Reise mit Aal (eBook)

Auf den Spuren einer aussterbenden Art
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2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0687-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Reise mit Aal -  Torolf Kroglund
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Die Geschichte der Aale fasziniert die Menschen seit jeher. Und doch wissen wir immer noch viel zu wenig über diesen schlangenartigen Fisch. Was vielen Menschen gar nicht bewusst ist: Die Aale verschwinden, und zwar so rapide, dass sie schon in wenigen Jahren ausgestorben sein können. So ist der Bestand des europäischen Aals in den letzten zehn Jahren um 90 % zurückgegangen. Der Schriftsteller, Journalist und Sportfischer Torolf Kroglund geht der Frage nach, warum das so ist, und folgt dem Aal dafür durch ganz Europa. Seine Reise beginnt auf der norwegischen Insel Frøya, wo er als Kind Aale fing, und führt ihn danach u. a. nach Deutschland, Spanien, England und die Niederlande. Unterwegs begegnet ihm ein breites Spektrum an Themen rund um die Natur, er erfährt aber auch persönliche Herausforderungen. Beides flicht Kroglund auf faszinierende Weise in seine Erzählung ein.

Torolf Edgar Kroglund ist Autor, Journalist und Sportfischer. Er ist Leiter des jährlich in Südnorwegen stattfindenden Ibsen- und Hamsun-Festivals und Verfasser mehrerer Bücher über das Angeln und die Jagd.

Torolf Edgar Kroglund ist Autor, Journalist und Sportfischer. Er ist Leiter des jährlich in Südnorwegen stattfindenden Ibsen- und Hamsun-Festivals und Verfasser mehrerer Bücher über das Angeln und die Jagd.

Vom Hammarvatnet in die Sargassosee


Manchmal hatte ich einen Aal am Haken, wenn ich in den Seen Frøyas, der Insel meiner Kindheit in Westnorwegen, Forellen angelte. Ich besaß zwei Ruten, eine Wurfangel, die ich mit Kunstköder, Spinner oder Fliege einsetzte, und eine Rute mit Wurm und Schwimmer. Die Aale bissen immer an der Rute mit dem Wurm, und zwar meist dann, wenn sich bereits die Dunkelheit über Wasser und Land legte. Ich konnte gerade noch erkennen, wie sich ein schwarzes, schweres Etwas in der Tiefe bewegte. Eine große Kraft ging von diesem Etwas aus, wenn ich die Angelschnur einholte. Ich musste dagegen richtig ankämpfen. Und jedes Mal war ich enttäuscht, wenn keine Rekordforelle am Haken hing, sondern ein glitschiges, sich windendes, schlangenartiges Ding, das ich ins Heidekraut warf und mit einer Mischung aus Faszination und Ekel betrachtete. Es erwies sich als fast unmöglich, das Tier vom Haken zu bekommen. Er war so tief im Maul verschwunden, dass ich ihn gar nicht mehr sehen konnte. Auch ließ sich der schleimige Aal kaum festhalten. Es sah aus, als habe er den Wurm samt Haken eingesaugt wie ein Staubsauger. Man hätte wohl die Leine kappen und ihn wieder ins Wasser werfen können, aber ihn mit einem Haken in der Kehle herumschwimmen zu lassen, wäre Tierquälerei gewesen. Die einzige Lösung war, ihn zu töten. Selbst das war nicht so leicht, wie man glauben sollte. Ihn festzuhalten, war nicht das einzige Problem. Auch wenn man auf ihn treten wollte, flutschte er weg wie ein Stück Seife. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass mir nichts Besseres einfiel, als das Messer hervorzuholen und ihm den Kopf abzuschneiden. Aber nicht einmal danach schien dieses unheimliche, mystische Tier tot zu sein. Der Körper wand sich weiter, und fast sah es so aus, als ob es ihn zurück ins Wasser zöge, um in der Tiefe zu verschwinden und dort weiterzuleben, als sei nichts geschehen. Ohne Kopf. Wuchs der womöglich wieder nach? Auch er schien weiterzuleben, nachdem ich ihn abgetrennt hatte. In der Mitternachtsdunkelheit, allein am undurchsichtigen Wasser, weitab von jeglicher Zivilisation war das alles ziemlich unheimlich.

Ich wusste, dass man Aal durchaus essen kann, und manche aßen ihn tatsächlich. Aber mir kam das ziemlich abwegig vor. Wie konnte man dieses glitschige, unheimliche Wesen, das kaum totzukriegen war, nur auf den Teller bringen? Das überstieg meine Vorstellungskraft, diesen Beifang empfand ich wirklich nicht als Bereicherung.

