Rechte Egoshooter (eBook)

Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
208 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-471-5 (ISBN)

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Rechte Egoshooter -
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Eine verschlossene Holztür der Synagoge verhinderte ein größeres Massaker. Am 9. Oktober 2019 wollte in Halle der Rechtsextremist Stephan Balliet die dort versammelten Juden hinrichten. Mit selbstgebauten Waffen schoss er auf die Tür, warf eigens hergestellte Sprengsätze. Die Anleitungen dafür hatte er aus dem Internet. Online konnten Gleichgesinnte live zusehen, wie er zwei Menschen in der Nähe hinrichtete. Mit einer Helmkamera übertrug er die Morde auf ein spezielles Portal für Computerspiel-Videos. Er ahmte damit einen rechtsextremen Ego-Shooter aus Neuseeland nach, der wenige Monate zuvor die Tötung von 51 Menschen live über Facebook verbreitet hatte. Was treibt diese Männer vom Bildschirm zur realen Gewalt auf der Straße?
Die Autorinnen und Autoren gehen den Spuren der Attentäter nach und zeigen die besonderen Radikalisierungsmechanismen im Netz auf. Sie erklären die Hintergründe und Motive der »einsamen Wölfe«, die in ihren rechten Online-Gemeinden toxische Männlichkeit und Frauenhass pflegen. Einblicke in eine Welt, die vielen unbekannt ist.

Andreas Speit: Jahrgang 1966, Diplom-Sozialökonom, freier Journalist und Publizist, Kolumnist der taz Nord, regelmäßige Beiträge für Freitag, Blick nach rechts und jungle world, mehrere Auszeichnungen, u. a. durch das Medium-Magazin und den Deutschen Journalisten-Verband. Autor und Herausgeber diverser Bücher zum Thema Rechtsextremismus. Jean-Philipp Baeck: Jahrgang 1983, Soziologe und Kulturwissenschaftler; Redakteur der taz in Bremen und Hamburg; Recherchen zur rechten Szene, zum Islamismus und dem Auftreten von Rassismus und Antisemitismus; Arbeitsschwerpunkte sind Flüchtlings- und Migrationspolitik; Mitherausgabe von Berichten über die Situation abgeschobener Roma in Serbien, Kosovo und Mazedonien sowie Autor in "Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr" (2017) und "Das Netzwerk der Identitären" (2018).

Sebastian Erb

DAS NETZ DES ATTENTÄTERS


Der Anschlag von Stephan Balliet in Halle und wie sein Video und »Manifest« im Internet verbreitet wurden


Um 11.57 Uhr am Mittwoch, dem 9. Oktober 2019, veröffentlicht ein »Anonymous« online einen kurzen Eintrag. Er schreibt auf einem Imageboard, einer Art Forum, auf dem man ohne Nutzernamen postet und ohne Registrierung.

Solche Seiten, auf denen Nutzer Links austauschen, Memes, Gedankenfetzen, gibt es viele. Die berüchtigtste heißt 8chan, aber die existiert in dieser Form nicht mehr. Diese Seiten sind nicht besonders spezifisch und auch nicht unbedingt politisch. Nicht alle ihrer Nutzer sind Sexisten, Antifeministen, Rassisten – aber manche, insbesondere auf speziellen Unterseiten, dafür umso mehr: Das Versprechen dieser Portale, sich anonym und mit wenig Einschränkung mitteilen zu können, wirkt anziehend auch auf Hetzer.

Auf der Unterseite von Meguca.org, auf der der anonyme Nutzer postet, geht es eigentlich um Animes und Mangas, japanische Comics. Nach einer bestimmten Zeit verschwinden die Beiträge wieder.

»Anonymous« verfasst seinen Post auf Englisch, wie alle hier. »For all of you, who live in no fun countries, this may be of interest«, schreibt er. Was nun kommt, könnte alle interessieren, »die in keinen spaßigen Ländern leben«. Der Nutzer heißt Stephan Balliet, er ist 27 Jahre alt und bisher weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz aufgefallen.

In seinem Post schreibt er, dass er schon seit Jahren »improvisierte Waffen« baue und teste. Und er will, dass die Leute sich nun ein eigenes Bild machen können. Es gebe da draußen Dutzende Baupläne für improvisierte Waffen. Das Besondere an seinen sei, dass er sie live ausprobiere.

