Erkenntnis und Meditation -  Christoph Hueck

Erkenntnis und Meditation (eBook)

Wege zum Erleben des Geistigen im Menschen und in der Natur. Aufsätze zur anthroposophischen Meditation
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2020 | 2. Auflage
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-5765-2 (ISBN)
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In diesem Band sind einige meiner Aufsätze aus den letzten Jahren zusammengestellt, die sich mit Fragen der anthroposophischen Meditation als einer geistigen Erkenntnismethode beschäftigen. Es geht dabei um die Grundlagen, Hintergründe, die Durchführung sowie um die Erkenntnis-Erlebnisse dieser Art der Meditation. Die leitenden Fragen sind: Wie findet man ein real zu erlebendes Geistiges innerhalb des menschlichen Bewusstseins, aber auch in den Erscheinungen der äußeren Natur? Was bedeutet Meditation im Zusammenhang eines vertieften Verständnisses des Menschen als eines leiblich-seelisch-geistigen Wesens? Welche Rolle spielen die Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens beim Meditieren? Wann und inwiefern kann man von einem leibfreien Bewusstsein in der Meditation sprechen? Warum gehört zur anthroposophischen Meditation auch eine ethisch-moralische Selbstschulung, und welche Stellung haben diese Aspekte im Werk Rudolf Steiners? Es werden verschiedene Beispiele anthroposophischer Meditation besprochen. Insgesamt möchte dieser Band damit zum Verständnis des Wesens der anthroposophischen Meditation beitragen.

Dr. Christoph Hueck (* 1961), Studium der Biologie und Chemie, langjährige molekularbiologische Forschung. Über 35 Jahre intensive Beschäftigung mit der Anthroposophie. Waldorflehrer, Dozent für Waldorfpädagogik, Anthroposophie und anthroposophische Meditation. Mitbegründer der Akanthos-Akademie für anthroposophische Forschung und Entwicklung. Publikationen zu den Grundlagen der Anthroposophie und anthroposophischen Meditation, zum anthroposophischen Verständnis der Naturwissenschaft, sowie zur gesundheitlichen Wirkung der Waldorfpädagogik.

II


DIE ENTDECKUNG DES ICH-WELT-INNENRAUMS
– ZUR DARSTELLUNG DER SELBSTERKENNTNIS IN
RUDOLF STEINERS GEHEIMWISSENSCHAFT IM
UMRISS


»So habe ich den Ort gefunden, an dem Du unverhüllt gefunden

werden kannst. Er ist vom Ineinsfall der Gegensätze umgeben. Er ist

die Mauer des Paradieses, in dem Du wohnst. Seine Pforte bewacht

der höchste Geist des Verstandes. Wird dieser nicht besiegt, wird der

Zugang nicht offen sein.«35

(Nikolaus Cusanus)

Im folgenden Kapitel wird ein Abschnitt aus Rudolf Steiners Geheimwissenschaft besprochen und in weiterführenden Zusammenhängen beleuchtet. Als ich diesen Text vor mehr als 35 Jahren zum ersten Mal studierte, wurde ich zu einem für mich wichtigsten Erlebnis geführt. Im Nachvollzug der Darstellung öffnete sich ein Lichtraum aus leichter, freudiger Lebendigkeit, in dem ich eine Quelle innerer Kraft und Zuversicht entdeckte. Heute, nach langjähriger Beschäftigung mit dem Thema, hat diese Erfahrung Kontinuität erlangt und ist klarer und sicherer geworden als zuvor. Das innere, aus sich selbst leuchtende Licht wird zwar manchmal verdunkelt, doch hilft die Erinnerung an den Weg, auf dem es sich wieder finden lässt. Es handelt sich nicht um die Erkenntnis konkreter geistiger Inhalte (welche jedoch auf Grundlage der genannten Erfahrung gesucht werden können), sondern eine solche der Verbundenheit mit dem eigenen innersten Wesen und zugleich mit der Welt. Anthroposophische Geisteswissenschaft muss nicht nur theoretisch bleiben, sondern kann für jeden, der sich darauf einzulassen vermag, lebendiges Erlebnis werden.

