Herausforderndes Verhalten bei Demenz (eBook)
140 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61343-4 (ISBN)
Bo Hejlskov Elvén, Lomma (Schweden), ist als Klinischer Psychologe in Praxis und Weiterbildung tätig. Charlotte Agger, Kopenhagen (Dänemark), ist Pflegefachkraft und leitet ein Demenzzentrum. Iben Ljungmann, Hillerød (Dänemark), ist Psychologin und berät Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Demenz.
Bo Hejlskov Elvén, Lomma (Schweden), ist als Klinischer Psychologe in Praxis und Weiterbildung tätig. Charlotte Agger, Kopenhagen (Dänemark), ist Pflegefachkraft und leitet ein Demenzzentrum. Iben Ljungmann, Hillerød (Dänemark), ist Psychologin und berät Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Demenz.
Einführung
Vorhersagen zu treffen ist schwierig, doch eins können wir mit Gewissheit sagen: Weltweit rechnen Behörden damit, dass die Anzahl der über 80-Jährigen zwischen 2020 und 2030 um 45 Prozent steigen wird. Da das Risiko, an einer Form von Demenz zu erkranken, mit fortschreitendem Lebensalter zunimmt, besteht Grund zu der Annahme, dass in naher Zukunft immer mehr Menschen von Demenz betroffen sein werden.
Gleichzeitig hat die Anzahl der Plätze in der vollstationären Altenpflege in den meisten westlichen Ländern signifikant abgenommen, eine Entwicklung, die zu dramatischen Veränderungen in der Betreuung und Pflege älterer Menschen führt. Die Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen weisen heutzutage erhebliche physische und/oder geistige Beeinträchtigungen auf, sodass sie trotz weitreichender Möglichkeiten an häuslicher Pflege wie ambulante Pflegedienste und andere Hilfeangebote ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können. Anders als in der Vergangenheit brauchen Bewohner in Altenpflegeheimen also wesentlich mehr Unterstützung sowohl im physischen als auch im kognitiven Bereich. Dabei hat die Komplexität ihrer Probleme deutlich zugenommen, seit man davon ausgeht, dass ältere Menschen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand in einer Pflegeeinrichtung unterkommen. So hat eine Untersuchung im Verwaltungsbezirk Kopenhagen ergeben, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Menschen, die in einem normalen Pflegeheim leben, an Demenz leiden oder demenzähnliche Symptome zeigen. Das bedeutet, dass all jene, die mit der Pflege älterer Leute betraut sind, mit herausfordernden Verhaltensweisen zurechtkommen müssen, wie sie als Folge einer demenziellen Veränderung auftreten können. Es ist einfach Teil ihres Jobs, allerdings ein Teil, der besondere Fertigkeiten erfordert.
Auch in der Haltung den hilfsbedürftigen Menschen gegenüber hat sich ein Wandel vollzogen. Das Recht auf Selbstbestimmung und Würde ist heute eine der wesentlichen Prämissen von Pflege und Betreuung, die sich jedoch nicht ohne besonderes Wissen und besondere Fähigkeiten umsetzen lässt. So wie wir uns in Bereichen wie Hygiene und Wundversorgung spezielle Kenntnisse aneignen, sollten wir auch sicherstellen, dass die Pfleger, die sich um ältere Menschen kümmern, so ausgebildet sind, dass sie die Verhaltensweisen verstehen, die möglicherweise bei einer demenziellen Erkrankung auftreten, und mit ihnen umgehen können.
Bei unseren Gesprächen mit Mitarbeitern von Altenpflegeheimen erfuhren wir von herausfordernden Verhaltensweisen wie Schreien, Spucken, Umsichschlagen, Beschimpfungen und die Weigerung demenziell veränderter Menschen, sich bei der Körperpflege helfen zu lassen. Oft sehen sich die Mitarbeiter dann gezwungen, den Patienten zurechtzuweisen, ihn in sein Zimmer zu schicken, ihn ruhigzustellen oder physische Maßnahmen zu ergreifen und ihn in seinem Rollstuhl aus dem Raum zu schieben oder ihn mit Gewalt vom Ort des Geschehens zu entfernen. In solchen Situationen überkommt sie zwangsläufig ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit.
