Alice von Battenberg - Die Schwiegermutter der Queen (eBook)
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99722-5 (ISBN)
Karin Feuerstein-Praßer, geboren 1956, lebt als freie Historikerin und Autorin in Köln und veröffentlichte zahlreiche Biografienbände.
Karin Feuerstein-Praßer, geboren 1956, lebt als freie Historikerin und Autorin in Köln und veröffentlichte zahlreiche Biografien. Im Piper Verlag erschien zuletzt "Die Frauen der Dichter" und "Friedrich der Große und seine Schwestern".
Kapitel 2 – »Eines der hübschesten Mädchen in ganz Europa« – Alices Jugendjahre
Das kleine Sorgenkind
Zur großen Freude der Queen blieb ihre Enkelin Viktoria nach der Geburt der kleinen Alice noch eine Weile in England, bevor Mutter und Kind Ende März 1885 gemeinsam nach Deutschland reisten. Ihr Ziel war der hessische Familiensitz Schloss Wolfsgarten, etwa 15 Kilometer südlich von Frankfurt am Main, ein altes Jagdschloss, das Ludwig III. vollständig hatte renovieren lassen. Doch ein dauerhaftes Zuhause wurde es für Alice nicht. Wegen der Karriere ihres Vaters Louis von Battenberg bei der Royal Navy – 1892 wurde er stellvertretender Leiter der Marineabteilung und Marineberater im Kriegsministerium – pendelte Viktoria mit Alice zwischen mehreren Wohnsitzen in Deutschland und England hin und her. Meist verbrachte man die Sommermonate bei der hessischen Verwandtschaft, in Darmstadt, Wolfsgarten und Heiligenberg, oder hielt sich in den Sommerresidenzen der Queen auf, Osborne, Windsor Castle, Balmoral. Derweil war Vater Louis auf den Weltmeeren unterwegs. Ab dem Jahr 1894 lebten die Battenbergs längere Zeit in La Valletta in der britischen Kronkolonie Malta, einem der Hauptstützpunkte der Royal Navy, wo die Mittelmeerflotte stationiert war.
Zur Taufe der kleinen Alice am 25. April 1885 traf sich die Verwandtschaft. Eine ihrer Patinnen war Elisabeth, genannt »Ella«, Viktorias jüngere Schwester. Sie hatte im Vorjahr den russischen Großfürsten Sergej geheiratet, den fünften Sohn Alexanders II., und wohnte seitdem in St. Petersburg. Dass die im fernen Russland lebende Ella in Alices späterem Leben noch eine maßgebliche Rolle spielen würde, konnte damals wohl niemand ahnen.
Mutter Viktoria war stolz auf ihre Tochter, die sich zunächst auch völlig altersgerecht zu entwickeln schien. Erst als Alice knapp zwei Jahre alt war, fiel auf, dass das muntere kleine Mädchen nur wenig sprach. Diese Beobachtung teilte Viktoria im Januar 1887 auch der Queen mit. Noch war man in der Familie zuversichtlich, dass es sich nur um eine ganz normale Verzögerung handelte und Alice schon bald alles nachholen würde. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Das Mädchen hatte bereits seinen vierten Geburtstag gefeiert, als Viktoria sorgenvoll nach England schrieb: »Das Kind ist seit dem letzten Mal, als Du es gesehen hast, sehr gewachsen, sehr lebhaft, sehr geschickt, aber beim Sprechen ist sie immer noch zurück. Sie benutzt alle möglichen selbsterfundenen Wörter und betont manches sehr ungewöhnlich, sodass Fremde sie kaum verstehen können.«
Auf die Idee, einen Arzt zu konsultieren, kamen die Eltern offenbar nicht. Vielleicht wollten sie aber auch nicht wahrhaben, dass mit dem kleinen Mädchen etwas nicht in Ordnung war. Gerade in adligen Kreisen sollten die Kinder möglichst perfekt sein, jedwede Einschränkung wurde als »Makel« betrachtet, den es nach Möglichkeit zu vertuschen galt. Entsprechend schmerzliche Erfahrungen hatte bekanntlich auch der spätere deutsche Kaiser Wilhelm II. machen müssen, dessen Arm von Geburt an verkürzt war.
Zum Glück ergriff Alices patente Großmutter Julie von Battenberg die Initiative und stellte ihre Enkelin einem Ohrenarzt vor. Der diagnostizierte nach gründlicher Untersuchung eine angeborene Hörschwäche, bedingt durch eine Verengung der Eustachischen Röhre, die die Paukenhöhle mit dem Nasen-Rachen-Raum verbindet. Die Familie reagierte zunächst schockiert, hoffte jedoch, dass man mit einer Operation Abhilfe schaffen könnte. Doch der Arzt stellte unmissverständlich klar, dass diese Möglichkeit nicht bestand. Alice würde wohl oder übel mit der Behinderung leben müssen. Sie war zwar nicht völlig taub, doch ihr Gehör funktionierte nur sehr eingeschränkt.
Erfreulicherweise blieb sie kein »Sorgenkind«, im Gegenteil. Alice lernte rasch, Worte von den Lippen abzulesen, zunächst in Deutsch und Englisch, später auch in Griechisch, sodass sie jeder Unterhaltung problemlos folgen konnte, vorausgesetzt, die Gesprächspartner befanden sich nicht allzu weit von ihr entfernt. (Die heute übliche Gebärdensprache war auf dem Mailänder Kongress 1880 verworfen worden, wurde damals an vielen Schulen verboten und sogar als »Affensprache« diffamiert.)
Nach dem Willen der Mutter sollte Alice von der Familie »wie ein ganz normales Kind« behandelt werden, auf das es keine Rücksicht zu nehmen galt. Entweder sie verstand, was gesagt wurde, oder sie verstand es nicht. Viktoria verlangte von ihrer Tochter, dass sie sich anstrengte, wohl auch um die Behinderung so weit wie möglich zu kaschieren. Vermutlich hatte diese Methode tatsächlich Erfolg. Im Mai 1889 sprach Alice jedenfalls schon »recht hübsch« und schien auch besser zu hören. Erneut flammte Hoffnung auf. Doch auch die weitere Untersuchung durch einen Londoner Spezialisten ergab, dass sich das Problem definitiv nicht beheben ließ. Eine Operation war aussichtslos. Trotzdem gab es immer wieder Phasen, in denen Alice besser hörte, vor allem ganz bestimmte Frequenzen. So berichtete sie 1922, sie habe zum ersten Mal in ihrem Leben den Ruf eines Kuckucks vernommen. Gleichzeitig perfektionierte sie das Lippenlesen derart, dass sich Leute, die in Sichtweite standen, bisweilen die Hand vor den Mund hielten, damit Alice nicht mitbekam, wie sie über andere lästerten. Später amüsierte sich Alice bei ihren Kinobesuchen, wenn sie merkte, dass die Lippenbewegungen der Stummfilmschauspieler in keiner Weise mit den jeweiligen Untertiteln übereinstimmten.
Und dennoch: Auch wenn es den Anschein hatte, als habe ihr die Hörschwäche keine größeren Probleme bereitet, bleibt fraglich, ob sich die Einschränkung auf Alices Leben tatsächlich so wenig auswirkte. War sie vielleicht stärker von ihrer Umgebung isoliert, als es die Familie wahrhaben wollte? Aber selbst wenn das so war, musste sie nach dem Willen der Mutter damit wohl ganz allein zurechtkommen.
Die Darmstädter Verwandtschaft
An ihren Großvater Alexander von Hessen-Darmstadt dürfte Alice nur schwache Erinnerungen gehabt haben, denn sie war erst dreieinhalb Jahre alt, als er 1888 im Alter von 65 Jahren starb. Nach seinem Tod erbte ihr Vater Schloss Heiligenberg, sodass die Familie nun doch eine Art Zuhause besaß, zumal jetzt auch Alices fürsorgliche Großmutter Julie von Battenberg bei ihnen wohnte. Deren Tochter Marie zu Erbach-Schönberg hat später in ihren Erinnerungen Folgendes über ihre Mutter geschrieben: »Mama war nicht groß, und ihre Gestalt war ziemlich gedrungen. Wunderbar schön aber waren ihre großen sanften braunen Augen, der kleine liebliche Mund und ihre Hände … Von großem Reiz waren auch die Stimme und ihr perlendes entzückendes Lachen, bei dem ihre selten schönen Zähne sichtbar wurden … Mama sprach ein reines und fließendes Deutsch, natürlich mit einem Anflug von russischem Akzent, und nur selten kam einmal ein Fehler vor. Sie las viel Deutsch, alle Klassiker mit Vorliebe. Ebenso gut und fließend las sie den Dante auf Italienisch, den Shakespeare in Englisch; dazu Russisch, Polnisch und Französisch als Muttersprachen.«
Wann immer Viktoria und Louis gesellschaftliche oder sonstige Verpflichtungen hatten, für längere Zeit nach Malta reisten oder anderweitig unterwegs waren – Julie blieb stets zu Hause, immer gerne bereit, die Enkelkinder zu betreuen. Am 13. Juli 1889 war nämlich auf Schloss Heiligenberg das zweite Kind zur Welt gekommen: Tochter Louise, die spätere Königin von Schweden. Die einstmals »arme polnische Waise« war eine patente und lebenskluge ältere Dame, die ganz besonders die kleine Alice fest in ihr Herz geschlossen hatte. Ihre Tochter Marie erinnerte sich: »Als ich im Juli 1895 von einem längeren Besuch … zurückkehrte, fand ich sie besonders munter und ganz aufgehend in dem Zusammenleben auf dem Heiligenberg, mit der ihrem Herzen besonders nahestehenden Enkelin Alice. Es war etwas Ideales, ist man versucht zu sagen, um das Verhältnis der alten Frau zu dem jungen Kinde. Eine Liebe, die noch gestärkt wurde durch den Schmerz, dass die Kleine sehr schwerhörig war.« Bis zu ihrem Tod 1895 kümmerte sich Julie liebevoll um die Enkelkinder, zu denen sich am 6. November 1892 auch noch Brüderchen Georg gesellte.
Auch wenn Queen Victoria die Urenkel gern häufiger bei sich in England gesehen hätte, Alice und ihre Geschwister verbrachten vermutlich ihre glücklichsten Kindertage im stillen und beschaulichen Jugenheim. Schon ihre Tante Marie hatte an das Leben dort die wärmsten Erinnerungen: »So gerne wir Kinder auch in Darmstadt waren, so bedeutete doch der Umzug nach dem Heiligenberg bei Jugenheim im Mai oder Ende April stets ein berauschendes und beglückendes Ereignis … Das war ein idealer Aufenthalt da oben auf dem geliebten Berge und in den einfachen, freundlichen Landhäusern, die im Viereck einen Hof umgeben, in dessen Mitte unter einigen Platanen ein Brunnen steht. Auf diesem gemütlichen Hofe spielte sich ein großer Teil des Familienlebens ab. Alle Türen und Fenster mündeten auf ihn, und bei jeder noch so geringen Veranlassung konnte man uns dort zusammenkommen sehen … Die Glückseligkeit eines Maimorgens auf dem Heiligenberg lässt sich nicht schildern! Die muss man erlebt haben. Diese in Sonne gebadete Herrlichkeit, die ideale, schöne Gegend, das Duften des Gartens vor dem Hause, der in Terrassen angelegt ist, mit einem Springbrunnen in der Mitte und den alten Birnbäumen unter dem Balkon, die wie zwei treue alte Wächter heute noch dastehen und alle lieben Bewohner überlebten! Überall Blumen, Vogelgesang, Lebensfreude und strahlende Gesichter, in allen das intensive Heimatgefühl, die Dankbarkeit über den Besitz all dieser Schönheit!«
Gleichwohl ruhten auf der kleinen Prinzessin große Erwartungen. Sieht man von ihrer angeborenen...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2020 |
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Zusatzinfo | Mit ca. 16 Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität | |
Schlagworte | adelige Gesellschaft • Andreas von Griechenland • Buckingham Palace • Duke of Edinburgh • Englisches Königshaus • Europäischer Adel • Gerechte unter den Völkern • Geschenk für Frauen • Griechenland • Harry • Meghan • Monarchie • Mountbatten • Nationalsolzialismus • Nonne • Orden • Prinz Charles • Prinzessin Alice von Battenberg • Prinz Philip • Psychiatrie • Queen • Queen Elizabeth II. • Queen Mum • Religiöser Wahn • Schizophrenie • Schwiegermutter Queen • Sigmund Freud • Taubheit • The Crown • von Hessen-Darmstadt • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-492-99722-8 / 3492997228 |
ISBN-13 | 978-3-492-99722-5 / 9783492997225 |
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