Tief verbunden (eBook)
Unsere ersten Beziehungen prägen uns das ganze Leben lang. Ob wir unsere Eltern und frühen Bezugspersonen als zugewandt und liebevoll oder eher als distanziert oder gar abweisend erlebt haben - diese Erfahrungen wirken sich unter Umständen selbst heute noch auf unsere Partnerschaften aus. Die gute Nachricht ist: Selbst wenn unsere Kindheit nicht so ideal war - unser System ist darauf programmiert, wieder heil zu werden, weiß die erfahrene Traumatherapeutin Diane Poole Heller aus ihrer langjährigen Praxis. Dieses Buch hilft dabei, unsere ganz persönlichen Muster und Vermeidungsstrategien in Bezug auf Nähe herauszufinden und anhand vieler praktischer Übungen aufzulösen.
Dr. Diane Poole Heller ist eine führende Expertin auf dem Gebiet der Traumatherapie mit einem Schwerpunkt auf Bindungsstörungen. Die Schülerin von Peter Levine gab die von ihm entwickelte Traumatherapie-Methode Somatic Experiencing als zertifizierte Trainerin über zwanzig Jahre lang weltweit in Kursen weiter. In den von ihr selbst entwickelten Ansatz DARe (Dynamic Attachment Re-Patterning Experience) lässt sie ihre inzwischen 30-jährige Erfahrung als Traumatherapeutin einfließen.
Vorwort
Jeder Mensch trägt in sich die Möglichkeit, eine Heldenreise in ihrer ganzen Tragweite zu unternehmen. Davon bin ich überzeugt, und ich habe es in meinen 45 Jahren klinischer Praxis Tausende Male bestätigt gesehen. Viele unserer grundsätzlichen Entscheidungen werden angeregt durch die Fähigkeit, an dieser vollkommen einzigartigen Vision, wer man sein möchte und wie ein solches Ziel zu erreichen sei, festzuhalten – oder auch nicht.
Der Held in uns allen ist mit einer äußeren Bedrohung oder Zwangslage konfrontiert, einem gewaltigen Feind. Dieser Feind repräsentiert in unserem Leben ein Hindernis für innere Ordnung, Frieden, Liebe, Gedeihen, Verbundenheit und das höhere Wohl. Mit seiner Stärke und Macht scheint er geradezu erdrückend. Er will den Helden bestrafen, in eine dunkle Wolke hüllen oder gar vernichten.
Offenkundig bestehen Parallelen zwischen jenem Feind und dem Trauma. Im Wesentlichen handelt das Trauma (und die tiefe emotionale Verletzung) von Überforderung und Hilflosigkeit. Es hemmt unsere Vitalität, trübt unsere Sinne und schwächt uns, indem es uns mittels der Angst und des Leidens von anderen abschottet. Diese Trennung voneinander ist eine der wirksamsten Methoden, Beziehungen – ja selbst Zivilisationen – zu untergraben. Daneben gibt es eine gleichnishafte Beziehung zwischen der Qual der Zivilisation und der Qual des Selbst: Der Schrecken zerstört die Verbindung zu uns selbst, zum verkörperten Selbst, zum Wahren und Ewigen in uns. Wir werden einsam und haltlos, gehen nicht mehr vor die Tür, um unsere Gärten zu bewässern, und verlieren dabei die Gabe gegenseitiger Hege und Pflege.
Wenn das Trauma der Gegner ist, liegt in der Verbindung zu sich selbst und zu anderen die innere Aufgabe des Helden. Sie symbolisiert, woher er kommt, und gibt zugleich einen Weg vor, der zu beschreiten ist. Helden werden nicht als solche geboren, sondern entwickeln sich durch die Auseinandersetzung mit Missgeschick und Not. Die faszinierendsten Helden der antiken Sagenwelt sind jene, die schwere Enttäuschungen und Verluste erleiden. Sie sind nicht bereit für die anstehende Aufgabe. Deshalb scheitern sie zunächst. Dann aber machen sie eine Wandlung durch, beweisen sich vor den Augen der anderen wie auch in ihren eigenen. So gewinnen sie die Unterstützung von Freunden und Verbündeten. Sie bleiben standhaft, erlangen zunehmend die Herrschaft über sich selbst. Schließlich triumphieren sie über das Unheil.
