge, Toronto, Utrecht und Jerusalem hatte er Gastprofessuren inne. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Geschichte von Adel und Eliten, die internationale Politik vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, die Geschichte der Bundesrepublik sowie die Historische Sicherheitsforschung. Dass Eckart Conze keine Scheu vor großen Debatten hat, hat er als Mitautor von "Das Amt und die Vergangenheit" bewiesen.

Einleitung
Reichsgründung und Nationalstaat: In weiter Ferne, so nah


»Hohenzollernwetter« herrschte in Berlin, als am 2. September 1873 auf dem Königsplatz vor dem Palais Raczynski, das wenige Jahre später dem Reichstag weichen musste, die Siegessäule in Anwesenheit des Kaisers feierlich eingeweiht wurde. »Eine Sommersonne, so lachend und unverhüllt wie vor drei Jahren über dem weiten Blutfelde von Sedan, strahlte über dem Plan«, berichtete die Vossische Zeitung, »und ließ … die goldene, schöne Riesengestalt der Victoria-Borussia auf der Höhe der Säule in blendendem Glanze schimmern.«1 Die von dem Architekten und Oberhofbaurat Johann Heinrich Strack, einem Schinkel-Schüler, entworfene Säule war das erste Nationaldenkmal des am 18. Januar 1871 in Versailles proklamierten Deutschen Reiches. In der Säule selbst sowie dem Bildprogramm der monumentalen Reliefs am Denkmalsockel und des Glasmosaiks in der Säulenhalle spiegelte sich ein nationales Geschichtsbild. »In diesen Bildern«, so formulierte es die für das Denkmal zuständige Baukommission, »kann die Erinnerung an die Macht und den Glanz des ehemaligen Deutschen Reiches und zugleich die Notwendigkeit der gegenwärtigen staatlichen Entwicklung aus der Vergangenheit der deutschen Geschichte zur Anschauung gebracht werden.« Für Kaiser Wilhelm I. war das Monument, wie er in der Einweihungsansprache betonte, ein »Zeugnis der Taten der Armee«. Vergoldete Kanonen aus dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864, dem Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 und dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 schmückten die drei Trommeln der über fünfzig Meter hohen Säule. Auf ihr steht, fast neun Meter hoch, die von dem Berliner Bildhauer Friedrich Drake gegossene Siegesgöttin Viktoria mit dem Lorbeerkranz, die zugleich, am Adlerhelm und dem Feldzeichen mit dem Eisernen Kreuz unschwer zu erkennen, eine Borussia darstellt – die Kriegsgeburt des Deutschen Reiches als Triumph Preußens und seines Militärs.

»Das dankbare Vaterland dem siegreichen Heer« lautete 1873 die Inschrift am Sockel des Denkmals, nicht »König Wilhelm seinem siegreichen Volk«, wie ursprünglich vorgesehen. Auch dadurch brachte die Siegessäule den kleindeutsch-preußischen Bellizismus der Reichsgründungszeit zum Ausdruck. Soldaten aus den drei »Reichseinigungskriegen«, wie sie nun retrospektiv genannt wurden, gehörten zu den Ehrengästen bei der Einweihung und sogar einige greise Veteranen aus den Befreiungskriegen 1813/14. Auch der Kaiser erinnerte an die Kriege gegen das napoleonische Frankreich. Für das von Anton von Werner entworfene Mosaik in der Säulenhalle hatte er selbst das Thema vorgegeben, die »Rückwirkung des Kampfes gegen Frankreich auf die deutsche Einigung und die Schaffung des Deutschen Kaiserreiches«. Die Siegessäule feierte den deutschen Nationalstaat nicht als Werk der deutschen Nationalbewegung, sondern als militärischen Erfolg. Eine »monumentale Zeit« erfordere »monumentale Kunst«, hatte der Maler und Kunstkritiker Anton Teichlein 1871 geschrieben. Das »nationale Selbstgefühl« verlange ein Siegesdenkmal, und der Dank der Nation gebühre Krieg und Krieger: »Nicht auf der Tribüne, sondern auf dem Schlachtfelde ist die Einheit Deutschlands erfochten worden, … der Parlamentarismus hat, bei allen seinen Verdiensten, nicht das erste Anrecht auf monumentale Verherrlichung.«

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Säule von den Nationalsozialisten im Zuge der Umgestaltung Berlins zur Reichshauptstadt »Germania« von ihrem ursprünglichen Standort entfernt und weiter westlich, am Großen Stern im Tiergarten, wiederaufgebaut und dabei um eine Trommel erhöht. Im Krieg nur leicht beschädigt, entging sie Zerstörungsabsichten der Siegermächte, vor allem Frankreichs, nach 1945. Verkehrsumtost steht sie heute weder für die neue deutsche Einheit seit 1989/90 wie das Brandenburger Tor noch für die freiheitliche Demokratie und den Parlamentarismus der Bundesrepublik wie der Reichstag mit der Kuppel von Norman Foster. Aber sie ragt als Geschichtszeichen in den Himmel über Berlin und in unsere Gegenwart hinein. Sie erinnert an den 1871 begründeten ersten deutschen Nationalstaat, das Kaiserreich, dessen Schatten bis in die Gegenwart reicht.

»Durch Kriege entstanden, konnte das unheilige Deutsche Reich preußischer Nation immer nur ein Kriegsreich sein. Als solches hat es, ein Pfahl im Fleische der Welt, gelebt, und als solches geht es zugrunde.«2 Was Thomas Mann im amerikanischen Exil am 29. Mai 1945, wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, in seiner Rede über »Deutschland und die Deutschen« formulierte, gilt es nicht auch schon für das deutsche Kaiserreich? Die Kriegsgeburt von 1871, sie versank nach nicht einmal fünf Jahrzehnten im Ersten Weltkrieg. Kriegsniederlage und Revolution fegten sie hinweg. Doch der Schatten des Kaiserreichs lag über der Weimarer Republik, eine schwere Belastung, die zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie entscheidend beitrug und ihre Zerstörung sowie die Machtübernahme der Nationalsozialisten begünstigte. Zwölf Jahre später lag der 74 Jahre zuvor in Versailles gegründete deutsche Nationalstaat – und mit ihm weite Teile Europas – in Schutt und Asche, durch den von Deutschland begonnenen Krieg und die von Deutschen begangenen Verbrechen auch moralisch ruiniert.

Begann 1871, was zwischen 1933 und 1945 so katastrophal endete? War im Kaiserreich das »Dritte Reich« bereits angelegt? Generationen von Deutschen haben diese Fragen nach 1945 beschäftigt. Die Überwindung der deutschen Teilung im Jahr 1990 hat die Aufmerksamkeit erneut auf den ersten deutschen Nationalstaat gelenkt. Im Juni 1991 entschied der Deutsche Bundestag, den Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland von Bonn nach Berlin zu verlegen, in die Hauptstadt des Landes. In der Debatte, die der Abstimmung vorausging, spielten historische Argumente eine wichtige Rolle. Für die einen war Berlin als Hauptstadt des Deutschen Reiches durch dessen imperiale Ambitionen und Großmachtansprüche, vor allem aber durch den Nationalsozialismus und seine Verbrechen diskreditiert. Für die anderen ergab sich die Entscheidung für Berlin zwingend aus der deutschen Einheit und aus der durch sie gewonnenen neuen Nationalstaatlichkeit.

