Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
255 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-9860-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau -  Marie-Renée Lavoie
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Die 48-jährige Diane wird von ihrem Mann verlassen. Sie sei ihm zu langweilig geworden. Und er habe übrigens eine neue, natürlich ein paar Jahre jüngere, Freundin ...

Diane macht sich auf die Suche nach ihrem Selbstvertrauen und erlebt Zusammenbrüche in Umkleidekabinen, kleine Rachen an der Geliebten sowie der ewig vorwurfsvollen (Ex-)Schwiegermutter, Weißweinpartys am frühen Nachmittag und Zerstörungsorgien im ehemals trauten Heim.

Ein schreiend komischer und aufs Beste unterhaltender Roman.



Marie-Renée Lavoie, 1974 in Limoilou/ Quebéc geboren, unterrichtet Literatur am Collège de Maisonneuve in Montréal. "Tagebuch einer langweiligen Ehefrau" war sowohl in Québec als auch im englischsprachigen Kanada ein großer Erfolg. Die Fortsetzung ist Anfang 2020 erschienen.

Marie-Renée Lavoie, 1974 in Limoilou/ Quebéc geboren, unterrichtet Literatur am Collège de Maisonneuve in Montréal. "Tagebuch einer langweiligen Ehefrau" war sowohl in Québec als auch im englischsprachigen Kanada ein großer Erfolg. Die Fortsetzung ist Anfang 2020 erschienen.

KAPITEL 2


in dem ich langsam untergehe, hinabgezogen durch mein eigenes Gewicht.


»Ich habe mich in eine andere Frau verliebt.«

Mir stieg alles Blut in den Kopf. Ich fühlte, wie meine Augen in den Augenhöhlen vibrierten, nur wenige Milliliter mehr, und sie würden herausspringen. Ich fand diese Worte so unsinnig, dass ich mich Richtung Fernseher wendete in der Hoffnung, dass die Worte in Wirklichkeit von dort kamen. Aber die beiden Prominenten, die gerade versuchten, ein Hähnchen mit Schinken zu füllen, lachten aus vollem Hals. Über verlorene Liebe sprachen sie nicht.

»Diane … ich wollte es nicht … es liegt nicht an dir, aber …«

Dann überschüttete er mich mit einer unerträglichen Flut von Klischees. Er war nervös, aufgeregt, als wolle er es schnell hinter sich bringen. Ich verstand nicht viel, nur ein paar Worte, die wehtaten, »Langeweile«, »Öde«, »Lust«, und dass er sich schon seit Langem über uns beide Gedanken gemacht habe.

Charlotte war gerade ausgezogen, und ich hatte noch keine Zeit gehabt, mich wieder an ein Leben ohne Kinder zu gewöhnen, mich selbst ohne Kinder zu definieren. Ich hätte mich darum bemühen müssen, ich weiß, aber als ich darauf kam, war es schon zu spät.

»Diane, ich gehe.«

Jacques ist noch am selben Abend gegangen, er wollte mir Zeit lassen, mich zu beruhigen und über alles nachzudenken. Fünfundzwanzig Jahre Ehe mit wenigen Worten wie weggeblasen. Er dachte, es würde mich am Nachdenken hindern, wenn er bliebe. Er wollte mir Raum geben, um mit dieser Nachricht umzugehen, die, das gab er gerne zu, alles andere als angenehm war. Seine faden, farblosen Worte zerbröselten sofort, mir war speiübel.

Seufzend stand er auf, vom Reden erschöpft. Er wollte mir nicht sagen, wohin er ging. Aber es war ja nicht schwer zu erraten. Die andere wartete sicher irgendwo auf ihn, um mit ihm den Beginn eines neuen Lebens zu feiern, die ersten Nägel meiner Kreuzigung einzuschlagen.

»Wie alt?«

»Was?«

»Wie alt ist sie?«

»Diane, es geht hier nicht um Alter.«

»ICH WILL WISSEN, WIE ALT SIE IST, VERDAMMT NOCH MAL

Er sah mich an wie ein geprügelter Hund, als wollte er sagen: Ja, Diane, ihr Alter, eigentlich ein bisschen peinlich, aber die Sache ist so schrecklich banal.

»Es ist nicht, was du denkst …«

Als der Mann meiner Freundin Claudine sie wegen einer seiner Studentinnen verließ, da war es auch anders, als sie gedacht hatte.

