Virus (eBook)

Die Wiederkehr der Seuchen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00917-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Virus -  Nathan Wolfe
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Warum Pandemien auf dem Vormarsch sind - und wie sie sich eindämmen lassen. Sars, Ebola, Covid-19: Immer wieder tauchen neue lebensbedrohliche Infektionskrankheiten auf und verbreiten sich in Windeseile. Nathan Wolfe warnte bereits vor Jahren: Wir müssen damit rechnen, dass es in Zukunft noch mehr werden. Aber woran liegt das? Der preisgekrönte Biologe sucht mit detektivischem Spürsinn nach den Erregern rätselhafter Seuchen - in hochmodernen Forschungslabors ebenso wie im zentralafrikanischen Dschungel und auf den Wildtiermärkten Ostasiens. In diesem Buch erklärt er, wie, wo und warum Pandemien wie Corona ausbrechen. Und er stellt sein revolutionäres Konzept vor, mit dem wir sie künftig vorhersagen und verhindern können, statt nur auf sie zu reagieren.

Nathan Wolfe, geboren 1970, ist Virologe. Er war Gastprofessor an der US-Eliteuniversität Stanford und Direktor der Global Viral Forecasting Initiative. 2019 gründete er die unabhängige Non-Profit-Firma Metabiota, die sich auf die Bedrohung durch Pandemien spezialisiert hat. Das Magazin TIME nahm ihn in die Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf.

Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021. Nathan Wolfe, geboren 1970, ist Virologe. Er war Gastprofessor an der US-Eliteuniversität Stanford und Direktor der Global Viral Forecasting Initiative. 2019 gründete er die unabhängige Non-Profit-Firma Metabiota, die sich auf die Bedrohung durch Pandemien spezialisiert hat. Das Magazin TIME nahm ihn in die Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf.

Teil I Die Wolken ziehen sich zusammen


Kapitel 1 Planet der Viren


Martinus Beijerinck war ein ernsthafter Mann. Eines der wenigen Bilder, die von ihm überliefert sind, zeigt ihn um 1921 in seinem Delfter Labor, ein paar Tage bevor er widerstrebend in Pension ging. Brille und Anzug tragend, sieht er wahrscheinlich so aus, wie er in Erinnerung bleiben wollte – umgeben von seinen Mikroskopen, Filtern und Flaschen mit Reagenzien. Beijerinck vertrat einige seltsame Überzeugungen, zum Beispiel, dass Ehe und Wissenschaft unvereinbar seien. Zumindest einem Bericht zufolge wurde er seinen Studenten gegenüber ausfällig. Aber obwohl dieser seltsame und ernste Mann in der Geschichte der Biologie kaum Erwähnung findet, waren es seine grundlegenden Studien, die zur Entdeckung der vielfältigsten Lebensform auf Erden führten.

Zu den Dingen, die Beijerinck Ende des 19. Jahrhunderts faszinierten, gehörte eine Krankheit, die Tabakpflanzen schädigte. Beijerinck war das jüngste Kind von Derk Beijerinck, einem Tabakhändler, den diese Pflanzenkrankheit in den Ruin getrieben hatte. Die Tabakmosaikkrankheit führt bei jungen Tabakpflanzen zu Verfärbungen, die auf den Blättern ein typisches Mosaikmuster hinterlassen, und verzögert das Pflanzenwachstum stark. Als Mikrobiologe muss Beijerinck die unklare Ätiologie dieser Krankheit, die seinen Vater bankrottgehen ließ, zu schaffen gemacht haben. Obwohl sie sich wie andere Infektionen ausbreitete, ließ sich im Mikroskop kein bakterieller Auslöser finden. Neugierig geworden, filterte Beijerinck Flüssigkeitsproben einer der erkrankten Pflanzen durch einen feinkörnigen Porzellanfilter. Anschließend bewies er, dass die Flüssigkeit sogar nach einer solchen Filtration die Fähigkeit behielt, gesunde Pflanzen anzustecken. Die geringe Porengröße des Filters bedeutete, dass Bakterien, damals die üblichen Verdächtigen für übertragbare Krankheiten, wegen ihrer Größe nicht in Frage kamen. Irgendetwas anderes musste die Infektion auslösen – etwas deutlich Kleineres als alles, was zu seiner Zeit als Lebewesen bekannt war.

