Vom Elefanten, der das Tanzen lernte (eBook)
335 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73161-7 (ISBN)
Indien ist ein Ansturm auf alle Sinne. Farbenfrohe Götterstatuen aus Pappmaché und Stroh, der Duft von Räucherstäbchen, Holzfeuern und Currypfannen. Das Klingeln von hinduistischen Tempelglöckchen und die Laute muslimischer Gebetsrufer. Doch Indien ist auch ein Land, das sich in nur wenigen Jahrzehnten in eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Erde verwandelt hat. Auf seine einfühlsame, sympathische Art porträtiert Per J. Andersson dieses widersprüchliche, faszinierende Land und nimmt seine Leser mit auf eine Abenteuerreise quer durch Indien: zu den Elefanten, die das Tanzen lernten. Ein Buch, das Lust macht, aufzubrechen und eine unbekannte Welt zu entdecken.
Per J. Andersson ist ein schwedischer Journalist und Schriftsteller. Er ist Mitbegründer von Schwedens bekanntestem Reisemagazin und ein Spezialist für Indien. 2015 erschien sein Bestseller "Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden". Sein bei C.H.Beck erschienenes Buch "Vom Schweden, der die Welt einfing und in seinem Rucksack nach Hause brachte" war ein halbes Jahr unter den Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste und hat sich über 50.000 Mal verkauft.
Cover 1
Titel 2
Zum Buch 335
Über den Autor 335
Impressum 3
Inhalt 4
Vorwort 6
1. Wie Indien mein Herz eroberte und mir auch im Herzen blieb 8
2. Es heißt nicht Mumbai 16
3. Elefantenritt in die Zukunft 32
4. Der Kaffeeautomat in Bangalore 46
5. Rote Politik im grünen Kerala 60
6. Nachhaltiger Tourismus in God's own country 70
7. Familienherrschaft und Befreiung der Frau 80
8. Das Erbe von Portugiesen und Hippies 96
9. Als Indien zu Indien wurde 108
10. Kolonialisten und Freiheitskämpfer 128
11. Der Zug aus Pakistan 140
12. Sightseeing im Slum 148
13. Die blaue Stadt in der großen Wüste 158
14. Gott ist einer und viele 168
15. Indiens heiligste Stadt 186
16. Die Unberührbaren melden sich zu Wort 200
17. Pikays Wald und die Inseln der Glückseligkeit 212
18. Das Mosaik der Sprache 232
19. Bhelpuri in Bombay und Masala Dosa in Chennai 242
20. Die Bedrohung der Umwelt 254
21. Wenn die Demokratie obsiegt 274
22. Bollywood erobert die Welt 290
23. Literarische Feste und heiße Debatten 296
24. Die Erinnerung an ein Imperium 310
25. Ihr sollt uns nicht bemitleiden 314
26. Der Zweikampf zwischen den beiden asiatischen Riesen 324
27. Der Elefant mit dem Mikrochip im Ohr 332
Karte 334
1. Wie Indien mein Herz eroberte und mir auch im Herzen blieb
Indien ist ein Angriff auf alle Sinne. Farbenfrohe Götterstatuen aus Pappmaché und Stroh, die durch die Stadt getragen werden, während Feuerwerk den Abendhimmel erleuchtet. Tanzende Hochzeitsgäste vor einem weißen Pferd, das vom Bräutigam geritten wird, der einen roten Turban und ein langes, silbern besticktes Hemd trägt. Der Duft von Räucherstäbchen, Holzfeuern und Currypfannen. Das Klingeln von hinduistischen Tempelglocken und muslimische Gebetsrufer.
Als ich 1983 im Alter von 21 Jahren zum ersten Mal nach Indien kam, war ich zunächst neugierig erstaunt, dann hingerissen. Nichts erinnerte dort an die Welt, die ich gewohnt war. Vor dem Flughafen von Neu-Delhi sah ich auf dem Parkplatz ein Meer von Autos – nicht weiter verwunderlich, wären sie nicht allesamt vom selben Fabrikat gewesen, nämlich dem Hindustan Ambassador, mit einer Karosserie, die eine exakte Kopie des Morris Oxford von 1954 war. Ich war nicht nur nach Osten gereist, sondern auch zurück in der Zeit. Das Design von eigentlich allem, was ich sah, erinnerte mich an meine eigene Kindheit. Im Kiosk, in den ich ging, um ein kaltes Getränk zu kaufen, gab es keine westlichen Limonademarken, die wurden nirgends in Indien verkauft, stattdessen bekam ich eine eiskalte Camp Cola Make in India in die Hand. Und die schmeckte ja auch gut. Westliche Moden und Produkte waren abwesend. In den Geschäften und auf den Basaren sah man eigentlich ausschließlich indische Waren. In den Kinos wurden nur indische Filme gezeigt. Im Radio wurde ausschließlich indische Musik gespielt. Im Fernsehen gab es nur indische Programme.