»Sie ist einfach brillant und hat alle Werke von Heidegger gelesen.«

Der arme Philippe konnte also nichts dafür, Heidegger hatte seine ganze philosophische Weisheit in das Gehirn einer seiner Studentinnen ejakuliert, und das hatte sie unwiderstehlich gemacht. Wen interessierte schon Heidegger? Claudine war der Typ so egal, dass sie eine ganze Sammlung seiner Bücher aus dem Regal nahm, um den Kamin damit anzuzünden oder Katzenstreu daraus zu machen. Sie stellte sich das von Heideggers Existenzialismus überflutete Hirn vor – scheußlich. Man tut, was man kann, um sich besser zu fühlen.

Ich blieb allein im dunklen Wohnzimmer sitzen und starrte auf den Fernseher, den Jacques in der Zwischenzeit ausgestellt hatte. Ich sah mein Spiegelbild, reglos und wie zu Eis erstarrt. Ich war so voller Scham und Schmerz, dass ich mich nicht rühren konnte. Wenn ich noch länger dort sitzen bliebe, würde ich mich in nichts auflösen, ich wollte niemandes Glück im Weg stehen. Ich war doch nur eine langweilige Ehefrau.

Die Sonne ging an derselben Stelle auf wie immer. Unglaublich. Offenbar ließen sich die Sterne vom Weltuntergang nicht beeindrucken. Alles schien weiterzugehen wie bisher, obwohl ich am liebsten auf der Stelle gestorben wäre. Vorsichtig stand ich auf, begann meine leblosen Beine wieder zu bewegen. Sie sollten mich ja noch eine Weile tragen. Als Erstes würde ich das Sofa wegwerfen, das ich in meiner Erstarrung vollgepinkelt hatte.

Ich stellte mich komplett angezogen unter die Dusche. Am liebsten hätte ich alles, was mich bedrückte, abgelegt wie Kleider. In das Duschbecken rannen die Farbe meines neuen Kostüms, meine Mascara, meine Spucke und meine Tränen. Der eigentliche Schmutz aber verschwand nicht.

Draußen warf ich alle Kissen auf den frisch gemähten Rasen. Dann ging ich in den Keller und holte einen Vorschlaghammer. Mit der letzten mir verbliebenen Energie zertrümmerte ich das Sofa und schlug dabei versehentlich ein großes Loch in die Wand. Es fühlte sich gut an. Wäre ich nicht so müde gewesen, hätte ich das ganze Haus zu Staub verwandelt.

Zwei Tage später rief mich Jacques an, um zu fragen, ob es mir besser ginge, und mich zu bitten, ob wir nicht aus Respekt vor unseren Lieben noch eine Weile so tun sollten, als sei alles in Ordnung. Wir sollten die Kinder, die Kollegen, die Familien besser langsam auf alles vorbereiten. Wir hätten ja bald silberne Hochzeit und sollten die Feiern nicht einfach absagen – »Ich weiß. Ich hätte eher daran denken sollen« – und diesen Abend gemeinsam verbringen, in angenehmer Atmosphäre, denn das »erwarten alle, und sie haben es verdient«.

Ich kam mir vor wie die Frauen in Indien, die am Abend ihrer Hochzeit vom Feiern ausgeschlossen sind und sich zurückziehen, um den Segen für ein Glück zu erhalten, von dem sie bereits ferngehalten werden. Ich habe nie verstanden, warum ich anderen Menschen etwas schuldig sein sollte.

»Denkst du mal darüber nach und sagst mir dann Bescheid?«

»Hm, hm.«

Ich habe sein »Denk mal darüber nach« nie besonders gemocht.

Doch ich folgte seiner Anweisung und dachte nach.

Ich entschied mich für eine einfache, zeitgemäße Lösung: Ich legte ein Facebook-Profil an (dabei hat mir mein Sohn Antoine am Telefon geholfen). Dann schickte ich stundenlang jede Menge Freundschaftsanfragen los, und zwar überallhin. Ich fing bei meinen Schwiegereltern an. Dann kam meine Schwägerin an die Reihe, entfernte Cousins, unsere Kollegen, Freunde, Nachbarn, Bekannte, Feinde und so weiter. Sobald jemand meine Freundschaft annahm, habe ich mir dessen Freundesliste angeschaut, um sicher zu sein, dass ich auch niemanden vergessen hatte. Von allen Seiten gab es Kommentare über mein spätes, aber längst fälliges, wenn auch plötzliches Auftauchen in den sozialen Netzwerken. Ich antwortete immer mit »Likes«, egal, was die Leute schrieben, zeigten oder kommentierten. Selbst bei denen, die Wert darauf legten zu erzählen, dass sie Tetris gespielt hatten oder welchen Tee sie gerade tranken. Ich beantwortete alles mit einer Begeisterung, die so echt war, wie eine Kunstpflanze lebendig ist.

Am selben Abend schon hatte ich hundertneunundzwanzig neue Freunde und wartete noch auf hundert Antworten. Dann verfasste ich meinen ersten Facebook-Status. Beim ersten Mal muss es unvergesslich sein und voll reinhauen.

DIANE DELAUNAIS. 20:00 Uhr

Facebook, du weißt ja immer alles; kannst du mir sagen, ob ich die Feier zu meiner silbernen Hochzeit absagen soll, weil Jacques (mein Ehemann) mir angekündigt hat, dass er mich wegen einer anderen verlässt? Ziel: 300 Likes bis morgen. Bitte weiterleiten. Und guckt jetzt andere #epicfails von Leuten, die so kläglich scheitern wie ich.

Danach schaltete ich meinen Rechner aus, auch mein Smartphone, das Licht, den Fernseher. Ich verriegelte sämtliche Türen (mit Ketten und Sicherheitsschloss). Dann nahm ich ein paar Schlaftabletten und legte mich in Embryohaltung ins Gästebett. Es ging mir viel zu schlecht, als dass ich mich über irgendetwas hätte freuen können. Ich wollte, dass die nächsten Tage ohne mich vergingen. Ich wollte, dass die Leute sich gegenseitig anriefen, sich Vorwürfe machten, sich trösteten, ihn verurteilten, mich bedauerten, uns verdammten, aufschrien, erschraken, die ganze Sache analysierten und kommentierten, aber ich wollte nichts davon mitbekommen. Ich wollte ihr Unbehagen nicht erleben, mir nicht Dinge wie »Gott, wir hatten ja keine Ahnung« anhören, wollte ihre ausweichenden Blicke nicht sehen, ihre erschrockenen Gesichter oder wie sie vor Überraschung oder Entsetzen (oder in voller Zufriedenheit, man weiß es ja nie) die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Niemand sollte mir anmerken, wie sehr ich mich bemühte zu verbergen, dass ich am liebsten sterben würde. Ich hatte so oft gesehen, wie Leute im Büro oder anderswo wie Zombies umherwankten, die Arme voller Akten, und so taten, als sei alles in Ordnung. Ich nahm mir unbezahlten Urlaub, der mich so viel kostete wie ein Empfang zu einer silbernen Hochzeit, und würde erst wieder arbeiten, wenn ich dazu in der Lage war. So etwas kann man sich mit achtundvierzig Jahren leisten, wenn man genug Überstunden und einiges auf dem Konto hat. Ich hatte meine Nachricht verbreitet, wie man hungrigen Hunden ein saftiges Knochengerüst mit viel Fleisch vorwirft. Ich wollte erst wieder auftauchen, wenn nichts mehr übrig war als ein paar weiße Knochen, die ich auflesen konnte, ohne dass mir dabei übel wurde.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Mühe, die ich mir gemacht hatte, um eine solche Bombe zu zünden, meinen Schmerz lindern würde. Aber er wurde dadurch letztlich nur schlimmer. Ich wurde nun mit allem konfrontiert, das mit unserer Beziehung zusammenhing. Ich hatte immer gedacht, dass körperliche Schmerzen die schlimmsten waren; aber ich hätte gern mehrere Geburten ohne Rückenmarksanästhesie gegen dieses Debakel eingetauscht....

Erscheint lt. Verlag 28.8.2020
Übersetzer Christiane Landgrebe
Sprache deutsch
Original-Titel Autopsie d'une femme plate
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Ehe • Ehedrama • Ehekrieg • Fremdgehen • Kanada • Midlife Crisis • Montreal • Quebec • Rache • Rebound • Rosenkrieg • Scheidung • Schwiegermutter • Selbstfindung • Selbstliebe • Selbstvertrauen • Sonstige Belletristik • Trennung
ISBN-10 3-7325-9860-8 / 3732598608
ISBN-13 978-3-7325-9860-1 / 9783732598601
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