Drei Jahrzehnte später ringt die »Berliner Republik«, wie sie der Publizist Johannes Gross Anfang der 1990er Jahre nannte, mit einer Renationalisierung, ja einem neuen Nationalismus, der außenpolitische Bindungen, nicht zuletzt in Europa, infrage stellt und innenpolitisch und gesellschaftlich einer völkisch bestimmten nationalen Identität das Wort redet. Was verstehen die Deutschen der Gegenwart unter Nation? Und wie sehen sie damit sich selbst? Ein freiheitliches und demokratisches Nationsverständnis, wie es sich in den Jahrzehnten nach 1945 entfalten konnte, wird heute wieder herausgefordert. Es wird infrage gestellt von politischen Kräften, für die Nation nicht auf Freiheit, Demokratie und der Würde des Menschen beruht, sondern auf einer in erster Linie ethnisch begründeten Zusammengehörigkeit und auf einem Verständnis von Nation, das auf der Vorstellung der Abstammungsgemeinschaft beruht. Das ist der Kern der neuen nationalen Frage, die sich vor diesem Hintergrund zwangsläufig auch darauf bezieht, welches Bild ihrer nationalen Geschichte die Deutschen haben, wie sie diese Geschichte deuten. Und dabei geht es auch um das Kaiserreich.

Anderthalb Jahrhunderte nach seiner Gründung und mehr als hundert Jahre nach seinem Untergang ist uns dieses ferne Reich wieder näher gerückt. 2014 stritten die Deutschen über den Beginn des Ersten Weltkriegs und die Verantwortung des Kaiserreichs. Mit seinem Buch Die Schlafwandler löste der Historiker Christopher Clark eine Debatte aus, die an die berühmte »Fischer-Kontroverse« der 1960er Jahre erinnerte. Aber es ging nicht nur um die Vergangenheit. Das Kaiserreich, so war 2014 zu vernehmen, werde in ein schlechtes Licht gerückt, es werde als autoritär und aggressiv charakterisiert, um das Deutschland des 21. Jahrhunderts zu treffen und es an einer selbstbewussten nationalen Politik zu hindern. Die 2017 erstmals in den Bundestag gewählte AfD plädiert für eine Außenpolitik, die sich an Bismarck orientiert, und beklagt in einem Parlamentsantrag, dass die »gewinnbringenden Seiten der deutschen Kolonialzeit erinnerungspolitisch keinen Niederschlag finden«. Zugleich wird darüber gestritten, ob der deutsche Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 Entschädigungsleistungen rechtfertigt. Auch der Umgang mit Kunst und Kultur aus kolonialen Kontexten ist umstritten. Das zeigt nicht zuletzt die Diskussion über das im wiedererrichteten Berliner Stadtschloss der Hohenzollern beheimatete Humboldt Forum und seine Ausstellung.

Auch durch solche Bauten rückt uns das preußisch-deutsche Kaiserreich wieder näher. Die historische Rekonstruktion prominenter Gebäude hat Debatten ausgelöst nicht nur über die symbolische und geschichtspolitische Botschaft, die von solchen Wiederaufbauten ausgeht, sondern auch über die selektive Aneignung von Architektur und Architekturgeschichte in der Berliner Republik. Warum musste der Palast der Republik, herausragendes Objekt politischer Architektur der späten DDR, abgerissen werden, um an seiner Stelle und am historischen Ort das alte Stadtschloss der Hohenzollern wiedererstehen zu lassen? Auch in Potsdam wurde die Fassade des im 18. Jahrhundert errichteten Stadtschlosses rekonstruiert. Es beherbergt heute den brandenburgischen Landtag. Und einen Steinwurf entfernt wächst der Turm der Garnisonkirche, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und 1968 gesprengt, in die Höhe. Streit begleitet auch dieses Rekonstruktionsprojekt von Anfang...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Schlagworte Adolf Hitler • AfD • Andreas Rödder • Christopher Clark • Deutsche Geschichte • Deutscher Kaiser • Deutscher Sonderweg • Deutsches Reich • Gründung Nationalstaat • Hans-Ulrich Wehler • Heinrich August Winkler • Helmut Kohl • Hohenzollernprinz • Kaiserreich • Kriegsschuld • Liberalismus • Nationalismus • Nationalsozialismus • Nationalstaaten • Preußen • Reichsgründung • Sachbuch Neuerscheinung 2020 • Schlafwandler • Versailles • Wilhelm II.
ISBN-10 3-423-43790-1 / 3423437901
ISBN-13 978-3-423-43790-5 / 9783423437905
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