Während viele seiner Kollegen annahmen, ein Bakterium werde sich als Urheber der Tabakmosaikkrankheit erweisen, kam Beijerinck zu dem Schluss, dass eine neue Lebensform dafür verantwortlich sein musste. Er nannte den neuen Organismus Virus, ein lateinischer Begriff, der sich auf Gift bezieht. Der Begriff Virus war seit dem 14. Jahrhundert in Gebrauch, doch Beijerinck war der Erste, der ihn als Bezeichnung für die Mikroorganismen verwandte, die wir heute darunter verstehen. Interessanterweise sprach Beijerinck von Viren als «contagium vivium fluidum», «lösliche lebende Agenzien», und hielt sie ihrer Natur nach für flüssig. Um genau das zu unterstreichen, benutzte er die Bezeichnung Virus – oder Gift. Erst später, bei der Untersuchung des Polio- und des Maul-und-Klauenseuche-Virus, wurde die Partikelnatur der Erreger deutlich.

Dr. Martinus Beijerinck (undatiertes Foto).

Zu Beijerincks Zeiten tat sich für die Forscher eine neue mikroskopische Sicht auf. Der Blick ins Mikroskop und der Einsatz immer feinporigerer Filter ließ diese Mikrobiologen etwas entdecken, das uns noch heute erstaunt: Jenseits unserer auf Menschenmaßstab abgestimmten Sinne gibt es eine riesige, wimmelnde, verblüffend vielfältige und unsichtbare Welt mikrobiellen Lebens.

 

Ich halte in Stanford ein Seminar ab, das sich Viral Lifestyles nennt. Der Titel sollte angehende Studenten neugierig machen, aber auch eines der Ziele der Veranstaltung beschreiben: lernen, die Welt aus der Perspektive eines Virus zu sehen. Denn wenn wir Viren und andere Mikroorganismen verstehen wollen, und eben auch, wie sie Pandemien auslösen, müssen wir sie erst aus sich heraus begreifen.

Am ersten Tag spiele ich mit meinen Studenten folgendes Gedankenexperiment durch: Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine starke Brille, mit der Sie sämtliche Mikroorganismen sehen können. Wenn Sie diese magische Brille aufsetzten, würden Sie auf der Stelle eine ganz neue und äußerst lebhafte Welt erblicken. Der Boden würde brodeln, die Wände würden pulsieren, und alles würde wimmeln von zuvor unsichtbarem Leben. Winzige Wesen würden sämtliche Oberflächen bedecken – Ihre Kaffeetasse, die Seiten des Buches in Ihren Händen, Ihre Hände selbst. Größere Bakterien wären wiederum von kleineren Mikroorganismen bevölkert.

Diese fremdartige Armee ist allgegenwärtig, und einige ihrer mächtigsten Soldaten sind gleichzeitig die kleinsten. Diese Kleinsten der Kleinen durchdringen die Textur des irdischen Lebens buchstäblich bis in die letzte Faser. Sie sind überall und infizieren unausweichlich jede Art von Bakterium, Pflanze, Pilz und Tier, die es auf der Welt gibt. Sie gehören zur selben Lebensform, die Beijerinck gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte, und sie gehören zu den wichtigsten Vertretern der mikrobiellen Welt. Es sind Viren.

 

Viren bestehen aus zwei Grundkomponenten, ihrem genetischen Material – entweder RNA oder DNA – und einer Proteinhülle, die dieses schützt. Da Viren nicht über Mechanismen verfügen, die ihnen erlauben würden, selbständig zu wachsen oder sich zu vermehren, sind sie von den Zellen abhängig, die sie infizieren. Tatsächlich müssen Viren zellbasierte Lebensformen infizieren, um zu überleben. Viren befallen ihre Wirtszellen, seien es Bakterien oder menschliche Zellen, mittels eines biologischen Schlüssel-Schloss-Systems. Zur Proteinhülle eines jeden Virus gehören nämlich molekulare «Schlüssel», die in ein molekulares «Schloss» (Rezeptor) auf der Wand (Membran) der angesteuerten Wirtszelle passen. Sobald der virale Schlüssel auf ein passendes zelluläres Schloss trifft, kann er die Tür zur Maschinerie im Zellinneren öffnen. Dann kapert das Virus die Maschinerie der Wirtszelle, um zu wachsen und sich zu vermehren.

Viren sind die kleinsten bekannten Mikroorganismen. Wenn man einen Menschen auf die Größe eines Fußballstadions aufblasen würde, wäre ein typisches Bakterium so groß wie ein Fußball und ein typisches Virus so groß wie eines der hexagonalen Felder auf dem Ball. Obwohl Menschen schon seit eh und je unter Vireninfektionen gelitten haben, ist es daher kein Wunder, dass wir so lange gebraucht haben, um sie zu finden.

Mikroorganismen. Oben: Detailansicht, unten: maßstabsgetreu.

Bis zu Beijerincks Entdeckung vor rund 100 Jahren waren Viren für uns völlig unbekannte Wesen. Vor nicht einmal 400 Jahren gelang es zum ersten Mal, einen Blick auf Bakterien zu erhaschen; damals schuf Antonie van Leeuwenhoek mit Hilfe von Lupen, wie sie Tuchhändler verwendeten, das erste Mikroskop. Dass er damit plötzlich Bakterien sehen konnte, stellte einen unglaublichen Paradigmenwechsel dar – so unglaublich, dass die British Royal Society weitere vier Jahre brauchte, bis sie akzeptierte, dass es sich bei den bis dato unsichtbaren Lebensformen nicht um Artefakte seiner einzigartigen Apparatur handelte.

 

Bei der wissenschaftlichen Erforschung unsichtbaren Lebens haben wir nur sehr langsam Fortschritte gemacht. Im Vergleich zu einigen anderen wichtigen wissenschaftlichen Durchbrüchen im Lauf der letzten Jahrtausende ist unsere Erkenntnis, dass Mikroorganismen das Leben auf der Erde dominieren, noch recht jung. Zur Zeit von Christi Geburt wussten wir beispielsweise schon Wesentliches über die Rotation der Erde, ihre ungefähre Größe und ihre ungefähre Entfernung vom Mond und von der Sonne – wir waren also recht weit, was das Verständnis für unseren Platz im Universum angeht. Um 1610 hatte Galilei bereits seine ersten Beobachtungen mit Hilfe eines Teleskops gemacht. Van Leeuwenhoeks Mikroskop kam 50 Jahre später.

Replikat von van Leeuwenhoeks Mikroskop, 17. Jahrhundert.

Van Leeuwenhoeks Mikroskop in Gebrauch.

Der Paradigmenwechsel, den van Leeuwenhoeks Entdeckung mit sich brachte, lässt sich kaum überschätzen. Seit Jahrtausenden wussten die Menschen, dass es Sterne und Planeten gab. Die Existenz und Allgegenwärtigkeit unsichtbaren Lebens wurde uns jedoch erst durch die Erfindung des Mikroskops vor Augen geführt. Und bis heute entdecken wir neue Lebensformen, zuletzt die höchst ungewöhnlichen Prionen, deren Identifizierung 1997 mit einem Nobelpreis gewürdigt wurde. Prionen sind eine seltsame, mikroskopisch kleine Sippe; sie kommen nicht nur ohne Zellen aus, sondern ihnen fehlen darüber hinaus auch DNA und RNA, das genetische Material, das alle anderen bekannten Lebensformen auf der Erde als Blaupause benutzen. Dennoch überdauern Prionen, können übertragen werden und rufen unter anderem Rinderwahnsinn hervor. Es wäre anmaßend zu glauben, dass es auf der Erde keine weiteren Lebensformen mehr zu entdecken gibt, und sollten wir fündig werden, dann höchstwahrscheinlich in der Welt des Unsichtbaren.

Wir können das bekannte Leben auf der Erde grob in zwei Gruppen teilen: nicht zelluläres und zelluläres Leben. Unter den nicht zellulären Spielern auf dem Feld sind Viren die wichtigsten. Die dominanten zellulären Lebensformen auf der Erde sind die Prokaryoten, zu denen die Bakterien und ihre Vettern, die Archaebakterien (Archaea), gehören. Diese Lebensformen existieren bereits seit mindestens 3,5 Milliarden Jahren. Sie weisen eine verblüffende Vielfalt auf und machen zusammen einen weitaus größeren Teil der Biomasse des Planeten aus als die anderen und auffälligeren zellulären Lebensformen, die Eukaryoten. Zu ihnen zählen die uns vertrauten...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2020
Übersetzer Monika Niehaus
Zusatzinfo Zahlr. s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Affenpocken • Bakterien • Cholera • Corona • Corona virus • Coronavirus • Covid • Covid-19 • Dengue • Dengue Fieber • Ebola • Endemie • Epedemie • Grippe • Grippewelle • Pandemie • Pest • Populäres Sachbuch • Sachbuch • SARS • Seuche • Spanische Grippe • Typhus • Viren • Virologie • Virus
ISBN-10 3-644-00917-1 / 3644009171
ISBN-13 978-3-644-00917-2 / 9783644009172
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