Eine Karte verändert die Welt

William Smith und die Geburt der modernen Geologie
Buch | Softcover
336 Seiten
2003
btb Verlag (TB)
978-3-442-73089-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Karte verändert die Welt - Simon Winchester
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Im Jahre 1793 machte William Smith eine faszinierende Entdeckung: Beim Ausheben von Wassergräben bemerkte er verschiedene Erdschichten und in den einzelnen Schichten Fossilien, die sich in Größe und Aussehen unterschieden. Die unsichtbare Welt unter unseren Füßen ließ den Ingenieur nicht mehr los. Über zwanzig Jahre reiste er quer durch das englische Königreich, vermaß und untersuchte die Böden. Er verlor dabei all sein Hab und Gut, die wissenschaftliche Anerkennung jedoch blieb ihm versagt. Erst 1831 wurde die bahnbrechende Bedeutung von Smiths erster geologischer Karte Englands erkannt. Voller Verve zeichnet Simon Winchester, preisgekrönter Sachbuchautor und Journalist, die dramatische Lebensgeschichte des Gründervaters der modernen Geologie nach.


Simon Winchester, preisgekrönter britischer Journalist und erfolgreicher Sachbuchautor, hat als Auslandskorrespondent aus fast allen Ländern der Welt berichtet. Mit seinem Erfolgstitel "Der Mann, der die Wörter liebte" eroberte er erstmals die Bestsellerl