Von der Mythologie einmal abgesehen, haben wir im realen Alltag eher nur sporadisch Bezug zur Rolle des inneren Helden. Es ist uns nicht bestimmt, sie ständig einzunehmen. Wenn wir den Helden spielen, lässt uns das vielleicht sogar umso anfälliger werden für Menschen, die unsere wohlwollenden Absichten ausnutzen. Zudem verzerrt und verdirbt die Medienbranche oft unseren Glauben an Helden. In diesen heutigen Zeiten ist der Mythos zu einem seltenen Gut geworden.
Im Rahmen der Entwicklung einer Verbindung zum Selbst, der Erlangung von Sicherheit und Gewissheit in uns und durch andere, der Bewältigung unserer täglichen Aufgaben (vom Kleinen und Gewöhnlichen zu den »großen« Entscheidungen über Liebe, Beruf, Familie, Freunde, Wohnort) ist es buchstäblich erhebend, auf konkrete und bewusste Weise in Kontakt zu treten mit unserem »höheren Selbst« und so die eigenen Beschlüsse und Handlungen in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Das führt uns zurück zum Thema der inneren Bindung, da diese auf Verbindung hindeutet. Die Bindung beschreibt nicht nur, wie wir Kontakt und Verbindung zu anderen herstellen, sondern auch zu uns selbst und zu unserem Körper. Aus diesem Grund ist das Verständnis dafür, wie ein Trauma unser Gewebe, unser Nervensystem und dadurch unser Gefühl von Sicherheit beeinträchtigt, äußerst wichtig, um die Verwicklungen unserer Bindungsmuster besser durchschauen zu können.
Sobald wir einer vermeintlichen Bedrohung ausgesetzt sind, schüttet unser Körper riesige Mengen an Überlebensenergie aus (um zu rennen, zu springen, zu treten, zu schlagen, zu fliehen, zu zerstören – oder zu binden). Verharren wir, durch die Umstände bedingt, allzu lange in diesem aufgeladenen Zustand, ist das so, als würde ein Trennschalter plötzlich unseren Kraftstrom unterbrechen, eine lebensrettende Anpassung uns zu schnell vor zu großer Bedrohung bewahren (oder vor zu geringer, zu lange fehlender Unterstützung). Mit anderen Worten: Wir fallen auseinander, wir dissoziieren. Die gleiche lebensrettende Energie, die uns gewöhnlich mobilisiert und in die Lage versetzt, eine Bedrohung abzuwehren oder ihr zu entkommen, bleibt aufgrund völliger Überforderung im Körper gefangen. Diese eingeschlossene Kraft der Bedrohungsreaktion gerät dann in eine Rückkopplungsschleife: eine sinnlose, zerstörerische und sich ständig wiederholende Konversation zwischen Körper und Gehirn. Unerbittlich verstärkt sie sich selbst, als spräche ein Redner ins Mikrofon. Das Gehirn fragt: »Sind wir okay?«, und unser Körper erwidert: »Ich spüre nichts als totale Anspannung. Sind wir nicht im Begriff zu sterben?« Worauf das Gehirn vermutet: »Dann liegen wir wohl im Sterben. Also müssen wir härter arbeiten.«
Unsere Physiologie überzeugt uns von unseren Emotionen. Die eigentliche Grundlage von heiler Seele und gesundem Körper – die Fähigkeit, uns sicher zu fühlen – wird vom Feind namens Trauma ausgehöhlt. Wenn unser Körper feststeckt im Überlebensmodus, richten Empfindungen und Gefühle die Aufmerksamkeit zwanghaft darauf, nach Sicherheit zu suchen. Das wiederum hemmt unsere Lebenskraft, weshalb wir jedes Risiko meiden. Die eingehenden Erfahrungen nehmen tendenziell einen bedrohlichen Charakter an, was unser Vermögen mindert, Kontakt zu anderen herzustellen.
Die schlechte Nachricht lautet: Das Trauma ist eine Tatsache des Lebens, aber (und das ist die gute Nachricht) es muss keine lebenslange Strafe sein. Im Laufe der Jahre habe ich Tausenden von Klienten und Kursteilnehmern vermittelt, dass der Schlüssel zur Bändigung dieses weiten Meeres voll Kummer darin liegt zu lernen, wie man mit winzigen Teilen der Erfahrung (einschließlich körperlichen Regungen, Gefühlen, Bildern, Gedanken, Energien) in Berührung kommt und einem nach dem anderen stückchenweise begegnet. Diese Teile bilden kleine Inseln der Sicherheit inmitten der tobenden Brandung des Traumas. Allmählich verbinden sich dann die Inseln, nach und nach entsteht eine solide Landmasse der (relativen) Sicherheit – ein Ort, an dem wir zurücktreten und jene schmerzlichen Empfindungen und quälenden Gefühle beobachten können, um langsam mit ihnen Frieden zu schließen.
Bald stellen sich wesentliche Fragen, etwa: »Wie viel kann ich fühlen, während ich im Hier und Jetzt präsent bleibe?« Oder: »Wie viel kann ich ertragen, bevor ich mich zurückziehe?« Und: »Was kann ich tun, um innerhalb meiner Bandbreite der Toleranz zu bleiben?« Die Weisheit unseres Körpers liefert die Antworten darauf, wie wir in den reißenden Strömungen von Schrecken, Angst und Hilflosigkeit einen geschützten Raum schaffen: einen kleinen sicheren Hafen, der uns genügend Zeit gibt, jenes herausgelöste Bruchstück der Erfahrung zu erforschen, zu bedenken, auseinanderzunehmen – und zu behalten, was wertvoll ist, und anderes zu verwerfen. Auf diese Weise wandeln wir sukzessive die Botschaft unserer Physiologie um, bis aus Schrecken irgendwann Sicherheit wird. Der Fokus wechselt von Schutzmaßnahme und Fluchtreaktion zu Warmherzigkeit und Verbundenheit, von Panik oder Verschlossenheit zu Erkundung und Mitgefühl. Unser Feind ist geschlagen, die Gefahr gebannt. Wir kommen aus unserem Gehäuse und kümmern uns darum, was uns selbst wie auch anderen Menschen Kraft und Halt verleiht. In solchem Reich herrschen nun Friede und Wohlbefinden. Das Leben gedeiht in einer Fülle von Gefühlen.
Da es zutrifft, dass wir alle einige Schwierigkeiten mit »gesunder« Bindung haben, ist es mir eine große Freude, Sie mit dem vorliegenden Werk bekannt zu machen. Ich wähne mich glücklich, seine Autorin Dr. Heller seit mehreren Jahrzehnten zu kennen. Sie war eine meiner glänzendsten Schülerinnen, eine Person, die ich nach wie vor bewundere und in hohem Maße schätze. Ihre Herzlichkeit und Tatkraft, ihre Fürsorglichkeit und ihr Verständnis sind im Lauf der Jahre Tausenden ihrer Klienten und Kursteilnehmern zugutegekommen. Solche Gaben und Einsichten sind in Tief verbunden allgegenwärtig: ein Buch, das Ihnen einen zugänglichen und gleichzeitig beispielhaften Rahmen bietet, Ihre persönlichen, manchmal komplizierten Auseinandersetzungen mit der Bindung zu erkennen, die Diane mit Scharfsinn und in lebhaftem, unprätentiösem Ton darstellt. Die integrierten Übungen werden Ihnen gewiss helfen, Ihr wahres verkörpertes Selbst wiederzuentdecken, und Sie anleiten, Ihre eigenen Hindernisse gegenüber Verbindungen mit anderen einmal mehr zu überwinden.
Es ist ein Buch für Therapeuten, die mit ihren Klienten an Bindungsproblemen arbeiten, zugleich aber auch für jene unter uns, die gerade neue Beziehungen eingehen oder langjährige Verbindungen bereichern möchten oder dabei sind, eine Beziehung zu beenden – und von diesem Abschluss zu lernen und zu genesen. Die Vorstellung, dass Sie eine solch aufregende Reise unternehmen, begeistert mich. Mögen wir alle heldenhaft unsere Widersacher überwinden und Ganzheit, Wohlbefinden und Sinnhaftigkeit in die große Zivilisation einbringen wie auch in die Zivilisation des...
Erscheint lt. Verlag | 27.4.2020 |
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Übersetzer | Gabriel Stein |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Power of Attachment. How to Create Deep and Lasting Intimate Relationships. Foreword by Peter A. Levine |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität |
Schlagworte | Beziehung • Beziehungen • beziehungsfähig • Beziehungsratgeber • Bindungstheorie • eBooks • Generation Beziehungsunfähig • Gesundheit • Intimität • Liebe & Partnerschaft • Nähe • Peter Levine • Ratgeber • Selbstliebe • Somatic Experiencing • Trauma • Traumatherapie |
ISBN-10 | 3-641-25784-0 / 3641257840 |
ISBN-13 | 978-3-641-25784-2 / 9783641257842 |
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