Park (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1., Originalausgabe
179 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76563-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Park - Marius Goldhorn
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Arnold, Mitte zwanzig, reist nach Athen, wo er Odile wiedersehen wird. Bevor sein Flieger geht, streift er durch Paris. Arnold sortiert Spam aus seinen Mails und wechselt seine Bildschirmhintergründe, er notiert Gedichte und wartet darauf, dass Odile ihm schreibt. In den Nachrichten hört er von einem Anschlag in der Stadt und fragt sich: Warum fühlen sich Terror, Unruhen und Gewalt nicht wirklich bedrohlich an? Oder warum dringt die Bedrohung nicht zu ihm durch? Auch dann nicht, als in Athen auf einer Demonstration die Situation eskaliert.

Park erzählt von der Oberfläche unserer Gegenwart, in der das Virtuelle genauso nah ist wie die Realität, und von einem Protagonisten, der gerade deshalb umso deutlicher spürt, dass es da noch mehr geben muss. Mit literarischem Wagemut und in lakonischen Sätzen schickt Marius Goldhorn ihn durch ein unsicheres Europa.



<p>Marius Goldhorn, geboren 1991 in Koblenz, studierte Geschichte und Literatur in Berlin und Hildesheim. Er ist Autor von Prosa, Essays und Gedichten. <em>Park</em> ist sein Debütroman.</p>

1


Arnold ging in die Einstellungen. Es war 14.21 Uhr. Er änderte die Farbe seines Desktophintergrunds von Orange zu einer Art Gelbgrün, mit dem er eigentlich nichts verband. Arnold öffnete den Chat mit Odile.

Arnold schrieb: ich bin jetzt im zug nach paris.

Er drückte auf Senden, schloss das MacBook und nahm das Buch Der Platz der Gehenkten von Hubert Fichte. Er legte es auf den ausgeklappten Tisch. Zwei schwerbewaffnete Polizisten patrouillierten im Abteil. Sie ließen sich von der arabisch sprechenden Familie die Papiere geben, dann von den jungen Männern mit den Sporttaschen. Arnold blickte aus dem Fenster, der Platz neben ihm war frei. Er sah vertrocknete Felder, Solarmodule auf renovierten Dorfhausdächern und Strommasten in der Sonne.

Arnold klappte das MacBook auf. Er öffnete den Chat mit Odile. Arnold blickte ungefähr eine Minute auf den Chat und wartete auf die Sprechblase mit den drei Punkten. Odile tippte nicht. Arnold öffnete den Chat mit Veysel.

Arnold schrieb: was machst du?

Veysel tippte.

Veysel schrieb: nichts

Veysel schrieb: warte auf lieferdienst. wie ist es in der heimat

Arnold schrieb: im rhein sterben die fische wegen der hitze. aber ich bin schon im zug nach paris.

Veysel schrieb: warum

Arnold schrieb: warum im zug?

Veysel schrieb: paris

Arnold schrieb: fliege von paris nach athen in zwei tagen. habe keinen flug von deutschland aus gefunden, von paris hat 10 euro gekostet

Veysel schrieb: haha

Veysel schrieb: warum athen

Arnold schrieb: fahr zu odile, helfe da beim filmdreh, sie hat mich gefragt vor ein paar wochen

Veysel schrieb: wie helfen

Arnold schrieb: keine ahnung

Veysel schrieb: was sollst du da machen

Arnold schrieb: haha keine ahnung

Veysel schrieb: haha

Arnold schrieb: was hast du bestellt?

Veysel schrieb: asia

Eine Schaffnerin betrat den Waggon. Arnold nahm sein iPhone und öffnete sein Ticket. Er legte das iPhone mit dem QR-Code auf das Buch. Die Schaffnerin scannte den QR-Code und bedankte sich. Arnold bedankte sich. Arnold dachte daran, wie er einmal unter einer Hochspannungsleitung gestanden hatte, an das Geräusch, das sich wie feiner Regen anhörte. Er betrachtete die roten Plastikverkleidungen im Waggon, die roten Plastikschalen der Sitze, die Fensterrahmen, den roten Synthetikteppich.