*

Seit der Wende zum 20. Jahrhundert behandelte Rudolf Steiner in seinen Schriften immer wieder die Erkenntnis des ›Ich‹. Das Besondere an der Selbsterkenntnis ist, so Steiner, dass sie auf eine andere Weise zustande kommt, als alles übrige Erkennen. Und sie ist nicht bloß ein Erkennen, sondern zugleich ein Sich-selbst-Erwecken. »Die Wahrnehmung seiner selbst ist zugleich Erweckung seines Selbst.«36 Mit der Selbsterweckung wird auch der »höhere Sinn« geboren, der nicht nur Physisches, sondern auch Geistiges schauen kann. »Ein Licht blitzt in mir auf und beleuchtet mich, und mit mir alles, was ich von der Welt erkenne.«37 Durch die (mystische) Selbsterkenntnis verwandelt sich das Verhältnis zur Welt:

»Wer den Weg der inneren Erfahrung betritt, in dem erlangen die Dinge eine Wiedergeburt; und das, was an ihnen für die äußere Erfahrung unbekannt bleibt, das leuchtet dann auf. So klärt das Innere des Menschen sich nicht nur über sich selbst, sondern es klärt auch über die äußeren Dinge auf.«38

Mit solchen Gedanken knüpfte Rudolf Steiner an Johann Gottlieb Fichte an, den er den »Pfadfinder und Entdecker des höheren Sinnes«39 in der deutschen Philosophie nannte. Fichte hatte gefunden, dass sich die Erkenntnis des eigenen Ich anders vollzieht als diejenige aller ande ren Dinge. Denn das Ich wird sich nicht ohne eigenes Zutun gewahr, sondern nur, »insofern es sich durch seine eigene Tätigkeit das Sein selbst beilegt. … [Der Mensch] kann sein ›Ich‹ nur wahrnehmen, indem er sich als den Schöpfer dieses Ich anschaut«40. Mit der Selbsterkenntnis habe Fichte »den Typus aller okkulten Erlebnisse« beschrieben. Denn

»so, wie diese scheinbar ganz leere Bejahung des eigenen Selbst auftritt, so spielen sich alle höheren okkulten Erlebnisse ab. Sie werden inhalt- und lebensvoller, aber sie haben dieselbe Form«41.

Indem sich der Mensch als Ich selbst erweckt, lebt er in bewusster Geist-Innerlichkeit, die zugleich volle Wirklichkeit ist. »Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein«42, heißt es bei Fichte. Indem sich das Ich selbst erschafft, kennt es sich; es bleibt kein undurchschaubarer Rest. Doch wie findet man den Weg zum Nicht-Ich, zu einer ebenso innerlichen und durchschaubaren Geist-Verbindung mit der Welt?43 Kann doch die Welt vom Ich nicht hervorgebracht werden, sondern tritt ihm fertig entgegen. Rudolf Steiner forderte daher, dass die idealistische Erkenntnisart Fichtes durch eine Empirie ergänzt werden müsse, wie sie Aristoteles umfassend verwirklicht hatte. Gegenüber Walter Johannes Stein äußerte er einmal über seinen eigenen Erkenntnisweg:

»Ich habe zwei Elemente verbunden. Von Johann Gottlieb Fichte lernte ich die Tathandlung, die von der Außenwelt zurückgezogene Ich-Aktivität. Aber von Aristoteles nahm ich die Fülle der alles umfassenden Empirie. Nur wer Fichte durch Aristoteles zu ergänzen weiß, findet die volle Wirklichkeit, und das war mein Weg.«44

Wie kann die empirische Welt so innerlich wie das Ich erlebt werden? Wie kommt man vom Geist im Ich zum Geist in der Welt?

Der Weg der Selbsterweckung in der Geheimwissenschaft

In der Geheimwissenschaft findet sich eine Darstellung zur Selbsterkenntnis, die auf die oben gestellte Frage antwortet. Die Darstellung ist so gehalten, dass sie den aufmerksamen Leser dazu führen kann, das, wovon sie spricht, selbst zu erleben. In diesem Sinne schrieb Rudolf Steiner in einer Vorrede:

»In dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen [von Mitteilungen der Geisteswissenschaft] steht man in dieser [übersinnlichen] Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, dass man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben«.45

Steiner weist zunächst darauf hin, dass das gewöhnliche Bewusstsein in Empfindung und Verstand nicht auf sich selbst, sondern auf anderes gerichtet ist. Die Seele könne aber »über all das« hinausgehen, sie ist mehr als nur Empfindungs- und Verstandesseele.