Er hat auch eine gepackte Zip-Datei in dem Post verlinkt. Man möge diese Datei bitte verbreiten, schreibt er, »aber nur, wenn deine ZOG dich dafür nicht verhaftet«. ZOG, das steht für »Zionist Occupied Government«, auf Deutsch Zionistisch besetzte Regierung, ein antisemitisches Schlagwort, das auf eine angebliche jüdische Weltverschwörung verweist.

Den 9. Oktober 2019 hat sich Balliet bewusst als Tattag ausgesucht. Es ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag.

In seinem Post auf der Meadhall-Unterseite von Meguca.org veröffentlicht er auch den Link zu einem Stream auf der Plattform Twitch.tv, auf der vor allem Gamer übertragen, wie sie gerade ein Computerspiel zocken. Seinen Account hatte er dort unter dem Nutzernamen »spilljuice« zwei Monate zuvor angelegt und damit schon einmal das Livestreamen ausprobiert. Jetzt wird er über diesen Account in Echtzeit sein Attentat zeigen, das viele in Deutschland und darüber hinaus erschüttern wird.

Balliet setzt seinen Post ab, als er schon nahe der Synagoge in Halle in einem Mietwagen sitzt, den Laptop auf den Knien, kurz bevor er sich mit seinem Smartphone am Bundeswehr-Helm als »Anon« vorstellt, den Holocaust leugnet und mit seinen Waffen loszieht, um zu töten. Aus dem anonymen Nutzer im Internet wird ein rechtsextremer Terrorist und Mörder.

Die verlinkte Zip-Datei hat Balliet schon drei Stunden vorher hochgeladen, auf einer Filehoster-Seite, wie es so viele gibt. Er ist dabei über das Tor-Netzwerk ins Internet gegangen, um seine Identität zu verschleiern.

Wer wissen will, was für einer Ideologie Balliet anhing und wie er sich mutmaßlich radikalisierte, der findet eine ganze Reihe von Hinweisen auf der Seite, auf der er seine Tat ankündigte. Auch die Dateisammlung selbst, inklusive Bauanleitungen der Waffen, gibt einen Einblick in seine Welt. Und wenn man sich dann anschaut, wie die Dokumente und das Video im Netz weitergeleitet wurden, kann man erkennen, wie sich rechtsextremer Hass im Netz verbreitet. Dem Autor dieses Kapitels liegt sowohl die Dateisammlung des Attentäters als auch die Seite mit dem Post auf Meguca vor.

Waffen aus Baumarktteilen


88 Objekte umfasst die Dateisammlung: sechs PDF-Dokumente mit Tatplan und Anleitungen, ein Selfie und zwei Dutzend Fotos der Waffen und der Munition. Dazu kommt eine ganze Reihe von CAD-Konstruktionsdateien, mit denen Waffenteile per 3D-Drucker hergestellt werden können. Die ältesten dieser Dateien datieren vom März 2018, Balliet hatte sie sich offenbar schon lange vor dem Attentat beschafft.

Auch die enthaltenen Fotos belegen, dass sich Balliet lange auf die Tat vorbereitet hat. Die erste Pistole wurde den Foto-Metadaten zufolge bereits im März 2019 fotografiert, andere im Juni und September 2019. Das zeigt: Balliet hatte offenbar schon vor dem Christchurch-Attentat am 15. März 2019 Tatpläne; aber der Anschlag in Neuseeland hat ihn wohl bestärkt, er hat ihm gezeigt, dass es funktioniert. Und dass man viel Aufmerksamkeit bekommt, wenn man das Töten live im Netz überträgt.

Bis auf ein Vorderlader-Gewehr Marke Smith, das legal zu bekommen ist und das er laut Ermittlern bereits im Jahr 2015 online kaufte, sind die gezeigten Waffen alle selbst gebastelt. Sie sind aus Holz und Metallteilen zusammengebaut, die man in jedem Baumarkt bekommt. Es reicht dafür eine Werkbank im Hobbykeller oder der Gartenlaube. Manche der Waffen haben Plastikteile, die mit einem 3D-Drucker hergestellt wurden. Er habe dafür einen billigen 3D-Drucker für 100 Euro benutzt, schreibt Balliet in einem der Dokumente, deshalb sei die Druckqualität mitunter nicht so gut. Im Haus seines Vaters konnten die Ermittler einen passenden 3D-Drucker sicherstellen.