Wenn ich vor meiner Abreise mehr gelesen hätte, dann hätte ich gewusst, dass Indien, was die globalen Markenartikel und den westlichen Kulturimperialismus anging, ein weißer Fleck auf der Karte war. Indien hatte seit der Unabhängigkeit von den Briten 1947 getreu dem Rezept von Mahatma Gandhi auf Selbstversorgung gesetzt. Nur indem man selbst alles produzierte, was man zum Leben benötigte, so die Überlegung, konnte man sich von der kolonialen Vergangenheit und den imperialistischen Strukturen lösen und wirklich frei werden.
Auf den Straßen in den Städten wanderten viele bucklige Kühe mit bunt bemalten Hörnern herum. In den Straßenecken saßen in weiße Gewänder gewickelte Männer und servierten Tee aus großen, verbeulten Aluminiumkannen. In den Dörfern schritten Frauen in roten und gelben Saris mit Wasserkrügen auf den Köpfen. Ja, das war wirklich eine andere Welt für einen 21-jährigen Schweden, der mit geordneter Wohlfahrt in einem Reihenhaus am Rande von Västerås aufgewachsen war.
Meine Nase sog eine Duftmischung aus Rauch von brennendem Holz, stockigem Abflusswasser, Räucherstäbchen, Tageteskränzen und merkwürdigen Kräutermischungen ein. Damals konnte ich die Bestandteile des Duftes allerdings noch nicht benennen. Ich fand nur, dass es anders roch.
Als ich am allerersten Tag mit zitternden Knien mein Hostel verließ und direkt in das indische Gewimmel geriet, merkte ich, wie mich die Menschen mit unverstellter Verwunderung ansahen. Sie taten gar nichts, um ihren Gesichtsausdruck zu verbergen, und ich meinte in ihren Blicken lesen zu können, was sie spürten, wenn sie mich sahen (Erstaunen, Neugier …). Ich sah Männer mit dicken Backen, die frenetisch kauten und hin und wieder Kaskaden von roter Spucke ausspien. Blut!, dachte ich erschrocken, bevor ich in einem Reiseführer, den ich von einem Reisenden im Indian Coffee House auslieh, las, dass ihr Speichel vom Saft der Paan-Blätter und Betelnüsse gefärbt war, die wegen ihrer stimulierenden Wirkung gekaut wurden.
Ich sah Kioske, die Chinos, Shampooflaschen und Zigaretten von Marken verkauften, von denen ich noch nie gehört hatte. Und ich saß auf Holzbänken an kleinen Feuerstellen aus zusammengefügten Ziegelsteinen und trank süßen Tee mit warmer Milch aus roten, ungebrannten Lehmbechern. Ich sah vollbeladene Karren, die von Büffeln gezogen wurden, und Busse, die auf abgenutzten Ballonreifen rollten, Gitter vor den Fenstern hatten und an denen Menschentrauben aus den offenen Türen hingen, während das Gefährt schwarzen Dieselqualm aus dem Auspuff stieß. Überall Konstruktionen kurz vor dem Zusammenbruch: keuchende, rasselnde, dröhnende, klappernde Blechmonster, die wirkten, als würden sie nur von einer einzigen zentralen Schraube zusammengehalten. Ich dachte mir: Wenn sich diese eine Schraube lockerte, dann würden Indiens Straßen von Haufen rauchenden Eisenschrotts und verbrannten Gummis gesäumt sein.
Ich grübelte darüber nach, was das, was ich alles sah, eigentlich bedeutete. Meine Eindrücke waren schwer zu deuten. Drei weiße Striche auf einer Stirn, Kühe mit einem rot und einem blau bemalten Horn, ein fülliger Frauenbauch, der ohne Scheu in der Lücke zwischen verschiedenen Sari-Schichten hergezeigt wurde, weißer Baumwollstoff, um Hüften gewickelt und über schmale Männerbeine herunterhängend. Hohe dunkelblaue Turbane, üppige hennagefärbte Bärte, Männer in der Hocke, die ewig lang an kleinen, erdbraunen, tütenförmigen Zigaretten zogen, die nach verbranntem Gartenkompost rochen, zuckende und rollende Kopfbewegungen, als wäre der Kopf mit einem überbeweglichen Kugellager befestigt, Bewegungen, von denen ich nur schwer entscheiden konnte, ob sie ja oder nein oder nur «ich höre, was du sagst» hießen.