Über einer der vielen imposanten Marmortreppen im Ostflügel von Burlington House, dem palladianischen Stadtpalais auf der Nordseite des Londoner Piccadilly, hängt ein Paar großer himmelblauer Samtvorhänge. Viele Besucher mögen sich im Vorbeigehen darüber wundern, doch selten erkundigt sich Psiloceras planorbis einer, der die Treppe erklimmt, was sich hinter den Vorhängen verbirgt. Ein zugemauertes Fenster? Oder ein Gemälde, das zu lächerlich ist, um es zu zeigen? Ein seltener Wandteppich vom Kontinent, der im Sonnenlicht verschießt? Dann und wann fasst sich ein Neugieriger ein Herz und begehrt einen Blick, worauf ein Mitarbeiter aus einer Tür mit der Aufschrift "Privat" tritt und mit geübter Hand an den mit Quasten geschmückten Kordeln zieht. Die Vorhänge gleiten zur Seite und enthüllen eine große, prächtige Karte von England und Wales, in die, marineblau, grün, hellgelb, orangefarben und umbrabraun koloriert, ein hübsches und ungewohntes Muster aus Linien, Flecken und Punktierungen graviert ist. The German Ocean, der alte englische Name der Nordsee, ist vor der englischen Ostküste zu lesen. In einer Nebenkarte ist eine Querschnittszeichnung zu erkennen, die, wie es heißt, die Unterseite des Landes von Wales bis zur Themse darstellt. Sonst ist alles durchaus vertraut und leicht wieder zu erkennen. Das Dokument ist von einer ausgesuchten Schönheit, die seine Größe - 2,4 auf 1,8 Meter -und der Umstand, dass der Betrachter zu ihm aufblicken muss, noch besser zur Geltung bringen. Die Liebe zum Detail ist augenfällig: Die Karte ist das Werk eines Künstlers, das Ergebnis jahrelanger Studien und monatelanger sorgfältiger Arbeit. Rechts oben lesen wir den Titel in verschnörkelten Kupferstichlettern: "Eine Beschreibung der Schichten von England und Wales mit Teilen Schottlands; gezeigt werden die Kohlegruben und Bergwerke, die Moorgebiete und ursprünglich vom Meer überfluteten Niederungen sowie die Bodentypen gemäß den Veränderungen in den unteren Schichten; erläutert mit den anschaulichsten Begriffen." Die Karte ist signiert: "Von W. Smith." Und datiert: "1. August 1815." Dies, so wird der Führer erklären, ist die erste richtige geologische Karte der Welt. Eine Karte, die den Beginn einer ganz neuen Wissenschaft markierte und die Voraussetzung dafür schuf, dass Forscher, die solche Karten benutzten, mit Öl, Eisen und Kohle, in anderen Ländern mit Diamanten, Zinn, Platin und Silber Vermögen verdienen konnten. Eine Karte, die den Grundstein für Forschungen legte, die in der Arbeit Charles Darwins gipfelten. Eine Karte, die eine Epoche einleitete, die noch nicht vorüber ist und im Zeichen aufregender und erstaunlicher wissenschaftlicher Entdeckungen steht, die es dem Menschen erlaubt haben, aus dem Schatten religiöser Dogmen zu treten und gesicherte Erkenntnisse über den Ursprung des Menschen und des Planeten zu gewinnen. Eine Karte, die von großer symbolischer und praktischer Bedeutung war für die Entstehung der Geologie, eines wissenschaftlichen Fachs, das, wie die Physik und die Mathematik, zu den grundlegenden Forschungsgebieten gehörte, auf denen alles Wissen und Verstehen basiert. In vieler Hinsicht ist die Karte ein typisches Beispiel für den Forschergeist ihrer Epoche. Wie viele andere große Projekte, die weit über ihre Zeit hinausweisen - das Oxford English Dictionary, die Triangulation Indiens, das Manhattan-Projekt, die Concorde, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms -, war sie ein Projekt von ungeheurem Umfang, das ein hohes Maß an visionärer Kraft, Energie, Geduld und Engagement verlangte. Doch in einem wichtigen Punkt fällt die Karte aus dem Rahmen. Jedes dieser anderen Großprojekte, die unbestreitbar eine gewaltige Leistung darstellen und deren historische Tragweite kaum zu ermessen ist, erforderte die Mitarbeit von Tausenden. Das Oxford English Dictionary war nur mit einem Heer von freiwilligen Helfern zu verwirklichen. Am Bau der Concorde wirkten zwei Staaten mit. Bei der Triangulation Indiens kamen mehr Menschen um als in zahlreichen kleinen Kriegen. Den schattenhaften Gestalten, die in den Laboratorien von Los Alamos hinter Maschendrahtzäunen forschten und sich später als Nobelpreisträger oder Spione entpuppten, arbeitete eine Armee von Physikern zu. Und ihnen allen, Bombenbauern und Flugzeugkonstrukteuren, Lexikographen, Genforschern und Feldmessern, standen Legionen von Helfern, Laufburschen, Schreibkräften und Dienstboten zur Seite, die für die Befriedigung ihrer vielfältigen Bedürfnisse sorgten. Doch die unvergleichlich schöne geologische Karte von 1815 kam ohne dies alles aus. Trotz ihrer enormen Bedeutung für die Zukunft der Menschheit ist sie ein Fall für sich - denn es war ein einzelner Mann, der das Projekt ersann und plante, in Angriff nahm, allen Widrigkeiten zum Trotz fortführte und schließlich vollendete. Die ganze Herkulesarbeit, die erforderlich war, um die verborgene Unterseite eines ganzen Landes zu kartographieren, leistete nicht ein Heer, eine Armee, ein Komitee oder ein Team, sondern ein Einzelner, der schließlich seinen Namen unter das fertige Werk setzte: William Smith, damals 46 Jahre alt, der verwaiste Sohn eines Dorfschmieds aus dem unbekannten Weiler Churchill in der Grafschaft Oxfordshire. Und doch war dieser William Smith, der im Alleingang die großartige Karte schuf und damit Wissenschaft und Wirtschaft befruchtete, zunächst ein verkannter Mann. Wenig genug hatte er vorzuweisen: Er war von einfacher bäuerlicher Herkunft, mehr oder weniger Autodidakt, ein Dickkopf und Visionär, ehrgeizig und zielstrebig. Obwohl er bei der langwierigen Arbeit an der Karte schwerste Rückschläge erlebte, gab er nie auf, ja, er dachte keine Sekunde daran. Und doch war er kurz nach Vollendung der Karte ein ruinierter Mann. Er musste London verlassen, die Stadt, in der er die Karte gezeichnet und vollendet hatte und die ihm zur Heimat geworden war. Sein gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt. Jahrelang musste er sein Dasein als Obdachloser fristen, ohne jede Anerkennung. Er führte ein jämmerliches Leben: Seine Frau verfiel dem Wahnsinn - Nymphomanie war nur eines der Symptome, die bei ihr festgestellt wurden -, er selbst wurde krank. Er hatte wenig Freunde, und im Nachhinein erschien ihm seine Arbeit unnütz und sinnlos. Grausame Ironie des Schicksals: Einer der Gründe für seine Demütigung verbirgt sich hinter einem anderen verblichenen Samtvorhang, der, ganz in der Nähe, über einer der vielen schönen Treppenkonstruktionen im Burlington House hängt. Und zwar in Gestalt einer zweiten Karte, die kurz nach seiner gestochen und veröffentlicht wurde.

Reihe/Serie btb-TB ; 73089
Übersetzer Reiner Pfleiderer
Sprache deutsch
Maße 118 x 187 mm
Gewicht 327 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Schlagworte Geologie • Smith, William
ISBN-10 3-442-73089-9 / 3442730899
ISBN-13 978-3-442-73089-6 / 9783442730896
Zustand Neuware
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