Die Anleitungen für den Waffenbau sind ohne größere Probleme im Internet zu finden. Als im Jahr 2013 der texanische Waffennarr Cody Wilson seine funktionsfähige Kunststoffpistole »Liberator« vorstellte und die Baupläne veröffentlichte, führte das weltweit zu Schlagzeilen. Die Waffe besteht aus 16 Einzelteilen, von denen 15 per 3D-Drucker hergestellt werden können, dazu kommt ein handelsüblicher Nagel als Schlagbolzen. Schon damals wurde diskutiert, ob Open-Source-Waffen aus dem 3D-Drucker die große neue Gefahr seien.

Unter Waffennarren auch bekannt sind die Baupläne des britischen Büchsenmachers Philip A. Luty, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 2011 für den freien Besitz von automatischen Waffen einsetzte. Er veröffentlichte Anleitungen zum Eigenbau vollautomatischer Waffen und saß wegen illegalen Waffenbaus mehrere Jahre im Gefängnis. Auf Luty verweist Balliet in seinen Texten, hat aber nach eigenen Angaben dessen Pläne teils abgewandelt.

Ausführlich präsentiert er auch seine Anleitung einer »Deliberator«-Pistole. Weil man für dieses Modell außer dem 3D-Drucker nur wenige Werkzeuge benötige und die Metallverarbeitung auf ein Minimum beschränkt werde, schreibt er, könnten auch Stadtbewohner in Ein-Zimmer-Wohnungen eine effektive Schusswaffe bauen.

Die Munition hat Balliet offenbar ebenfalls selbst hergestellt. Auch hier verweist er auf eine Anleitung, die man im Internet finden kann. Ebenso hat er diverse Sprengsätze aus Dosen und Metallrohren zusammengebaut und mit selbst gebastelten Zündern versehen. Die Bauteile sind alle legal zu erwerben. Es ist aber nicht erlaubt, sich daraus Waffen, Munition oder Sprengsätze zu bauen.

Allerdings ist es für die Polizei und Nachrichtendienste kaum möglich zu überwachen, was jemand mit seinem 3D-Drucker und Metallteilen aus dem Baumarkt herstellt. Ein verschärftes Waffenrecht, wie es Ende 2019 der Bundestag beschloss, dürfte in diesem Fall also nicht helfen. In seinem Dorf in Sachsen-Anhalt ist Balliet beim Basteln und womöglich Testen der Waffen nicht aufgefallen. Jedenfalls hat niemand die Behörden informiert.

Balliet war sich wohl schon vor dem Attentat bewusst, dass seine Waffen nicht optimal funktionieren. Das hätten auch seine Tests ergeben, schreibt er in seinem Online-Post. Nur eine der Waffen sei wirklich zuverlässig. Um diese zu bauen, reichen ein Wochenende an Zeit und 50 Dollar für das Material. Diese Schrotflinte, so heißt es in Anleitungen im Internet, ist wohl grundsätzlich die Schusswaffe, die man am einfachsten selbst bauen kann. Und im Vergleich zu Waffen mit Plastikteilen ist sie deutlich stabiler.

Balliet hat beim Thema Waffen allein aus folgendem Grund zumindest ein solides Grundwissen: Er war 2010 bis 2011 bei der Bundeswehr, hat seinen Grundwehrdienst abgeleistet, beim Panzergrenadierbataillon 401 in Hagenow, Mecklenburg-Vorpommern. Dabei wurde er, wie es üblich ist, auch im Schießen ausgebildet. Er sei damals nicht mit einer verfassungsfeindlichen Haltung aufgefallen, heißt es heute. Im Herbst 2018 hat Balliet sich erneut bei der Bundeswehr beworben, als Zeitsoldat, wie nach der Tat öffentlich wurde. Vor einem Bewerbungsgespräch hat er die Bewerbung aber aus unbekannten Gründen wieder zurückgezogen.

So, wie er es mit seinen Waffen befürchtet hat, läuft es dann auch, als Balliet durch Halle zieht. Die vollautomatische...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Maße 120 x 120 mm
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 4chan • 8chan • Alexander Nabert • Alt-Right-Bewegung • Anders Breivik • Andrea Röpke • Antisemitismus • Blood & Honor • Brentont Tarant • Christchurch • Computerspiele • David Sonboly • Frauenhass • Gamer-Szene • Games • Gewalttaten • Halle • incels • Internetforen • Morde • Neuseeland • Oslo • Otto Weiniger • Ronald Siebert • Sebastian Erb • Simone Rafael • Stephan Balliet • stephen bannon • Veronika Kracher
ISBN-10 3-86284-471-4 / 3862844714
ISBN-13 978-3-86284-471-5 / 9783862844715
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