»Die übersinnliche Anschauung vermag am leichtesten eine Vorstellung von diesem Hinausgehen zu bilden, wenn sie auf eine einfache Tatsache hinweist, die nur in ihrer umfassenden

Bedeutung gewürdigt werden muss. Es ist diejenige, dass es im ganzen Umfange der Sprache einen einzigen Namen gibt, der seiner Wesenheit nach sich von allen andern Namen unterscheidet. Dies ist eben der Name ›Ich‹. Jeden andern Namen kann dem Dinge oder Wesen, denen er zukommt, jeder Mensch geben. Das ›Ich‹ als Bezeichnung für ein Wesen hat nur dann einen Sinn, wenn dieses Wesen sich diese Bezeichnung selbst beilegt. Niemals kann von außen an eines Menschen Ohr der Name ›Ich‹ als seine Bezeichnung dringen; nur das Wesen selbst kann ihn auf sich anwenden. ›Ich bin ein Ich nur für mich; für jeden andern bin ich ein Du; und jeder andere ist für mich ein Du‹.«46

Der Abschnitt führt den Leser schrittweise an das ›Ichbin‹ heran. Zunächst weist Steiner auf eine äußere Beobachtung: »Im ganzen Umfange der Sprache…«. Daran knüpft sich die Beschreibung einer Tätigkeit, die gedanklich durchdrungen wird: »Jeden andern Namen kann … jeder Mensch geben. Die Bezeichnung als ›Ich‹ hat nur dann einen Sinn, wenn…«. Dann folgt die Beschreibung einer persönlichen Erfahrung: »Niemals kann von außen… an mein Ohr dringen«. Und schließlich, in direkter Rede, eine vom Ich selbst ausgehende Formulierung, die nicht nur Gedanke ist, sondern Selbstaussage und Tat: »Ich bin ein Ich…«. Dann erfolgt die Würdigung dieser »einfachen Tatsache« in ihrer »umfassenden Bedeutung« in drei weiteren Schritten:

»Diese Tatsache ist der äußere Ausdruck einer tief bedeutsamen Wahrheit. Das eigentliche Wesen des ›Ich‹ ist von allem Äußeren unabhängig; deshalb kann ihm sein Name auch von keinem Äußeren zugerufen werden. Jene religiösen Bekenntnisse, welche mit Bewusstsein ihren Zusammenhang mit der übersinnlichen Anschauung aufrechterhalten haben, nennen daher die Bezeichnung ›Ich‹ den ›unaussprechlichen Namen Gottes‹. Denn gerade auf das Angedeutete wird gewiesen, wenn dieser Ausdruck gebraucht wird. Kein Äußeres hat Zugang zu jenem Teile der menschlichen Seele, der hiermit ins Auge gefasst ist. Hier ist das ›verborgene Heiligtum‹ der Seele. Nur ein Wesen kann da Einlass gewinnen, mit dem die Seele gleicher Art ist. ›Der Gott, der im Menschen wohnt, spricht, wenn die Seele sich als Ich erkennt‹.«47

Im fünften Schritt wird die Erfahrung, die im dritten beschrieben wurde, in eine geistige Einsicht transformiert: »Das eigentliche Wesen des ›Ich‹ ist von allem Äußeren unabhängig«. Der sechste Schritt transzendiert den zweiten in religiöser Perspektive: der »unaussprechliche Namen Gottes«48, und der siebte den ersten: »Der Gott, der im Menschen wohnt…«. Der Leser durchwandert einen stufenweise geführten Einweihungsweg en miniature.

Mit diesen Formulierungen, so Rudolf Steiner, sei aber keine Gleichsetzung von...

Erscheint lt. Verlag 27.1.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-7504-5765-4 / 3750457654
ISBN-13 978-3-7504-5765-2 / 9783750457652
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