Ich glaube nicht, dass ich damals schon etwas von der rätselhaften Reise wusste, die dieser Aal hinter sich hatte. Dass mir bewusst war, wie er sich als kleine Larve von der Tiefsee auf den Weg gemacht hatte, um am Ende über Bäche und Stock und Stein als Aal bis hierher in den Hammarvatnet auf Frøya zu gelangen. Oder dass diejenigen Aale, denen ich nicht den Kopf abschnitt, genau das tun würden, wovon ich hier an der Küste immer träumte: hinausziehen in die große weite Welt. Ja, dass mein Aal im Hammarvatnet nicht nur in die weite Welt hinauswollte, sondern sogar bis ganz an ihr Ende, hinunter in die namenlosen Tiefen des sagenumwobensten und geheimnisvollsten aller Gewässer: der Sargassosee.

Früher Morgen mit Kaffee und Zeitung. Ein Artikel in der Lokalzeitung bringt mich dazu, an damals zurückzudenken, an die Aale in den Angelgewässern meiner Kindheit auf Frøya. Fotos zeigen Aale, die von den Turbinen des Wasserkraftwerks am Storelva in Tvedestrand geschreddert wurden. Ein bärtiger Mann hält einen toten Aal in die Kamera, im Hintergrund ist ein ganzer Haufen Fischkadaver zu sehen. Der Mann schaut ziemlich besorgt.

Der besorgt Dreinblickende ist mein Vetter, Frode Kroglund. In dem Artikel spricht er reichlich dramatisch vom »großen Aalmassaker«. Frode ist Biologe (ich selbst habe Literatur studiert). Wir stammen beide aus Trøndelag und haben lange in Sørland gewohnt, Frode in Arendal, ich 40 Kilometer entfernt in Lillesand, also zwei Nordnorweger mit demselben Nachnamen in Südnorwegen …

Das Schlimme an der Sache ist: Der Aal steht in Europa als vom Aussterben bedrohter Fisch auf der Roten Liste; in Norwegen gilt er aber lediglich als gefährdet. Immerhin ist es verboten, ihn zu fischen (das gilt für Berufsfischer wie Freizeitangler). Weltweit versuchen Forscher dahinterzukommen, warum der Aal verschwindet. Hier ist offensichtlich einer der Gründe dafür: Wenn die Aale aus dem großen Einzugsbereich des Storelva hinaus ins Meer wollen, um ihre lange Reise zurück in die Sargassosee anzutreten, treffen sie auf die Turbinen, die sie am Weiterschwimmen hindern und im schlimmsten Fall in Stücke hacken. Gegen Wasserkraftwerke anzukämpfen ist in etwa so schwierig wie Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen. In Norwegen steht an jedem zweiten Fluss eins, und auch die Wasserläufe im restlichen Europa sind voller Turbinen, Wehre und Dämme.

»Diese Aale«, wird Frode im Artikel zitiert, und er spricht aus, was die Bilder bereits ganz unmissverständlich zeigen, »kehren nicht mehr in die Sargassosee zurück.«

Kein einziger Aal in unseren großen und kleinen Seen, in unseren Flüssen und an der Küste paart sich hier. Alle Europäischen und Amerikanischen Aale paaren sich erst in der Sargassosee. Das hat zwar noch nie jemand gesehen, aber die kleinsten Aallarven, die – in relevanten Mengen – gefunden wurden, sind dort gefunden worden. Die Aale, mit denen wir es in den Seen und zwischen den Schären zu tun haben, sind also nur zu Besuch – und sie gehören derselben Art an.

Die Aallarven sehen aus wie durchsichtige kleine Blätter, ganz flach und rund. Sie haben Magensäcke und kleine Augen, kleine Beinchen und kleine, aber furchteinflößende Zähne. Mit dem Golfstrom treiben sie ins südliche Europa, wozu sie mehrere Jahre benötigen. Wenn sie unsere Küsten erreichen, sind sie zwar immer noch klein, doch haben die meisten ihre Form verändert: Sie sind weiterhin durchsichtig, aber der Körper ist jetzt schlanker, aalähnlicher. Aus den Larven sind Glasaale geworden. Man findet sie in besonders großer Zahl an den Küsten und in den Flussmündungen Portugals, Spaniens, Frankreichs und im Süden Englands und Irlands. Glasaale gibt es aber auch im Mittelmeer und selbst hier oben an der norwegischen Küste und in unseren Flüssen. Doch auch wenn sich kleine Glasaale hier in unseren Gewässern tummeln, hat doch kaum einer sie je gesehen. Während sie weiter die Seen und Flüsse hinaufwandern, entwickeln sie Farbpigmente. Dann sehen sie schon halbwegs wie »richtige« Aale aus. Allerdings sind sie immer noch sehr klein, zwischen fünf und zehn Zentimeter, zudem dünn wie ein Stück Draht. In diesem Stadium heißen sie Steigaale.