Allerdings haben wir auch beobachtet, dass sich viele ältere Menschen, darunter solche mit demenziellen Veränderungen, in schwierigen Situationen wie diesen ebenfalls ohnmächtig und hilflos zu fühlen scheinen. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie nicht von anderen gegängelt und dem unterworfen werden wollen, was in der patientzentrierten Pflege als maligne oder bösartige Pflege bezeichnet wird. Auf diesen Punkt werden wir später zurückkommen.
Wenn diejenigen, die mit der Pflege älterer und demenziell veränderter Menschen betraut sind, ihre Haltung und ihr Verständnis dieses Problems nicht ändern, wird ihre Tätigkeit immer anstrengender und immer teurer werden. Aus diesem Grund ist ein solches Buch nötig.
Da wir bei unserer Arbeit sowohl bei den Pflegenden als auch bei vielen älteren Menschen mit so viel Ohnmacht konfrontiert wurden, richten wir bei Fortbildungen für Angehörige der Pflegeberufe unser Augenmerk vor allem auf dieses Gefühl, weil es unserer Meinung nach verheerende Folgen hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es Pflegekräfte, Heimbewohner oder alte Menschen betrifft, die mit Unterstützung in ihrem häuslichen Umfeld leben.
Warum sich Ohnmacht auf so drastische Weise auf ältere Menschen auswirkt, lässt sich leicht nachvollziehen. Sie sind nicht in der Lage, ihre Situation zu beeinflussen, sie haben das Gefühl, dem Personal oder der Krankheit ausgeliefert zu sein und vom Strom des Alltags mitgerissen zu werden. Je mehr ihre Fähigkeiten nachlassen, desto stärker wird das Ohnmachtsgefühl. Aus Menschen, die problemlos ihren Alltag bewältigt, vielleicht Kinder großgezogen und wie alle anderen ihren Beitrag zur Gemeinschaft geleistet haben, sind Menschen geworden, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Möglicherweise ist ihnen auch bewusst, dass ihre Abhängigkeit in Zukunft noch größer werden wird.
Auf die Pflegenden wirkt sich das Gefühl der Ohnmacht jedoch ebenso verheerend aus. Hilflose Mitarbeiter werden häufig streitlustig und fordernd oder zynisch und resigniert, was dazu führen kann, dass sie genau den Menschen aus dem Weg gehen, für die sie sorgen sollen, und lieber im Büro oder im Pausenraum sitzen, statt den Kontakt zu den Bewohnern zu suchen.
Am schlimmsten macht sich die Ohnmacht, die Pflegende wie Bewohner gleichermaßen spüren, wahrscheinlich im System selbst bemerkbar. Sie wird nicht als gemeinsames Problem wahrgenommen, sondern treibt im Gegenteil einen Keil zwischen die älteren Menschen und die Pflegekräfte. Auf diese Weise kann eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens zwischen den beiden Gruppen entstehen, die sich in harten Worten und manchmal in Handgreiflichkeiten äußert. Bei Menschen mit Demenz kann sie in Form von Schlägen und Tritten zum Vorschein kommen, bei den Mitarbeitern in Form von körperlicher Gewalt, wenn sie die Bewohner gegen ihren Willen in ihre Zimmer bringen oder sie im äußersten Fall fixieren.
Alle Beteiligten können sich nur allzu leicht in Situationen wiederfinden, in denen ihre Verhaltensweisen und Methoden nicht so funktionieren, wie sie es erwarten. Das ist die allerschlimmste Folge der Ohnmacht.
Mehr Informationen und effizientes, professionelles Handeln
Mit diesem Buch wollen wir vor allem Ihnen, die Sie mit demenziell veränderten Menschen arbeiten, mehr Informationen über die verschiedenen herausfordernden Verhaltensweisen geben, sodass Sie effizient, professionell und souverän damit umgehen können. Das Verständnis dieser Verhaltensweisen und der in diesem Buch beschriebenen Methoden wird Ihnen und Ihren Kollegen helfen, Ihrem Arbeitsalltag eine positive Richtung zu geben.