Und dann die Religion. Man musste die Schuhe ausziehen und sich mit nackten Füßen auf dem kalten Steinfußboden dem Gott nähern. Man hörte klingelnde Glocken, sah Hände im Lotusgruß und Steinchen mit brennenden Feuern, die in magischen, S-förmigen Bewegungen vor vielarmigen Göttern mit Rüsseln verschüttet wurden; man spürte fast das Kitzeln des Räucherwerks und des schweren, süßen Blumenduftes. Wie seltsam, dachte ich.
Vor den Schaltern am Bahnhof ringelten sich Schlangen von Männern, ausschließlich Männern. Brust an Rücken, Atem im Nacken, so als gebe es keinen Millimeter Privatsphäre. Jedes Paar Füße das Glied eines riesigen Tausendfüßlers. Dort standen, wie mir schien, nicht Hunderte von eigenständigen Individuen, sondern ein einziger Leib, ein indischer Körper, der erstaunliche Bewegungen machte.
Manchmal verlor ich die Geduld und schrie Taxifahrer, die zweideutig mit dem Kopf wackelten, an. Oder den Touristenstalker, der mich nicht in Ruhe lassen wollte, oder die Männer in den Schlangen, die nicht merkten, dass ich dort stand und um das kleinste bisschen Bewegungsfreiheit kämpfte. Natürlich hätte ich nach Hause reisen und nie wiederkommen können, hätte mein Leben in Europa weiterleben und an Indien als etwas Anderes, Furchterregendes und Beklagenswertes denken können, das fast nicht zu verstehen war. Hoffnungslos anders und exotisch und deshalb nicht der Mühe wert.
Vielleicht herrscht in China ein wenig mehr Ordnung, dachte ich. Vielleicht sollte ich Indien verlassen und stattdessen dorthin reisen. Also ging ich in ein Reisebüro und fragte, was ein Flugticket nach Peking kosten würde. Als ich eine Antwort bekam, drehte ich auf dem Absatz um und kehrte in das chaotische indische Leben zurück. Das konnte ich mir wenigstens leisten.
Doch nach ein paar weiteren Reisewochen erkannte ich, dass sich eigentlich alle meine Erwartungen nach und nach erfüllten. Ich hatte schließlich woandershin reisen wollen, weg von der durchorganisierten Welt zu Hause in Europa, wo der nächste Tag bereits im Kalender geplant ist. Das Leben in Indien, so dachte ich, kam dem Leben auf einem anderen Planeten so nah, wie man ihm auf dieser Erde kommen konnte. Und Indien war voller Eingebungen, Überraschungen, Aha-Erlebnisse und Geheimnisse. Ich war am richtigen Ort angekommen. Jetzt hieß es nur noch, die Eindrücke aufzunehmen. Meine Güte, ich konnte ja wohl kaum erwarten, dass ich schon nach wenigen Wochen alles verstand. Aber ich konnte zumindest aufhören, gegen alles anzukämpfen, und dann mal sehen, was passierte.
Der Kulturschock ließ ab dem Moment nach, in dem ich es wagte, auch mit anderen Menschen als Kellnern, Taxifahrern und Youth-Hostel-Angestellten zu reden. Ich wollte im Laufe des folgenden halben Jahres den indischen Subkontinent durchqueren und die Orte sehen, die Indienreisende normalerweise sehen wollen, was vermutlich nicht die beste Art ist, ein Land kennenzulernen. Meinen Weg zum richtigen Indien und weg vom Touristen-Indien fand ich dann aber in meiner Art zu reisen: mit den indischen Zügen. Es ist der Fluch eines Rucksacktouristen, dass es einen an Orte zieht, wo man hauptsächlich andere Reisende trifft. Doch...
Erscheint lt. Verlag | 14.3.2019 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Illustrationen | Shutterstock |
Übersetzer | Susanne Dahmann |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Abenteuer • Entdecken • Erfahrungen • Indien • Landesportrait • Landesporträt • Moderne • Reisebericht • Reiseliteratur • Reisen • Rucksack • Spiritualität • Tradition |
ISBN-10 | 3-406-73161-9 / 3406731619 |
ISBN-13 | 978-3-406-73161-7 / 9783406731617 |
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