Die Wanderung aus der Sargassosee hat Jahre gedauert, manche Forscher gehen davon aus, dass es bis zu drei sein können. Aber in den Flüssen und Seen bleiben sie, um erwachsen zu werden, in ihrem Süßwasserlebensraum – sei es das Hammarvatnet, der Håelva, der Vegår, der Vänersee, der Rhein, der Po oder der Nil –, und zwar jahrzehntelang. Sie haben keine ausgebildeten Geschlechtsorgane, in ihrem Leben dreht sich alles nur ums Fressen. Sie bleiben drei bis dreißig Jahre treu an derselben Stelle – manchmal sogar noch viel länger. Der älteste bekannte Süßwasseraal war aus Südschweden. Er hatte ein nachweisliches Alter von mindestens 155 Jahren. Åle – ein Männchen, wie man später herausfand – lebte in einem Brunnen, in dem er im 19. Jahrhundert ausgesetzt worden war, um das Wasser von Algen und Kleintieren freizuhalten. In seinem restlichen Leben hat Åle außer seinem beengten Zuhause nichts von der Welt gesehen, selbst als er ein geschlechtsreifer Blankaal geworden war. Dennoch kannte ihn jeder in Schweden, denn viele kamen ihn besuchen. Es gibt etliche Fernsehaufnahmen, in denen Reporter der schwedischen Naturdokuserie Ut i naturen zu ihm in den Brunnen hinunterkletterten, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Heute liegt Åle tiefgefroren in der Gefriertruhe eines schwedischen Aalforschers.

Süßwasseraale werden wegen der Pigmente, die sie im Süßwasser entwickeln, Gelbaale genannt. Diese Farbstoffe sorgen dafür, dass sich der Bauch des Aals goldgelb und der Rücken dunkelbraun färbt. Wenn sich der Aal – auf unerforschte Weise und ohne uns bekanntes Muster – entschließt, ins Salzwasser zurückzukehren, verändert er sich ein weiteres Mal. Sein Maul wird spitzer und seine Augen werden doppelt so groß, seine Haut wird fester. Zudem wechselt seine Farbe: Seine Bauchseite ist nun silbrig und wirkt blank, sein Rücken ist dunkler, fast schwarz. In diesem Stadium heißt er Blank- oder Silberaal.

Zur Familie der Aale oder Anguillidae gehört eine ganze Reihe verschiedener Aalarten, 16 an der Zahl. Die vier wichtigsten sind: der Europäische (Anguilla anguilla) und der Amerikanische Aal (Anguilla rostrata) im Atlantik und der Japanische (Anguilla japonica) und der Tropische Aal (Anguilla australis) in Asien. Der Europäische und der Amerikanische Aal kommen beide aus der Sargassosee. Beide Arten gleichen einander so sehr, dass man sie im Grunde auch als eine einzige auffassen könnte. Unterscheiden kann man sie nur daran, dass der Amerikanische Aal einen Rückenwirbel mehr als der Europäische hat. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass er als Aallarve aktiver schwimmt, um die amerikanische Küste zu erreichen, während sich sein europäischer Verwandter eher passiv mit der Strömung treiben lässt. Aber wie so oft beim Aal wissen wir auch hierüber nichts Genaues.

Alle diese Aalarten stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Am schlimmsten steht es inzwischen um den Europäischen Aal. Es sind sogenannte katadrome Arten, im Gegensatz zu den...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte Aal • Artenschutz • Artensterben • Europa • Fisch • Frankfurter Buchmesse 2019 • Gewässer • Globalisierung • Meer • Meeresökologie • Norwegen • Norwegen Gastland • Ökologie • Reise • Umwelt • Umweltbewusstsein
ISBN-10 3-8419-0687-7 / 3841906877
ISBN-13 978-3-8419-0687-8 / 9783841906878
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