Dabei geht es in erster Linie darum, das eigene Verhalten und den Umgang mit schwierigen Situationen zu betrachten. Forschungen haben gezeigt, dass die Veränderung des eigenen Verhaltens der beste Weg ist, mit dem Verhalten anderer umzugehen.
Das wichtigste Ziel bei der Pflege älterer Menschen mit Demenz
Bei der Pflege älterer Menschen, egal ob sie an Demenz leiden oder nicht, geht es vor allem darum, ihnen die Unterstützung zu gewähren, die sie im Alltag brauchen, um ein möglichst erfülltes Leben führen zu können. Wenn sie jedoch demenzielle Veränderungen und das oft damit einhergehende herausfordernde Verhalten aufweisen, wird die Arbeit für die Pflegenden schwieriger. Um so ruhig und locker wie möglich mit diesen Verhaltensweisen umzugehen, sollten sich die Pflegekräfte auf ihre wesentliche Funktion konzentrieren. Ihre Aufgabe besteht dann nicht darin, die Menschen mit Demenz zu maßregeln oder ihnen richtiges Benehmen beizubringen, sondern vielmehr darin, ihre negativen Verhaltensweisen zu steuern und zu verhindern, um ihnen ein funktionierendes Leben zu ermöglichen. Vorzugsweise auf eine Art, die nicht allzu viel Zeit, Energie und Raum in Anspruch nimmt. Es ist nicht die Aufgabe der Menschen mit Demenz, sich zu benehmen. Eher ist es die Aufgabe der Pflegenden, einen Kontext zu schaffen, in dem das alltägliche Leben dieser Menschen funktionieren kann.
Dieses Buch verfolgt zwei Ziele: Es will Sie als jemanden, der mit älteren demenziell veränderten Menschen arbeitet, in die Lage versetzen, mit diesen Menschen zu denken, zu handeln und interagieren zu können, gleichgültig, ob sie in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in ihrer häuslichen Umgebung leben. Und es will Ihnen zeigen, wie Sie dabei dafür sorgen, dass alle älteren demenziell veränderten Menschen ein funktionierendes Leben aufrechthalten können, in dem sie autonom und in der Lage sind, Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen.
Verschiedene Arten von Demenzerkrankungen
Wenn von Demenz die Rede ist, sollte man immer bedenken, dass sich diese Krankheit nicht bei allen Menschen auf die gleiche Weise manifestiert. Es gibt unterschiedliche Arten von Demenz, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf das Verhalten der Betroffenen haben. Bei einem Buch wie diesem, in dem es um herausforderndes Verhalten geht, ist es vor allem wichtig, sich der verschiedenen Demenzen und ihrer Ausdrucksformen bewusst zu sein. Daher enthalten die Zusatzmaterialien im Anhang einen Überblick über die vier häufigsten Arten von Demenz: Alzheimer-Krankheit, vaskuläre Demenz, frontotemporale Demenz und Lewy-Körper-Demenz. Neben diesen vier Arten gibt es viele weitere, allerdings seltenere Formen und oft leiden Betroffene an mehreren Formen gleichzeitig.
Die Szenen, die im Buch geschildert werden, sind zwar anonymisiert, haben sich aber in verschiedenen Pflegeeinrichtungen tatsächlich so...
Erscheint lt. Verlag | 11.5.2020 |
---|---|
Reihe/Serie | Reinhardts Gerontologische Reihe | Reinhardts Gerontologische Reihe |
Übersetzer | Rita Kloosterziel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Essen / Trinken |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie | |
Medizin / Pharmazie ► Pflege | |
Naturwissenschaften ► Biologie | |
Schlagworte | Bo Hejlskov • Bo Hejlskov Elven • Demenz • elven • Elvén • Pflege • Pflegealltag |
ISBN-10 | 3-497-61343-6 / 3497613436 |
ISBN-13 | 978-3-497-61343-4 / 9783497613434 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich