Was hast Du hinter Dir gelassen? (eBook)
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2302-2 (ISBN)
Bushra al-Maktari (geb. 1979) ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Sanaa. Im Arabischen Frühling 2011 führte al-Maqtari im Jemen Proteste gegen den Autokraten Ali Abdallah Saleh an. Daraufhin verhängten konservative Religionsführer eine Fatwa über sie und forderten ihren Tod. Sie hat bereits eine Prosasammlung und einen Roman verfasst und 2013 den Françoise Giroud Award for Defence of Freedom and Liberties in Paris und den Leaders for Democracy Prize des Project on Middle East Democracy in Washington erhalten.
Bushra al-Maktari, *1979, ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Sanaa. Im Arabischen Frühling 2011 führte sie im Jemen Proteste gegen den Autokraten Ali Abdallah Saleh an. Daraufhin verhängten Religionsführer eine Fatwa über sie und forderten ihren Tod. Für ihr Buch war sie zwei Jahre vollverschleiert im Land unterwegs und sprach mit über 400 Menschen. Verfasst hat sie das Manuskript bei Kerzenlicht, weil es in Sanaa kaum mehr Strom gibt. Ihr Mann brachte den Laptop einmal am Tag zur nahegelegenen Apotheke, um ihn dort aufzuladen. Nachts tippte sie ihre Notizen ab. Sie hat bereits eine Prosasammlung und einen Roman verfasst und 2013 den Françoise Giroud Award for Defence of Freedom and Liberties in Paris und den Leaders for Democracy Prize des Project on Middle East Democracy in Washington erhalten.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Ich traf Bushra al-Maktari zum ersten Mal Ende 2018 in Beirut, als sie ihr Buch präsentierte, das damals auf Arabisch erschienen war: 43 Protokolle von Hinterbliebenen von Kriegsopfern aus dem Jemen. Zusammen mit einer Kollegin saß ich der damals 39-jährigen Journalistin und Schriftstellerin in einer Hotellobby zum Interview gegenüber. Gebannt hörten wir ihr zu, dieser unerschrockenen Chronistin des Krieges im Jemen, die so mädchenhaft wirkte und die mehr gesehen hatte, als viele von uns in einem ganzen Leben sehen.
Sie redete, als wäre ein Damm gebrochen, eine Flut schmerzvoller Erinnerungen brach aus ihr heraus. Einmal musste sie das Gespräch unterbrechen, weil sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Sie leide unter dem Gewicht der Geschichten, gestand sie. Aber die Opfer dürften nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb höre sie nicht auf. »Schreiben ist für mich eine Form des Widerstands«, sagte Bushra. Gegen das Vergessen, gegen die Gleichgültigkeit.
In der Erinnerung leben die Toten weiter. Wenn wir die Geschichten der Hinterbliebenen aufzeichnen, geben wir ihnen eine Stimme, wir leihen ihnen unser Gehör und erkennen ihr Leid an. Wir würdigen die Verstorbenen und schreiben dagegen an, dass sie als bloße Zahlen in einer Statistik vergessen werden. Wenn Menschen durch ein Verbrechen ums Leben gekommen sind, ist das Andenken an sie auch an die Forderung nach Gerechtigkeit geknüpft, nach Wiedergutmachung und danach, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden müssen. Für all das stehen die Protokolle, die Bushra al-Maktari gesammelt und aufgezeichnet hat, und die jetzt in deutscher Übersetzung aus dem arabischen Original vorliegen. Es sind erschütternde Berichte, in feiner, einfühlsamer Sprache protokolliert, mit einer Nähe zu den Gesprächspartnern, die eine besondere Gabe des Zuhörens offenbart. Jede Geschichte ist auf ihre Art einzigartig, und doch ist ihre Tragik, ihr Leid von universaler menschlicher Gültigkeit.
Der Jemen-Konflikt heißt ja oft »der vergessene Krieg«, weil in den Medien so sporadisch über ihn berichtet wird. Das Land am südlichen Ende der arabischen Halbinsel ist für uns weit weg. Es kommen kaum jemenitische Flüchtlinge nach Europa, weil es schlicht keine Fluchtrouten gibt. Der Konflikt, in dem viele Parteien – lokale und internationale – mitmischen, ist sehr kompliziert. Für ausländische JournalistInnen ist es schwierig bis unmöglich, überhaupt ins Land zu gelangen. Auch das ist ein Grund, weshalb wir in Europa kaum davon hören, was dieser Krieg für die Menschen vor Ort bedeutet. Bushra al-Maktaris Buch füllt diese Lücke.
Angehen tut uns dieser Krieg sehr wohl etwas: Die führenden ausländischen Kriegsparteien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, sind Verbündete westlicher Mächte – und Käufer westlicher Waffen. Dass ein öffentlicher Aufschrei etwas bewirken kann, hat der Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul im Herbst 2018 gezeigt. Der unverfrorene Mord an Khashoggi, vermutlich von höchster Stelle in Riad angeordnet, versetzte die Welt in Empörung. Plötzlich schauten alle auf Saudi-Arabien. Und damit rückte vorübergehend auch der Krieg im Jemen in den Fokus, wo bereits Zehntausende ums Leben gekommen waren, ohne dass die Welt bisher groß Notiz davon genommen hatte.
In Stockholm einigten sich die Konfliktparteien wenige Monate später auf eine lokale Waffenruhe für die umkämpfte jemenitische Hafenstadt al-Hudaida. Viele Beobachter sind der Meinung, dass der westliche Druck auf Riad nach der »Affäre Khashoggi« dabei eine wichtige Rolle spielte. Verschiedene europäische Länder begannen, ihre Waffenexporte nach Saudi-Arabien zu revidieren.
Von den anderen Kriegsparteien war aber weiterhin kaum die Rede, etwa von den Emiraten, die neben ihrer Beteiligung an den Luftangriffen im Jemen radikale Salafisten bewaffnet und Häftlinge in geheimen Gefängnissen gefoltert hat. Oder von den Huthi-Rebellen auf der Gegenseite, die mit Mörsergranaten Wohnviertel bombardiert und unzählige Zivilisten getötet haben. Bushra al-Maktaris Protokolle sind ein vernichtendes Urteil über die Kriegsführung aller Beteiligten. Die Zeugenaussagen in diesem Buch zeigen mit unmissverständlicher Deutlichkeit: Keine der kriegführenden Parteien nimmt Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.
Es ist der Autorin ein zentrales Anliegen, dass ihr Buch nicht von einer Seite instrumentalisiert wird. Deshalb stammen die hier veröffentlichten Zeugenaussagen immer abwechselnd von Opfern der einen oder der anderen Seite. Diese Nichtparteinahme ist eine besondere Leistung in einem polarisierten Kriegsgebiet, wo Neutralität als »Verrat« beschimpft wird, und wo viele Intellektuelle sich von der einen oder anderen Seite im Konflikt haben einspannen lassen. Nicht so Bushra al-Maktari. Mit diesem Buch stellt sie die Opfer in den Vordergrund, ohne dem Versuch zu verfallen, deren Leid mit den politischen Forderungen einer der Kriegsparteien zu verknüpfen. Aus diesem Grund hatte sie übrigens große Schwierigkeiten, im arabischen Raum, wo es kaum eine freie und unparteiische Presse gibt, überhaupt einen Verlag für ihr Buch zu finden.
Für ihre Prinzipientreue verdient Bushra al-Maktari allen Respekt. Ebenso für ihren Mut. So hat sie sich bis heute standhaft geweigert, ihr Zuhause in Sanaa für ein sicheres Leben im Exil zu verlassen. Im Arabischen Frühling von 2011 war sie eine Anführerin der Demokratiebewegung, die sich gegen das damalige Regime von Ali Abdullah Salih auflehnte. Sie ließ sich von niemandem einschüchtern, weder von der brutalen Repression des Regimes Salih noch davon, dass konservative Kleriker eine Fatwa gegen sie erließen, weil ihnen ihre politische Aktivität missfiel. Für dieses Buch hat sie gefährliche Recherchereisen in Kauf genommen. Sie fuhr inkognito durch ihr Land, passierte Kontrollposten der Kriegsparteien und Milizen, um den Hinterbliebenen von Kriegsopfern zuzuhören, ihre Geschichten aufzuschreiben. Inspirieren ließ sie sich dabei von den Afghanistan-Protokollen der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Von 400 gesammelten Protokollen hat sie 43 für die Publikation ausgewählt. (Eine Liste von allen 400 gesammelten Fällen findet sich im Anhang des Buches.)
Aber wie kam es überhaupt zu diesem Krieg? Ursachen gibt es viele. Manche der Konflikte gehen Jahrzehnte zurück. 2011 war jedoch ein Jahr, in dem viele Weichen gestellt wurden. Saudi-Arabien war damals federführend bei der Initiative des Golfkooperationsrates, die als Reaktion auf die Proteste des Arabischen Frühlings einen demokratischen Übergangsprozess für Jemen einleitete. Der seit Dekaden amtierende Präsident Ali Abdullah Salih musste zurücktreten. Doch die Übergangsordnung ließ viele Probleme unberücksichtigt. Alte Konflikte, die Salih in der Vergangenheit je nach Bedarf für seine Machtsicherung angeheizt oder erstickt hatte, traten an die Oberfläche.
Darunter war der Konflikt der Regierung mit den Huthi, einer religiös-politischen Bewegung aus einem Gebiet im nördlichen Gebirge Jemens. Im September 2014 stürmten Huthi-Kämpfer die Hauptstadt Sanaa, ausgerechnet mithilfe von Salih, der einst als Präsident gegen sie gekämpft hatte. Salih hatte im Gegenzug für seinen Rücktritt 2012 Immunität erhalten. Jetzt erhoffte er sich ein Comeback. Salih und die Huthi hatten ein leichtes Spiel, denn die Übergangsregierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi war korrupt und unbeliebt. Hadi und seine Gefolgschaft mussten aus Sanaa fliehen. Damit begann der Bürgerkrieg.
Wenige Monate später, Ende März 2015, begann die saudisch geführte Militärintervention im Jemen unter dem Titel »Operation Decisive Storm – Operation entschlossener Sturm«. Das erklärte Ziel war es, die Regierung Hadi zurück an die Macht zu bringen. Saudi-Arabien sieht in den Huthi einen verlängerten Arm von Iran und will diese in seinem Nachbarland zurückdrängen. Es gab aber auch innenpolitische Gründe: Der Krieg im Jemen war eine Art Feuertaufe für den damals neu ernannten jungen Verteidigungsminister Muhammad bin Salman, der heute als Kronprinz weitgehend die Geschicke Saudi-Arabiens lenkt.
Was Iran und die Huthi angeht, so erhalten die jemenitischen Rebellen tatsächlich Unterstützung aus Teheran, und zwar je mehr, je länger der Krieg andauert. Der Ursprung der Huthi liegt indes nicht in Iran, sondern im Jemen. Die Bewegung aus der nördlichen Gebirgsregion Saada ist benannt nach ihrem Gründervater Hussein Badreddine al-Huthi und gehört zu einem lokalen schiitischen Zweig des Islam, Zaidiya genannt. Die Huthi-Bewegung – sie gehören zur einstigen Dynastie der Imame Jemens, die 1962 nach jahrhundertelanger Herrschaft mit der Einführung der Republik entthront und aus der Politik ausgeschlossen wurden – entstand aufgrund politischer Marginalisierung einerseits, als Reaktion auf die saudisch finanzierte Missionstätigkeit von (sunnitischen) Salafisten in ihrem Gebiet andererseits, wodurch sie sich in ihrer zaiditischen Identität bedroht sah. Ironischerweise eint die Huthi vieles mit...
Erscheint lt. Verlag | 30.3.2020 |
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Übersetzer | Sandra Hetzl |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität | |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Ethik | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Abed Rabbo Mansur Hadi • Ali Abdullah Salih • al-Maqtari • Arabische Geschichte • Arabische Halbinsel • Augenzeugenberichte • Autorin Jemen • Bücher über Jemen • Bürgerkrieg • Bürgerkriege • Genfer Abkommen • Gerechtigkeit • Hadi • humanitäre Krise • Huthi • Huthi Rebellen • Huti • Internationale Politik • Jemen • Jemen aktuell • Jemen Buch • Jemen Bücher • Jemen Bürgerkieg • Jemen heute • Jemen Huthi • jemen konflikt • Jemen Krieg • Jemen Lage • Jemen Menschen • Jemen Opfer • Jemen Todesopfer • Journalistin Jemen • kollateralschaden • Krieg • Krieg Buch • Krieg Erlebnisse • Kriege und Krisen • Krieg im 21. Jahrhundert • Krieg Jemen • Krieg naher Osten • Kriegschronik • Kriegsgebiet • Kriegsopfer • Kriegstote • Kriegsverbrechen • Kriegszeugen • Literaturpreis • Maghreb und arabische Staaten • Militärkoalition • Monika Bolliger • Nahostkonflikt • Opfer • Oral History • salih • Saudi-Arabien • Scharfschütze • Sniper • Sprecher • Stellvertreterkrieg • Swetlana Alexijewitsch • Tagesschau • Tötung von Unschuldigen • Ungerechtigkeit • Wahre Geschichten • Yemen • zivile Opfer • zivile Todesopfer |
ISBN-10 | 3-8437-2302-8 / 3843723028 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2302-2 / 9783843723022 |
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