Ein für diese Arbeit zu junger Mann mit glänzender Haut schob einen Getränkewagen vorbei. Ein dickes Kind spielte auf seinem Nintendo. Arnold betrachtete das Display. Das Kind fuhr einen Jetski-Parcours, gegen die Zeit. Es verlor und blickte Arnold erschöpft an. Arnold wandte sich ab, blickte wieder aus dem Fenster und machte mit den Lippen etwas, das tröstend aussehen sollte, ein Gesicht, das eigentlich für das Kind bestimmt war. Arnold schlief ein. Er saß auf einem Pferd, es hatte eine Geschwindigkeitsanzeige auf dem Widerrist implantiert. Er stellte einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. Arnold wachte auf. Er schämte sich, wie er das Pferd behandelt hatte.

Arnold öffnete den Chat mit Odile. Sie hatte nicht geantwortet. Er scrollte nach oben und las im Chatverlauf. Nachricht vom 01.06., 20.09 Uhr: würde mich sehr freuen, wenn du lust hättest, den dreh im august zu unterstützen.

Arnold schloss den Chat. Er blickte auf den gelbgrünen Desktop. Er dachte an die Ausreden, die er formuliert hatte. Er schämte sich. Als er die Nachricht vor zwei Monaten bekommen hatte, googelte er gerade, wo man eine verlorene Aufenthaltserlaubnis hinbringen konnte. Er war dabei, durch irgendein Forum zu scrollen, als er mehrere Nachrichten von Odile erhielt. Immer wieder las er ihre Einladung nach Athen, während er das Portemonnaie durchsuchte, sich das Passfoto des Jungen anschaute und den irritierend aggressiven Stier, der auf das Dokument gedruckt war. Eine U-Bahn fuhr ein, und Arnold gab das Portemonnaie dem Lokführer, der in seiner Erinnerung ein haarloser Arm war. Die U-Bahn-Türen schlossen sich, und in Arnold stieg plötzlich der Verdacht auf, dass der Lokführer ein Nazi sein könnte. Arnold hatte sich den Lokführer vorgestellt, wie er das Portemonnaie in den Tunnel warf, wie alle zehn Minuten eine neue Bahn den Aufenthaltstitel etwas mehr zerstörte. Aber die Asylverfahren wurden mit Sicherheit auch digital gespeichert, also war das alles nicht so schlimm, hatte Arnold gedacht. Vielleicht gab der Lokführer das Portemonnaie auch einfach an der richtigen Stelle ab. Und wie er dagestanden und sich das alles gefragt hatte, hatte Arnold immer wieder Odiles Nachrichten gelesen. Dann hatte er geschrieben: ja unbedingt. Er hatte die Zeile wieder gelöscht und geschrieben: ich kann nicht, ich habe eine sonderbare blutung unter dem fuß. Er hatte die Zeilen gelöscht und geschrieben: ich werde mich umbringen heute abend. Dann hatte er auch diese Zeilen gelöscht, war entlang der Gleise geeilt und hatte geschrieben: ok. Und auf Senden gedrückt. Unzufrieden mit seiner Antwort hatte sein Gehirn wieder zurück zum Lokführer geschaltet, und als Arnold verwirrt und unerklärlich gehetzt aus der Station ging, hatte er geschrieben: ich habe an dich gedacht. Arnold wünschte sich, dass Odile ihre Nachrichten zehn Minuten später abgeschickt hätte, dann hätte er sie genießen können oder wenigstens adäquat antworten, und dem Besitzer der Aufenthaltserlaubnis wären fünf oder fünfzig Behördengänge erspart geblieben. Odiles Nachrichten waren die Art von Nachrichten, die man unterwegs und unvorbereitet erhielt, die von da an bis in die Unendlichkeit mit diesem wahllosen Ort und den zufälligen Handlungen der Menschen an ihm verknüpft waren. Städte, wurde Arnold da klar, waren voll von diesen Zonen. Und diese Nachrichten von Odile, diese erste Kontaktaufnahme nach mehr als einem halben Jahr würde ewig mit der verlorenen Aufenthaltserlaubnis und dem Lokführer verbunden sein und das alles mit der U-Bahn-Station Hansaplatz. Arnold öffnete den Chat mit Odile und löschte alle Nachrichten bis zum 01.06.

Arnold blickte aus dem Fenster. Auf einen Feldweg zwischen verdorrten Kulturpflanzen, auf braune Wiesen, durchhängende Hochspannungsleitungen, ein paar abgekämpfte Bäume, manchmal eine Siedlung oder grüne Schallschutzwände mit Graffiti. Ab und an parkte ein SUV in der Ödnis. Arnold nahm sein MacBook unter den Arm und ging zur Toilette. Eine schwangere Frau kam ihm entgegen.

Arnold hatte Schwierigkeiten, seine Hose zu öffnen und gleichzeitig das MacBook in der Hand zu halten. Er legte das MacBook auf das kleine Waschbecken und streifte den Wassersensor. Arnold griff nach seinem MacBook und wischte das Wasser mit seinem T-Shirt auf. Er betrachtete den Wasserstrahl. Er dachte: Es sieht perfekt aus, wie animiert. Arnold dachte an die unverschämte Fragilität eines schwangeren Bauches. Er dachte daran, dass Infantizid im Tierreich als natürliches Verhalten angesehen wurde. Dass also Guppys, Löwen und Schimpansen oder Delfine Nachkommen der eigenen Art töteten. Vielleicht aus sozialem Stress. Arnold wiederholte die Worte: natürliches Verhalten. Neben dem Wasserhahn stand: Kein Trinkwasser.

Eine Stunde und sechsundzwanzig Minuten später trat Arnold aus dem klimatisierten Waggon in die Hitze des Pariser Nordbahnhofs. Menschen suchten Ausgänge, eine nervöse Rentnergruppe zog Rollkoffer hinter sich her. Arnold stellte sich vor, wie Odile in einer Bahnhofshalle aus dem 19. Jahrhundert, an eine gusseiserne Säule gelehnt, auf ihn wartete, mit einem Pappschild, auf dem irgendetwas Ironisches und Liebevolles stand. Arnold fragte sich, ob sie jemals in Paris gewesen war. Er wusste es nicht.

Draußen, über der Stadt flog lustlos ein Helikopter. Arnold dachte: Die Luft ist sauer und warm und schwer von Abgasen. Menschen telefonierten oder verkauften irgendwelche Plastiksachen am Straßenrand. Häuser lagen unter halbtransparenten Gerüstplanen. Arnold beobachtete eine Gruppe Männer. Sie standen vor Stapeln Rubellosen auf mobilen Holztischen, die von Fahrradspannern zusammengehalten wurden. Arnold dachte: Seitdem die Welt untergeht, sieht alles besser aus. Die Männer rauchten billige Zigarillos und trugen schöne, alte Lederschuhe. Arnold wartete auf ein Körpersignal, das ihm Aufbruch oder Entdeckerlust vermittelte. Ein...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Partnerschaft / Sexualität
Schlagworte aktuell • Analog • Anschlag • App • Athen • Berlin • Bildschirm • Chat • Demo • Demonstration • digital • digital native • edition suhrkamp 2764 • ES 2764 • ES2764 • Eskalation • Evakuierung • Exarchia • Flughafen • Freizeit • Freizeitpark • Gedichte • Gegenwart • Generation Y • Gesellschaft • Glitch • Global • Globalisierung • Hautkrankheit • Heute • Hip • Individuell • Individuum • Internet • Isolation • Isolierung • Jugend • Katastrophe • Kollaps • Krise • Künstler • Lakonie • Liebe • lifestyle • lockdown • Melancholie • Millenials • Moderne • Nachrichten • Nähe • Nihilismus • Notfall • Notstrom • Notversorgung • Oberfläche • Olympiapark • Online • Paris (City) • Politik • Pop • Popkultur • Postmoderne • Quarantäne • Real • Reise • Reiseroman • saturiert • Sex • Smartphone • Soziale Medien • Soziales Netzwerk • Stromausfall • Systemausfall • Terror • Terrorismus • Trap • Urban • Vergnügungspark • virtuell • Wohlstandsgesellschaft • Yin • Zeitfragen • Zeitgeist • zeitgenössisch • Zukunft • Zusammenbruch
ISBN-10 3-518-76563-9 / 3518765639
ISBN-13 978-3-518-76563-0 / 9783518765630
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